Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Ein Schicksal, das fast eine Million Russland-Deutsche teilten
Nummer-1-Bestseller-Autorin Hera Lind erzählt die wahre Geschichte der Schwarzmeer-Deutschen Lydia, die erst 16 Jahre alt ist, als sie in einen sibirischen Gulag verschleppt wird.
1944 beginnt für die 16-jährige Lydia ein Alptraum, der nicht enden will: Als die Rote Armee auf ihr kleines Dorf bei Odessa in der Ukraine vorrückt, flieht die Familie. Sie schaffen es sogar bis nach Deutschland, doch sie werden zurückgeholt. Mit Mutter und vier Geschwistern wird Lydia bei minus 50 Grad nach Sibirien verschleppt. Zwölf unbarmherzige Jahre lang kämpft sie in einem Gulag ums Überleben und wird Mutter von acht Kindern, von denen sechs überleben. Als man sie endlich aus dem Lager entlässt, ist der eiserne Vorhang dicht. Weitere zwölf Jahre irrt sie mit den Kindern durch die Sowjetunion, immer nur ein Ziel von Augen: um jeden Preis mit ihnen nach Westdeutschland gelangen, auch wenn sie da noch nie war. Denn Deutschland ist ihre Heimat!
Ein bewegender Tatsachenroman über ein Schicksal, das fast eine Million »Russland-Deutsche« geteilt haben
Herzzerreißend, aber nie ohne Hoffnung: Bestseller-Autorin Hera Lind erzählt in ihrem Tatsachenroman »Um jeden Preis« eine wahre Geschichte, die aufrüttelt und tief erschüttert.
Geboren wurde ich am 26.06.1927 in einem deutschen, römisch-katholischen Dorf namens Hahnhofen, in der Nähe von Odessa am Schwarzen Meer. Das Dorf war sehr klein. Es hatte nur fünfzig Häuser und keine tausend Einwohner. Es gab in unserer Familie bereits ein älteres Kind, meine Schwester Katja, die war zweieinhalb Jahre alt, als ich das Licht der Welt erblickte. Meine Eltern waren fleißige Landwirte, die Tag und Nacht ihr kleines bisschen Grund bewirtschafteten.
Unsere Vorfahren waren schon vor zweihundert Jahren aufgrund von russischen Werbern, die ihnen fruchtbares Land und ein gutes Auskommen versichert hatten, in die Ukraine ausgewandert. Als sie im viel gepriesenen gelobten Land ankamen, standen sie kniehoch in tiefem sumpfigem Morast. Es gab nichts, nur Lehm und feuchten Boden. Aber unsere Vorfahren krempelten die Ärmel und Hosenbeine hoch und begannen, sich ihre neue Heimat urbar zu machen. Man nannte sie die Schwarzmeerdeutschen. Die Gesellschaft der Schwarzmeerdeutschen war agrarisch geprägt. Die Auswanderer wirtschafteten anfangs fast ausnahmslos als kleine Landwirte und Bauern auf jenem Boden, den ihnen der russische Staat zur Verfügung gestellt hatte.
Zur Haupteinnahmequelle wurde der Getreideanbau, da das Getreide vom Schwarzmeerhafen in Odessa im 19. Jahrhundert zollfrei ausgeführt werden konnte. Die günstigen Produktions- und Absatzbedingungen bei Getreide sorgten schließlich in weiterer Folge für wirtschaftlichen Wohlstand und führten zur Gründung von weiteren Siedlungen. Angebaut wurden auch Gemüse, Wein und Obst. In der Tierhaltung waren Bienen, Seidenraupen und Merinoschafe dominierend. In Odessa ließen sich viele ausgewanderte deutsche Handwerker nieder. Daraus gingen später Fabriken für landwirtschaftliche Maschinen und Geräte hervor.
Meine Eltern waren wie alle Bewohner dieses kleinen Dorfes sehr fromm. Nach mir wurden noch drei weitere Kinder geboren, sodass wir eine kinderreiche, fromme und arbeitsame Familie waren.
Katharina (geboren 1925)
Ich, Lydia (geboren 1927)
Eduard (geboren 1928)
Elisabeth (geboren 1930)
Michael (geboren 1932)
Die Kirche bildete den Mittelpunkt des kulturellen Lebens der Schwarzmeerdeutschen. Praktisch trug der Gebrauch von Bibel und Gesangbuch dazu bei, dass die deutsche Sprache in der Fremde erhalten blieb. Der Schulunterricht für die Kinder war eng mit der Kirche verbunden, da es nur eine Kirchenschule gab. Im 20. Jahrhundert gründeten die deutschen Kolonisten auch höhere Schulen. Leider konnte ich nicht in die Schule gehen, denn als ich etwa fünf Jahre alt war, überfiel unser Land eine große Hungersnot.
