Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Eine Kurzgeschichte aus dem Jahr 1873
*
»Es hat sie gepackt. Die Oma. Mit eisernem Griff hat es sie gepackt. Oben an der Gurgel. Und dann . dann hat's wia narrisch zuadruckt. Die Oma wollt' um Hüfe plärren, oba es is' ihr nur a Krächzer auskommen. Weil der eiserne Griff hat s' bei der Huastn1 g'habt und net und net auslassn. Bis die Oma am End' ihren letzten Schnaufer g'macht hat und mitten zwischen den Rebstöcken tot umg'fallen is' .«
Der 13-jährige Joseph Maria Nechyba und seine etwas jüngere Cousine Milli lauschten dieser Schilderung mit angehaltenem Atem. Die Geschichte, die die G'scheckerte Toni da erzählt hatte, war so gruselig, dass Joseph Maria eine Gänsehaut bekommen hatte. Nun, das war auch kein Wunder, schließlich hockten Joseph Maria und Milli mit den anderen Kindern in einer finsteren Erdgrube, die von dichtem Gebüsch überwachsen war. Die einzige Beleuchtung hier unten kam von einem flackernden Kerzenstummel, den die G'scheckerte Toni dicht neben ihr Gesicht hielt. Dadurch hatten die Grimassen, die sie beim Erzählen schnitt, viel schauerlicher gewirkt, als sie es oben bei Tageslicht gewesen wären. Auch die anderen beiden Buben, der Franzi und der Pepi, waren schwer beeindruckt von Tonis Erzählung. Kein Wunder, schließlich ging es dabei um eine sehr gruselige Sache. Um die Umstände, wie die alte Frau Lanner, Tonis Großmutter, vor zwei Tagen in einem Weingarten am Kadoltsberg umgekommen war. Seit ihrem plötzlichen Tod ging in dem Heurigenort Mauer bei Wien das Gerücht um, dass die rüstige Alte ein Opfer des Gespenstes vom Kadoltsberg geworden sei.
»Erwürgt! Brrrr!«, schauderte es die Milli, und der Franzi fügte hinzu:
»Des muaß ganz grauslich sein, wennst so stirbst.«
Um dies zu illustrieren, griff er sich mit beiden Händen an den Hals und drückte zu. Er verdrehte die Augen und machte ganz wilde Geräusche. Sein Körper zuckte und Milli schrie:
»Franzi hör auf! Ich bitt' dich, hör auf!«
Doch Franzi machte wie unter Zwang weiter, bis er schließlich umfiel und reglos dalag. Milli stürzte sich auf ihn und rüttelte den Körper, aus dem alle Lebensgeister entwichen zu sein schienen. Als das Schütteln nichts nützte, ließ sie ihn zu Boden gleiten und umarmte ihn zärtlich. Just in diesem Moment kehrten seine Lebensgeister zurück, er umschlang Milli und drückte ihr ein feuchtes Busserl auf den Mund. Sie sprang auf und kreischte:
»Pfui Teufel! Du Sau!«
Pepi, die G'scheckerte Toni und auch Joseph Maria Nechyba lachten vor Schadenfreude. Franzi schlug sich vor Vergnügen auf die Schenkel und grölte:
»Jetzt musst mi heiraten. Milli, jetzt samma verlobt!«
»Niemals! Lieber geh i ins Kloster!«
Die Antwort des Mädchens erzeugte eine neue Welle von Heiterkeit, die die bis dato vorherrschende gruselige Stimmung gänzlich verschwinden ließ. Als sich alle allmählich beruhigt hatten, und es in der Erdgrube wieder still wurde, schlug Joseph Maria vor, in die Pfarrkirche zu gehen, wo Reingard Lanner aufgebahrt war. Dort könnte man ja einen Blick auf sie werfen. Wenn sie wirklich von dem Gespenst erwürgt worden war, müsste man Würgemale an ihrem Hals sehen.
»Und wie wüllst einekummen in die Kirch'n? Die is' ja zug'sperrt«, warf der Pepi ein, dem es gar nicht recht war, dass der aus Wien zugereiste Bub plötzlich groß Vorschläge machte.
»Na, wir könnten ja den netten Mesner fragen. Den Herrn Sommer.«
Der Pepi und der Franzi verzogen unwillig das Gesicht. Joseph Maria verstand nicht warum. Darum drängte er darauf abzustimmen. Da die beiden Mädeln für seinen Vorschlag stimmten, machte sich die Kinderschar auf den Weg hinunter in den Ort. Es war ein strahlend schöner Sommertag, der Maurer Wald und die angrenzenden Weinberge zeigten sich von ihrer malerischsten Seite. Von hier oben hatte man einen wunderbaren Ausblick über das Wiener Becken und die südöstlichen Vororte der Wienerstadt. Doch die Kinder schenkten all dem keinerlei Aufmerksamkeit. Fröhlich lärmend rannten sie über die dem Wald vorgelagerten Wiesen. Dann ging es am Badhaus und an der Oberen Kaserne vorbei in den Ort. Bewusst vermieden sie es, über die Hänge des Kadoltsberges zu laufen, denn dort trieb sich ja das Gespenst herum. Da sie alle miteinander einen riesengroßen Durst hatten, schlug die G'scheckerte Toni vor, bei ihr zu Hause vorbeizuschauen. Die Lanners hatten gerade ausgesteckt und so stand das Tor des ebenerdigen Winzerhauses sperrangelweit offen. Laut lärmend stürmten die Kinder in den lang gezogenen Hof, in dem an einfachen Holztischen ein paar stille Zecher saßen. Mit Kennermiene sprachen sie dem herben Maurer Wein zu. Richtige Weinbeißer, dachte Joseph Maria. Diesen Ausdruck hatte er erst unlängst aufgeschnappt, als ein älterer Mann einem jüngeren Zugereisten erklärte, dass man in Wien und Umgebung den Wein nicht trinkt, sondern beißt.
