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Harter Alltag bei der Schutzpolizei
Ausbildung
1978, ich war 19 Jahre alt, lernte ich meine spätere erste Ehefrau kennen und ihre kleine Wohnung wurde für mich schnell zu meinem Lebensmittelpunkt. Hier lernte ich für meine Prüfung als Groß- und Außenhandelskaufmann, und hier flatterte auch der Musterungsbescheid der Bundeswehr ins Haus.
Irgendwie kam dann die alte Idee wieder auf, mich bei der Polizei zu bewerben. Gesagt, getan! Ich bekam rasch eine Einladung zum Eignungstest. Dieser ging über insgesamt zwei Tage und fand im August 1978 im Polizeipräsidium in Dortmund statt. Insgesamt waren es über 50 junge Bewerber. Am ersten Tag fanden mehrere schriftliche Prüfungen statt und am zweiten Tag gab es den Sporttest, bestehend aus einem Lauf über 3 Kilometer, einem intensiven Zirkeltest und der ärztlichen Untersuchung.
Letztlich blieben von den 50 nur noch ganze zwei übrig, die genommen wurden - ein Kollege und ich! Mit bestandenem Eignungstest bekam ich den Bescheid, dass meine Ausbildung als Polizeivollzugsbeamter des Landes Nordrhein-Westfalen am 2. Oktober 1978 beginnen würde und ich mich an diesem Tag in der Landespolizeischule Erich-Klausener in Schloss Holte-Stukenbrock einzufinden hätte.
Wahnsinn! Die Bundeswehr wollte mich im Oktober in Augustdorf sehen und die Polizei in Stukenbrock. Tatsächlich war es so, dass der Wehrdienst zurückgetreten ist, wenn man zeitgleich als Polizeibeamter in den Staatsdienst eintrat. Leider haben viele damals direkt nach der Ausbildung die Polizei wieder verlassen, weil sie nur den Wehrdienst umkurven und zudem noch in der Zeit mehr Geld verdienen wollten.
Ich entschied mich für die Ausbildung zum Polizeivollzugsbeamten und sah mich in meinen Vorstellungen schon als Kriminalkommissar spannende Verbrechen aufklären. Gleichzeitig wusste ich aber auch nicht so recht, auf was ich mich da eigentlich eingelassen hatte.
Da ich zwar einen Berufsabschluss, aber keine mittlere Reife hatte, musste ich diese jetzt bei der Polizei in Stukenbrock in einem 6-monatigen Aufbaulehrgang nachholen. Mit meinen 19 Jahren gehörte ich zusammen mit den Zeitsoldaten, die vier oder mehr Jahre bei der Bundeswehr gedient hatten und danach in den öffentlichen Dienst übernommen worden waren, zu den älteren Berufsanfängern.
Ein Großteil des Unterrichts fand in alten Baracken statt, die neben unseren Unterkünften lagen und in denen sich die Ameisen in unseren Essensfächern in den Holzschränken Autobahnen bauten. Daneben gab es auch noch die Holzbauten, die im Krieg als Unterkünfte für überwiegend russische Kriegsgefangene benutzt worden waren und als »Stalag 326 Senne« bekannt sind. Man schätzt, dass von 1941 bis 1945 bis zu 200 000 Gefangene zur Musterung für Zwangsarbeiten durch das Lager gelaufen sind, von denen viele aufgrund der katastrophalen Lebensbedingungen gestorben sein dürften. Auch nach dem Krieg soll es noch von den Besatzungsmächten als Lager für mutmaßliche Kriegsverbrecher und NS-Funktionäre genutzt worden sein. Verändert hatte sich seitdem bis 1978 eigentlich nichts.
Im Großen und Ganzen war es eine gute Zeit in Stukenbrock. Sie endete für mich im April 1979 mit dem Wechsel zur Bereitschaftspolizeiabteilung - kurz BPA - in Selm/Bork.
Ende der 1970er- und in den 1980er-Jahren herrschte eine brisante Sicherheitslage in Deutschland. Zum einen versetzte die Rote Armee Fraktion (RAF) mit ihren mörderischen Aktivitäten, denen Politiker und Polizisten zum Opfer fielen, das ganze Land in Angst und Schrecken. Zum anderen begann eine neue Hochzeit für die APO, die außerparlamentarische Opposition. Dies führte letztendlich zur Gründung von Bürgerinitiativen, aus denen sich Anfang 1980 in Deutschland und anderen Ländern die Partei Die Grünen bildete.
Es war eine Zeit des Umbruchs in der Gesellschaft. Frauenrechte und ökologische Themen waren genauso relevant wie Zweifel an der Richtung und den Maßstäben des politischen Establishments. Man ging auf die Straße, um zu zeigen, dass man gegen Raketen und für Naturschutz, gegen Regeln und für grenzenlose Freiheit war. In dieser Zeit verstanden es Randgruppen, unter dem Deckmantel der »wehrhaften Demokratie« zur Verwirklichung ihrer Lebenstheorien gegen jegliche Regeln zu verstoßen. Sie besetzten Häuser, die ihnen nicht gehörten, sie brannten Autos nieder und lieferten sich mit den Polizeibeamten regelrechte Straßenschlachten, bei denen auch Molotowcocktails und Stahlkugeln zum Einsatz kamen.
Vordergründig ging es dabei um Proteste und Demonstrationen gegen Atomkraft und leerstehenden Wohnraum. Die Bewegung wurde aber zu oft von Gruppen mit radikalem Gedankengut unterlaufen, was nicht selten zum Kampf gegen das bestehende Rechts- und Wertesystem ausuferte.
