Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Seit ihrer Kindheit verbringt Adrienne jeden Sommer im bretonischen Ferienhaus ihrer Adoptivmutter Eva. Bis es dort zu einem dramatischen Zerwürfnis zwischen den beiden Frauen kommt, weil sich Adrienne ausgerechnet in Jannis, Evas Sohn, verliebt. Doch als Eva die junge Ärztin Jahre später zu ihrem sechzigsten Geburtstag in das Anwesen einlädt, reist Adrienne im Irrglauben, das Vergangene würde sie nicht mehr berühren, an die Côte de Granit Rose. Aber kaum angekommen, brechen alte Wunden auf, und sie kommt einem erschütternden Geheimnis auf die Spur .
An diesem Hochsommertag lag eine bleierne Hitze über dem Weinort, der wegen seines unversehrt aus dem sechzehnten Jahrhundert erhaltenen Stadtbilds als eines der schönsten französischen Dörfer galt. Im Stadtkern reihten sich die Fachwerkhäuser zu einer malerischen Kulisse aneinander.
Doch von der Schönheit dieser Perle der elsässischen Weingegend nahm Caroline wenig wahr. Wie getrieben eilte sie durch die Gassen, um zu ihrem Ziel zu gelangen. Jean hatte ihr einen Stadtplan zukommen lassen, in den er die Adresse eingezeichnet hatte. Und er hatte sie angewiesen, den Wagen unten im Ort zu parken und den Weg bis zu dem etwas außerhalb liegenden Haus zu Fuß zurückzulegen.
Sie trug einen großen Sonnenhut und wirkte in ihrem Modellkleid wie eine elegante Touristin. Niemand hätte sie für eine gesuchte Sympathisantin der Action directe gehalten, einer linksradikalen Untergrundorganisation. Unter ihrer damenhaften Verkleidung lief ihr der Schweiß allerdings den Nacken hinunter. Und das lag nicht nur an der sommerlichen Hitze, sondern an ihrer inneren Anspannung und der Angst, enttarnt zu werden, bevor sie sich freiwillig stellen konnte. Denn nur zu diesem Zweck hatte sie ihr Versteck im Schwarzwald verlassen und war über einen Riesenumweg schließlich im Elsass angekommen, um ihren Geliebten zu treffen. Gemeinsam wollten sie sich den französischen Behörden stellen. Sie war auf dem Weg dorthin über die Bretagne gefahren, um in Evas Ferienhaus noch einmal . sie konnte den Gedanken nicht zu Ende denken, ohne in Tränen auszubrechen.
Da fiel ihr ein, dass sie Eva anrufen sollte, sobald sie in Riquewihr angekommen war. Also steuerte sie auf ein Weinlokal zu, das um die Mittagszeit bis auf den letzten Platz besetzt war.
»Darf ich wohl einmal kurz Ihr Telefon benutzen?«, fragte sie in akzentfreiem Französisch, denn sie hatte zwei Jahre Philosophie und Geschichte an der Sorbonne studiert und später an einer internationalen Schule in Paris Deutsch und Geschichte unterrichtet.
Der Kellner reichte ihr das Telefon, und sie wählte Evas mobile Nummer, die sie auswendig kannte. Die Freundin wirkte seltsam hektisch, als wäre sie auf der Flucht. »Wann wirst du denn im Haus sein, Caro?«, wollte sie statt einer Begrüßung wissen.
»In zehn Minuten bin ich dort. Ich melde mich, sobald es vollbracht ist und ich telefonieren darf«, erwiderte Caroline knapp. Sie wollte sich nicht allzu lange in diesem Lokal aufhalten. Ihre Angst, dass man sie fasste, bevor sie freiwillig aussteigen konnte, gewann immer mehr Macht über sie. Wahrscheinlich würde sie erst aufatmen, wenn Jean wie verabredet bei Einbruch der Nacht zu ihr gestoßen war.
