Schweitzer Fachinformationen
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Alex
Das letzte Wegstück zurück nach Simlångsdalen glich einem hellgrünen Blättertunnel. Lange hatten wir nur still im Wagen gesessen. Ich mochte Carls Schweigen, er hatte nicht das Bedürfnis, ständig reden zu müssen. Ich sah ihn kurz an, und er lächelte.
An Carls Gesicht erinnerte man sich gut, auch wenn man es nicht gerade vor Augen hatte. Besonders eindrucksvoll waren sein kupferfarbenes Haar und die stahlgrauen Augen. Seine Persönlichkeit schien voller Widersprüche. Er war ordentlich, zugleich jedoch sehr impulsiv, dickköpfig, aber auch zugänglich. Eigentlich konnte ich mich auf ihn verlassen, mit Ausnahme der Phase, als er mit Andrea fremdging, da wich er mir aus und verstrickte sich in Lügen. Doch das lag nun hinter uns. Nachdem er monatelang um mich geworben hatte, hatte ich ihm schließlich verziehen.
Er nahm eine Hand vom Steuer und streichelte mich im Nacken.
»Wollen wir am Frauenhaus vorbeifahren?«, fragte ich.
»Heute nicht.«
Vor gar nicht langer Zeit hatte Carl entschieden, eine größere Summe von seinen Gewinnen aus Ash & Coal für den Bau und Betrieb einer Einrichtung zu verwenden, die Frauen einen geschützten Raum bieten sollte. Sie befand sich in Simlångsdalen, dem Heimatort seiner Mutter. Das Haus wurde von einem Geschäftsführer geleitet, also wurden wir dort nur selten gebraucht. Daher fragte ich Carl jetzt nicht, wo er hinwollte, vermutlich würde ich sowieso keine Antwort bekommen.
Auf einmal brach ein heftiger Regen herein und klatschte gegen die Windschutzscheibe. Carl griff wieder ans Lenkrad.
»Sorry, die Sicht ist schlecht«, sagte er.
Dann bog er vom Riksväg 25 ab. Rechts und links des schmalen Schotterweges stand dichter Wald. Hinter den hohen Bäumen erhoben sich große Felsen, hin und wieder versteckten sich dort auch ein paar Häuser. Ich merkte, dass wir uns jetzt tief im Tal befinden mussten. Als rechts und links wieder Wiesen auftauchten, bog Carl noch einmal ab, auf einen ganz schmalen, nahezu unpassierbaren Weg. Der Untergrund wurde immer schlechter, bis wir an einem roten Haus mit Schuppen vorbeikamen, das offenbar leer stand. Am Straßenrand blühten die Apfelbäume. Wieder folgte dichterer Wald, dann waren wir am Ende des Weges angelangt und blieben vor einem weißen Haus stehen. Carl parkte den Wagen, und wir stiegen aus. Auf dem Grundstück kämpften die Margeriten gegen Unmengen von Unkraut.
»Meinst du das?«, fragte ich skeptisch, denn dieser Ort entsprach eigentlich nicht Carls Geschmack.
»Ja, genau, Alex. Das möchte ich dir zeigen.«
Der Regen hatte ebenso schnell aufgehört, wie er losgebrochen war. Als wir dastanden, kehrte auch langsam das Licht zurück. Der Himmel wurde sekündlich heller, bis sich hinter den Wolken eine blasse Sonne abzeichnete. In dem großen Ahorn vor dem Haus raschelten die Blätter im Wind. Ein starkes Rauschen erklang von weiter unten. Ich machte ein paar Schritte auf das Haus zu, und da sah ich den Fluss. Etwa zehn Meter unterhalb des Grundstücks schlängelte er sich entlang, er tanzte und sprudelte, er schäumte und zischte, es war ja Frühjahr, nach der Schneeschmelze. An der Stirnseite des Hauses befand sich auf dicken Pfosten eine Dachterrasse, die zum Teil übers Wasser hinausragte. Carl stellte sich hinter mich und legte mir die Hände auf die Schultern. Er erklärte, dass sich dieser Fluss durchs ganze Dorf schlängelte, um dann in mehrere Seen zu münden und sich am Ende wieder zu einem Fluss zu vereinen und ins Meer zu fließen.
»Aber warum sind wir hier, Carl?«, fragte ich.
»Komm, ich zeige dir das Haus von innen.«
Wir stiegen die Treppe zum Eingang hinauf, die mit Plastikfolie voller Farbkleckse abgedeckt war. Carl hatte einen Schlüssel und öffnete die Haustür. Drinnen roch es nach Farbe, das Haus stand leer. Es gab zwei Schlafzimmer, ein Wohnzimmer, Küche und Bad. Auf die kahlen Wände fiel das Licht richtig hübsch. Gemütlich war es hier, sogar ohne Möbel. Der Boden, die Türen und Fenster waren aus hellem Holz, die Wände altweiß gestrichen. In der Mitte des Wohnzimmers stand ein Kachelofen, zwei Fenster gingen zum Fluss hinaus. Obwohl sie geschlossen waren, hörte man das Wasser rauschen. Carl nahm meine Hand und zog mich zur Kellertreppe. Das Untergeschoss bestand aus einem einzigen Raum mit Badezimmer und Kochnische. Aufgrund der Hanglage des Hauses gab es auch dort Fenster zum Fluss hinaus. Eine Glastür führte zu einer großzügigen Terrasse. Wir öffneten und standen dort mit einem einzigartigen Blick auf den Fluss. Carl zeigte auf ein kleines Wäldchen, das auch zum Grundstück gehörte, und erklärte, dass sich dort noch ein komplett eingerichtetes Gästehäuschen befand.
