Schweitzer Fachinformationen
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»Dschalla, lass den Matthias jetzt!« Das fröhliche Kindergeschrei vom See übertönte den lauten Ruf der älteren Frau, die ihren prallen, erhitzten Körper mühsam aus der tiefen Sonnenliege im Schatten der hohen Kiefern wuchtete und versuchte, die beiden Kinder auf sich aufmerksam zu machen. Doch das Mädchen im hüfttiefen Wasser drückte ihren jüngeren Bruder lachend wieder runter. Sobald der aus den dunklen Fluten auftauchte, quietschte er vor Vergnügen, ruderte wild mit den Armen und bespritzte seine Gegnerin. Es machte ihm offensichtlich Spaß, mit seiner Schwester zu rangeln. Jetzt verfolgte sie ihn kreischend durchs flache Wasser, wobei ihre vielen kleinen schwarzen Zöpfe auf und ab hüpften, als sie ihn erneut erwischte und mit ihm untertauchte. Breitbeinig, mit in die Hüfte gestützter Faust, stand die Frau im rotgeblümten Badeanzug inzwischen vorne am Ufer, schützte ihre Augen mit der flachen Hand vor der gleißenden Sonne und rief energisch: »Dschalla, Matthias! Los, ihr beiden, raus da jetzt. Ihr habt ja schon ganz blaue Lippen. Gibt auch gleich Mittag!«
Das Mädchen sah sich irritiert um und ließ seinen Bruder los. Der auftauchende Junge erkannte seine Chance und spritzte seiner Schwester einen kräftigen Schwall Wasser mitten ins Gesicht. Sie schrie auf, doch bevor sie sich wieder auf ihn stürzen konnte, stoppte ein endgültiges »Schluss jetzt!« vom Ufer das ausgelassene Spiel.
»Ach, nun lass die beiden doch, Sybille«, mischte sich Gunnar Witte von seinem Liegestuhl aus mit gemütlicher Brummstimme ein. Seine Frau Agnes neben ihm nickte zustimmend und schob ihre Sonnenbrille in die graue Dauerwelle. Beide waren über siebzig und genossen das lebhafte Treiben vor ihren Stammplätzen am See. Im flachen Wasser planschte und paddelte ein gutes Dutzend Kinder mit bunten Schwimmhilfen und Luftmatratzen. Der Nichtschwimmerbereich war durch eine lange Kette aus roten und weißen Kugeln vom Rest des großen Waldsees abgetrennt. Mittendrin rangelten die beiden dunkelhäutigen Geschwister, die ihre Urenkel waren. Sybille Gerber, die stämmige Frau, deren Sonnenbrand perfekt mit ihrem roten Badeanzug harmonierte, war ihre Tochter.
Agnes Witte stimmte ihrem Mann zu: »Die haben doch gerade so einen Spaß.«
»Nur noch fünf Minuten, Oma«, bettelte der Junge Sybille prompt an.
Die gab schulterzuckend nach. »Na, gut. Fünf Minuten! Aber dann rubbel ich euch kräftig ab.« Sie musste lachen, als beide Kinder »Juhu!« brüllten und das Mädchen mit einem Hechtsprung abtauchte. Ihr Bruder quietschte vergnügt, als sie ihm die Füße wegzog.
»Die kriegen einfach nicht genug.« Sybille lächelte ihren alten Eltern zu. »Aber wir sollten dann mal langsam . Ich hab Hunger.« Sie machte ihrem Mann Tobias, der das Geschehen von seiner Liege weiter oben beobachtete, Zeichen, dass er ihre Sachen zusammenpacken sollte. Auch Gunnar Witte und seine Frau erhoben sich schwerfällig von ihren Liegestühlen.
