Svarvargatan 16.03
Der Tod .
David blickte vom Schreibtisch auf und betrachtete das gerahmte Foto von Duane Hansons Plastikskulptur Supermarket Lady.
Die übergewichtige Frau in dem rosa Pullover und türkisen Rock schob einen Einkaufswagen vor sich her. Sie hatte Lockenwickler in den Haaren, eine Fluppe im Mundwinkel. Ihre Schuhe waren ausgelatscht, umhüllten mit Mühe und Not ihre schmerzhaft angeschwollenen Füße. Ihr Blick war leer. Auf ihren nackten Unterarmen erahnte man eine violette Verfärbung, blaue Flecken. Vielleicht schlug ihr Mann sie.
Aber der Wagen war voll. Randvoll.
Konserven, Kartons, Tüten. Lebensmittel. Fertiggerichte, Mikrowellenessen. Ihr Körper war Speck, in die Haut gepresst, die ihrerseits in den hautengen Rock, den hautengen Pullover gezwängt war. Der Blick war leer, die Lippen pressten die Zigarette fest, man sah die Zähne. Ihre Hände umfassten den Griff des Einkaufswagens.
Und dieser Wagen war voll. Randvoll.
David sog Luft durch die Nase ein, konnte das billige, mit Kaufhausschweiß vermischte Parfüm der Frau beinahe riechen.
Der Tod .
Wenn ihm nichts einfallen wollte, wenn er zögerlich war, sah er sich immer dieses Bild an. Es war der Tod, das, wogegen man ankämpfen musste. Alle Tendenzen in der Gesellschaft, die auf dieses Bild hindeuteten, waren ein Übel, alles was davon fortstrebte, war . besser.
Die Tür zu Magnus' Zimmer öffnete sich, und der Junge kam mit einer Pokémon-Karte in der Hand heraus. Aus dem Zimmer hörte man Grodan Bolls erregte Stimme: »Nein, hör mal!«
Magnus hielt ihm die Karte hin.
»Papa, ist Dark Golduck Auge oder Wasser?«
»Wasser. Kleiner Mann, das müssen wir uns ein anderes .«
»Aber er hat doch Augenattacke.«
»Ja, aber . Magnus. Nicht jetzt. Ich komme zu dir, wenn ich hier fertig bin, okay?«
Magnus fiel die Zeitung ins Auge, die aufgeschlagen vor David lag.
»Was tun die da?«
»Bitte, Magnus. Ich arbeite. Ich komme gleich.«
»Schwedischer . Wodka . wird mit Pornos verkauft. Was ist Wodka?«
David schlug die Zeitung zu und packte Magnus bei den Schultern. Magnus wehrte sich, versuchte die Zeitung zu öffnen.
»Magnus! Ich meine es ernst. Wenn du mich jetzt nicht in Ruhe arbeiten lässt, habe ich nachher keine Zeit für dich. Geh in dein Zimmer, mach die Tür zu. Ich komme gleich.«
»Warum musst du immer arbeiten!«
David seufzte.
»Wenn du wüsstest, wie wenig ich verglichen mit anderen Eltern arbeite. Bitte, lass mich jetzt ein bisschen in Frieden.«
»Ja, ja, ja.«
Magnus entwand sich seinem Griff und ging in sein Zimmer zurück. Die Tür wurde zugeschlagen. David drehte eine Runde durchs Zimmer, wischte sich mit einem Handtuch den Schweiß unter den Armen weg und setzte sich wieder an den Schreibtisch. Die Fenster zum Kungsholms Strand standen weit offen, aber es regte sich kaum ein Lüftchen, und David schwitzte, obwohl er mit nacktem Oberkörper am Schreibtisch saß.
Er schlug die Zeitung wieder auf. Daraus musste sich doch einfach etwas Witziges machen lassen.
Schwedischer Wodka wird mit Pornos verkauft
Zwei Frauen von der Zentrumspartei gossen Wodka auf eine Ausgabe von Penthouse, um ihre Missbilligung zu demonstrieren. »Sie sind aufgebracht«, stand in der Bildunterschrift. David musterte ihre Gesichter. Er fand, dass sie vor allem vorwurfsvoll aussahen, als hätten sie den Fotografen mit ihren Blicken am liebsten pulverisiert. Der Alkohol lief über die nackte Frau auf der Titelseite.
Das Ganze war so grotesk, dass es schwierig war, etwas Komisches daraus zu machen. David ließ den Blick über den Artikel schweifen, versuchte einen Ansatzpunkt zu finden.
Foto: Putte Merkert.
Da war er.
Putte Merkert. David lehnte sich im Schreibtischstuhl zurück, schaute zur Decke und begann zu formulieren. Zwei Minuten später hatte er das Skelett zu einem Text, den er von Hand niederschrieb. Er betrachtete erneut die Frauen. Jetzt waren ihre anklagenden Blicke auf ihn gerichtet.
»Sie wollen sich also über uns und unsere Stellungnahme lustig machen?«, sagten sie. »Und was tun Sie selbst?«
»Ja, ja«, sagte David laut zu der Zeitung. »Aber ich bin mir wenigstens bewusst, dass ich eine Witzfigur bin, das unterscheidet mich von euch.«
Mit säuselnden Kopfschmerzen, die er seinen Gewissensbissen zuschrieb, formulierte er weiter. Zwanzig Minuten später hatte er einen Text, der okay war, vielleicht sogar witzig, wenn er sich ordentlich reinhängte. Er schielte zur Supermarket Lady hinauf, bekam jedoch keinen Fingerzeig. Möglicherweise handelte er in ihrem Namen, saß in ihrem Korb.
