Französisch? Ja - aber nur fast!
Draußen hupt jemand. Nanu? Ich sehe zum Fenster hinaus und da steht er. Mein Mann Hugo, er sitzt in einem karibikgrünen VW-Bus-Camper, mit dem wir für die nächsten drei Wochen nach Frankreich fahren wollen. Wie stolz er ist! Ich kann es immer noch nicht fassen, dass er den Camper tatsächlich abgeholt hat. Aber wer weiß, vielleicht ist das die Lösung. Auf jeden Fall spüre ich bei aller Skepsis ein warmes Gefühl in mir. Die Außenküche gefällt ihm am besten, obwohl er wie ich genau weiß, dass wir sie nur wenig benutzen werden, da wir meistens im Café unser »petit-déjeuner« zu uns nehmen und im Restaurant zu Mittag und Abend essen werden. Frankreich ist doch dafür bekannt, oder? Sagen wir nicht: »Essen wie Gott in Frankreich«? Also, dann, die Küche wird »mon mari«, mein Mann, nur benutzen, um seinen Kaffee zu kochen, ansonsten lassen wir uns lieber bekochen!
Am nächsten Tag wollen wir früh losfahren, damit wir unsere erste Etappe noch tagsüber erreichen: Les Ollières-sur-Eyrieux in der Ardèche. Ich habe uns »Le Guide du Routard«, einen bekannten Reiseführer für Backpacker und andere Individualisten, besorgt und unsere Route anhand der gut benoteten Campingplätze zusammengestellt. »Warum wartet ihr eigentlich noch einen Tag?«, fragt unsere Tochter Coralie, »fahrt doch gleich los und macht eine Pause unterwegs.« Ihre Begeisterung für den Camper scheint mindestens so groß wie ihre Sehnsucht danach, alleine in München zu bleiben. Wir finden ihren Vorschlag gar nicht so schlecht und fahren noch am selben Abend los.
Wir übernachten in Lausanne auf einem Camping-Platz, der wahrscheinlich seit den 60er Jahren nicht renoviert wurde, sich aber als der bei weitem kostspieligste auf unserer gesamten Reise herausstellen soll. Egal, wir lassen uns die Laune nicht verderben.
Am nächsten Morgen kocht Hugo seinen Kaffee auf dem Gaskocher und wir essen das Käsebrot von gestern. Wir sind noch nicht wirklich angekommen.
Wir verlassen die Autobahn und nehmen, wie früher, die kleineren Straßen, »les petites routes«, die auch »Routes Nationales«, Staatsstraßen oder »Départementales«, Landstraßen, heißen.
Eine Stunde später finden wir »Le camping Cour d'Ardèche«, betrieben von Thierry et Lydie. »BIENVENUE«, »Willkommen«, steht großgeschrieben am Eingang. Es wird uns warm ums Herz. Hugo ist ein bisschen nervös. Sein Französisch ist eigentlich gar nicht so schlecht, aber er traut sich nicht zu sprechen. Aus lauter Verlegenheit grinst er den Betreiber des Platzes an. Aber der ist entspannt. »Vous avez fait bon voyage?« fragt Thierry. Hugo schaut rüber zu mir. Ich nicke. »Oui, merci!« Ich flüstere Hugo zu: »Er hat gefragt, ob wir eine gute Reise hatten.« »Ah«, antwortet Hugo, »dann habe ich richtig verstanden.« Thierry bringt uns zu unserem Platz - im Schatten, Gott sei Dank! Die Temperatur beträgt schon 25° und es ist erst 10 Uhr vormittags. Ich frage, ob sie noch Frühstück servieren »Oui, bien sûr«, antwortet er. Hungrig und durstig setzen wir uns hin und bestellen »deux cafés au lait«. Milchkaffee wird eigentlich meistens zu Hause getrunken, habe ich gelesen - nicht im Café. Hier aber fühlen wir uns wie daheim. Lydie serviert uns den café au lait in kleinen Porzellanschüsseln - »dans un bol«, damit man sein Croissant oder seine »tartine« darin eintunken kann. Köstlich!
Ich frage sie, wo wir einkaufen gehen können, und sie gibt uns eine Karte mit Läden, vielen Sehenswürdigkeiten und feinen Restaurants, die es hier gibt. Wir finden einen »Carrefour Market«, wo wir alles kaufen, was wir brauchen, um einen Snack vorzubereiten. Und wollen einen Sprung ins Wasser wagen. Die Ardèche fließt südlicher von hier, aber ihr Nebenfluss Eyrieux ist gleich um die Ecke. Bei der Hitze sehnen wir uns nach frischem Wasser. Auf der Straße zwischen Dunières und Les Menets finden wir den schmalen Pfad, der uns zum Fluss führen soll. Es ist ein wenig abenteuerlich, ja fast unheimlich, denn der Weg ist schwindelerregend steil, und von den dichten Zweigen hängen an seidenen Fäden hunderte von weißen Raupen, die einem durchs Gesicht streifen oder in den Hemdkragen fallen - es hat etwas von einem Horrorfilm! Zu allem Überfluss hat Hugo nur »tongs«, Flip-Flops, an, die wir in Ollières gekauft haben, und ich mache mir ernsthaft Sorgen, ob er den Abstieg unbeschadet übersteht. Doch dann werden wir belohnt. Am Ende des Pfades eröffnet sich ein kleines Paradies. Eingebettet in eine steile Felsenschlucht und unterbrochen von schneeweißen, flachen Felsplatten schlängelt sich tief schwarz-blau changierend ein Fluss, der so ruhig daher fließt, dass sich der Himmel darin spiegelt. Dieser Geheimtipp wurde uns von Sylvain, unserem Kellner, verraten. Wir legen uns auf die heißen glatten Felsvorsprünge und lassen uns wie Eidechsen aufheizen, bevor wir in das von der Sonne aufgewärmte Wasser springen. Magische Momente!