»Muatta, Muatta! Mir ham an Durscht!«, rief die G'scheckerte Toni und Frau Lanner, die Heurigenwirtin, umarmte sie lachend. Liebevoll streichelte sie dem sommersprossigen Lausmensch über das wirre rötliche Haar. Die Kinder nahmen an einem Tisch unter den mächtigen alten Kastanienbäumen Platz, die Schutz vor der Sommerhitze boten. Ihren ältesten Sohn, den Ferdi, schickte die Heurigenwirtin mit einem Krug zum Brunnen, um frisches Wasser zu pumpen. Das kühle Nass mundete den vom Laufen erhitzten Kindern, und da Frau Lanner Kinder über alles liebte, stellte sie einen irdenen Schmalztopf auf den Tisch. Dazu schnitt sie von einem großen Laib selbst gebackenes Brot in dicken Scheiben ab.
»Da habt's a Messer. Tuat's eich ordentlich Schmoiz drauf.«
Die Kinder ließen sich das nicht zweimal sagen. Und während sich eines nach dem anderen die Brote mit Schmalz bestrich, fragte die Heurigenwirtin Joseph Maria:
»Wer bist du denn, di kenn i ja no goar net?«
»Des is' da Mizzi Pepi!«, krähte die G'scheckerte Toni.
»Mizzi Pepi?«
»Eigentlich heiß ich Joseph Maria«, erklärte Nechyba mit rotem Kopf und vollem Mund. Nachdem er einen großen Bissen Schmalzbrot hinuntergeschluckt hatte, ergänzte er:
»Ich bin der Cousin von der Milli.«
»Er is' da, weil er von der Oma und vom Gespenst vom Kadoltsberg g'hört hat!«
Die Miene von Frau Lanner wurde ernst.
»Toni! Erzähl kan Blödsinn über deine tote Großmutter!«
Das Mädel zog den Kopf ein und machte einen Fotz. Ihre Mutter sah plötzlich sehr traurig aus. Mit einer verstohlenen Bewegung wischte sie sich eine Träne aus dem Augenwinkel, stand mit einem Seufzer auf und ließ die Kinder allein. Kaum war sie weg, setzte sich der Lanner Ferdi zu den Kindern. Er hatte genauso viele Sommersprossen wie seine kleine Schwester, nur sein Haar war nicht so rot, sondern dunkler. Er hatte eng beieinander stehende Augen und einen stechenden Blick. Mit diesem fixierte er den Wiener Buben und flüsterte:
»Wüllst mehr über des G'spenst hören?«
Joseph Maria schluckte mehrmals, bevor er zögerlich nickte.
»Des G'spenst vom Kadoltsberg ist ganz schwarz und riesengroß. Sein G'sicht is' grau und seine Augen san glühende Kohlen. Wann es des Maul aufreißt, stockt dir der Atem. Gift und Pestilenz strömen da heraus und nehmen dir die Luft. Und dann . dann greift es nach dir .«
Ferdis Hand schnellte vor, packte Joseph Maria am Hals, der wie paralysiert war. Ferdi beugte sich vor und flüsterte:
». und macht dich maukas2.«
Obwohl der Lanner Ferdi nun den Hals des Wiener Buben losließ, sprang dieser auf. Ferdis stechender Blick war unerträglich. Joseph Maria rannte in den hinteren Teil des Hofs, wo hinter einem Holzverschlag die geteerte Pinkelwand verborgen war. Und während er sich dort erleichterte, erinnerte ihn der bestialische Geruch der Latrine an den Atem des Gespenstes: Gift und Pestilenz.
Als er zurückkehrte, saßen die anderen Kinder beim alten Ottokar im Schatten eines Kastanienbaumes. Auch hier drehte sich das Gespräch um das Gespenst und um die tote Oma Lanner. Ottokar, der Hausknecht der Lanners, erzählte den Kindern, wie er die Altbäuerin im Weingarten gefunden hatte. Ausführlich schilderte er auch, dass die Kleidung der alten Frau völlig durcheinander gebracht worden war. Und das Portemonnaie, das sie immer am Busen unter dem Dirndl getragen hatte, war auch verschwunden. Richtig schauerlich wurde aber seine Erzählung danach:
»In der Fruah um fünfe hab i's g'sehen .«
»Wos? Des G'spenst?«
»Na wos denn sunst? Vor zwa Woch'n wia's g'regnet hot. Und ollas dunstig waor. Ob'm auf'm Berg. Da hob i's g'sehen. Vor mir hot sich's aufg'richtet und wollt nach mir greifen. Riesengroß! Lauter Knoch'n! Wia da Tod hot's ausg'schaut. I hob mi umdraht, bin auf der nassen Erd'n ausg'rutscht und auf meiner Lederhosen den Berg owe tschundert3. Wia i unt'n aufg'standen bin, woar's weg. Des G'spenst.«
Enttäuscht, dass im Maurer Pfarrhaus niemand anwesend war, trennten sich die Kinder am späten Nachmittag. Milli und Joseph Maria gingen über den Rosenhügel heim nach Speising. In der Gärtnerei seiner Tante Josefa, der jüngeren Schwester seines Vaters, angekommen, wurden sie von Bello, dem Schäferhund, begrüßt. Das Tier schnüffelte Joseph Maria zuerst misstrauisch ab, erkannte ihn aber rasch wieder und stupste ihn dann erfreut mit seiner kalten...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.