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»Überraschung, Sophia!«
Allein dieses Wort löste in ihr Unbehagen aus. Bei Sophia Alvarez, ehemals Mordermittlerin in München, jetzt Polizeihauptmeisterin im niederbayerischen Bogen, schrillten sämtliche Alarmsignale. Wie vor einem Jahr, als sie degradiert und strafversetzt worden war.
Auch jetzt war es wieder da, dieses Gefühl, als würden sich zwei Hände um ihren Hals legen. Überraschung, so leicht, locker-flockig und gut gelaunt ausgesprochen. Es verhieß nichts Gutes. Zumindest nicht in ihrem Leben.
»Überraschung, Sophia!« Alexander, ihr Ehemann, besser gesagt Ex-Ehemann, war der Erste gewesen, der ihr das früher einmal durchaus positiv besetzte Wort für immer versaut hatte: »Ich hab mich in eine andere Frau verliebt. Du bist doch mit der Scheidung einverstanden, Sophia? Ich meine, du bist sowieso mehr mit deinem Beruf verheiratet als mit mir.«
»Überraschung, Mama!«, hatten ihre Kinder, die dreizehnjährige Emma und der siebzehnjährige Raffa, in den Chor der lebensverändernden Überraschungen mit eingestimmt. »Papa wird wieder Papa, und die Gaby, die ist echt okay!«
»Überraschung, Alvarez!«, das wiederum hatte August Ertl verkündet, ihr Ex-Chef bei der Münchner Mordkommission, nachdem sie wieder einmal zu eigenmächtig für seinen Geschmack und den Geschmack ihrer Kollegen gehandelt hatte. »Sie ziehen wieder Uniform an und gehen zurück in den Bayerischen Wald.«
An den Bayerischen Wald oder, um genau zu sein, das Donautal hatte sie sich wieder gewöhnt. Auch wenn sie noch immer den Architekten am liebsten verhaften würde, der ihr den Blick auf den Bogenberg mit seiner Wallfahrtskirche mit einem hässlichen Hochhaus versaut hatte. Jedes Mal wieder ärgerte sie sich darüber, wenn sie nach dem Besuch bei ihren Kindern von München zurück an den Ort fuhr, der noch immer nicht ganz ihr Zuhause war.
»Hat sich jemand über mich beschwert, Boss?«, hatte sie Ertl damals, vor über einem Jahr, gefragt, und er hatte geantwortet: »Es gibt niemanden, der sich nicht über Sie beschwert hätte, Alvarez.«
Am schlimmsten war jedoch die Auswirkung einer Überraschung gewesen, die ihr Emma vor knapp einem Jahr hatte bereiten wollen. Ein Überraschungsbesuch in Bogen, der niederbayerischen Kleinstadt, in die es Sophia verschlagen hatte. Back to the roots. Auf dem Bauernhof ihrer Familie mütterlicherseits. Der Vater ein portugiesischer Wanderarbeiter, von dem Sophia viele Jahre lang gedacht hatte, die Großmutter hätte ihn erschlagen, von dem sie aber heute wusste, dass er nach einem Streit einfach seine Sachen gepackt hatte und, ohne ihr eine Nachricht zu hinterlassen, weitergewandert war.
Auch eine Überraschung, auf die sie hätte verzichten können. Bis heute ahnte sie nicht einmal, was aus ihrem geliebten Vater, dem stolzen, schönen Tiago Alvarez, geworden war.
Nach der Trennung von Alexander hatten die Kinder entschieden, beim Vater, dem Baby und der neuen Frau zu bleiben, mit ihren regelmäßigen und gemeinsamen Mahlzeiten, Abend für Abend um einen gemeinsamen Tisch. Kein Pizzaholen oder den Kindern zwanzig Euro für einen Döner in die Hand drücken. Sie hatte gedacht, die Kids von heute fänden das cool. Offenbar war jedoch ökologisch nachhaltige Ernährung wichtiger als Mutterliebe.
