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Ernst Peter Fischer
Schließen Religion und Wissenschaft sich aus, wenn es um die Frage der Schöpfung geht? Die Antwort unseres Autors lautet eindeutig nein. Mit einem Gang durch die Wissenschaftsgeschichte führt er vor Augen, dass beide Systeme sich wechselweise ergänzen (müssen). Nicht zuletzt die quantenmechanischen, aber auch die neuesten quantenphysikalischen Erkenntnisse liefern den Schlüssel. Energie ist in einem abgeschlossenen System konstant, kann nicht vermehrt oder vermindert werden, und die Wirklichkeit ist kein festgefügtes System, sondern wird je nach Akteur:in immer wieder neu zusammengesetzt. (Redaktion)
"Es werde Licht!" So sprach der biblische Gott in die Finsternis hinein, die zu Beginn alles im Dunkel hielt und keine Helligkeit kannte. Der säkularen Naturwissenschaft ist es im Verlauf des 19. Jahrhunderts gelungen, für diese zu sorgen und den berühmten göttlichen Befehl in einen menschenmöglichen Rahmen einzufügen. Seit dieser Zeit kennt die Physik einen Hauptsatz der Thermodynamik, der in seiner einfachsten Form besagt, dass die Energie der Welt konstant ist. Anders ausgedrückt: Energie kann weder erzeugt noch vernichtet werden, und das heißt, dass es sie immer gegeben haben muss. Die anfängliche Finsternis über der Tiefe, von der die Genesis berichtet, kann man sich seitens der Physik als omnipräsente Energie denken, die als Ganzes unzerstörbar ist und deren Teile sich unentwegt ändern und die Dinge der Welt bewegen. Die erste Verwandlung der Energie geschieht aus dem Dunkel hin zu dem Licht, das heute dem Leben zur Orientierung dient und über die Pflanzen den Menschen ihre Nahrungsgrundlage liefert. Das gesamte kosmische Geschehen kann als Wechsel der Formen angesehen werden, in der sich Energie zeigt - unter anderem als Bewegung, Wärme, Masse und in Kraftfeldern und chemischen Verbindungen -, und diese allgegenwärtige Dynamik verwandelt die Frage nach der Schöpfung in die Frage nach der Herkunft der Energie.
Der Begriff stammt von Aristoteles, der in seiner "Metaphysik" vorgeschlagen hat, das Wirkliche aus der Sphäre des Möglichen hervorgehen zu lassen, und die für diesen Wandel benötigte Wirkkraft nannte er Energie.1 So geläufig diese Größe derzeit ist, es dauerte zunächst bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts, um die Physiker für das Konzept zu interessieren. Dann fingen selbige vor dem Hintergrund der Industrialisierung an, sich um die Energie von Maschinen zu kümmern, und bei diesen Arbeiten kam ihre wundersame Eigenschaft zum Vorschein, konstant und unzerstörbar zu sein. Im 20. Jahrhundert konnte die theoretische Wissenschaft sogar klären, warum die Energie diese Qualität aufweist, und die erstaunliche und verblüffende Auskunft lautet: Die Energie ist konstant, weil die Zeit symmetrisch ist. Zeit ist "translationsinvariant", wie der Fachjargon die Tatsache ausdrückt, dass das Ergebnis einer Messung nicht davon abhängen kann, zu welcher Uhrzeit sie unternommen worden ist. (Müdigkeitserscheinungen und andere Trivialitäten sollen keine Rolle spielen.) Diese Symmetrieeigenschaft der Zeit hat mathematisch zwingend zur Folge, dass die Energie eine Erhaltungsgröße ist, und damit bekommt die Frage nach der Schöpfung ihre tiefste wissenschaftliche Dimension. Wie ist Energie in die Welt gekommen? Wie hat sie danach gewirkt? Was ist Energie überhaupt? Warum und wie hängt sie an der Zeit? Sind beide zusammen entstanden oder geschaffen worden?
Als Aristoteles die heute unentbehrliche Größe einführte, hatte er so etwas wie einen unbewegten Beweger der Welt im Sinn, dessen Rolle die Christen später ihrem Gott zuschrieben. Heute weiß man, dass die Energie selbst wandelbar und somit - wie auch der Mensch - als ein bewegter Beweger der Dinge zu verstehen ist. Das hat sie erneut mit Gott gemeinsam, der sich selbst im Denken von gläubigen Menschen im Laufe der Geschichte gewandelt hat. Es ist nun kein Zufall, dass sich diese Dynamik und die Energie nach 1800 durchsetzen, also zu der Zeit, in der sich neben der Industrialisierung auch die Kultur bemerkbar macht, die heute Romantik heißt. Das Charakteristikum des dazugehörigen Weltverständnisses kann man Isaiah Berlin zufolge in dem Satz zusammenfassen, "Es gibt nur Bewegung".2 Alles fließt, jeder einzelne Mensch wandelt sich und ist schöpferisch tätig, wobei zu beachten ist, dass ein Ich sich nicht selbst fertigstellt, sondern nur die Bewegung hervorbringt, in deren Verlauf es wird. Das Ich bildet sich und diese schöpferische Bildung kann sich so wandeln wie die Energie, die Menschen zum Leben brauchen und in ihren Körpern einen Stoffwechsel (!) am Laufen hält, der seine eigene Existenz einer evolutionären Geschichte verdankt. Es gibt nur Bewegung, vor allem im Leben selbst, und die Schöpfung kann wie die Wissenschaft niemals vollendet werden, wie die Romantiker gewusst haben.
