Schweitzer Fachinformationen
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Als die Hecken von Frau von Beilstein so kurz waren, wie sie es sich wünschte, war Jaron völlig durchgeschwitzt. Es war für einen Spätsommertag noch richtig heiß, und ihm taten Arme und Beine weh, weil er die abgeschnittenen Äste einen kleinen Hügel hochgeschleppt hatte. Seine Klamotten waren dreckig und staubig. In seinen Haaren hingen kleine Blätter und seine Haut juckte.
Eine Abkühlung wäre jetzt genau das Richtige, dachte er, als er wieder an der Seeburg ankam. Andreas Reihmann saß gerade an der Rezeption und gab ihm gern den Schlüssel für den Löwensteg.
Der Löwensteg aus Beton gehörte zur Seeburg und war den Gästen der Jugendherberge vorbehalten. Den Namen Löwensteg trug er, weil auf ihm zwei steinerne Löwen auf den See hinausschauten und Wache hielten.
Als Jaron das kleine Gatter aufschloss, sah er, dass er nicht alleine war. Ein Mädchen saß auf einer der Statuen. Sie hatte lange schwarze Haare und trug Kopfhörer. Ihre schwarze Lederjacke hatte sie über den Kopf des Löwen gelegt. Ist das diese Naila, von der Franky und Antonia gesprochen haben?, fragte er sich.
Er zögerte und überlegte einen Augenblick, ob er einfach kehrtmachen sollte. In diesem Augenblick drehte sich das Mädchen um und blaffte ihn an: »Is' was?«
Jaron war für einen Moment überrumpelt, fasste sich dann aber und antwortete: »Äh, nein, ich will nur baden gehen.«
Das Mädchen musterte ihn und meinte: »Na, der Steg ist ja für alle da, oder?«
Jaron nickte und schloss das Bootshaus auf. Er zog sich seine Badehose an und stieg ins Wasser. Naila schenkte ihm keine weitere Beachtung. Einen flüchtigen Moment wagte Jaron, einen genaueren Blick in ihr Gesicht zu werfen. Sie schien ganz in Gedanken und strahlte eine stille Melancholie aus.
Das Wasser war kälter, als Jaron erwartet hatte. Seine Muskeln zogen sich zusammen, während er eintauchte und er schnappte nach Luft. Er schwamm einige Züge auf den See hinaus und legte sich dann auf den Rücken. Glücklich blinzelte er in die Sonne und streckte sich. Plötzlich zwickte sein Oberschenkel, dann durchfuhr ihn ein starker Schmerz. Die Muskeln in seinem Bein verkrampften sich. Für einen Moment blieb ihm die Luft weg. Panik stieg in ihm auf, als er versuchte, sich mit den Armen und dem anderen Bein über Wasser zu halten. Doch dann schoss der Schmerz auch in sein zweites Bein. Verzweifelt kämpfte er darum, nicht unterzugehen.
Das Mädchen auf dem Löwen schien zu bemerken, dass etwas nicht stimmte. »Alles okay bei dir?«, rief sie ihm zu.
Jaron konnte vor Schmerz nicht antworten, versuchte nur zu winken, während er mit den Armen paddelte, so schnell er konnte.
Das Mädchen sprang auf, kletterte von der Löwenstatue und sprang mitsamt ihren Kleidern in den See. Mit kräftigen Schwimmzügen erreichte sie Jaron. Sie packte ihn und zog ihn in Richtung Ufer, bis er im flachen Wasser am Strand neben dem Steg lag.
»Ich habe einen Krampf«, stöhnte Jaron.
»Beruhig dich«, meinte das Mädchen, »das hört gleich auf.«
Jaron setzte sich hin und rieb sich die Beine. Langsam ließ der Schmerz nach, aber er war immer noch sehr stark.
»Du musst aufstehen und rumgehen«, sagte Naila und wischte sich die nassen Haare aus dem Gesicht. Sie ging ein Stück den Strand hinauf und setzte sich dort in die Sonne.
Jaron versuchte, sich aufzurichten. Er stöhnte vor Schmerz, schaffte es aber auf die Beine. Vorsichtig ging er ein paar Schritte. Nach und nach wurde es besser. Nachdem er eine Weile hin- und hergegangen war, war der Krampf tatsächlich weg. Atemlos setzte er sich neben Naila.
»Danke«, sagte er.
»Kein Ding. Das mache ich jeden Tag.«
»Was machst du?«
»Na, Menschen retten.«
Jaron grinste. »Mann, tut mir leid«, sagte er, »ich war völlig überhitzt und bin wohl zu schnell ins Wasser gegangen.« Was für ein dummer Anfängerfehler! Es war ihm richtig peinlich.
»Jetzt ist dir wenigstens nicht mehr heiß.«
Jaron lachte. »Aber deine Sachen sind ganz nass«, sagte er.
»Das macht nichts. Bei dem Wetter trocknen die schnell.«
Jaron musterte Naila von der Seite.
»Bist du mit deiner Klasse in der Seeburg?«
»Ja, leider.«
»Warum leider?«
»Ach, das sind voll die Freaks. - Und du?«
»Ich wohne in der Seeburg.«
»Nicht schlecht! Die Burg ist schon krass. Gehört die dir?«
»Nein, nein«, antwortete Jaron lachend, »meine Mum arbeitet in der Jugendherberge. Deshalb wohnen wir dort.«
»Wie heißt du?«
»Äh, Jaron.«
»Cooler Name.«
»Danke.« Jaron musterte sie schüchtern von der Seite. Sie schien nett zu sein.
»Und du?«
»Naila.«
»Ah«, sagte Jaron. Sie ist also tatsächlich das Mädchen, von dem die anderen erzählt haben, dachte er. Laut antwortete er: »Auch cooler Name.«
Das Mädchen grinste. »Hey, hast du Bock, zu vapen?«, fragte sie plötzlich.