Im Grunde hatten die Killer ihre Familie gekillt. Zu gut ihre Aufklärungsquote von fast hundert Prozent. Gebracht hatte es ihr auf Dauer allerdings nichts, außer einem Sohn, der bis heute noch nicht bei ihr in Bogen gewesen war. Im Gegensatz zu Emma, die ihre Mutter an jenem Tag hatte überraschen wollen. Eine Überraschung, die ihr Kind auf grausame Weise fast das Leben gekostet hätte.
Noch heute war die ganze Familie traumatisiert, und Alexander hatte ihr erst einmal das Leben schwer gemacht, indem er die Kinder gegen sie beeinflusst hatte. Bei Raffa war es ihm gelungen. Bei Emma nicht. Sie kam regelmäßig, um sie und die Oma auf dem Bauernhof zu besuchen.
»Polizeihauptmeisterin Alvarez, wo bist denn schon wieder mit deinen Gedanken?« Korbinian Hartl lächelte sie warm an. Sie mochte Korbinian, einen jungen, engagierten, gut aussehenden Mann, der gerade zum Polizeimeister befördert worden war. Seiner Freundin Cornelia zuliebe, die sich weigerte, aus dem Bayerischen Wald wegzugehen, hatte er sich aus der Oberpfalz nach Bogen versetzen lassen. Etwas, das ihr Ex Alexander niemals für sie getan hätte.
»Ich nehm an, unsere Mutter Teresa ist mit dem Kopf bei dem Typen, der sich unten in der Zelle den Kopf an der Wand blutig g'schlagen hat, damit er der Zeitung sagen kann, mir sind's g'wesen!« Kontaktbeamter Büchlein grinste. »Nur dass ihm halt keiner geglaubt hat, außer vielleicht die Sophia. Edel sei die Jägerin, aufrecht und gut.«
Jägerin, sie hasste den Spitznamen, der auf die grüne Uniform zurückzuführen war, die sie einige Zeit hatte tragen müssen, ehe Zöpfl ihr endlich die blaue bestellt hatte. Sie hatte für sie gekämpft, während sich die männlichen Kollegen über sie beklagten, weil bei der neuen angeblich der Hosenschlitz zu klein war. Sophia fragte sich, ob es tatsächlich so war oder ob niederbayerische Polizisten zum Größenwahn hinsichtlich ihrer Männlichkeit neigten. Sie würde es jedenfalls nicht überprüfen.
Sophia überlegte, ob sie Büchlein sanft darauf hinweisen sollte, dass Perspektivwechsel ein wichtiger Bestandteil der Ermittlungsarbeit waren. Andererseits glaubte auch sie keine Sekunde lang, dass ausgerechnet Korbinian, wie von dem Kleinkriminellen behauptet, zu so einer Tat fähig gewesen sein sollte. Ihre Instinkte, was Menschen anging, ließen sie nur selten im Stich. Und der eine oder andere Straftäter neigte nun einmal zur Selbstverletzung, um es einem Beamten aus Rache in die Schuhe zu schieben und dann mit dieser herzzerreißenden Story an die Presse zu gehen.
Sophia war auch schon mal das Opfer gewesen. Eines Jugendlichen, der sie beschuldigt hatte, sie geschlagen zu haben. Allerdings hatte er damals dabei übersehen, dass er fast zwei Köpfe größer und doppelt so umfangreich und doppelt so schwer wie sie war. Er war schon gescheitert, als er zeigen sollte, wie Sophia ihm das hätte antun sollen. Der Holzscheitl Peppi, ein kleiner Gauner, der auch schon mal beim Einbruch im Kellerfenster stecken geblieben war. A bisserl dämlich war er ja schon.
