Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Es ging das Gerücht um, dass der Sternekoch Florian Leblanc kurz vor einem Nervenzusammenbruch stand. Enttäuscht über die jüngsten Vorkommnisse, würde er auf die Bühne stürmen, die Dekoration zusammenschlagen und die gesamte Preisverleihung sabotieren. Aber vielleicht machte er auch einfach gute Miene zu bösem Spiel, weil er genügend Tranquilizer eingeworfen hatte. Wenn er überhaupt erschien.
Niemand wusste Genaues.
Das Gedränge an der Bar nahm zu. Hunderte Arme streckten sich vor, und der Barkeeper gab sein Bestes, um alle so schnell wie möglich mit einem kostenlosen Glas moussierendem Wein zu versorgen. Topköche hielten Small Talk mit Restaurantkritikern, gastronomischen Inspiratoren, Promireportern, Bloggern und Kollegen aus der Branche. Überall klirrten Kristallgläser. Wangenküsschen links und rechts und der neueste Tratsch. Alle, die etwas galten oder gelten wollten in Stockholms Gastroszene, waren da.
Die Journalistin Solveig Berg drängelte sich zum Ende der lang gestreckten Bar vor. Dort stand eine Gruppe vollbärtiger Männer, die wie die Betreiber eines rustikalen Lokals mit Handwerkerpizza und Sauerbier aussahen, worüber sie vermutlich lebhaft diskutiert hätten, wenn sie nicht wie alle Anwesenden unter den Kronleuchtern des Gourmettempels Stockholm Grotesque in den eindrucksvollen Räumlichkeiten der ehemaligen Börse auf dem Stortorget in der Altstadt, etwas ganz anderes interessiert hätte.
In Kürze begann die jährliche Gold-Chef-Gala.
Was für einen Auftritt würde er hinlegen?
Die Frage nach Florian Leblanc' Reaktion war ein Thema, was die Leute weit über geschlossene Facebookgruppen und Instagramkonten hinaus beschäftigte. Wenn die Gerüchte stimmten, wovon alle ausgingen, würde heute Abend eine echte Bombe platzen. Zum ersten Mal würde der vor zehn Jahren ins Leben gerufene, heiß begehrte Gourmetpreis nicht an Florian Leblanc gehen, sondern an denjenigen, den er laut verlässlicher Quellen mehr als alle anderen auf der Welt hasste: an seinen ehemaligen Partner Jon Ragnarsson.
Sie hatten zusammen die beispiellos erfolgreichen Lokale Slaqteriet, Bistro Bisous und The Urban Farm aufgebaut, Restaurants, die alle möglichen Auszeichnungen und Michelin-Sterne geholt und es nur wenige Monate nach der Eröffnung auf die Toplisten der besten Restaurants weltweit geschafft hatten. Ihre Kreationen waren sensationell, sie verwandelten Moose und Flechten in Delikatessen und ließen lebendige Zwerghühner zwischen den Füßen der Gäste herumpicken, ehe sie auf den Tellern landeten. Es hatte Geld und Ehre auf das Kochduo geregnet, das den Grundstein für die neue gastronomische Welle im Norden gelegt und Stockholm zu einer der hippesten Feinschmeckerstädte Europas gemacht hatte. Alles, was sie anpackten, schien zu Gold zu werden.
Bis zu Florians überraschendem Rückzug.
Als der Barkeeper an Solveig vorbeiging, nutzte sie die Gelegenheit und nahm sich ein Glas Wein. Um sie herum wurden Glasplatten mit Schnittchen und Fingerfood gereicht. Minipasteten mit glasierter Schweinekruste und fleischiger Königskrabbe. Überbackener Lauch, gut gelagerter Pecorino, Seeigel. Die Geschmackshighlights des Jahres mit der Signatur von Jon Ragnarsson. Ein paar Blogger drängten sich vor und schossen Fotos der Delikatessen, während sie begeisterte Kommentare abgaben.
»Unglaublich, diese Tiefe im Käse.«
Solveig warf einen hastigen Blick in einen der vergoldeten Rokokospiegel hinter dem Bartresen. Das kurze Schwarze spannte unbequem am Rücken, und ihre Sneakers mit den weißen Sohlen schienen mehrere Größen geschrumpft zu sein. Das blonde schulterlange Haar, das sie normalerweise offen trug, hatte sie heute in einem strengen Knoten hochgesteckt. Lag es an der Kleiderwahl oder dem Styling, weshalb sie sich mit einem mal so unwohl fühlte?
Sie lockerte den Haarknoten ein wenig und probierte den Seeigel.
Der Rogen des stacheligen Meerestieres, der eigentlich cremig und füllig schmecken sollte, war eher fade. Solveig spülte ihn mit einem großen Schluck Wein herunter, aber der unangenehme Geschmack blieb.
Sie musste sich ins Gedächtnis rufen, dass sie hier war, weil ihre Kollegin und Chefin Vanja Stridh sie herzitiert hatte.
Vanja, die ähnlich wie Solveig keinen Small Talk mochte und eigentlich diese Art von Veranstaltungen hasste, war an diesem Abend hier, um den großen Preis, den Gold-Chef, zu überreichen. Warum die Veranstalter ausgerechnet sie für diese Rolle ausgewählt hatten, war schon eigenartig.
