Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Andere Menschen wurden ihr schnell zu viel. Vielleicht seltsam für eine Frau, die zwar widerstrebend, aber sehenden Auges das Universum um vier Geschöpfe bereichert hatte, aber so war es: Insgeheim war es Marilyn lästig, dass all diese Körper um sie waren, sie bereute deren unvertraute, unbeherrschbare Präsenz. Von ihrem Rückzugsort unter dem Ginkgo, wo sie sich vor ihren Gästen versteckte, waren sie ihr mittlerweile richtig lästig. Sie war eigentlich immer eine gute Gastgeberin gewesen, aber es laugte sie auch jedes Mal vollkommen aus; hinter ihr lagen Jahrzehnte in Gesellschaft erst von vermögenden Kunden ihres Vaters, dann von humorlosen Kollegen ihres Mannes, von den lebhaften Freunden ihrer Kinder, wechselnden Nachbarn und Kunden, die ständig neue Bedürfnisse hatten. Und trotzdem heute wieder das gleiche Spiel: um die hundert Körper in Bewegung, Menschen, die sie kaum kannte und die sich festlich gekleidet in ihrem Garten tummelten; leicht angeheitert feierten sie die Hochzeit ihrer ältesten Tochter Wendy. Und wieder war es ihre Aufgabe, sich um diese Leute zu kümmern, dabei hatte sie eigentlich genug um die Ohren (sie war nicht einmal dazu gekommen, eines der Häppchen aus marktfrischen Zutaten von einem der drei überlangen Kartentische zu greifen), vier Mädchen nämlich, die sie in die Welt gesetzt hatte und für die sie als Mutter verantwortlich war; wie Farbtupfer waren die vier in ihren pastellfarbenen Sommerkleidern über den Rasen verteilt. Früchte ihres Schoßes, gezeugt mit ihrem liebevollen Ehemann, der im Augenblick wie vom Erdboden verschluckt war. Sie war Mutter geworden, ohne es geplant zu haben, und hatte eine Serie von Töchtern mit unterschiedlich getöntem Haar und unterschiedlich getöntem Unbehagen hervorgebracht. Sie, Marilyn Sorenson, geborene Connolly - ein unverwüstliches Produkt aus Geld und Drama, von dubioser irisch-katholischer Abstammung, aber mittlerweile universell einsetzbar: Ihr eigenes Haar hatte immer noch ein bewundernswert natürliches Blond; sie konnte einigermaßen kompetent über Literaturkritik und das Leben ihrer Kinder plaudern, und heute steckte sie in einem maßgefertigten moosgrünen Etuikleid, das ihre trainierten Waden und die sommersprossigen Schultern freigab. Für die Leute, und sie machten alle ein großes Aufhebens darum, war sie die Mutter der Braut; sie wiederum gab sich alle Mühe, der Rolle zu genügen und nicht durchscheinen zu lassen, dass ihr einzig das Wohlergehen ihrer Töchter am Herzen lag. Auch wenn es an diesem Abend anscheinend außer der Braut keiner von ihnen besonders gut ging.
Vielleicht übersprang ja alles, was Normalität ausmachte, immer eine Generation. Violet, ihre Zweitgeborene, auffallend hübsch, brünett und in einem Kleid aus Seidenchiffon, hatte ganz gegen ihre Art seit dem Frühstück eine Fahne. Wendy, eigentlich immer ein Sorgenkind, schien es heute ausnahmsweise mal besser zu gehen, entweder weil sie soeben einen Mann mit einem Bankkonto auf den Cayman Islands geheiratet hatte oder weil er, in ihren eigenen Worten, »die Liebe ihres Lebens« war. Und dann waren da noch Grace und Liza, neun Jahre auseinander, aber gleichermaßen verhaltensauffällig, Erstere eine schüchterne, für ihr Alter zu kleine Drittklässlerin und Letztere bislang ohne Freunde und in Kürze in ihrem ersten Highschool-Jahr. Wie kam es, dass man Menschen in seinem eigenen Körper austrug, sie aus vorhandenem Gewebe hervorbrachte und dann plötzlich nicht mehr wiedererkannte?
Normalität: konnte gut einen zweiten Blick vertragen, rein soziologisch gesehen.
Gracie hatte sie unter dem Ginkgo entdeckt. Ihre Jüngste war fast sieben, ein unerträgliches Alter, und noch Lichtjahre von jenem Tag entfernt, an dem sie das Elternhaus verlassen würde; dabei war sie immer noch kindlich genug, um, wie in der vergangenen Nacht, ins elterliche Bett zu schlüpfen, eigentlich nicht schlimm, wären sie und David halbwegs bekleidet gewesen. Wann immer Marilyn ängstlich war, wie auch letzte Nacht, suchte sie instinktiv Schutz bei ihrem Mann.
»Süße, warum spielst du nicht .« Sie zögerte. Die einzigen anderen Kinder auf der Hochzeit waren noch klein, und sie wollte Grace, die wenig mit anderen Kindern anfing, nicht in ihrer ohnehin blühenden Liebe zu Hunden bestätigen, indem sie vorschlug, doch mit Goethe zu spielen. Aber sie brauchte die Verschnaufpause, nur ein paar Sekunden allein in der lauen Luft des Frühsommers. »Schau mal, wo Daddy steckt, Liebes.«
»Aber ich finde ihn nicht«, sagte Grace und klang jetzt selbst wie ein Kleinkind.
»Dann such ein bisschen besser.« Sie neigte sich nach unten und küsste ihre Tochter aufs Haar. »Ich brauch einen Moment für mich, Gracie.«
Grace trollte sich. Bei Wendy war sie schon gewesen. Sie hatte auch schon mit Liza auf der Terrassenschaukel gesessen, bis so ein Typ, Turnschuhe zum Anzug, die Aufmerksamkeit ihrer Schwester für sich beanspruchte; sie hatte Violet dazu überredet, ihr was von ihrem Champagner abzugeben. Sie hatte alle in ihrer Familie durch.
