Schweitzer Fachinformationen
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Kouplan hat ein besonderes Verhältnis zu seinem Herzen. Er trainiert es. Er coacht sein eigenes Herz, und er befiehlt ihm, das Tempo zu drosseln. Wie bei richtig schönen Liegestützen, wenn man in einer langsamen und kontrollierten Bewegung nach unten geht, ein paar Zentimeter über dem Boden innehält und sich dann genauso sachte wieder nach oben drückt. Genau so ruhig soll sein Herz jetzt schlagen, damit sein Atem wie der eines stinknormalen, gelangweilten Fahrgasts geht.
Das Mädchen ihm gegenüber behauptet in ihr iPhone 4S hinein, dass es das neue iPhone jetzt in Schwarz und auch in Weiß gebe. Das habe sie in einer Anzeige gesehen.
«Doch! Guck doch einfach nach! Okay, hast du das Metro-Magazin? Na gut, aber da war eine Anzeige drin, doch, echt jetzt, und da war ein Weißes abgebildet. Doch, ein iPhone. Mann, jetzt hör doch mal zu, ey, das ist wichtig!»
Hinter dem Mädchen lümmelt eine Gruppe schlaksiger Teenager herum, an eine Rückenstütze gelehnt steht eine Frau, die von der Polizei sein könnte. Ihr Nacken ist verdächtig gerade, und ihr Blick gleitet wachsam über die Fahrgäste. Kouplan stützt den Ellenbogen gegen das Fenster und schaut ziemlich gelangweilt, vor allen Dingen aber entspannt über den Årstaviken hinaus.
Das Mädchen vor ihm ruft jemand anderen an, um sich dort zu erkundigen, ob es das iPhone nicht doch auch in Weiß gebe und auf die Entgegnung, sie könne doch einfach im Internet nachschauen, antwortet sie mit «Kein Bock». Kouplan erhebt sich, die aufrechte Gestalt der Polizistin im Augenwinkel, und steuert auf den Ausgang zu, den sie nicht im Blick hat. Sein Herz schlägt sich wacker.
Er überquert die Brücke zum Globen Centrum wie ein ganz gewöhnlicher Mann. Pernilla kann nichts dafür, dass sie ihr Kind ausgerechnet hier verloren hat, ruft er sich ins Gedächtnis; doch hätte er die Wahl gehabt, hätte er jeden beliebigen anderen Ort vorgezogen. Die Gummisohlen seiner Schuhe ziehen das Wasser aus dem feuchten Asphalt, doch von oben sehen sie noch passabel aus. Um seine Jacke ist es schlimmer bestellt. Er hat gehört, dass immer zuerst auf Jacke und Schuhe geachtet wird. Aber na ja, so früh am Morgen ist in den Sportarenen nichts los, und die Menschen sind auf dem Weg zur Arbeit, genau wie er auch. Das braucht er also bloß auszustrahlen.
Pernilla weiß nicht, was sie erwarten soll. Jedenfalls keinen pfeiferauchenden alten Knaben mit Trenchcoat und Lupe, so viel steht fest. Der schwarzhaarige Mann mit der Aktentasche könnte es sein, der zügig an ihr vorübergeht, dann aber abrupt stehenbleibt und in ein Schaufenster starrt, als wolle er ihr Spiegelbild analysieren. Oder der Bohemien, der auf seinem Rad angebraust kommt und es an einem Baum festschließt, bevor er in die Runde blickt und beim Abnehmen seines Helms einen gehörigen Wuschelkopf zutage fördert. Der könnte es tatsächlich sein, auch wenn er jetzt geradewegs in die Einkaufspassage hineingeht und aus ihrem Blickfeld verschwindet. Auf keinen Fall jedoch kann es der Teenager in den ausgewaschenen Klamotten sein, der sich in diesem Moment mit fragender Miene vor ihr aufbaut.
«Pernilla?»