Der Tag vergeht schnell, und bald müssen wir uns für das Abendessen vorbereiten. Wir entscheiden uns für das Restaurant auf dem Campingplatz, wo weit und breit nur französisch gesprochen wird. Wir sind die einzigen Deutschen hier. Sobald wir uns hingesetzt haben, bringt uns Sylvain ein Körbchen mit Baguette-Stücken und eine Karaffe Wasser, »une carafe d'eau«. Auf der Karte steht eine typische Spezialität aus der Ardèche: »la caillette«, das ist eine Art Knödel aus gehacktem Schweinefleisch mit Spinat oder Mangold verknetet. Nichts für Vegetarier! Der Wein wird »en pichet« serviert. Wir nehmen »un pichet de rosé«, offenen Rosé. Um uns herum ist rege Betriebsamkeit: Claude François soll heute Abend hier auftreten! Hugo schaut ein bisschen skeptisch: »Ist der nicht schon lange tot?«, fragt er mich. »Ach Hugo, das ist doch nur einer seiner Doppelgänger!« »Ah bon!«, antwortet Hugo spöttisch, »dann wollen wir mal hören, was er so drauf hat.« Aus den Boxen ertönt laute Musik im Sound der 70er und auf der Tanzfläche steht wie selbstverständlich ein Männlein in einer Glitzerjacke und mit blondem Toupet. Und damit hat sich die Ähnlichkeit mit dem wahren Claude François auch schon erschöpft. Das scheint aber niemanden ernstlich zu stören, denn kaum macht er den Mund auf, fallen alle Gäste im Chor mit ein. »Belles, belles, belles! Comme le jour!« Schön, schön, schön wie der Tag! »Belles, belles, belles comme l'amour!« Schön, schön, schön wie die Liebe! Mich hält es nicht mehr auf dem Stuhl. Wie viele andere auch, springe ich auf und tanze mit. Die Stimmung ist auf dem Siedepunkt. Les Clodettes, die Tänzerinnen, die Cloclo immer auf der Bühne begleiten, werden sofort begeistert von drei jungen Frauen nachgespielt. Claude gibt jetzt alles! Stimmlich ist das nicht unbedingt viel, jedoch macht seine exaltierte Bühnenshow alles wett. »Super spectacle!« Was für eine großartige Show!
Mit dem Wein geht auch das Konzert langsam zu Ende. Aber die Fans haben noch lange nicht genug von Cloclo und schreien total begeistert: »Une autre! Une autre!« Der arme Möchtegern Claude François kommt wieder auf die Bühne und schaut zu seiner Frau, die neben ihrer Funktion als Garderobiere auch die Rolle des Toningenieurs übernommen hat: »On a quelque chose pour un rappel?«. Sie streckt ihren Daumen zu einem Okay, aber Hugo hat genug: »Rappel? Wer kriegt hier einen Rappel?«, knurrt er. Genervt kramt er in seinem digitalen Langenscheidt-Wörterbuch nach der passenden Übersetzung. »Entspann dich, Hugo!«, lache ich, »Schon vergessen? Das ist ein »faux-ami«, ein falscher Freund. Du weißt doch, das sind diese ganzen Wörter, die auf Französisch und Deutsch fast gleich klingen, aber etwas ganz anderes bedeuten.« »Jajaja . und du warst Au-Pair in Paris und bist mir sprachlich um Längen voraus. Schon klar .« Ich möchte mir aber die schöne Stimmung an diesem Abend nicht verderben lassen, deshalb lenke ich schnell ab: »Denk doch nur an deine Geschichte vor 27 Jahren in der »pâtisserie«! Weißt du noch, damals, in dieser kleinen Konditorei?«
Hugo und ich waren noch jung, als wir von Köln aus nach Frankreich reisten. Nicht mit einer Ente, auch 2CV oder »Deux Chevaux« genannt - sondern mit einer »coccinelle«, einem typisch deutschen VW Käfer. Die vielen »boulangeries-pâtisseries« in den Dörfern ließen ihn nicht kalt und prompt betrat er eine, um etwas zu kaufen, das bei einem Besuch in Frankreich damals ein absolutes Muss war: eine Zitronentorte mit Baiser.
Das Dorf hieß, er weiß es noch ganz genau, Jaujac en Ardèche. (Versuchen Sie doch, das schnell zu sagen, ohne sich zu verhaspeln. Viel Glück!) Jaujac ist ein französisches Dorf, wie aus dem Bilderbuch: Ein mittelalterliches Dorf, sternförmig angelegt, mit engen Gassen, kleinen, wie ineinander gestapelten Natursteinhäusern soweit das Auge reicht und einem zentralen, von Platanen gesäumten Marktplatz, wo die Leute gern »à la pétanque« spielen und dabei »un Pastis ou un Perrier-menthe« trinken.
Die boulangerie-pâtisserie...