»Oh, ist ja schon Zwölwe durch«, stellte Agnes beim Blick auf die Uhr kopfschüttelnd fest. »Jetzt wird's aber Zeit.«
Sie machte sich mit Tobias und ihrem Mann auf den Weg zu ihrem Stellplatz. Der lag, umrahmt von anderen Wohnwagen mit kleinen Gärtchen, seit bald fünfzig Jahren ein Stückchen oberhalb der Zeltwiese, mit freiem Blick auf den See. Agnes und Gunnar Witte hatten damals zu den ersten Vereinsmitgliedern des Campingparadieses am Waldsee e.V. gehört, die sich im brandenburgischen Dorf Seelinchen, gut eine Stunde südlich von Berlin, ihr beschauliches Feriendomizil eingerichtet hatten. Angefangen hatte alles mit bescheidenen Zelten, bis daraus nach und nach ein großer, idyllischer Campingplatz mit vielen fest stehenden Wohnwagen wurde, den die Dauercamper von Frühjahr bis Herbst rege nutzten.
Irgendwann hatte ihre Tochter Sybille samt Schwiegersohn Tobias einen eigenen Wagen danebengestellt. Und schließlich kam ein dritter dazu, damit genügend Schlafplätze für deren Kinder vorhanden waren. Der inzwischen dreißigjährige Sven und seine zwei Jahre jüngere Schwester Katja kamen regelmäßig mit ihren Partnern und den vier Urenkeln nach Seelinchen.
An diesem heißen Juli-Wochenende mitten in den Schulferien war die gesamte Großfamilie auf dem Campingplatz versammelt. Neben den Wohnwagen stapelten sich zwei aufgeblasene SUP-Boards, ein Schlauchboot und jede Menge Spielzeug für die Kinder.
Zum gemeinsamen Mittagessen rückte Katja mit Unterstützung ihrer Söhne Tarek und Karim gerade die Tische unter dem Vorzelt zurecht und stellte die zahlreichen Klappstühle auf. Ihr Mann Murat stand am Grill und wendete ein gutes Dutzend appetitlich duftender Fleischstücke.
»Heute gibt's Kebab«, begrüßte er seinen Schwiegervater Tobias, als der mit Agnes und Gunnar Witte durch den schmalen, von dunkelroten Kletterrosen umrankten, schmiedeeisernen Bogen den Stellplatz betrat.
In dem knapp dreißig Quadratmeter kleinen Vorgarten war nach all den Jahren jeder nicht genutzte Zentimeter mit Keramikschwänen, Blumentöpfen, Lichtgirlanden und anderem buntem Nippes liebevoll kitschig dekoriert.
»Hoffentlich gibt das keinen Ärger«, brummte Gunnar und begutachtete kritisch die dünnen Rauchschwaden, die in die Kronen der hohen Kiefern aufstiegen. »Du weißt doch, dass eigentlich nur unten am Grillplatz mit offenem Feuer hantiert werden darf.«
Sein Schwiegerenkel zwinkerte ihm fröhlich zu. »Ja, aber das hier ist ein Elektrogrill. Hab ich heute aus Berlin mitgebracht. Clever, was?«, sagte er und fügte hinzu: »Der war im Angebot.«
»Auf jeden Fall riecht es lecker«, meinte Gunnar versöhnlich und klopfte seinem Schwiegerenkel anerkennend auf die Schulter, bevor er in den Wohnwagen ging.
»Wo stecken denn Mama und die Kinder?«, rief ihm Sven nach, der gerade, eine große Salatschüssel vor sich hertragend, das Gärtchen durch das hintere Tor betrat, gefolgt von seiner Frau Amandla, die sich zwei Klappstühle unter den Arm geklemmt hatte.
»Die kommen sicher gleich. Jala und Matayo waren wie immer kaum aus dem Wasser zu kriegen«, erklärte Agnes Witte lächelnd und verschwand ebenfalls im Campingwagen.