Sie nickt irritiert und ergreift die Hand, die er ihr entgegenstreckt. Sein Blick verrät ihr, dass er vielleicht doch nicht erst vierzehn ist, wie sie zuerst geglaubt hatte. Aber auch kaum älter als achtzehn. Lächelnd schüttelt er ihre Hand.
«Wollen wir uns irgendwo setzen?»
Sie denkt nicht daran, ihm einen Vorschuss zu geben, geht es ihr durch den Kopf, während sie in dem Einkaufszentrum nach einem Sitzplatz suchen. Nicht bevor sie ihn gründlich ausgefragt hat. Aber weil sie mit sonst niemandem reden kann, sagt sie zumindest:
«Ich ertrage es kaum, hier zu sein. Und trotzdem bin ich seit letztem Montag mehrere Male zurückgekommen und habe mich dabei jedes Mal schlecht gefühlt. Ich weiß ja überhaupt nicht, wonach ich suchen soll, und Janus taugt nicht gerade zum Spürhund. Ich weiß nicht .»
Sie lässt den Satz unvollendet in der Luft hängen. Der junge Detektiv deutet mit einer Handbewegung in Richtung McDonald's.
«Die Ecke dort sieht leer aus. Setzen wir uns.»
Kouplan hat viele Lieblingsausdrücke auf Schwedisch. Einer davon ist «modifizierte Wahrheit». Dabei handelt es sich um eine Wahrheit, die keine Wahrheit ist. Dass Größe keine Rolle spielt zum Beispiel. Oder dass die Augen der Spiegel der Seele sind. Denn wären die Augen tatsächlich der Spiegel der Seele, würde Pernilla ihn jetzt nicht so skeptisch ansehen. Sie hätte in ihm sofort einen Mann mit dem Scharfsinn und der Kompetenz zur Lösung ihres Problems erkannt.
«Ich bin wesentlich älter, als ich aussehe», sagt er und fängt ihren Blick auf.
Das ist eine Wahrheit. Pernilla lächelt verlegen, als hätte sie es gewusst, aber nicht fragen wollen.
«Ich bin achtundzwanzig», fährt Kouplan fort.
Das ist eine modifizierte Wahrheit. Doch seinem Alter drei Jahre hinzuzufügen, ist keine Sünde. Pernillas Augen verengen sich, so, als glaube sie ihm nicht.
«Ich habe einen Genfehler, irgendwas in meinen Genen sorgt dafür, dass ich jünger aussehe.»
Das ist eine Wahrheit, und Pernilla spürt es. Sie schenkt ihm noch ein flüchtiges Lächeln.
«Diese Mutation sollten Sie teuer verkaufen.»
«Ich wollte es nur erwähnt haben», entgegnet Kouplan. «Ich kann verstehen, dass Sie sich wundern.»
Pernilla streckt den Rücken durch und räuspert sich. Ihren Cheeseburger hat sie nicht angerührt.
«Bevor wir irgendeine Übereinkunft treffen, brauche ich noch ein paar Infos über Sie.»
Kouplan nimmt einen Bissen von seinem Burger. Er schmeckt wesentlich besser als die Cheeseburger, die sich andere Leute häufig mit in den Bus bringen.
«Fragen Sie einfach.»
«Wie lange arbeiten Sie schon als Detektiv?»
«Ich will ehrlich zu Ihnen sein», antwortet Kouplan.
Wieder eine modifizierte Wahrheit.
«Den Job als Detektiv mache ich erst seit einem Jahr, aber davor habe ich im investigativen Journalismus gearbeitet. Genau genommen bin ich also Journalist.»
Ein weltweit tonangebender Nazi hat einmal gesagt, wolle man den Leuten eine Lüge verkaufen, müsse man ihnen schon mit einer richtigen Megalüge aufwarten. Doch Kouplan ist schlau genug, sich nicht auf Hitler zu verlassen. Er spricht Wahrheiten und Halbwahrheiten, und wenn Pernilla ihn etwas zum Journalismus fragt, kann er antworten.
