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Ach du Scheiße. Das war mein erster Gedanke, als ich durch eine metertiefe Pfütze pflügte, in die Elm Lane einbog und durch die Windschutzscheibe eine triefende Gestalt ausmachte, der die blonden Locken klatschnass über den Rücken hingen. Das würde peinlich werden.
Caroline Cooper.
Es bestand kaum ein Zweifel, dass wir dasselbe Ziel hatten - warum sonst sollte sie bei diesem Wetter eine Straße am Stadtrand von Cambridge entlangspazieren? Mein Studienmentor hatte erwähnt, dass die Supervisionsgespräche zu den Abschlussarbeiten in diesem letzten Jahr immer à deux stattfänden. Das sei hoffentlich kein Problem, hatte er gesagt, und ich hatte versichert, das sei es nicht, und vage auf eine attraktive weibliche Supervisionspartnerin gehofft. Ich hätte mal besser hoffen sollen, dass es nicht eine war, mit der ich bereits geschlafen hatte.
An einer Einfahrt blieb sie stehen und sah sich um, suchte vermutlich nach einer Hausnummer. Ich verlangsamte, bis der MG förmlich kroch. Selbst regendurchweicht sah sie umwerfend aus. Ich checkte mein Gesicht im Rückspiegel. Caroline Cooper. Der unwahrscheinlichste aller Fälle.
Wir hatten zweimal miteinander geschlafen, damals, gleich zu Anfang unseres ersten Jahrs. Einmal nach einer Party und dann ein paar Wochen später noch mal, nachdem wir einander leicht beschwipst bei einem College-Ball über den Weg gelaufen waren. Das erste Mal in ihrem Zimmer mit der Lichterkette rund um den Spiegel und dem Frida-Kahlo-Poster an der Wand. Ich erinnerte mich an das schmale Bett, daran, wie ich nachts aufgewacht war und dringend pinkeln musste, sie aber nicht wecken, den Zauber nicht brechen wollte, unsere Beine waren ineinander verschlungen, ihr Kopf lag auf meiner Brust.
Das zweite Mal waren wir Händchen haltend auf verschlungenen Wegen zu meinem Zimmer spaziert und hier und da in einem Türbogen stehen geblieben, um uns zu küssen. Die halbe Nacht waren wir aufgeblieben und hatten geredet, aus angeschlagenen Bechern billigen Weißwein getrunken, am offenen Fenster geraucht und auf den mondbeschienenen Innenhof hinuntergeschaut. Wir redeten über Cambridge, ihre ersten Eindrücke. Über Kunst und Künstler. Ich erzählte ihr Geschichten über meinen Vater und übers Internatsleben. Ohne Frage gab es eine gegenseitige Anziehung. Und ich hatte das Gefühl, es entstünde eine echte Verbindung zwischen uns, als wäre dies der Anfang von etwas wirklich Aufregendem.
Und dann passierte . nichts. Ich hinterließ eine Nachricht in ihrem College-Postfach. Keine Antwort. Ich hielt in den Vorlesungen nach ihr Ausschau, aber sie gewöhnte sich an, den Hörsaal erst in letzter Minute zu betreten, sich einen Platz auf der gegenüberliegenden Seite zu suchen und am Ende sofort hinauszuschlüpfen.
Wieder und wieder ging ich diese zweite Nacht im Geiste durch, versuchte zu verstehen, was ich falsch gemacht hatte. Hatte ich etwas Blödes gesagt? Ich war damals wahrscheinlich ein ziemlicher Angeber, wollte Eindruck schinden, mir ein Image als Cambridge-Typ zulegen. Fuhr in diesem albernen Sportwagen herum. Ließ den Privatschul-Boy raushängen. Verwuscheltes Haar, affiger Tonfall .
Es wurde schnell klar, dass ich zwar einen Funken zwischen uns gespürt haben mochte, Caroline aber nicht. Ein paarmal hatte sie sogar die Straßenseite gewechselt, um mir aus dem Weg zu gehen. Wenn wir einander in den Fluren der Kunstgeschichtsfakultät begegneten oder sie mir durch Zufall in der Bibliothek gegenübersaß, war ein knappes Nicken das Äußerste, was von ihr kam. Und egal, wie sehr man jemanden mag - irgendwann hat man's kapiert.
Ich hupte kurz, und Caroline blickte auf. Sie erkannte mein Auto - natürlich, wie viele Studenten fuhren schon mit einem MG-Cabrio in Cambridge herum - und rang sich ein nicht sehr überzeugendes Lächeln ab. Ich hielt an und ließ das Fenster herunter. Dies war eine Situation, in der wir einander schlicht nicht mehr ignorieren konnten.
»Ich nehme an, wir suchen dasselbe Haus«, sagte ich.
»Das hier ist es, glaube ich«, gab sie zurück. »Nummer 32?«
»Ja, die Adresse hat Dr. Bailey mir genannt.«
Das Haus passte jedenfalls. Entweder wohnten hier Akademiker, oder es stand leer. Dem Dach fehlten einige Ziegel. Im Erdgeschoss waren die Vorhänge zugezogen. Aus einer durchhängenden Regenrinne wuchs eine Art Busch. Caroline drückte den Klingelknopf. Es tat sich nichts.
»Hast du richtig .?«, fragte ich.