Großeinsatz in Gorleben
Viel früher, als uns allen lieb war, kam mitten in meiner Ausbildung der erste Großeinsatz. Plötzlich war ich mit meinen 20 Jahren mittendrin in diesem politischen Geschehen. Es war der Einsatz am 4. Juni 1980 in Gorleben. Gorleben? Das dürfte dem einen oder anderen sicherlich noch etwas sagen. Die erste große Anti-Atomkraft-Demonstration nach der in Kalkar im Jahr 1977 nahm ihren Anfang bereits im März 1979, als in Gorleben im Wendland mehr als 40 000 Menschen gegen die dort geplante Wiederaufbereitungsanlage und die später stattfindenden Probebohrungen demonstrierten.
Am 3. Mai 1980 besetzten Demonstranten die Baustelle, bauten ein Hüttendorf und riefen durch eine Abgeordnete der Grünen die »Republik Freies Wendland« aus. Man grenzte sich durch Schlagbäume und Umzäunung vom Rest der BRD ab und verteilte zudem selbstgefertigte Ausweise, sogenannte Wendenpässe.
Obwohl durchaus viele Menschen - darunter auch viele Polizeibeamte (mich eingeschlossen) - gegen eine unkontrollierte Nutzung der Atomkraft waren, stellte dies politisch einen Angriff auf den Rechtsstaat dar, und es galt, durch die Räumung des Dorfes den Rechtsfrieden wiederherzustellen.
Nach unserer Anreise am 2. Juni 1980 wurden wir zunächst in einem Schulgebäude untergebracht. Wir hatten keine Ahnung, was auf uns zukommen würde, da wir völlig von Informationen abgeschirmt waren. Damals hielt man es nicht für nötig, nachgeordnete Kräfte oder Beamte auf Probe, die sich noch in Ausbildung befanden, umfänglich ins Bild zu setzen. In der Nacht vom 3. auf den 4. Juni 1980 wurden wir aus dem Schlaf gerissen und mussten sofort aufsitzen, das heißt, uns innerhalb von Minuten an den Einsatzfahrzeugen einfinden. Dann sagte man uns, dass wir die Einsatzkräfte bei der Räumung unterstützen würden. Erst auf der Fahrt konnten wir kurz Luft holen und darüber nachdenken, was gerade eigentlich geschah.
Im Stockdunkeln unterwegs auf dem Weg nach Gorleben herrschte absolute Stille im Fahrzeug. Jeder war mit sich selbst beschäftigt und ordnete seine Gedanken: Habe ich alle Ausrüstungsgegenstände dabei? Funktioniert alles? Was passiert mir wohl; was passiert uns?
In Gorleben angekommen, konnten wir von Weitem schon den Lärm hören, Feuerschein im Dorf sehen und die Brände riechen. Am Dorf der Besetzer angekommen, wurden wir sofort angewiesen, uns in die Absperrung einzugliedern und eine Polizeikette zu bilden.
Die Atmosphäre war gespenstisch: Langsam dämmerte der Tag heran. Mit dem Morgennebel stiegen auch die Rauchlanzen auf, die von den Lagerfeuern stammten. Dazwischen erschallten laute Befehle, Geschrei und immer wieder dieses Lied »Wehrt euch, schließt euch fest zusammen gegen die Politik in diesem Land«, abgelöst von: »Ho-Ho-Ho-Chi Minh«.
Die geräumten Hütten wurden vor ihrem Abriss durchsucht, um sicherzugehen, dass sich nicht doch noch Leute darin befanden, die dann verschüttet werden würden. Diese Aufgabe kam unter anderem mir zu. So bekam ich einen Einblick in die Lebensbedingungen, unter denen die Besetzer gelebt hatten - Bedingungen, die sicherlich nicht dem hygienischen Standard entsprachen. Über allem lag der Geruch von Marihuana.
Gorleben war mein erster unvorbereiteter Kontakt mit einer bisher unbekannten Facette der Realität; des wahren Lebens mit Erfahrungen und Einblicken in Lebenssituationen, die vielen normalen Bürgern fremd bleiben.
In den Folgemonaten gab es immer wieder Großeinsätze im Zusammenhang mit Atomkraftwerken und Friedensmärschen, die später zu den bekanntgewordenen Ostermärschen wurden. Dabei spitzte sich die politische Lage weiter zu.
Neben dem Krieg in Afghanistan wurde im Oktober 1980 auf dem Oktoberfest in München ein Attentat verübt, bei dem 13 Menschen getötet und 221 Menschen verletzt wurden, 68 davon schwer. Der Täter war ein völlig durchgeknallter und ewig gestriger Neonazi, der der rechtsextremen »Wehrsportgruppe Hoffmann« angehörte. Zudem entbrannte der Erste Golfkrieg im Irak/Iran, der bis 1988 andauerte. Das Jahr endete mit dem Tod von Josip Tito, der den Zerfall Jugoslawiens zur Folge hatte und Auslöser verschiedener Kriege in den 1990er-Jahren war.
Straßenschlachten in Bochum
Als frisch gebackener Polizeihauptwachtmeister und junger Familienvater wurde ich am 1. Oktober 1981 zum Polizeipräsidium Bochum versetzt, wo ich sofort in die Einsatzhundertschaft (EHU) kam. Zu dieser Zeit herrschte Anarchie auf den Straßen. Neben der Hafenstraße in Hamburg und Kreuzberg in Berlin war Bochum im Jahre 1981 mit insgesamt 150 besetzten Wohnungen oder Gebäuden der...
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