Caroline legte ein paar Münzen auf den Tresen und bedankte sich, bevor sie fast fluchtartig das Restaurant verließ. Sie entspannte sich merklich, als sie das Ortszentrum hinter sich gelassen hatte und auf der einsamen Dorfstraße keinem Menschen mehr begegnete. Zum ersten Mal seit ihrer Ankunft im Elsass nahm sie auch ganz bewusst den typischen Geruch von Holzkohle wahr, der zu jeder Jahreszeit über den elsässischen Weindörfern waberte. Ein wehmütiger Gedanke an die Frankreichreisen mit ihren Eltern, die oft auch durch das Elsass geführt hatten, überkam sie. An damals, als die Welt noch in Ordnung gewesen war und sie in ihrem Vater den liebevollen Patriarchen gesehen hatte . Damals, als sie nicht geahnt hatte, dass er seinen Reichtum der sogenannten Arisierung zu verdanken hatte. Und dass nicht seine Familie das erfolgreiche Kaufhaus gegründet hatte, sondern die jüdische Familie Weizmann, die enteignet worden war. Später hatte man dann frech behauptet, der Verkauf sei völlig freiwillig erfolgt. Noch immer stieg eiskalte Wut in ihr auf, wenn sie sich vorstellte, wie sich ihr Großvater das Unternehmen seines ärgsten Konkurrenten unter den Nagel gerissen hatte.
Sofort war der Erinnerungsfetzen an romantische Hotels und großartige Essen im Elsass mit den Eltern und den Geschwistern von dem allmächtigen Schatten der Wahrheit überdeckt. Caroline würde den Augenblick nie vergessen, in dem sie begreifen musste, dass ihr liebster Papa sich als Nutznießer am Elend eines Juden entpuppt hatte. Es war zwar ihr Großvater gewesen, der dank seiner Parteizugehörigkeit diesen Deal eingefädelt hatte, aber der Papa hatte ihn brav mitgetragen. Schon damals war er nämlich die rechte Hand seines Vaters gewesen und war an dem schmutzigen Handel beteiligt gewesen. Mehr noch, auch seine Unterschrift prangte unter dem vertraglichen Machwerk. Zuerst hatte Caroline das alles nicht glauben wollen. Nicht ihr Papa, der so viel Gutes tat, der für seine Mitarbeiter soziale Leistungen erbrachte, von denen andere nur träumten. Nicht ihr Papa, den sie eher für einen verkappten Sozialisten gehalten hatte. Doch der junge blasse Fremde, der ihr aufgefallen war, weil er Tag für Tag vor dem Kaufhaus herumgelungert hatte, hatte ihr schließlich die Augen geöffnet. Herr Weizmann hatte ihr äußerst glaubwürdig versichert, das Kaufhaus Manzinger sei bis zum Jahr 1934 im Besitz seiner Familie gewesen. Auf Carolines Verlangen hatte er ihr zum Beweis die entsprechenden Dokumente gezeigt, woraufhin ihr der Bruch mit ihrer Familie unvermeidbar erschienen war. Mit solchen Leuten wollte sie jedenfalls nichts zu tun haben! Obwohl ihr Vater dem jungen Mann sogar unter der Hand eine Entschädigung gezahlt hatte, die dieser angenommen hatte, weil ihm der Rechtsweg wenig erfolgversprechend erschienen war, war Carolines Achtung und Liebe für ihren Vater in Verachtung umgeschlagen. Sie war auf eigenen Wunsch hin noch in demselben Jahr in ein Internat gegangen und hatte mit der Familie innerlich gebrochen. Auch mit ihrer Mutter, die von allem gewusst hatte.
Caroline war damals gerade erst fünfzehn gewesen, aber ihr Vater hatte sie kampflos ziehen lassen. Es hätte auch wenig Sinn gehabt, die rebellische Tochter gegen ihren Willen im Haus zu halten. Sie wäre dann mit Sicherheit ausgerissen. Unter diesen Voraussetzungen hatte ihr Vater es als die bessere Alternative gesehen, sie in ein Schweizer Internat zu geben. Das verschaffte ihm sogar eine gewisse gesellschaftliche Akzeptanz, war die Eliteschule doch auch in Deutschland wohlbekannt, weil dort die Kinder einiger namhafter Prominenter untergebracht waren, was Caroline allerdings nicht die Bohne interessiert hatte. Zur Schickimicki-Clique, wie Eva und sie diese Mitschülerinnen abfällig bezeichnet hatten, hatte sie Abstand gehalten. Für sie war das Internat die Flucht aus einer Familie, in der die Gier jeden Anstand fraß, wie Caroline ihrem Vater wörtlich vorgeworfen hatte.
