Schweitzer Fachinformationen
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Es war die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, als sich das Leben wieder zu normalisieren begann, als ich eines Tages das begehrte Schreiben in meinen Händen hielt, dass ich, nach Prüfung meiner Unterlagen, an der Hebammenlehranstalt der Universitätsfrauenklinik in Würzburg angenommen worden sei.
Diese Schulen, die während des Krieges zu Lazaretten und Krankenhäusern umfunktioniert worden waren, wurden nun wieder ihrer eigentlichen Bestimmung übergeben.
Würzburg, die von Weinbergen umgebene Mainmetropole mit der Marienfeste und der berühmten Residenz, wurde für eineinhalb Jahre mein Zuhause. Die Stadt hatte im Krieg schrecklich gelitten und war zu großen Teilen zerstört, doch die Hebammenlehranstalt hatte nichts von ihrer Anziehungskraft eingebüßt, denn sie war, trotz Strenge, für ihre gute fachliche Ausbildung bekannt.
Schülerinnen, die aus den verschiedensten Berufen kamen, wurden hier für ihre spätere Aufgabe geschult. Ärzte und Lehrhebammen bemühten sich, uns im theoretischen, praktischen und ethischen Bereich das nötige Wissen zu vermitteln. Ich erinnere mich heute noch sehr genau an die Worte einer unserer Lehrhebammen, der Pflichtbewusstsein über alles ging: »Tun Sie immer Ihre Pflicht und manchmal mehr, denn nur so können Sie vor sich und anderen bestehen.« Schwester Ilse war eine Persönlichkeit, eine Frau mit Geistes- und Herzensbildung, die hohe moralische Wertvorstellungen hatte und bemüht war, uns diese zu vermitteln.
Sehr bald erkannte ich, dass Geburtshilfe den ganzen Menschen verlangt, ihn bis zum Letzten fordert und dass man von einem Glücksgefühl erfasst wird, wenn man vor dem Wunder einer Geburt und eines neuen Lebens steht. Mir wurde bewusst, dass es sich lohnt, sich mit ganzer und manchmal mit letzter Kraft einzusetzen.
Im Lauf der Zeit lernten wir auch die anderen Lehrhebammen kennen, die uns im praktischen Bereich zu schulen hatten. Eine von ihnen war Schwester Theresa, rotblond, groß, hager und stets verdrossen. Es lag nahe, dass die Schülerinnen bei ihr nichts zu lachen hatten, wenn ihre ein wenig krächzende Stimme tadelnd zu vernehmen war. Man sagte ihr nach, ihr Missmut liege in ihrer Vergangenheit begründet, weil ihre große Liebe, ein angehender Priester, sich nicht für sie, sondern für die Kirche entschieden habe. Sie schreibe ihm noch immer lange, sehnsuchtsvolle Briefe, die sie aber nie abschicke, hieß es, und seit jener Zeit stünde sie mit der Kirche auf Kriegsfuß. Irgendwie war sie ein bedauernswertes Geschöpf, aber immer, wenn sie einer Mutter ihr neugeborenes Kind in die Arme legte, veränderten sich ihre Gesichtszüge, sie wurden wärmer, weicher, und manchmal deuteten sie ein kleines Lächeln an.
Ganz anders in ihrem Wesen war Schwester Maria, die mit sich und der Welt, so schien es, zufrieden war. Sie sprach leise und nicht viel, sagte nur in knappen Worten, was zu sagen war, am liebsten aber schwieg sie. Ihr Erkennungszeichen war der weiße Schleier an der Schwesternhaube, der immer ein wenig flatterte, wenn sie leichtfüßig durch den Kreißsaal ging. Ich hatte das Glück, in ihrer Gunst zu stehen, weil wir beide aus Oberbayern stammten, den gleichen Dialekt sprachen und auch sonst einige Gemeinsamkeiten aufzuweisen hatten.
Ein Lichtblick war Schwester Else, ein Mensch mit goldenem Herzen und viel Verständnis für die Belange der Schülerinnen. Sie wurde von uns geliebt und verehrt, weil sie zu trösten und Mut zu machen verstand. Das war wichtig gerade für jene unter uns, die sich der Ausbildung nicht ganz gewachsen fühlten und besonders unter dem oft strengen Lehrbetrieb litten. Auch unter den Ärzten war Schwester Else sehr angesehen und aufgrund ihres überragenden Könnens und ihrer reichen Erfahrung als Assistentin in schwierigen Fällen gefragt. Sie war nicht nur in Geburtshilfe ausgebildet, sondern war während des Krieges auch als Lazarettschwester an der Front zum Einsatz gekommen.
Allerdings pflegte sie mit den Ärzten einen ziemlich rauen Umgangston. Sie kritisierte und tadelte gerne oder schalt junge Assistenzärzte überheblich und dumm. Es war nicht ratsam, sich mit ihr anzulegen, für uns Schülerinnen aber war sie der ruhende Pol und Anlaufstelle für unsere Ängste und Sorgen.
