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Bring mir den Gruber-Vertrag nachher ins Büro
Lucy ließ den Zettel sinken und legte ihn zurück auf den Küchentisch. Die Morgensonne strahlte durchs Fenster. Während sie unter der Dusche gewesen war, hatte sie die Haustür zufallen hören. Sascha war deutlich vor ihr aufgestanden und bereits zur Arbeit gefahren. Sie hatten heute Morgen nicht miteinander gesprochen, stattdessen hatte er ihr eine Anweisung auf den Tisch gelegt. Lucy stellte die Kaffeemaschine an, und der aromatische Duft erfüllte bald die gesamte Küche. Noch bevor das Wasser ganz durchgelaufen war, hatte sie den Zettel zerknüllt und in den Müll geworfen.
»Herr Gruber? Ich bin in wenigen Minuten bei Ihnen!« Lucy hetzte in großen Schritten in Richtung des Cafés. Die Bahn war leider unterwegs zweimal stehen geblieben, und jetzt war sie verdammt spät dran. Heute ärgerte sie sich besonders, dass sie kein eigenes Auto besaß und sich in all der Zeit nicht längst eins zugelegt hatte, sondern immer noch bei Sascha mitfuhr. Im Grunde ziemlich lachhaft.
»Nur die Ruhe, Frau Asbeck. Es drängt uns niemand«, antwortete Herr Gruber durch das Telefon.
Wenn Sie wüssten, dachte Lucy.
»Bis gleich!« Sie legte auf. Dort vorne war die Abzweigung, und das Café lag links um die Ecke. Ihre Aufregung verstärkte sich, je näher sie dem Zuckerzeit-Café kam, und dafür gab es eigentlich keinen Grund. Oder? Sie musste kein schlechtes Gewissen haben, schon gar nicht Sascha gegenüber. Nein, das war es auch nicht. Eher etwas anderes. Ein alarmierendes Gefühl, eine Unruhe, es war ihr, als würde sie etwas Wichtiges übersehen.
Dabei wusste sie nicht einmal genau, was sie hier wollte, was sie tun würde. Ihr nächtlicher Spaziergang und ihre Grübeleien hatten sie immer nur bis zu einem bestimmten Punkt gebracht, an dem sie nicht weiterkam. Es war wie eine Wand, gegen die sie lief, oder eine verschlossene Tür, die sie nicht öffnen konnte. Oder wollte? Das vermochte sie nicht zu sagen. Es war ein bisschen albern, aber sie hatte das Gefühl, mit Gruber reden zu müssen, um mehr Klarheit zu erlangen. Dabei glaubte er, dass sie nur wegen des Vertrags vorbeikam. Lucy hatte auch keine Ahnung, wie sie das Gespräch beginnen und was sie überhaupt sagen sollte. Ja, da war diese Wand, die verschlossene Tür, aber seltsamerweise ahnte sie, dass es dahinter noch etwas gab. Etwas, das sie sehen und erfahren wollte. War es dumm von ihr zu glauben, dass ein pensionierter Cafébesitzer ihr dabei helfen würde?
Vielleicht.
Aber sie hatte niemand anderen, mit dem sie sprechen konnte, und außerdem war sie die einzige Person, die in der Lage war, Herrn Gruber heute vor einem schweren Fehler zu bewahren.
Die Tür des Cafés stand offen, und an den Wassertropfen auf dem Boden erkannte sie, dass Herr Gruber bereits die Blumen in den Kübeln sowie das Nektar-Café gegossen hatte. Sie tauchte in den Schatten des kleinen Ladens ein und brauchte einen Moment, um sich an die Lichtverhältnisse zu gewöhnen. Was ihr aber sofort in die Nase stieg, war der Duft nach frischem Kaffee, in den sich diese zimtige Note mischte, die schon gestern das Café umweht hatte.