Ihre beiden älteren Brüder fanden die Reaktion überspannt, denn schließlich habe der Papa keine Menschen umgebracht, so ihre Argumentation, aber Caroline war hart geblieben. Unter die Brücke aber war sie auch nach ihrem Abitur nicht gezogen, sondern hatte sich das Studium schweren Herzens von ihrem Vater finanzieren lassen. Zwangsläufig, weil sie niemals BAföG bekommen hätte. Dafür hatte sie auf ihr Erbe verzichtet. Von dem Blutgeld, wie sie das nannte, wollte sie keinen Pfennig. Doch daran hatte sich ihre Mutter nicht gehalten, sondern ihr nach dem Herztod ihres Mannes eine stattliche Summe überwiesen, die Caroline lange nicht angerührt hatte. Doch dann, nachdem sie ihren Job an einer internationalen Schule in Paris Hals über Kopf hatte aufgeben müssen, war ihr das Geld sehr zugutegekommen. Natürlich hatte ihre Mutter erwartet, dass sie den Kontakt zur Familie nach dem Tod des Vaters wiederaufnehmen würde, aber Caroline hatte ihr in einem Brief dargelegt, dass sie nicht über ihren Schatten springen könne. Ein einziges Mal nur hatte sie an ihrer Sturheit gezweifelt. Das war am Anfang ihrer Schwangerschaft gewesen, als sie sich die Frage gestellt hatte, wer denn für das Baby sorgen solle, während Jean und sie sich im Untergrund aufhalten mussten. Doch Eva hatte ihr die Idee, das Baby Carolines Mutter anzuvertrauen, rigoros ausgeredet. Stattdessen hatte sie sich bereit erklärt, für das Kind zu sorgen und es wie ein eigenes aufzuziehen, bis sich Caroline wieder selbst um ihr Kind kümmern konnte. Ja, Eva hatte sich sogar eine rechtlich wasserdichte Erklärung von Caroline geben lassen, in der sie für den Fall, dass ihr etwas zustoßen sollte, Eva zur Sorgeberechtigten ihres Kindes erklärte. Immer wenn Caroline an ihre kleine Adrienne dachte, wurde ihr speiübel bei dem Gedanken, sie womöglich erst in einigen Jahren wiederzusehen, sollte man sie wider Erwarten zu einer hohen Haftstrafe verurteilen. Wenn sie Jeans Schwüren Glauben schenkte, durfte das eigentlich nicht geschehen. Er war so sicher, dass man sie, wenn er sich mit ihr zusammen stellte, verschonen werde. Die Franzosen waren scharf auf seinen Kopf, nicht auf ihren. Sie galt lediglich als Geliebte von Jean, eine unwichtige Mitläuferin, die nur an einem einzigen Banküberfall beteiligt gewesen war, bei dem überdies wenig Geld erbeutet und niemandem ein Haar gekrümmt worden war. Letzteres war auch das Pfund, mit dem Jean den Behörden gegenüber wuchern konnte. Kein Überfall, an dem er je beteiligt gewesen war, hatte Dritte in Lebensgefahr gebracht. Bei allem Groll Jeans gegen das korrupte System, wie er es nannte, war er tief in seinem Herzen ein Pazifist geblieben, der den Tod von Menschen nicht ernsthaft in Kauf nehmen würde, nicht einmal im Namen der Revolution. Diese innere Gespaltenheit hatte ihn auch in seiner Gruppe zunehmend isoliert. Aber auch jetzt, da er sich selbst stellen wollte, würde er niemanden verraten. Das wussten auch die Genossen.
Carolines Gedanken schweiften erneut zu Eva ab. Natürlich war Adrienne bei Eva und ihrem Mann Martin wesentlich besser aufgehoben als bei ihrer Mutter,...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.