Normalerweise ist für Hebammenschülerinnen die Säuglingsstation naturgemäß der liebste Arbeitsbereich, aber zu meiner Zeit gab es in Würzburg ein erhebliches Hindernis. Hier regierten nämlich zwei Nonnen, deren Strenge ihresgleichen suchte. Schwester Petronella, klein und rundlich, hatte das Bedürfnis, uns Schülerinnen ständig zu kritisieren. Die Wärmeflaschen seien zu warm, dann wieder waren sie ihr zu kalt. »Wie oft muss ich das noch sagen?«
»Hoffnungslos, diese Schülerinnen!«, pflegte sie zu schimpfen. Mal waren ihr die Kinder zu fest gewi-ckelt, dann wieder fand sie diese »Wicklerei« zu locker. Es sei eine Schande, und für unser Examen sehe sie sowieso schwarz! Da war es noch harmlos, wenn sie zwischen den Kinderbetten hin und her watschelte und nur Selbstgespräche über die Dummheit der Schülerinnen führte.
Die zweite der gestrengen Nonnen war Schwester Claudia - jünger als Petronella und sehr intelligent. Sie hatte auf der Station das Sagen. Groß und dünn wie eine Bohnenstange, kam sie stets mit erhobenem Haupt daher und war sich ihrer Würde offensichtlich bewusst. Ihr Blick, so glaubte man, war weder nach rechts noch nach links gerichtet, und trotzdem entging ihr nichts. Zwischen diesen beiden Klosterschwestern kam es gelegentlich zu mehr oder weniger lauten Streitgesprächen, wobei Petronella stets den Kürzeren zog. In einem Punkt jedoch waren sie sich immer einig, dass dieser Kurs der dümmste sei, der je in diesem Haus abgehalten worden sei - eine Bewertung, die jeder Jahrgang zu hören bekam.
Erst viel später wurde mir bewusst, welch überragendes berufliches Können diese beiden Ordensfrauen besaßen. Ihr Rat und ihre Meinung galten uneingeschränkt bei jedem Arzt, und im Nachhinein hatte selbst ihre Strenge einen Sinn. Wir wurden geschult, die Kinder zu beobachten, schon an ihrem Schreien zu erkennen, ob sie gesund oder krank waren. Wir lernten, jede Regung wahrzunehmen und so Erkrankungen zum frühesten Zeitpunkt zu erkennen.
Natürlich wurden wir auch von Fachärzten unterrichtet, die uns die Regeln der Geburtshilfe und anderes mehr in theoretischer wie in praktischer Hinsicht beibrachten.
Einer unserer wichtigsten Lehrer war Dr. Neuhaus - ein Zyniker und überzeugter Junggeselle, der, auf seine Ehelosigkeit angesprochen, zu sagen pflegte: »Warum soll ich mir eine Kuh kaufen, wenn ich gele-gentlich ein Glas Milch trinken möchte?« Seine Ausdrucksweise war nicht immer erste Wahl, seine Aussprache laut, seine Worte hart und schneidend. Wir hatten heiligen Respekt vor ihm. Doch eines Tages, es war kaum zu glauben, bewies er, dass er das Herz am rechten Fleck hatte, dass er ganz anders sein konnte, als er sich nach außen gab.
Ein kleines Mädchen wurde eingewiesen, das durch eine Vergewaltigung übel zugerichtet worden war. Das Kind weinte, schrie und zitterte am ganzen Körper. Es reagierte mit heftiger Ablehnung auf alle Männer und ließ keinen Arzt an sich heran. Nur Dr. Neuhaus gelang es, die Kleine mit einfühlsamen Worten zu beruhigen. Er nahm sich sehr viel Zeit für dieses unglückliche Geschöpf und gewann so das Vertrauen des Kindes. Auch konnte er die körperlichen Verletzungen, die diesem Mädchen zugefügt worden waren, einigermaßen beheben, die seelischen Wunden jedoch konnte auch er nicht heilen. Da bedurfte es sicher eines langen Prozesses, wenn eine Heilung überhaupt jemals möglich war. Von nun an betrachteten wir jedenfalls diesen Mann mit anderen Augen, und im Rückblick auf diese Zeit habe ich erkannt, dass er trotz seiner rauen Schale ein großartiger Mensch, ein hoch qualifizierter Facharzt und ein guter Lehrer war, dem ich viel zu verdanken habe.
Ein wichtiges Unterrichtsgebiet war es, krankhafte Geburtsvorgänge und anormale Lagen nicht nur zu erkennen, sondern auch mit ihnen umzugehen, denn solches Wissen war vor allem notwendig bei Hausgeburten, wo man auf sich allein gestellt war. Hier unterrichtete uns Dr. Dubrausky, ein Arzt ungarischer Abstammung, der sich redlich bemühte, uns alle möglichen Szenarien in Theorie und Praxis zu erläutern. Später hatte ich noch oft seine Hinweise und Empfehlungen im Ohr, wenn ich in schwierigen Situationen Entscheidungen treffen musste.
Über allen Ober- und Assistenzärzten thronte Professor Burger, der »Gott in Weiß«, vor dem alle in die Knie sanken, besonders dann, wenn er schlecht gelaunt war. Er ging würdevoll und gemessen; bei ihm war es kein Gehen, sondern vielmehr ein Schreiten - ohne Hektik, ohne Eile. Hatte er, was selten genug vorkam, gute Laune, so erzählte er seiner Begleitmannschaft auf dem Weg zur Visite langatmige Witze, die jeder Komik entbehrten. Komisch war nur, dass seine Begleitung schallend lachte, obwohl es doch nichts zu lachen gab. Sie alle plagten uns mit ihren Referaten, Belehrungen, Ermahnungen, mit ihrer Strenge. Heute weiß ich, dass dies alles zu unserem Besten geschah und wir ihnen viel zu verdanken haben. Ohne sie wären wir nicht geworden, was wir sind...
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