Sie forderte mich auf, es selbst zu versuchen. Es war nicht klar, ob dieser Klingelknopf überhaupt mit irgendetwas verbunden war. Zunächst verhalten, dann entschlossener klopfte ich an die Tür. Caroline trat ein, zwei Schritte zurück, um zu den oberen Fenstern hinaufzuschauen.
»Kein Licht«, sagte sie. »Meinst du, sie hat es vergessen?«
»Kann sein. Sie ist ja wohl nicht mehr die Jüngste. Hast du je von ihr gehört? Alice Long?«
Ich jedenfalls nicht, wobei es in der Unibibliothek drei Bücher von ihr gab - eins über Man Ray, eins über Brassaï und eins über die Geschichte des Fotojournalismus. Laut der Vita in diesem dritten Buch, erschienen 1980, war sie selbst Pressefotografin gewesen, hatte für Time und Vogue gearbeitet. Und das Autorenfoto hinten im Buch zeigte, dass sie auch schon vor zehn Jahren ziemlich alt gewesen war.
»Vielleicht hört sie uns nicht«, sagte ich. »Soll ich nach hinten gehen und über den Zaun rufen, was meinst du?«
»Herrgott«, murmelte Caroline hinter mir. »Wer ist die Frau überhaupt? Sie gehört nicht zur Fakultät, sie ist an keinem College. Warum betreut sie die Abschlussarbeiten? Vielleicht beschwere ich mich. Dieses Projekt ist für unseren Abschluss ziemlich wichtig.«
Ich verstand ihre Sorge. Sie hatte bereits im ersten Studienjahr deutlich gemacht, wie ernst sie ihr Studium nahm und was sie am Ende erreichen wollte: ein Leben als Wissenschaftlerin, lehrend und schreibend. Es fiel mir nicht schwer, sie mir als coole junge Akademikerin vorzustellen, vermutlich mit Lederjacke und knallrotem Lippenstift, eine Quelle der Inspiration für ihre Studentinnen. Wie ein richtiger Blödmann hatte ich versucht, sie zu beeindrucken, indem ich meine eigenen Karrierepläne vor ihr ausbreitete: einen erstklassigen Abschluss zu machen, einen Job bei Sotheby's zu ergattern und mit dreißig die erste eigene Galerie in Mayfair zu haben. Ich muss wie ein eingebildeter, überprivilegierter Idiot geklungen haben, aber zu meiner Verteidigung muss ich sagen: Ich war achtzehn. Damals posaunte ich manches heraus, was ich später für mich zu behalten gelernt habe.
Letztlich war es aber so: Wenn wir an eine miese Betreuerin geraten waren und sich das ungünstig auf unsere Abschlussnote auswirkte, konnten wir uns beide von unserem jeweiligen Traum verabschieden.
Mit lautem Quietschen wurde drinnen ein Riegel zurückgeschoben. Bis die Tür dann wirklich aufging, dauerte es noch mal ein paar Minuten, denn offenbar mussten erst mehrere weitere Schlösser umständlich geöffnet werden.
»Hallo!«, rief ich, in verbindlichem Ton, wie ich hoffte. »Wir sind Patrick und Caroline. Studenten der Kunstgeschichte. Von der Universität.«
Das Gesicht, das im Türspalt erschien, war faltig und bleich, auf dem Kopf türmte sich wirres weißes Haar. Alice Long trug ein braunes Kleid mit Faltenrock und graue Kniestrümpfe. Stirnrunzelnd musterte sie uns. Sie war noch älter, als ich sie mir vorgestellt hatte.
»Sie sind spät dran«, sagte sie streng.
»Tut mir leid«, erwiderte ich. »Wir haben schon ein paarmal geklopft .«
Beim Eintreten prüfte ich in einem angelaufenen kleinen Wandspiegel meine Frisur. Alice Long schlurfte voraus und verschwand, offenbar in der Erwartung, dass wir ihr folgen würden, durch eine offen stehende Tür. Vage nahm ich einen Perserläufer wahr, schmutzig-dunkel, ziemlich abgewetzt. An der Wand hingen gerahmte, von einer dicken Staubschicht überzogene Schwarz-Weiß-Fotos.
Ich ließ Caroline den Vortritt.
»Bitte«, sagte Alice Long und wies auf ein kleines Sofa mit hohen Seitenlehnen - streng genommen war es eher ein größerer Sessel. »Setzen Sie sich.«
Sie selbst ließ sich auf einem Holzstuhl nieder, direkt neben einem Tisch voller Bücherstapel, während Caroline und ich zögernd Platz nahmen, peinlich darauf bedacht, uns nicht zu nahe zu kommen. Die Stores an den Fenstern waren zugezogen; Licht spendete vor allem eine Glühbirne, die nackt von der Decke hing.
»Also, Patrick«, begann Alice Long übergangslos, »Sie interessieren sich für den Surrealismus?«
»Sehr«, beeilte ich mich zu sagen und beugte mich vor, um dem Ganzen Nachdruck zu verleihen. Ich wollte einen guten Eindruck machen. »Mich fasziniert die Unerschrockenheit, mit der die surrealistische Kunst die inneren Zusammenhänge des Denkens erforscht. Dass sie jegliche Konformität verweigert und sich das Mythische und Traumartige zu eigen macht. Viele...
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