Es fühlte sich komisch an, ihre Eltern mit anderen Leuten teilen zu müssen und dafür ihre Schwestern wieder hier im Haus in der Fair Oaks zu haben. Ihr Vater nannte sie manchmal »das einzige Einzelkind auf der Welt mit drei Schwestern«. Es missfiel ihr, dass ihre Schwestern in ihren Hoheitsbereich eindrangen, und wie so oft tröstete sie sich mit der Gesellschaft von Goethe, kuschelte sich mit ihm unter die Büsche mit den gelben Blüten und fuhr mit der Hand durch sein Borstenfell, und zwar am Hintern, wo es gelockt war wie von einer Dauerwelle.
Liza hatte einen Anflug von schlechtem Gewissen, als sie bemerkte, dass ihre jüngere Schwester beim Familienhund Trost suchte; sie selbst bevorzugte gerade die Zunge eines Fremden. Der Trauzeuge verströmte ein muffiges Aroma von Whiskey und Rucola, und außerdem fingerte er an der Innenseite ihres Schenkels herum, worauf sie ihren Blick abwandte und beschloss, Grace müsse ohnehin lernen, sich um sich selbst zu kümmern, besser, sie lernte das von klein auf.
»Erzähl mir von dir«, sagte der Trauzeuge und fuhr mit seinen Knöcheln über die Spitze ihres Strings, den sie in eben der Hoffnung auf eine solche Begegnung übergestreift hatte.
»Was willst du wissen?«, fragte sie, es klang leicht feindselig, Flirten war nicht ihre Stärke.
»Ihr seid zu viert?«, fragte er. »Wie ist das so?«
»Eine gigantische hormonale Hölle. Ein Marathon aus Krisen und Haarkuren.«
Er lächelte verwirrt, und sie beugte sich kühn zu ihm und küsste ihn.
Violet, ein Häufchen Elend, saß allein und betrunken wie noch nie an einem der Tische, von dem sie die anderen Gäste vertrieben hatte, zumindest vermutete sie das. Von der vergangenen Nacht blitzten Erinnerungen wie zu grelle Sonnenstrahlen: diese Bar, eine ehemalige Bowlinghalle; ihr Begleiter mit blauen Augen und überaus gelenkigen Ellbogen; die athletische Kraft seiner Schenkel; der Rücksitz des Kombis, der seiner Mutter gehörte; ihre Bitte, sie nicht direkt vor dem Elternhaus abzusetzen, falls Wendy noch wach sein sollte; wie sie die Laute aus ihrer Kehle anfangs nicht einmal als die eigenen erkannt hatte, hier stöhnte ein Pornostar, das waren Urlaute. Er war zuerst gekommen - bald darauf, als sie wieder auf die Vordersitze krabbelten, fühlte sie, wie alles aus ihr herauslief -, und dann sorgte er mit Detailkenntnis und Fingerfertigkeit auch bei ihr für einen Orgasmus, den ersten in ihrem Leben.
Jetzt schaute sie Wendy zu, die in ihrem Gucci-Kleid mit dem herzförmigen Dekolleté auf einer Gartenhochzeit einen Akademiker aus dem Geldadel geheiratet hatte; gerade wurde sie von ihrem Angetrauten zu den Klängen von Can't Hurry Love im Kreis gewirbelt. Zum ersten Mal hatte ihre Schwester sie, was Erfolg anging, überholt. Wendy war fröhlich, schön und drehte sich im Kreis, während Violet schon beim Zuschauen übel wurde. Sie kaute an einem großen Stück Focaccia und wischte sich die fettigen Finger an der Unterseite ihres Rocks ab. Aber Wendy entlockte ihr doch unwillkürlich ein leichtes Lächeln, sie scherte sich nicht darum, dass ihre Satinschleppe gerade Grasflecken bekam. Sie stellte sich vor, wie sie zu ihrer Schwester ging und ihr ins Ohr flüsterte: Du würdest auf der Stelle tot umfallen, wenn du wüsstest, mit wem ich letzte Nacht unterwegs war.
Wendy sah zu, wie Miles von der kleinen Cousine, die die Eheringe hatte tragen dürfen, weggezogen wurde, weil er sie zum Kuchentisch begleiten sollte, worauf er Wendy über die Schulter einen entschuldigenden Blick zuwarf.
»Ein gutes Training für spätere Väter«, sagte jemand und nahm sie am Ellbogen. Sie gehörte zu Miles' Gästen, wahrscheinlich die Immobilienmaklerin von irgendwem, eine Silikon-Zwergin. Die Leute, die sich da auf dem Rasen tummelten, hatten alle Geld wie Heu. »Schön, dass du noch so jung bist, da hast du viel Zeit, um für Familiennachwuchs zu sorgen.«
Starker Tobak, und zwar aus verschiedenen Gründen, und so gab Wendy schlagfertig zurück: »Wer sagt denn, dass ich meinen Anteil des Erbes mal mit ein paar Kindern teilen will?«
Die Frau sah sie entsetzt an, Wendy und Miles genossen Witze dieser Art, es war ihnen egal, wenn Wendy in den Augen der anderen nur hinterm Geld her war. Sie liebte Miles Eisenberg, wie sie nie jemanden zuvor geliebt hatte, und allein diese Wahrheit zählte für sie beide, und er liebte sie ebenfalls, was einem kosmischen Wunder glich.
»Ich habe geplant, länger zu leben als alle anderen in der Familie und mich für den Rest meiner Tage im Reichtum zu...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.