»Frau Asbeck!« Herr Gruber kam durch eine Tür, die vermutlich zur Backstube führte. Er trug ein Tablett mit Tellern, einer Schale und Tassen darauf. »Da sind Sie ja.« Er stellte das Tablett auf einen niedlichen kleinen Tisch direkt neben dem Fenster und streckte ihr dann die Hand entgegen.
»Guten Morgen«, sagte Lucy und ergriff sie. Wieder dieser warme, beruhigende Händedruck.
»Sie wirkten etwas gehetzt am Telefon. Setzen Sie sich doch erst mal. Kaffee?«
»Ja, sehr gern«, sagte Lucy und meinte es auch so. Sie wollte gerade nichts lieber, als sich auf diesen Stuhl sinken lassen und mit Herrn Gruber eine Tasse Kaffee trinken, auch wenn das Gespräch nicht einfach werden würde. Es war seltsam, aber seit sie das Café betreten hatte, fühlte sie sich irgendwie anders. Lucy schaute durch das Fenster hinaus auf die Straße, die ihr wie eine andere Welt erschien. Dort draußen, hier drinnen. Vielleicht lag es an der Einrichtung, diesem gemütlich-chaotischen Landhausstil, bei dem alles zusammenpasste und doch jedes Teil seine eigene Persönlichkeit mitbrachte. Als wollte Herr Gruber diesen Eindruck noch verstärken, schenkte er aus einer blass türkisfarbenen Kanne mit Rosenmuster den Kaffee in zwei hellgelbe Tassen.
»Das waren die Lieblingstassen meiner Marianne«, meinte er, und Lucy hatte den Eindruck, dass er ihre Gedanken las. »Die haben wir immer zu besonderen Anlässen herausgeholt. Nehmen Sie Zucker?«
»Heute ausnahmsweise mal ja.«
»Es wird mir schwerfallen, das alles zurückzulassen«, sagte er und setzte sich ihr gegenüber. »Wissen Sie schon, wie Sie es anstellen werden mit dem Café? Sie können gern das Geschirr übernehmen, die Kunden haben es immer geliebt, wobei ich die Tasse von meiner Marianne gern mitnehmen würde.«
Lucy starrte in ihren Kaffee. Meine Güte, sie hatte gehofft, dass sie sich besser fühlen würde, wenn sie erst einmal hier saß, aber plötzlich war alles noch schlimmer. Vor ihrem inneren Auge sah sie einen Container, der vor dem Café abgestellt wurde. Männer in blauen Overalls trugen die Tischchen samt Geschirr und den niedlichen Stühlen hinaus und warfen sie in den Container .
Lucy zuckte zusammen.
»Was haben Sie denn? Ist der Kaffee zu heiß?«
»Wie? Nein. Nein, entschuldigen Sie. Es ist nur .« Lucy ließ den Blick durch den kleinen Laden schweifen. Ja, sie konnte sich vorstellen, dass die Leute diese Tassen geliebt hatten. Und die Stühle, die Tischdeko, die gemütlichen Sitzecken, das Bücherregal.