Vanja Stridh war mit einer hohen Abfindung und der Begründung, dass ihre Artikel angeblich die Inserenten verschreckten, aus ihrem langjährigen Job als Gastronomiejournalistin bei einer der überregionalen Tageszeitungen rausgekickt worden. Von der Abfindung hatte sie eine eigene, unabhängige und kritische Nachrichtenseite gegründet, Dark Tables, und Solveig als einzige Angestellte rekrutiert. Vanjas vorrangiges Ziel war es, die Wahrheit ans Licht zu bringen, wie unbequem sie auch sein mochte. Essen und Restaurantbesuche betrafen jeden Menschen und verlangten ihrer Meinung nach kritischere Stimmen als ein paar Branchenspezialisten, die von einem kostenlosen Luxuslunch zum nächsten rannten, um später wohlwollend positiv über die großzügigen Gastgeber zu schreiben.
Seit mehreren Wochen war Vanja an einer Sache dran, die ihre gesamte Zeit in Anspruch nahm und so topsecret war, dass sie bislang noch nicht einmal Solveig eingeweiht hatte. Aber heute sollte Solveig endlich erfahren, worum es ging. Ursprünglich hatten sie es bei einem Kaffee in der Wohnung der Chefredakteurin in Hammarby Sjöstad besprechen wollen. Aber das Treffen hatte Vanja kurzfristig abgesagt. Eine knappe Stunde vor Beginn der Gala hatte sie sich gemeldet und gesagt, dass sie sich im Stockholm Grotesque treffen würden.
Die aufgestylten Gäste wurden vom Gastgeber des Abends, Karl Fredrick Unge, am roten Teppich in Empfang genommen. Der Schirmherr des Events war eins der wirklichen Schwergewichte in der Welt der Gastronomie. Ein eleganter, leicht ergrauter Mann Mitte sechzig mit großen Gesten und scharfem Blick. Bekannt für seinen exzentrischen Stil, respektiert für sein Geschick und gefürchtet für seine Macht. Jemand, mit dem man sich besser gut stellte, da es um große Summen ging. Das Preisgeld von einer halben Million Kronen war sicher nicht zu verachten, auch wenn es sich, verglichen mit dem Gewinn, den das Restaurant des Siegers abwarf, um Peanuts handelte.
Aufrecht und mit geradem Rücken begrüßte er alle ankommenden Gäste mit so festem Handschlag, dass einige schmerzhaft das Gesicht verzogen. Einige der Neuankömmlinge gingen weiter zur Fotowand, während andere einfach vorbeigewinkt wurden.
Das Gedränge wurde unerträglich. Hoffentlich kam Vanja nach der Preisverleihung gleich zu ihr, damit sie sich an einen ruhigeren Ort verziehen und ungestört reden konnten.
Endlich schien etwas zu passieren.
Spontaner Applaus brach los. Die bärtigen Männer neben Solveig jubelten, einer pfiff, dass ihr die Ohren klingelten. Sie holte tief Luft und schaute zum roten Teppich.
Zuerst erschien das Gefolge der Assistenten.
Danach ein Hofstaat langer, solariumbrauner Fotomodels.
Dann endlich Jon Ragnarsson selbst.
Sein Smoking spannte über dem Bauch und warf Falten auf dem Rücken. Er fuhr sich nonchalant mit der Hand durchs kurze Haar, das von Wachs und möglicherweise Schweiß glänzte. Das runde Gesicht mit dem leicht fliehenden Kinn glühte rot. Jon Ragnarsson wurde eskortiert von seiner Frau auf der einen Seite, einer blondierten Schönheit mit einer Vergangenheit als Soapstar, und einer älteren Dame auf der anderen Seite, vermutlich seine Mutter. Er zog seine übliche Show vor den Kameras ab: breites, anzügliches Grinsen, ein zugekniffenes Auge, Cowboypirouette und ausgestreckter Zeigefinger in die Kameralinsen. Blitzlichtgewitter. Seine Frau lächelte strahlend und versuchte, die Schwiegermutter mit aufs Bild zu kriegen, aber die gute Frau steuerte bereits resolut auf die Bar zu.
Die Unterhaltungen und Spekulationen wurden wieder aufgenommen.
Solveig schnappte aus allen Richtungen Gesprächsfetzen auf. Wo steckte Florian? Hatte er an der Tür kehrtgemacht und war wutentbrannt davongerannt? Es herrschte eine aufgeputschte Stimmung. Die Barkeeper hatten alle Hände voll zu tun. Alle schienen vor der Preisverleihung und dem anschließenden Bankett mindestens drei, vier Gläser in sich hineinkippen zu wollen.
Solveig entdeckte Vanja vorn vor der Bühne ins Gespräch mit Karl Fredrick Unge vertieft. Vanja sagte etwas, das ihn zum Lachen brachte, ein Lachen, in das augenblicklich die jungen Köche mit einstimmten, die in einem Halbkreis um ihn herumstanden. Jemand kam zu ihnen, tippte Karl Fredrick Unge diskret auf die Schulter und flüsterte ihm etwas ins Ohr, worauf er und Vanja sich umdrehten und zur Fotowand schauten.
Es wurde schlagartig still. Nur das Klicken der Kameras war zu hören.
Florian Leblanc war eingetroffen.
Er stand einsam vor der Wand mit den Sponsorenlogos. Solveig betrachtete die lange, dürre Gestalt, die Anlass zu unzähligen Scherzen gegeben hatte - man sagte, alle liebten sein Essen, nur er nicht. In dem schmal geschnittenen Anzug sah er noch ausgemergelter aus. Er lächelte professionell in die Kameras, aber sein Blick, die dunklen Augen, aus denen sonst Funken sprühten, waren leer.
Als alle hatten, was sie wollten, verließ er den Teppich.
Das Menschenmeer teilte sich, man trat zur Seite, machte ihm Platz. Er ging weiter in den großen Saal hinein und blieb nur wenige Meter von Solveig entfernt stehen. Das gereichte Glas leerte er in einem Zug. Solveig überlegte, ob sie die Gelegenheit...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.