Büchlein wollte seinen Bierknödelbauch weiter aufpumpen, um mehr Volumen zum Spotten zu haben, doch Sophia unterbrach ihn scharf: »Um was geht's hier eigentlich? Ich muss noch den Bericht schreiben über die Geschwindigkeitsmessung auf der 2140 bei Haselbach.«
Mit ihrem Aufgabenbereich Verkehrssicherheit hatte sie sich abgefunden.
»Vierzehn Beanstandungen mit zwölf Verwarnungen«, ergänzte Korbinian Hartl trocken, »und zwei Anzeigen. Der Pfarrer Neuhaus war auch dabei.«
Büchlein grinste. »Hat er wieder mal sei Blaulicht benutzt, um schneller bei der Krankensalbung zu sein?«
»Ich glaub eher, er hat Hunger g'habt.« Auch Kim Mayer, blond, hübsch und Polizistin im zweiten Jahr, grinste. »Im Gasthof Engerling gibt's heut a Wildgulasch.«
Sophia wollte sich jedoch nicht mit Pfarrern auseinandersetzen, denen sie schon hundertmal erklärt hatte, dass das Blaulicht auf einen Polizeiwagen gehörte und nicht auf einen dunkelblauen Fiat mit Aufklebern wie »He counts the stars and calls them all by name. Psalm 147:4« oder »As the Deer pants for streams of water, so my soul pants for you, my GOD«.
»Einen Hirschen fürs Katholische benutzen«, hatte ihre Mutter mit einer Anspielung auf das britisch vornehme »Deer« geschimpft, »und ihn dann im Wirtshaus auffressen. Und wieso überhaupt in Englisch? Der Herr Prediger International.«
Dennoch musste Sophia unwillkürlich darüber lächeln, wie ein erzkonservativer Pfarrer wie Neuhaus seine Strategie geändert hatte. »Der Herrgott darf ned nur in der Kirch sichtbar sein«, hatte er beschlossen, »sondern er muss überall sein, damit nie mehr so was Grausames passiert wie im letzten Jahr zu Pfingsten.«
»Und warum dann ausgerechnet in Englisch?«, hatte ein Gemeindemitglied ihn gefragt.
»Damit a jeder versteht, worum's mir geht. Auch a ausländischer Tourist. Und die Flüchtling aus der Unterkunft sowieso.«
Die fürchterlichen Vorfälle im letzten Jahr hatten Pfarrer Neuhaus fast in eine Glaubenskrise geführt und ihn dazu gebracht, das fest im Kirchenrecht verankerte Beichtgeheimnis zu hinterfragen. Er war dabeigeblieben, beim Beichtgeheimnis und in der Kirch, aber »Jetzt«, so Sophias Mutter Annemarie weiter, »kommt man dem Pfarrer Neuhaus gleich überhaupt nicht mehr aus. Jetzt predigt er nicht nur in der Kirch oder schaut bei seinen Besuchen zuerst, ob da überhaupt a Kreuz in der Wohnstuben hängt, sondern jetzt is er auch noch Social-Media-mäßig unterwegs. Twittert die ganze Nacht wie der Trump präsidial posthum . Und sein Auto, also des vom Pfarrer, ned vom Trump, ist a einzige Litfaßsäule im Namen Gottes«.
Mit der für sie typischen Handbewegung wischte sich Sophia den Pony aus der Stirn, als wolle sie mit der Geste auch die inneren Bilder fortwischen, die noch immer, vor allem nachts, vor ihrem geistigen Auge und in ihren Träumen aufblitzten. Sie wandte sich automatisch an Korbinian, ihren Partner, mit dem sie seit geraumer Zeit Streife fuhr, wollte wissen, ob er ihr sagen könne, was es mit dieser Überraschung auf sich hatte, doch der zuckte nur mit den Schultern und nahm einen Anruf entgegen.
»Also los jetzt, um was geht's?« Sie wandte sich an Kim und Büchlein. »Was genau wollt ihr von mir?«
»Wenn wir dir des jetzt sagen täten, Sophia«, begann Kim Mayer, und Büchlein endete:...
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