Schweitzer Fachinformationen
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Franz Böhmisch
Digitalisate zu Tobit und Sirach
Der Fortschritt in der Digitalisierung von Handschriften und Fragmenten, die sonst kaum für die Benützung freigegeben sind, schafft ganz neue Möglichkeiten für die Forschung. Das gilt nicht zuletzt auch für die Bibelwissenschaft, da es hier einen reichen Schatz an Texten und Fragmenten gibt, deren Aufarbeitung tiefere Einsichten in die Geschichte und Überlieferung des Bibeltextes liefert. Der Autor dieses faszinierenden Beitrags, ein ausgewiesener Spezialist in der Textforschung u. a. zum Buch Jesus Sirach, zeigt an konkreten Beispielen, wie neuere Computerprogramme spannende Einsichten selbst am heimischen Schreibtisch erlauben. (Redaktion)
"Die Bayerische Staatsbibliothek hat soeben ihr 2,5 millionstes Digitalisat online gestellt. Damit sind rund 70 Prozent ihres urheberrechtefreien Bestandes frei im Internet zugänglich." So steht es seit dem 12.11.2019 auf der Homepage dieser Institution.1
Meine Generation ("Konzilskinder") ist die erste, die seit ca. 25 Jahren mit dem Internet und der anwachsenden Verfügbarkeit von Daten und digitalen Reproduktionen (Digitalisaten) lebt und zugleich die letzte, die noch eine (fast) computerfreie Kindheit erlebt hat. Beides hat Vorteile.
Die Digitalisierung der Handschriftenkunde, gerade auch im Bereich der biblischen Handschriften, die uns hier interessiert, ist Element eines globalen digitalen Kulturwechsels.2 Die leichte Zugänglichkeit der digitalen Materialien führt zugleich zu einer Demokratisierung des Zugangs zu den Bibelhandschriften. Es ist gleichermaßen möglich, an den Handschriften zu arbeiten, ob man nun am Computer in einem Dorf im bayrischen Wald oder in Cambridge oder Jerusalem sitzt. Beispiele aus der Forschung zum Alten Testament sollen dies konkret aufzeigen: einesteils zu den hebräischen Tobit-Handschriften aus der Ben-Ezra-Geniza in Kairo und andernteils Beobachtungen zum griechischen Sirachtext.
QR-Code mit Linkliste http://bibelarbeit.net/digitalisate.html
Beim Stichwort Hebräische Handschriften denken die meisten Theologinnen und Theologen an Qumran. Alle Handschriften vom Toten Meer werden mit ausgezeichneten Fotografien in der Leon Levy Digital Library präsentiert: https://www.deadseascrolls.org.il/. Die Phase der Erst-Editionen der Qumranhandschriften ist jedoch weitgehend abgeschlossen. Ganz anders stellt sich die Situation bezüglich der fünfzig Jahre älteren Genizafunde aus Kairo dar, von denen noch tausende von Handschriften nicht einmal durchgesehen sind. In Kammern der Synagogen in Kairo (eine Geniza in der Ben-Ezra-Synagoge der palästinensischen Juden in Kairo und wohl eine weitere Geniza in der Karäersynagoge Dar Simcha, die vor allem der Karäer Firkowitch ausgebeutet hat und die sich hauptsächlich in St. Petersburg befinden3) wurden seit dem 19. Jahrhundert Handschriften gefunden oder über den Antiquitätenhandel verkauft, die teilweise über tausend Jahre dort abgelegt worden waren. Darunter finden sich tausende von Blättern mit liturgischen Texten und Gebeten entlang des dreijährigen Zyklus des jüdischen Gottesdienstes im Land Israel, der später durch den einjährigen Zyklus der babylonischen Juden ersetzt wurde, so dass diese Texte oft in Vergessenheit geraten sind. Die Genizot enthielten jedoch auch großartige Bibelfragmente, darunter wohl auch die einzigartigen Reste einer Torarolle im Ashkar-Gilson-Manuskript aus dem 7. oder 8. Jahrhundert.4 Mehrere tausend Handschriften bewahren Alltags-Dokumente wie Briefe, Bücherlisten, Petitionen oder Rechnungen in Hebräisch, Arabisch, Aramäisch, Syrisch, Persisch, ja sogar in Deutsch in hebräischen Buchstaben und berichten aus dem Alltagsleben von Juden, Christen und Muslimen in der damaligen multikulturellen Mittelmeergesellschaft. Die Bedeutung dieser dokumentarischen Zeugnisse hat vor allem Shlomo Dov Goitein in seinem Monumentalwerk "A Mediterranean Society" herausgearbeitet.5 Überraschend waren schon zu Beginn der Hatz auf die wichtigsten Handschriften in der Geniza auch hebräische Texte der Bücher Jesus Sirach, des Aramäischen Levi Dokuments ALD6 und der Damaskusschrift aufgetaucht, die fünfzig Jahre später in Qumran und Masada gefunden wurden, womit ihr Alter erwiesen war. Seit 2018 sind Digitalisate vieler hebräischer Handschriften aus aller Welt frei über das Portal "KTIV ????" (https://web.nli.org.il/sites/NLIS/en/ManuScript/) zugänglich, auch aus den Genizabeständen von St. Petersburg, die vorher nicht online zugänglich waren. Besonders über das Webportal des Friedberg Genizah Project (FGP) wurde es in den letzten Jahren möglich, online auf die Geniza-Fragmente aller Bibliotheken zuzugreifen. Um Zugang zu den Datenbanken des FGP zu erhalten, muss man sich auf http://genizah.org registrieren.