«Und ich habe Erfahrung mit Entführungen», sagt er.
Das ist eine Wahrheit.
Als sie das Globen Centrum wieder verlassen, beginnt Pernilla zu schluchzen. Genauer gesagt, als sie ihm die Stelle zeigen soll. Sie bekommt kein Wort heraus. Er legt ihr eine Hand auf die Schulter und spürt, wie ihr Körper erstarrt.
«Sie beide waren also hier unterwegs», sagt er ruhig wie zu einem verängstigten Kind.
Pernilla nickt.
«In diese Richtung?»
Sie schüttelt seine Hand ab und wedelt kraftlos in Richtung Einkaufspassage.
«Nein, dorthin.»
«Weshalb waren Sie hier?»
«Wir wollten einkaufen. Neue Winterschuhe für Julia . und Lebensmittel.»
Kouplan macht eine Notiz.
«Sind Sie sicher, dass es genau hier war?»
Er holt sein Handy heraus und fotografiert in alle Richtungen.
«Alle, die wir sehen, können auch uns sehen», erklärt er, und seine eigenen Worte bereiten ihm Unbehagen. «Alle in den Restaurants zum Beispiel. Waren viele Menschen hier, als es passierte?»
Waren viele Menschen hier? Pernilla kann sich nicht erinnern, und je mehr sie sich anstrengt, umso weniger fällt ihr ein. Da waren sie und Julia und ein Regen, den man nicht spürte. Sie seufzt, zittert, versucht diesem Jungen, der schon ein Mann ist, Antworten zu geben.
«Es regnete. Ganz leicht, es nieselte.»
Er macht sich eine Notiz in sein Büchlein. Es gleicht jenen kleinen Schreibheften, wie sie selbst sie in der Grundschule hatte.
«Hatten Sie einen Schirm?»
Sein Blick ist so eindringlich, dass sie nicht zu sagen wagt, was ihr wirklich auf der Zunge liegt. Was spielt es für eine verdammte Rolle, ob wir einen Schirm dabeihatten? Finden Sie meine Tochter!
«Nein. Unsere Gesichter wurden ganz nass. Aber Julia hatte eine Regenjacke an, eine rosafarbene.»
Sie kann wieder spüren, wie der Regen sich im Gegenwind auf ihr Gesicht legte. Der Detektiv notiert, dass Julia eine Regenjacke trug.
«Hatte von den anderen jemand einen Schirm dabei?»
Sie nickt.
«Ein paar.»
Jetzt kann sie sich wieder erinnern, dass sie damals noch gedacht hatte, dass ihnen ihre Schirme wenig nützten, wenn der Regen derart in der Luft hing.
«Drei oder vier vielleicht, die vor uns hergingen. Und jemand hielt sich ein Metro-Magazin über den Kopf.»
«Mann oder Frau?»
«Frau. Sie hatte Angst um ihre Frisur. Ich glaube, sie ist in den Subway gegangen oder zum Griechen.»
«Hat Sie irgendwer beobachtet? Jemand, der langsamer wurde, oder hin und her ging?»
Sie schließt die Augen und versucht, sich die Regenschirme vorzustellen. In ihrer Erinnerung sind sie schwarz, möglicherweise auch dunkelblau oder grün, und sie bewegen sich in dieselbe Richtung wie sie. Und plötzlich ist Julias Hand aus ihrer verschwunden.
«Nein.»
Im Subway arbeitet nur eine junge Frau, sie trägt eine Schürze, die Haare hat sie zu einem nachlässigen Knoten hochgebunden.
«Dürfen wir uns hier einen Moment setzen?», erkundigt Kouplan sich, und die junge Frau blickt ihn mit gesenkten Augenlidern an.
«Nur wenn Sie etwas...
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