Er nahm mich wieder an den Schultern, drehte mich zu sich herum und sah mir in die Augen. Mein Herz machte einen Satz, denn es war nicht zu übersehen, wie sehr er dieses Haus mochte.
»Das Haus ist eine Oase und liegt an einem ganz besonderen Ort«, sagte er.
»Mir gefällt es auch . besonders.«
»Die Eigentümer haben gerade alles renoviert, aber es wird noch mindestens ein Jahr dauern, bis sie einziehen können. Bis dahin wird es vermietet.«
Ich begriff noch immer nicht, worauf er eigentlich hinauswollte.
»Das versteh ich nicht. Wofür brauchst du denn noch ein Haus?«
»Ich glaube, ein Tapetenwechsel und etwas Abstand zur Arbeit täten mir gut, nur für eine gewisse Zeit. Ich hätte Lust, etwas Neues anzufangen.«
»Wie? Hier draußen?«
»Ich spiele mit dem Gedanken, ein Buch zu schreiben.«
»Oh, und worüber?«, fragte ich.
»Keine Ahnung. Aber du kennst das ja, ich schleppe wirklich schweres Gepäck aus meiner Kindheit mit mir herum, und als Psychologe ist man immer ziemlich geschickt darin, die Traumata von anderen zu bearbeiten, um die eigenen aber einen großen Bogen zu machen. Ich glaube, für mich wäre es eine therapeutische Aufgabe zu schreiben.«
Ich wusste, dass Carl eine schlimme Kindheit gehabt hatte, doch nur selten sprach er darüber, und dass er seine Erlebnisse jetzt aufschreiben wollte, war wirklich neu. Und es klang gut.
»Dann möchtest du an den Wochenenden hier sein? Wie soll es sonst mit der Agentur weitergehen?«
»Ich glaube, damit bin ich jetzt durch«, sagte er und klang wirklich überzeugt.
»Wie? Ein für alle Mal?«
Das konnte ich kaum glauben. Niemals hätte ich gedacht, dass Carl sich von Ash & Coal trennen könnte, schließlich war diese Firma doch sein Lebenswerk.
»Ja, ich dachte, ich könnte sie Brett ganz überlassen. Allerdings muss ich für den Übergang wohl noch eine Weile im Vorstand bleiben.«
Brett war Carls Geschäftspartner und leitete ihr Büro in San Francisco. Er gehörte zu unserem engsten Freundeskreis. Brett hatte eine goldbraune Haut, und zwar im Kontrast zu verblüffend hellen Augen, die intelligent funkelten. Carl hatte ihn auf einer Reise nach San Francisco kennengelernt, und dort war ihnen auch die Geschäftsidee für die Datingagentur gekommen. In vielerlei Hinsicht unterschieden sie sich vollkommen. Während Carl ganz anspruchslos war, stand Brett auf Designerkleidung und hatte bei allem einen teuren Geschmack. Neben Brett wirkte Carl wie ein tapsiger Bär. Doch Brett war einer der witzigsten und fürsorglichsten Menschen, die ich überhaupt kannte. Als Carl mich betrog und ich ziemlich am Ende war, war Brett für mich da und kümmerte sich rührend - so half er mir durch die schlimmsten Tage. Und wenn ich jemanden zum Reden brauchte, wusste ich gleich, wen ich anrufen konnte, auch wenn er sich auf der anderen Seite des Großen Teichs befand.
»Aber möchte Brett dann nach Schweden umziehen?«, fragte ich.
»Da bleibt ihm wohl keine Wahl«, sagte Carl und zuckte mit den Schultern.
Er sagte das so gelassen, dass ich mich aufregte und laut wurde.
»Und was ist mit mir? Was soll ich anfangen?«
»Das kannst du frei entscheiden. Du kannst weiterhin in der Agentur arbeiten und mit mir die Wochenenden verbringen, oder wir nehmen uns gemeinsam ein paar Monate Auszeit.«
Langsam bekam ich das Gefühl, mit dem Rücken zur Wand zu stehen. Was er sagte, klang, als sei alles bereits beschlossene Sache.
»Aber, Carl, wie kommst du denn plötzlich auf diese Ideen?«
»Manchmal ist es eben Zeit, den nächsten Schritt zu tun«, erwiderte er vollkommen ruhig. »Sieh dich doch mal um. Kannst du dir nicht vorstellen, dass ich hier endlich wieder schlafen könnte?«
Damit hatte er vermutlich recht, dennoch fühlte ich mich übergangen. Schließlich war das ein vollkommen neuer Lebensentwurf.
»Okay. Und wann wirst du umziehen?«, fragte ich säuerlich.
Carl seufzte.
»Meine liebe Alex. Ich habe gedacht, du freust dich, weil ich endlich etwas gegen meinen unsäglichen Zustand unternehme.«
Damit hatte er recht, tatsächlich freute ich mich, ich hatte nur noch nicht weitergedacht.
»Weißt du .«, sagte er. »Es wäre so schön, wenn wir in diesem Sommer einfach hier Urlaub machen könnten. Nur wir zwei. Um zu allem, was passiert ist, ein bisschen Abstand zu gewinnen.«
Ich überlegte, versuchte, Carls Drehung um hundertachtzig Grad nachzuvollziehen, diesen Schritt von einem hektischen Berufsleben unter lauter einflussreichen Menschen zu einem Leben als Eremit tief im Wald. So schwer war es gar nicht zu verstehen. Es war offensichtlich, dass Carl nach dem Attentat die Freude an seiner Arbeit verloren hatte und sich nun irgendwie im Leerlauf befand. Seine Impulsivität war auch gar nicht neu. Als wir uns...
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