Die Frage war Jaron noch nie gestellt worden. Überrumpelt stotterte er: »Äh, nein, äh, ich rauche nicht, danke.« Ein paar ältere Jungs an seiner Schule rauchten zwar E-Zigaretten, aber in seinem Alter kannte er niemanden. Die Lehrer hatten sie darüber aufgeklärt, wie ungesund Vapes waren, und er hatte nicht vor, damit anzufangen.
Das Mädchen stand auf und ging durch das Törchen auf den Steg. Kurz darauf kam sie mit ihrem Rucksack wieder. Sie setzte sich neben Jaron und kramte darin herum. Jaron fiel das außergewöhnliche Symbol auf dem Rucksack auf: ein großer Totenkopf. Naila schob ein braunes Kuvert zur Seite und zog darunter eine kleine Dose hervor. Als sie den Deckel abnahm, sah Jaron darin eine E-Zigarette und mehrere kleine Kapseln. Auf der Zigarette stand »Black Mamba«. Naila zog die Zigarette und eine Kapsel heraus. Geschickt entfernte sie die Schutzfolie und steckte die Kapsel in das Mundstück. Sie zog genüsslich daran und inhalierte tief.
»Das tut gut«, seufzte sie. »Willst du auch mal?« Sie hielt ihm die Zigarette hin.
Jaron schüttelte den Kopf. »Nein, danke.«
Naila stieß eine große Wolke Dampf aus. Er roch stark nach künstlichem Apfelaroma, was Jaron ziemlich eklig fand.
»Was arbeitet deine Mum in der Burg?«
»Sie ist die Sekretärin.«
»Und dein Dad?«
»Lebt nicht mehr.«
Naila sah ihn an. »Oh, sorry. Meine Mum lebt auch nicht mehr. Sie ist bei meiner Geburt gestorben.«
»Das tut mir leid«, sagte Jaron.
»Schon gut«, wiegelte Naila ab. Sie nahm noch einen Zug. »Mein Dad ist ein berühmter Pianist, weißt du?«
»Cool.« Jaron fiel nichts Besseres ein.
»Er lebt in Japan.«
»In Japan? Ganz schön weit weg.«
»Ja, aber ich fahre bald zu ihm. Er wartet schon auf mich.« Das Mädchen blickte auf den See.
»Und warum bist du nicht bei ihm in Japan?«, fragte Jaron.
»Er hat total viel zu tun. Deswegen hat er mich ins Internat geschickt«, antwortete sie. »Hier.« Sie kramte wieder in ihrem Rucksack und zeigte ihm ein Foto auf ihrem Handy. Es zeigte einen Mann im Anzug an einem Flügel, der in die Kamera grinste.
»Cool«, sagte er, »ist dein Vater auch hier berühmt?«
Naila sah für einen Moment traurig aus. Dann zuckte sie mit den Schultern. »Nee, nur in Japan. Die stehen wohl besonders auf ihn, keine Ahnung warum.«
Jaron ahnte, dass hinter der Geschichte mehr steckte, als sie verriet.
»Ich fliege schon bald zu ihm«, fuhr Naila fort.
»Warum kommt er nicht zu dir?«, fragte Jaron.
»Er hat keine Zeit. Er muss viele Konzerte spielen. Aber ich hab die Kohle zusammen und fliege bald nach Japan.« Sie warf einen kleinen Stein ins Wasser.
»Okay.« Irgendetwas an dem Mädchen stimmte Jaron nachdenklich. Was ist nur mit ihr?, fragte er sich. Und warum muss sie selbst das Geld für den Flug besorgen, kann ihr Vater ihr nicht einfach ein Ticket schicken?
»Hier, das ist von Papa.« Naila holte unter ihrem nassen T-Shirt eine Kette hervor, an der ein Notenschlüssel-Anhänger baumelte.
»Meine Mama hat sie Papa zum Studienabschluss geschenkt.«
»Und warum hast du sie?«, wollte Jaron wissen.
»Die kam mit der Post, kurz nachdem ich ins Kinderheim kam.«
»Du warst in einem Heim? Schon vor dem Internat?«
Sie nickte.
»Und warum? Du hast doch einen Papa.«
Sie zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. War schon immer da.«
»Und dein Papa hat dich nie besucht?« Jaron fand ihre Geschichte sehr seltsam und traurig.
Doch Naila schien nicht mehr erzählen zu wollen. Sie zeigte mit dem Arm aufs Wasser und fragte: »Gehört das Boot zur Seeburg?«
Jaron blickte in die angezeigte Richtung. Das Segelboot von Frau von Beilstein lag schaukelnd bei seiner Boje auf dem Wasser. Er schüttelte den Kopf. »Nein, das gehört nicht zur Jugendherberge. Das gehört einer ziemlich reichen Familie hier am See.«
»Cool, kennst du die?«
»Ja, ich mähe ihren Rasen und dafür darf ich auch manchmal auf das Segelboot.«
»Echt!?« Naila sah ihn abenteuerlustig an. »Kann ich da auch mal drauf?«
»Ja, klar«, antwortete Jaron, bereute es aber sofort.
»Cool«, sagte Naila, schmiss ihr Handy in den Rucksack und zog ein letztes Mal an der E-Zigarette, bevor sie sie wieder in der Dose verstaute. Sie stand auf. »Los, komm!«, forderte sie ihn auf.
Jaron sah verdutzt zu ihr empor und druckste dann herum: »Äh, nicht jetzt, ich muss erst Frau von Beilstein fragen.«
»Okay, aber vielleicht heute Abend?«
»Sorry, abends wird es Frau von Beilstein sicher nicht...
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