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ZWEITER TEIL
PSSM - Schreckgespenst oder cleverer Schachzug der Natur?
Erkrankungen der Muskulatur
Die Bandbreite muskulärer Erkrankungen des Pferdes, sogenannter Myopathien (griechisch für "Muskelleiden"), ist groß. Meist ähneln sich diese Erkrankungen in den Symptomen. Die Ursachen können aber sehr unterschiedlich sein. Vergiftungen wie bei der "Atypischen Weidemyopathie" können eine Rolle spielen. Muskelerkrankungen können ernährungsbedingt sein, wie beispielsweise die sogenannte "Weißmuskelkrankheit" der Fohlen, bei der eine fortgeschrittene Selen- und Vitamin-EUnterversorgung die Erkrankung auslöst. Das Gros der muskulären Erkrankungen tritt aber im Zusammenhang mit Belastungen auf.
Belastungsmyopathien entstehen durch Stoffwechselstörungen in der Muskulatur. Genetische Komponenten wie bei der PSSM können ein wesentlicher, begünstigender Faktor sein. Fehler im Management spielen eine noch größere Rolle, so z. B. eine zu kohlenhydratreiche Fütterung bei gleichzeitig nicht angepasster Leistung. Oder auch genau andersherum: nicht angepasstes Training und nicht angemessene Fütterung für die geforderte Leistung. Im ersten Fall können die Energie-(Glykogen-)Reserven im Muskel nicht schnell genug mobilisiert und dem Organismus zur Verfügung gestellt werden. Im zweiten Fall kommt es zu einer vollständigen Erschöpfung dieser Reserven. Die Speicher sind leer. Eines haben alle diese Erkrankungen gemeinsam immer gehen Muskelfasern zugrunde. Es kommt zur sogenannten Rhabdomyolyse. Das ist der Fachbegriff für den Muskelfaserzerfall der Skelettmuskulatur.
Verschiedene Myopathien
Es gibt verschiedene Muskelerkrankungen und zahlreiche Bezeichnungen, die teilweise synonym verwendet werden. Nicht immer sind die Gene schuld. (Grafik: Tina Löffler)
Die Polysaccharid-Speicher-Myopathie
Eine dieser muskulären Erkrankungen ist die Polysaccharid-Speicher-Myopathie (PSSM). Vielen Pferdehaltern mittlerweile durchaus ein Begriff, ist aber oft noch unklar, was genau dahintersteckt. Vielfach werden Begriffe verwechselt oder nicht klar voneinander abgegrenzt. Dass ein Pferd Genträger ist, bedeutet beispielsweise nicht automatisch, dass es auch an der PSSM erkrankt ist oder erkranken wird.
Wer sich ein Buch kauft, das sich mit dieser Myopathie beschäftigt, möchte tiefer einsteigen und verstehen. Nachdem wir im ersten Teil des Buches wichtige Grundlagen erklärt haben, setzen wir uns im zweiten Teil intensiv mit der Erkrankung selbst auseinander. Neben der Erklärung, was die PSSM eigentlich ist, besprechen wir die Vererbung und Verbreitung, mögliche Symptome betroffener Pferde, die diagnostischen Möglichkeiten und vor allem, wie man diese Pferde durch ein geeignetes Management bestmöglich unterstützen kann.
Das gelingt einerseits durch ein proaktives Management, damit betroffene Pferde gar nicht erst erkranken. Andererseits beschreiben wir aber auch ausführlich, was zu tun ist, wenn der gefürchtete Notfall in Form eines Schubes eintritt. An einigen Stellen werden wir uns wiederholen. Wir haben uns bewusst dazu entschieden, um so die wichtigsten Botschaften besonders hervorzuheben. Grundsätzlich denken wir, dass es immer gut ist, das Essenzielle zu wiederholen. Dadurch bleibt es besser im Gedächtnis.
DAS WICHTIGSTE ZUERST - PSSM IN DREI SÄTZEN
Die PSSM ist eine autosomal-dominant vererbte Erkrankung des Muskelstoffwechsels, die auf einer Mutation des Gens GYS1 beruht. GYS1 codiert die Muskel-Glykogensynthase, ein Schlüsselenzym der Glykogensynthese. Durch eine erhöhte Insulinsensitivität und eine überaktive Glykogensynthese bauen diese Pferde vermehrt Glykogen und abnormal verkettete Speicherzucker in der Muskulatur auf, die sich im Bedarfsfall nur sehr schwer oder gar nicht wieder abbauen lassen.
WIE DIE PSSM ZU IHREM NAMEN KAM
Diese besondere Erkrankung des Muskelstoffwechsels wird seit mehr als drei Jahrzehnten erforscht, vorwiegend in den USA und in Australien, aber auch in Europa.
Erstmals erwähnt wird sie im Jahr 1992 von Dr. Stephanie Valberg und ihrem Forschungsteam von der University of Minnesota als Ursache für wiederkehrende, belastungsbedingte Kreuzverschläge beim Quarter Horse.
Die untersuchten Tiere zeigten neben den klinischen Symptomen und den erhöhten Muskelenzymen im Blutserum vor allem eine Gemeinsamkeit in den histologischen Befunden: Im Muskelgewebe waren deutlich mehr Glykogeneinlagerungen als normal üblich sowie abnormale amylaseresistente Polysaccharide zu finden.
