Schweitzer Fachinformationen
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Der Lehrstuhl heißt »Swiss Chair«. Ist mit dieser Bezeichnung so etwas wie schweizerische Repräsentanz gemeint?
Jemand, der vor kurzem die Schweiz in den USA repräsentierte und von dem ich ein Bild in amerikanischen Zeitungen sah, war »Miss Switzerland«. Ohne Zweifel gibt es zwischen ihr und mir Unterschiede. Nicht nur, weil sie ideale Maße besitzt, und nicht nur, weil sie auf einem Thron saß und ich an einem Pult zu stehen habe.
Nein, die Unterschiede sind grundsätzlicher Art. Sie hatte an ihrer liebenswerten Seite einen Käse. Damit demonstrierte sie, daß in meinem Land auch die weibliche Schönheit ihre Abrundung erst in Gemeinschaft mit einem Laib Käse erhält.
Ich habe in meiner, zugegeben, weniger lieblichen Seite keinen Käse. Hätte ich einen, wäre es zudem aus einem anderen Grunde, und sei es auch nur deswegen, um zu zeigen, daß die Löcher im Käse nicht die einzigen Fenster sind, durch die wir Schweizer in die Welt hinausschauen.
Es gibt nun einmal unterschiedliche Missionen. In meinem Falle sicher eine nicht minder verpflichtende, wenn ich an die ehrenwerte City University von New York denke und wenn ich das distinguierte Publikum vor mir im Auditorium sehe.
Als ich von diesem Lehrstuhl erfuhr und von meiner Chance, sein erster Inhaber zu sein, war ich verständlicherweise hoch erfreut. Allerdings war ich zugleich auch verlegen, da ich mich fragte, ob ich der richtige Mann dafür sei. Ich stellte mir die Frage aus verschiedenen Gründen.
Ist ein Schriftsteller überhaupt der richtige Mann? Und wenn ein Schriftsteller, warum einer wie ich? Zudem überlegte ich mir, ob ich überhaupt schweizerisch genug bin für einen »Schweizer Lehrstuhl«.
Ich muß nämlich zugeben, daß ich nie das Talent besaß, typisch zu sein. Schlimmer noch, ich verspürte nicht einmal die Neigung, es zu werden. Man ist typisch für die andern. Gewöhnlich für Fremde. Dies um so mehr, wenn die Fremden Touristen sind, und Fremde können Touristen sein, ohne je das Land zu besuchen.
In der Tat, ich fühle mich aus einem objektiven Grund nicht typisch, so enttäuschend das sein mag für meine amerikanischen Zuhörer. Aber ich kann es nicht richten, da ich nun einmal nicht von den Alpen komme, weder biographisch noch als Schriftsteller.
Dabei bin ich mir durchaus bewußt, daß es in meinem Land Alpen gibt, hoch schon in der Geographie und noch höher in der Psychologie, und an beiden Orten schwer vom Platz zu bewegen.
Genau wie die Alpen die ersten Kulissen für unsere Geschichte abgaben, so stehen sie auch am Anfang unserer Literatur.
Im achtzehnten Jahrhundert wurde das berühmte Gedicht »Die Alpen« veröffentlicht, ein langes Gedicht, denn wir haben Ketten von Bergen. Nach diesem Poem begann die Entdeckung der schweizerischen Natur als literarisches Motiv. Das hört sich logisch an und ist auch bekannt. Aber gewöhnlich übersehen wir, daß der Autor dieser Dichtung keineswegs von den Alpen stammte. Albrecht von Haller war ein Aristokrat, geboren in einem aristokratischen Bern; er hat in seinen späteren politischen Romanen die Überzeugung dargelegt, die beste Regierungsform sei eine aufgeklärte Aristokratie.
Als junger Mann hatte Haller Satiren über seine Vaterstadt geschrieben; später strich er die allzu beißenden Zeilen, und er erhielt als Entschädigung einen bescheidenen Staatsposten. Links zu beginnen und sich rechts einzurichten ist nicht so modern, wie einige annehmen mögen. Glücklicherweise unterdrückte Haller nicht auch die schönsten Verse in den Gedichten, die er neben »Die Alpen« verfaßte.
Die Alpen als Naturwunder, als Beweis für den Einfallsreichtum Gottes war die Erfindung eines Städters, der den größten Teil seines Lebens in der Stadt verbrachte, auch wenn er durch die Alpen wanderte, um einen unmittelbaren Eindruck zu gewinnen. Als junger Mann hatte er die Unschuld der Älpler und Sennen besungen; erst zu einem späteren Zeitpunkt räumte er diesem hartschaffenden Volk das unveräußerliche Menschenrecht auf Sünde ein.
Ein solcher Anfang war nicht eine Ausnahme. Im gleichen Jahrhundert brachte die Schweiz ihren ersten Bestseller-Autor hervor, dessen Werk von Paris bis Moskau applaudiert wurde. Salomon Gessner schrieb »Die Idyllen«, eine Sammlung kurzer Prosa-Stücke; in ihnen wurde die friedliche Welt von Schäfern geschildert, wo weder die Lämmer noch die Zicklein rochen, da sie alle den damals weit verbreiteten Rokoko-Spray benutzten.