Im 19. Jahrhundert gelingt den Menschen "Die Verwandlung der Welt",3 wie eine umfangreiche Geschichte dieser Epoche überschrieben ist, in der die Energie das Regime übernimmt und auch der Gedanke an eine Evolution des Lebens auftaucht. Er findet sich in dem berühmten Werk, in dem Charles Darwin 1859 seine Ansichten über den "Ursprung der Arten" veröffentlicht. Im letzten Satz geht er darin auf Gott ein. Darwin schreibt: "Es liegt etwas wahrlich Erhabenes in der Auffassung, dass der Schöpfer den Keim allen Lebens, das uns umgibt, nur wenigen oder gar nur einer einzigen Form eingehaucht hat und dass, während sich unsere Erde nach den Gesetzen der Schwerkraft im Kreise bewegt, aus einem so schlichten Anfang eine unendliche Zahl der schönsten und wunderbarsten Formen entstand und noch weiter entsteht."4
Mit anderen Worten: Darwin überlässt Gott den ersten Schritt der Schöpfung, bevor er dem Leben selbst die Chance gibt, sich zu differenzieren und die Möglichkeiten zu nutzen, die in der Welt dank ihrer Energie enthalten ist, deren Existenz wie ein Wunder erscheint und Menschen deshalb mehr verwundern sollte. Der Schöpfer tritt bei Darwin deshalb erst zuletzt auf, weil er bei seiner Betrachtung des Lebens weniger einen Gott und eher einen Teufel am Werk sah, der qualvolle Todeskämpfe, hinterhältige Betrugsverfahren und brutale Raubzüge in die Natur eingeführt hat. Heute wendet man sich davon ab. Menschen übersehen gerne, was Mark Twain einmal "die dunkle Seite des Mondes"5 genannt und womit er auf die Existenz des Bösen angespielt hat. Trotzdem stellt sich niemand die Schöpfung als Leistung eines Teufels vor. Wenn überhaupt, haben Menschen einen Gott bei der Arbeit gesehen, weshalb Darwins Gedanken zur Evolution einen Disput mit kirchlichen Autoritäten ausgelöst haben. Nur kurze Zeit nach der Publikation von Darwins Hauptwerk hat es ein öffentliches Streitgespräch zwischen einem Bischof namens Samuel Wilberforce und dem Wissenschaftler Thomas Huxley gegeben, den die Nachwelt als Darwins Bulldogge kennt. Die Debatte ist unglücklich verlaufen, weil der Bischof meinte, den Biologen fragen zu müssen, ob er väterlicher- oder mütterlicherseits von einem Affen abstamme.6 Als Folge dieses Fauxpas versuchen einige Naturforscher bis heute, mit der Idee der Evolution Gott als Schöpfer des Menschen abzuschaffen. Allerdings nicht sehr erfolgreich, wie noch gezeigt wird.
Darwins Bemühen um eine kausale Erklärung der beobachteten Variationen des Lebens können keineswegs den religiösen Hintergrund seiner Zeit verleugnen, aber ihm ging es nicht um antireligiöse - säkulare - Erklärungen, sondern darum, dem menschlichen Denken die Scheuklappen zu nehmen, die es sich von essentialistisch denkenden Philosophen wie Platon hatte aufsetzen lassen - und Christentum ist Platonismus für das Volk, wie Nietzsche bemerkt hat.7 Darwin wollte kein Naturtheologe, sondern ein Naturforscher sein, der ohne finale Argumente auskommen wollte und es unpassend fand, wenn Männer der Kirche 200 Jahre nach Johannes Kepler immer noch die Bibel befragten, wenn sie etwas über die Natur wissen wollten. Die Bibel ist kein Physikbuch, wie der gottesfürchtige Astronom bereits im 17. Jahrhundert meinte, und auch kein Lehrbuch für eine andere Disziplin, wie zu ergänzen ist.
Wenn man dem Philosophen Hans Blumenberg trauen darf, dann führte Darwin während seiner Weltreise auf der "Beagle" (1831-1836) eine Bibel mit sich, in der er das Datum der Weltschöpfung eingetragen hatte - "23. Oktober 4004 vor Christus, 9 Uhr vormittags".8 Was verblüfft, ist die Präzision der Zeitangabe. Offenbar war es "das korrekte Datum mit Uhrzeit", worauf es Darwin ankam, wie Blumenberg schreibt, der nach einer Meditation des Eintrags einen Schluss zieht: "Plötzlich meint man zu sehen, wie...
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