Durch die neuen computerbasierten Verfahren der Handschriftenanalyse, die im FGP implementiert worden sind, sind viel tiefgreifendere Möglichkeiten der Genizarecherche möglich geworden, deren Potenzial erst noch erschlossen werden muss, z. B. in der automatischen Erkennung zusammengehöriger Fragmente ("joins").
Bei einer Recherche im Mikrofilmraum der Nationalbibliothek Israels im Februar 20167 nach Fragmenten aus St. Petersburg, einer der umfangreichsten Sammlungen von Genizahandschriften weltweit, suchte ich auch gezielt nach einem Tobitfragment St. Petersburg Evr. III B 34, das im alten publizierten Katalog hebräischer Fragmente der Antonin-Sammlung in St. Petersburg von Abraham I. Katsh8 von 1962 bereits als hebräisches Tobitfragment verzeichnet war, früher aber nicht in der europäischen Literatur auftauchte. Evr. III B (manche zitieren nach dem Russischen die Abkürzung EBP, im Friedberg Genizah Portal FGP genizah.org lautet die Abkürzung Yevr.) bezeichnet in den Katalogen die Antonin-Sammlung und ist mit der Fragmentnummer 34 bei Katsh zu ergänzen. Bei der Durchsicht des Mikrofilms war zu erkennen, dass es zu dem bekannten Fragment T-S A45.25 in Cambridge gehört. Zurück im Hotel schaute ich mit dem Smartphone auf einem 4"-Bildschirm in das FGP und stellte fest, dass Rabbi Yosaif Mordechai Dubovick es im Diskussionsforum zum Fragment Moss. I,38 als join zugeordnet hatte, das mittlerweile bereits durch S. Bhayro veröffentlicht worden ist.9 Mit Hilfe des "Joins Suggestions"-Systems im FGP war ausgehend von T-S A45.25 (Taylor-Schechter Sammlung in Cambridge) sogar auf dem 4"-Smartphone T-S NS 151.4 als weiteres Blatt dieser Handschrift zu identifizieren. Zu Evr. III B 34 gibt es zwei Veröffentlichungen mit der Edition des Textes von Alexander Scheiber.10 Diese Erstedition ist in der europäischen Literatur wenig bekannt. Über das Bibliografie-System des FGP, in dem zu jedem Fragment die wichtige Literatur gesammelt ist, sind solche Angaben aufzufinden. Das St. Petersburger Fragment ist als Digitalisat nun seit 2018 auch im FGP enthalten.
Somit belegen mittlerweile sechs Geniza-Fragmente drei verschiedene Tobithandschriften aus der Ben-Ezra-Geniza11
1) T-S A 45.29 geschrieben von Joseph ben Jacob ha-Babli aus dem 12. Jahrhundert,
2) T-S A 45.26 und St. Petersburg Evr. III B 34 (= Yevr. III B 34 oder Antonin B 34) nach Stefan C. Reif nicht später als das 14. Jahrhundert und
3) T-S A45.25; T-S NS 151.4 und Moss. I,38 aus dem 15. Jahrhundert.
Das Tobitfragment T-S NS 151.4, das ich identifizieren konnte, gehört also zu der jüngsten Tobithandschrift aus der Geniza. Der Text dieses hebräischen Tobitmanuskripts entspricht weitgehend dem Tobittext H4 in der Edition von Stuart Weeks, Simon Gathercole und Loren Stuckenbruck12, der als "Rückübersetzung" aus griechischen Texten ins Hebräische verstanden wird, aus dem ersten Jahrtausend stammt und sich unterscheidet von der Qumranfassung des Tobitbuches.
Ein bisher kaum beachtetes Problem der Geniza-Papiere tritt bei dieser Tobithandschrift zu Tage: Es finden sich Wasserzeichen im Papier, was man auf den gängigen Digitalisaten nicht sieht. Ein solches Wasserzeichen, und zwar offensichtlich dasselbe, hat bereits Moshe Gaster in einer von ihm edierten anderen Tobithandschrift beschrieben, die mittlerweile nicht mehr existiert.13 Bei Qumran-Digitalisaten und in der "digital papyrology" werden mittlerweile häufig neben normalen Farbfotografien auch Infrarotaufnahmen oder gar multispektrale Aufnahmen gemacht und digital zur Verfügung gestellt, die oftmals erst die Lesung von verblichener Schrift ermöglichen.
Marina Rustow hat in einem zum Einstieg in die Arbeit mit Genizafragmenten empfehlenswerten Vortrag aus dem Jahr 201514 über die Suche nach Handschriftenverknüpfungen drei Wege zum Auffinden solcher "Joins" zusammengestellt: 1. Automated Joins, 2. By hand, 3. Hybrid method. In diesem Beitrag möchte ich eine weitere Möglichkeit ergänzen und ihre Anwendung beschreiben, nämlich 4. Recherche über computergenerierte Daten zu Zeilenabstand und...
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