Es war halb fünf. Noch viereinhalb Stunden, bis er auf die Bühne musste, und er hatte jetzt schon ein mulmiges Gefühl im Bauch.
Er trank eine Tasse Kaffee, rauchte eine Zigarette und ging zu Magnus hinein, verbrachte eine halbe Stunde damit, sich mit ihm über Pokémon zu unterhalten, ihm beim Sortieren der Karten zu helfen und zu übersetzen, was auf ihnen stand.
»Papa«, fragte Magnus, »was arbeitest du eigentlich?«
»Das weißt du doch. Du bist doch schon mal mitgekommen ins Norra Brunn. Ich erzähle Sachen, und die Leute lachen darüber und . tja. Dann werde ich dafür bezahlt.«
»Warum lachen sie?«
David sah in Magnus' ernste achtjährige Augen und musste lachen. Er strich Magnus über den Kopf und antwortete: »Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht. Jetzt werde ich einen Kaffee trinken.«
»Oh. Du trinkst dauernd Kaffee.«
David stand vom Fußboden auf, der mit Karten übersät war. Als er an der Tür stand, drehte er sich um und betrachtete seinen Sohn, der eine Karte las, wobei seine Lippen die Worte nachbildeten.
»Ich glaube«, sagte David, »die Leute lachen, weil sie lachen wollen. Sie haben dafür bezahlt, hereinkommen und lachen zu dürfen, und dann lachen sie eben.«
Magnus schüttelte den Kopf und sagte: »Das kapier ich nicht.«
»Nein«, erwiderte David. »Ich auch nicht.«
Gegen halb sechs kam Eva von der Arbeit, und David nahm sie im Flur in Empfang.
»Hallo, Schatz«, sagte sie. »Wie geht's?«
»Der Tod, der Tod, der Tod«, antwortete David und hielt sich den Bauch. Er küsste sie. Ihre Oberlippe war salzig vom Schweiß. »Und dir?«
»Ganz okay. Ich habe nur ein bisschen Kopfschmerzen. Sonst geht's mir gut. Hast du was zu Papier gebracht?«
»Nein, es .« David machte eine vage Geste Richtung Schreibtisch. »Schon, aber es ist nicht besonders gut.«
Eva nickte. »Schon klar. Darf ich's mal hören?«
»Wenn du willst.«
Eva ging zu Magnus hinein und David auf die Toilette, wo er einen Teil der Nervosität aus sich herauslaufen ließ. Er blieb eine Weile auf dem Toilettenstuhl sitzen, betrachtete das Muster des Duschvorhangs aus weißen Fischen. Er wollte Eva den Text vorlesen, ja, es war zwingend notwendig, Eva den Text vorzulesen. Er war witzig, aber er schämte sich auch für ihn und hatte Angst, Eva könnte etwas über . seinen gedanklichen Gehalt sagen. Der durch Abwesenheit glänzte.
Er zog ab und wusch sich das Gesicht mit kaltem Wasser.
Ich bin Entertainer. Gut so.
Ja. Sicher.
Er bereitete ein leichtes Abendessen zu, Omeletts mit Pilzsauce, während Magnus und Eva im Wohnzimmer das Monopolyspiel herausholten. Als er am Herd stand und die Champignons briet, schwitzte er stark unter den Armen.
Dieses Wetter. Das ist doch nicht normal.
Ein Bild schoss ihm durch den Kopf. Der Treibhauseffekt. Ja. Die Erde als ein gigantisches Treibhaus. Weltraumwesen pflanzten uns hier vor Millionen von Jahren. Bald würden sie kommen, um zu ernten.
Er schaufelte die Omeletts auf Teller, rief, dass das Essen fertig war. Das Bild war gut, aber war es auch komisch? Nein. Aber wenn man eine Person von passender Prominenz nahm, zum Beispiel den Journalisten Staffan Heimersson, und sagte, er sei der getarnte Anführer der Weltraumwesen und somit habe Staffan Heimersson und kein anderer Schuld am Treibhauseffekt .
»Woran denkst du?«
»Ach, nichts. Nur, dass Staffan Heimersson schuld daran ist, dass es so heiß ist.«
»Okay .«
Eva wartete. David zuckte mit den Schultern. »Das war's schon. Im Großen und Ganzen.«
»Mama?« Magnus hatte endlich alle Tomatenstücke aus seinem Salat entfernt. »Robin hat gesagt, wenn es wärmer wird, leben wieder Dinosaurier auf der Erde, stimmt das?«
Während sie Monopoly spielten, wurden die Kopfschmerzen stärker, und alle ärgerten sich übertrieben, wenn sie Geld verloren. Nach einer halben Stunde unterbrachen sie das Spiel fürs Kinderprogramm im Fernsehen, und Eva ging in die Küche und kochte Espresso. David blieb auf der Couch sitzen und gähnte. Wie immer, wenn er nervös war, wurde er müde und wollte nur noch schlafen.
Magnus kauerte sich neben ihm zusammen, und sie schauten sich eine Dokumentation über einen Zirkus an. Als der Kaffee fertig war, stand David trotz der Proteste von Magnus auf. Eva stand am Herd und drehte an einem Regler.
»Komisch«, sagte sie. »Die Platte lässt sich nicht abstellen.«
Die Kontrolllampe am Herd weigerte sich auszugehen. David drehte willkürlich an ein paar Schaltern, ohne dass etwas geschah. Die Platte, auf der die Espressokanne gurgelte, war glühend heiß. Sie hatten keine Lust, sich in diesem Moment eingehender mit dem Problem zu beschäftigen, weshalb David seinen Text las, während sie den Espresso mit viel Zucker tranken und rauchten....