Für diese bukolische Welt hatte der Autor kaum zeitgenössische Bauern als Vorlage benutzt. Nun war Salomon Gessner ebenfalls ein Stadtmensch, diesmal ein Patrizier aus Zürich. Er hat in aller Offenheit dargelegt, weshalb er die Bauern seiner Zeit nicht als Vorbild nehmen konnte: Bukolische Dichtung überzeuge in dem Maße, in dem man die Szenen in eine weit entfernte Welt verlege. So erlange man einen höheren Grad von Wahrscheinlichkeit; diese Szenen entsprächen den zeitgenössischen Bauern nie, denn diese seien gezwungen, die Früchte ihrer harten Arbeit an die Herrschenden abzuliefern, Armut und Unterdrückung hätten sie gemein und hinterhältig gemacht.
Seit Beginn sind in der Schweizer Literatur Alpen und Idyllen anzutreffen, die Alpen als Idealisierung und die Idyllen mehr als Motiv denn als Realität. Auf diese Weise fingen nicht nur eine eigene Literatur an, sondern auch eigene Widersprüche.
Seit Vergil gibt es eine europäische Tradition, Arkadien zu besingen, ohne dort gewesen zu sein. Innerhalb dieser Tradition findet sich eine schweizerische Spielart; über Arkadien zu singen, auch wenn der Sänger weiß, wie hart das Leben dort oben sein kann.
Die Alpen und die Idyllen wurden schweizerische Muster, aber es waren nicht die einzigen Spezialitäten, die wir zu bieten hatten.
Ende des letzten Jahrhunderts wurde in Paris die »Exposition Universelle« durchgeführt. Das Ausstellungsprogramm sollte ein weltweites Bild von Handwerk und Technik bieten, eine Weltgeschichte der menschlichen Arbeit. Eine einzigartige Gelegenheit für jedes Land, sich selber zur Schau zu stellen.
Die Schweiz faßte den Entschluß, offiziell und unter einer eidgenössischen Kommission, Pfahlbauten auszustellen. Unser Land mochte der Welt zeigen, wie die Vorväter unserer Vorväter bereits das Wohnungsproblem lösten, indem sie Pfeiler in den Ufergrund rammten und Hütten darauf stellten, und dies lange bevor die Ägypter ihre Pyramiden und die Griechen ihre Tempel errichteten.
Während andere Nationen die Gelegenheit benutzten, sich als moderne Staaten zu präsentieren, ging die Schweiz in die Prähistorie zurück. Nicht, daß die Schweiz nicht die Zeichen der Zeit erkannt hätte; denn das Land machte damals eben seine ersten erfolgreichen Erfahrungen mit der Industrialisierung.
Junge Schweizer Archäologen, die sich in unseren Tagen mit dem Sinn dieser Pfahlbauer-Ausstellung befaßten, verstanden eine solche Selbstdarstellung als Bekenntnis; durch sie würde eine verborgene Sehnsucht manifest, der Traum, eine Insel zu bauen, die mit dem Festland und dem Rest der Welt nur durch einen schmalen Steg verbunden ist, der zudem leicht verteidigt werden kann.
Sicher sind andere Interpretationen möglich. Aber es ist einmal mehr merkenswert, wie Realität und Image auseinanderklaffen. Ein solcher Graben mag nicht zufällig sein, er scheint einer Grundhaltung zu entsprechen, die nach wie vor lebendig ist, einer ausgeklügelten Naivität und einer berechnenden Bescheidenheit: nämlich als weniger zu erscheinen, als wir tatsächlich sind. Das könnte zusammenhängen mit der Fähigkeit des Bauern zu jammern; wenn nicht über einen tatsächlichen Hagel, dann wenigstens über einen möglichen. Es könnte aber auch mit einer puritanischen Tradition zu tun haben: nicht zu zeigen, was man hat, aber zu haben, da Gott es mit denen hält, die haben.
In diesem Zusammenhang mag es aufschlußreich sein, daran zu erinnern, daß das Wort »Heimweh« ein schweizerischer Beitrag zur deutschen Sprache ist. Der Ausdruck hielt eine Krankheit fest, welche junge Schweizer Söldner befiel, die in fremden Armeen für fremde Herren kämpften. Zu der Zeit war es im französischen Heer verboten, schweizerische Musikinstrumente zu spielen; kaum hörten die jungen Krieger solche Musik, begannen sie zu weinen. Sie waren aber nicht fürs Weinen bezahlt, sondern fürs Kämpfen.
»Heimweh« wurde jedenfalls ein Schlüsselwort, nicht nur für Schweizer, die im Ausland lebten, sondern auch für die zu Hause. Heimweh ist die Sehnsucht nach einer Schweiz, die nicht notwendigerweise existiert oder existiert hat.
Die Alpen, die Idyllen, die Pfahlbauten - das sind nicht nur Beispiele dafür, daß ein Land verschiedene Spezialitäten zu bieten hat, sondern auch eine Geschichte dieser Spezialitäten. In Übereinstimmung mit solchen Spezialitäten hat ein Land eben nicht nur ein Image, sondern auch eine Geschichte seines Images.
Jeder von uns kennt nur allzugut das lang anhaltende Bild der Schweiz als einem Land, wo die Leute in Trachten um die Alpen herum tanzen. Die Schweiz als ein Land ohne Probleme, zu ewigem Frieden verurteilt. Eine Vorstellung, für die eine Figur geschaffen worden ist: das bezaubernde...
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