Die beiden Kinder, warm eingepackt in große Badelaken, hüpften auf dem Weg nach Hause an der Hand ihrer Oma Sybille vorbei an den Stellplätzen der Nachbarn. Der Wohnwagen der Wagners aus Berlin-Mitte war verschlossen, wie so oft in letzter Zeit. Die kamen nur noch unregelmäßig auf den Campingplatz. Immer dabei war dann der zwölfjährige Severin, seit der hässlichen Scheidung kam er entweder mit Mutter oder Vater. Sybille Gerber dachte an die Streitereien seiner Eltern, die jede Übergabe wie ein Naturgesetz begleiteten, und bedauerte den Jungen. Wie viel besser hatten es da ihre beiden aufgekratzten Enkel, die sie ungestüm weiterzogen.
Von dem kinderlosen Ehepaar Elke und Horst Müller, im Wohnwagen daneben, war wie immer nichts zu sehen, doch Sybille Gerber war sich sicher, dass die beiden schweigsamen Alten hinter ihrer hohen Hecke alles genau im Blick hatten. Ganz bewusst schaute sie in deren Richtung.
»Einmal Stasi, immer Stasi«, murmelte sie abfällig und ging hoch erhobenen Hauptes vorbei.
Neugierig beäugte sie das verwilderte Grundstück der verrückten Kreuzberger mit ihrem bunten VW-Bulli, doch auch von dem Pärchen war noch nichts zu sehen.
Die sind heute aber spät dran, dachte Sybille Gerber und inspizierte den gepflegten Vorgarten daneben.
Vor dem reichlich angejahrten Wohnwagen mit dem orange-roten Vorzelt von Brigitte Fehrer regte sich in der Mittagszeit wie üblich nichts. Wahrscheinlich war die umtriebige Rentnerin zum Essen bei einer ihrer Freundinnen, die verstreut auf dem weitläufigen Campingplatz residierten, oder machte ein Nickerchen.
Schließlich kamen Sybille und ihre Enkel am perfekt gepflegten Stellplatz von Monika und Ulli Reimann vorbei. Deren Wohnwagen, ausgerüstet mit allen Schikanen, war erst wenige Jahre alt und wurde ständig auf Hochglanz poliert. Drei in die Böschung gegrabene Stufen führten zum geschlossenen Gartentor zwischen niedrigen, akkurat beschnittenen Buchsbaumhecken. Der einzige Zierrat, der im makellosen Vorgärtchen von unten zu sehen war, war eine Metallskulptur, die, laut Monika Reimann, einen Flamingo darstellte und von einem sehr bekannten Künstler stammte. Sybille fand, dass der komische Vogel wie eine zu groß geratene Krähe aussah. Die Reimanns waren in den Vierzigern und saßen wie immer pünktlich seit zwölf Uhr unterm Vorzelt beim Mittagessen. Deren Leben verlief nach einem festen Plan. Ihr Tisch war mit weißer Damastdecke und Porzellan gedeckt. Billiges Plastikgeschirr und Camping-Klappstühle waren ihrer Meinung nach nur etwas für Proleten, und damit weit unter ihrem Niveau.
Sybille Gerber fand die Reimanns zu etepetete, dennoch grüßte sie im Vorübergehen laut rüber: »Mahlzeit!«
»Guten Tag, Frau Gerber«, erwiderte Ulli Reimann reserviert und ergänzte, mit Blick auf die beiden quirligen Kinder, die an ihrer Oma zerrten: »Ach, da ist ja scheinbar wieder die ganze bunte Großfamilie angereist .«
»Ja, alle da! Sind ja Ferien«, antwortete Sybille.
»Wie schön .« Monika Reimann lachte schmallippig auf. »Da wird es bei Ihnen mit den vielen Kindern sicher wieder lebhaft zugehen . Ach, übrigens .« Sie deutete auf die dünne Rauchfahne, die ein Stückchen weiter sanft zwischen den Kiefern aufstieg. »Ist das bei Ihnen? Wir machen uns etwas Sorgen.« Sie räusperte sich und suchte nach den passenden Worten. »Kann es sein, dass Ihr, äh, arabischer...
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