Aus diesem Befund der histologischen Untersuchung ergab sich der Name für den vorliegenden Beschwerdekomplex: PSSM.
Gewebeprobe eines Querschnitts aus der Hinterbackenmuskulatur (Semimembranosus-Muskel) eines gesunden Pferdes (links) und eines Pferdes mit Polysaccharid-Speicher-Myopathie Typ 1 (PSSM1) (rechts), die mit einer PAS-Reaktion (Abk. für engl. Periodic Acid-Schiff) angefärbt wurde. Mit dieser Färbung lassen sich Polysaccharide wie Glykogen, die Speicherform von Zucker im Muskel, erkennen. Beim gesunden Pferd ist das Glykogen gleichmäßig verteilt und bildet ein ebenes magentafarbenes Muster. Beim PSSM1-Pferd ist die Färbung aufgrund des höheren Glykogengehalts dunkler und es werden Aggregate abnormaler Polysaccharide (Pfeile) sichtbar.
(Foto: Dr. Stephanie Valberg, Michigan State University)
Amylase
ist ein wichtiges Enzym, das von der Bauchspeicheldrüse gebildet wird und am Kohlenhydrat-/Zuckerstoffwechsel beteiligt ist. Mithilfe der Amylase werden Polysaccharide im Verdauungsprozess in Einfachzucker gespalten. Diesen "Amylase-Effekt" kann man sich auch in der histologischen Untersuchung (Untersuchung der Muskelgewebeprobe) zunutze machen, um die atypischen Polysaccharide sichtbar zu machen.
GENMUTATION ALS URSACHE
Im weiteren Verlauf der Studien wurde dann eine mit der PSSM in Zusammenhang stehende Mutation im Glykogensynthase-Gen (GYS1) entdeckt und ab 2008 publiziert. Die Forscher der University of Minnesota fanden heraus, dass betroffene Pferde eine erhöhte Aktivität der Glykogensynthase zeigen, was zu einer unregulierten Synthese von Glykogen und abnormalen Glykanen führt.
Damit wurde der Beweis angetreten, dass es sich bei der PSSM um eine erblich bedingte Glykogenspeicherkrankheit handelt. Alle Pferde mit PSSM sammeln sowohl überschüssiges Glykogen als auch abnorme amylaseresistente Polysaccharide in den Typ-2-Fasern der Skelettmuskulatur an. Die Synthese, also der Aufbau und die Speicherung des Glykogens in den Muskelspeichern, ist dabei gestört. Der Abbau des Glykogens (Glykogenolyse) in den Muskelzellen läuft normal ab. Sofern das Glykogen im "Normalzustand" vorliegt, kann es auch abgebaut und dem Organismus zur Energiegewinnung zur Verfügung gestellt werden.
Diese Anomalie benannte man mit "PSSM1" bzw. "PSSM Typ 1". Da bei einem gewissen Anteil der untersuchten und histologisch auffälligen Pferde die genetische Veränderung nicht nachgewiesen werden konnte, fasst man diese in einer Gruppe "PSSM2" bzw. "PSSM Typ 2" zusammen. Bei der Bezeichnung "PSSM2" bzw. "PSSM Typ 2" handelt es sich nicht um eine eigenständige Erkrankung, sondern um einen Sammelbegriff für all die Fälle, die ähnliche Symptome und ein ähnliches Bild in der histologischen Untersuchung zeigen, bei denen das Gen GYS1 jedoch intakt ist. Das heißt, die Ursache der exzessiven Glykogenspeicherung ist in diesen Fällen nicht durch eine GYS1-Mutation erklärbar.
Lange galt die PSSM Typ 1 als Problem der Westernpferderassen. Das ist dem Umstand geschuldet, dass die ersten Forschungen nur an diesen Rassen durchgeführt wurden. Erst in den folgenden Jahren und bei der Ausweitung der Studien auf andere Rassen wurde klar, wie weit verbreitet die GYS1-Mutation ist, vor allem bei den kaltblütigen Rassen und allen davon beeinflussten Zuchtrichtungen wie Quarter Horses, Paint Horses und Appaloosas. Genauso sind aber auch Cobs, Haflinger, Barockpferderassen und weitere von dieser Genmutation betroffen. Relativ moderat scheint PSSM Typ 1 in der Warmblutzucht verbreitet zu sein und selten bis gar nicht zu finden ist sie bei arabischen Pferden, Englischen Vollblütern und anderen rein gezogenen Rassen wie Islandpferden. Scheinbar war es also die Einkreuzung genügsamer, kaltblütiger Pferde, die für die extreme Verbreitung der Genmutation sorgte. Dabei kann die erhöhte Insulinsensitivität durchaus sogar ein mögliches frühes Zuchtkriterium für leichtfuttrige Rassen wie beispielsweise Haflinger gewesen sein.
Anstelle der Bezeichnung PSSM wird synonym teilweise auch EPSM und EPSSM verwendet. Auch wenn sich der Begriff PSSM schlussendlich durchgesetzt hat, sind alle Begriffe korrekt.
VERERBUNG PSSM
Die PSSM wird autosomal-dominant vererbt und folgt den Regeln eines monohybriden Erbgangs. Daraus ergibt sich folgendes Schema der Vererbung:
Genotypen und Vererbungsschema
Wie wird PSSM vererbt?
Für die Vererbung von PSSM Typ 1 gibt es drei mögliche Genotypen:
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