Lucy fuhr sich durchs Haar. Nein, sie konnte so nicht weitermachen. Es ging einfach nicht. »Herr Gruber, ich muss Ihnen etwas sagen. Unsere Firma hatte nie vor, dieses Café zu erhalten. Das heißt, ich selbst bin schon davon ausgegangen, aber dann habe ich herausgefunden, dass hier alles umgebaut werden soll.«
»Wie meinen Sie das? Soll das heißen, das Café Zuckerzeit .«
»Es gibt dann kein Café Zuckerzeit mehr, Herr Gruber. Mit Ihrer Unterschrift löschen Sie es aus.« Lucy sah ihm in die Augen und erschrak über den Ausdruck darin. »Deshalb habe ich Sie gestern von der Unterschrift abgehalten.«
»Das . Das ist .« Herr Gruber tastete nach seiner Tasse, als suchte er Halt in der Erinnerung an seine verstorbene Frau. »Danke, dass Sie mir das gesagt haben. Ich weiß gerade nicht . Mir fehlen die Worte.«
Aus einem Impuls heraus legte Lucy ihre Hand auf die seine. Sie fühlte sich kühler an als eben. Deutlich kühler. »Noch ist nichts passiert, Sie haben nichts falsch gemacht. Das Café gehört nach wie vor Ihnen, und alles ist noch da.«
»Aber ich kann es nicht halten, das schaffe ich nicht mehr, irgendetwas muss ich tun. Welche Möglichkeiten bleiben mir denn? Wohin kann ich gehen? Mir ist schon bewusst, dass der Laden vielleicht nicht ewig erhalten bleibt. Aber ich dachte, ich wäre bei Ihnen an einer guten Adresse. Der Herr Schröder war so nett und verständnisvoll.«
»Ja, das kann ich mir denken.« Lucy fühlte, wie die Wut wieder in ihr aufstieg, aber das konnte sie gerade nicht gebrauchen. Sie musste einen kühlen Kopf bewahren. Für sich selbst. Für Herrn Gruber.
»Passen Sie auf, wir machen es so. Wir treffen uns heute Abend wieder hier. Dann werde ich eine Lösung für Sie haben.«
»Welche Lösung könnte das sein?« Er wirkte nicht wirklich überzeugt, aber Lucy entdeckte auch einen Funken Hoffnung in seinen Augen, und dieser Funke sprang auf sie über, weckte in ihr ein Gefühl, das sich nicht abschütteln ließ. Und eigentlich wollte sie das auch gar nicht. Seit sie im Café Zuckerzeit Platz genommen hatte, war ihr, als würde die verschlossene Tür in ihrem Kopf sich einen Spalt öffnen. Schon beim Betreten des Cafés hatte sie es gespürt, und sie wusste, dass es ein Fehler wäre, darüber hinwegzugehen. Früher hatte sie sich immer auf ihr Gefühl verlassen. Wann hatte das aufgehört? Sie wusste es nicht. Aber irgendwann zwischen ihrer Arbeit am Empfangstresen, oberflächlichen, pseudohöflichen Meetings und Geschäftsessen mit Sascha und seinen Kontakten hatte sie diese Fähigkeit verloren. Ihre Inspiration. Diesen Schub kreativer Ideen, den sie früher oft gehabt hatte. Lucy entschied in diesem Moment, dass sie sich dieses Lebensgefühl, an das sie sich nur noch vage erinnerte, zurückholen würde.
»Ich muss selbst noch darüber nachdenken, aber ich lasse Sie nicht im Stich. Wichtig ist nur, dass Sie nicht bei Schröder Consulting anrufen oder Anrufe entgegennehmen, bis ich wieder hier bin.«
»Gut. Dann machen wir das so. Ich bin gespannt, was Sie austüfteln.« Herr Gruber stand auf, und Lucy folgte seinem Beispiel. »Dank Ihnen habe ich noch eine Chance. Ich will nur sagen, auch wenn Sie es nicht schaffen, wenn Sie das Zuckerzeit nicht retten können, dann rechne ich es Ihnen hoch an, dass Sie es versucht haben.«
Sie schüttelten sich die Hände. »Ich tue, was ich kann. Bis heute Abend.«
Herr Gruber nickte. Auch wenn er sich wacker hielt, merkte Lucy ihm den Schrecken noch an. Wahrscheinlich hatte er gedacht, sie käme mit dem Vertrag vorbei, er würde unterzeichnen und alles gut werden .
Lucy trat durch die Tür ins Freie. Die Frühlingssonne wärmte ihr Gesicht, und sie verharrte einen Moment. Fast wünschte sie sich, dass Marianne Gruber noch lebte, dass das Café noch lief und sie sich einfach an einem Tisch niederlassen und etwas bestellen konnte. Mit einem schönen Stück Kuchen mit Sahne hier sitzen und die friedliche Atmosphäre genießen....
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