Josef Stalin beschloss damals laut Geheimakten, die Bewohner der Ukraine aushungern zu lassen, aus Angst vor der Bauernrebellion gegen die Bolschewiken. Bereits 1930, als ich drei Jahre alt war, gab es vonseiten der ukrainischen Bauern eine Rebellion gegen die Verstaatlichung der hart erarbeiteten Ernten und erwirtschafteten Güter, gegen die Kollektivierung der Landwirtschaft. Die Antwort Stalins darauf war eine geplante und durchorganisierte Nahrungsmittelentwendung. Er schickte Brigaden aufs Land, die die Dörfer durchkämmten und alles beschlagnahmten. Er nahm den Leuten das Essen weg. Jedes einzelne Korn. Meine Eltern leisteten daraufhin jahrelang Zwangsarbeit in der Kolchose, während wir vier Kinder im Bett lagen mit geschwollenen Hungerbäuchen. Katharina, acht Jahre alt, ich, Lydia, sechs, Lisa, drei Jahre, und der kleine Michael, ein halbes Jahr alt, wir waren auf uns selbst gestellt. Unsere Eltern waren auch sehr geschwächt, mussten aber raus auf das Feld, um die »Missernte« einzubringen, wie es hieß. Nach außen hin wurde kolportiert, dass es an den Hitzeperioden und der Dürre lag, dass unser Volk verhungern musste. Stalin wusste, dass die Leute in der Ukraine verhungerten. Er nahm es nicht nur in Kauf, sondern es war sein Plan, damit die Bauern nicht mehr gegen die Verstaatlichung rebellieren konnten.
Bei der großen Hitze brach auch unser Vater zusammen, lag ein paar Wochen im Bett und konnte nicht zur Arbeit gehen. Da schleppte sich unsere tapfere Mutter, inzwischen wieder schwanger, allein aufs Feld und war zwölf bis vierzehn Stunden dort auf den Beinen. Das war unser großes Glück, denn sie konnte ihren Hunger auf dem Feld stillen, mit Weizenkörnern. Es war streng verboten und wurde mit Gefängnis oder sogar dem Tode bestraft, wenn man etwas vom Felde mit nach Hause nahm. Es gehörte jetzt alles dem sowjetischen Staat, auch die Landwirtschaftsgeräte, das Vieh und die Pferde. Aber der Hunger zwang die Menschen dazu, etwas mitzunehmen, denn ein jeder hatte ein Haus voller Kinder, die zu Hause am Verhungern lagen. Meine Geschwister und ich hatten seit Monaten das Licht nicht mehr gesehen, wir lagen mit Hungerbäuchen in einem dunklen Raum und konnten nicht mehr aufstehen. So brachte unsere Mutter jeden Abend eine Handvoll Weizen, den sie etwas anröstete und mit der Kaffeemaschine zu Mehl mahlte, womit sie dann eine dünne Schleimsuppe kochte. Wir Kinder bekamen nur einen Teller Wassersuppe am Tag. Der Vater bekam zwei Teller, denn er sollte ja schnell wieder auf die Beine kommen. Sobald es dem Vater etwas besser ging, musste er wieder zur Arbeit gehen.
Die Männer arbeiteten mit den bereits verstaatlichten Pferden, die dringend bei der Ernte gebraucht wurden. Der Vater war noch so schwach, dass er nicht allein in den Leiterwagen hochsteigen konnte. So musste die Mutter ihm einen Stuhl hinausbringen und ihn stützen, damit er auf den Wagen steigen konnte. Nun kam auch der Vater abends vom Feld zurück und brachte eine Handvoll Weizenkörner. Die hatte er unter seiner Mütze im verklebten Haar versteckt. Die Mutter ließ ihre Handvoll Weizen in ihren Büstenhalter fallen, wo sie sofort am verschwitzten Körper haften blieben. So hatten unsere Eltern ihr Versteck und wurden nicht erwischt.
Am Abend, wenn die Eltern sich von den Körnern befreiten und jedes einzeln von ihrem Körper abklaubten, warf die Mutter sie in ein Sieb und hielt sie unter das Brunnenwasser, bevor sie sie in einer Pfanne röstete. Sie mahlte die Körner mit der Kurbel der Kaffeemühle und kochte damit eine Weizenschleimsuppe. Nun bekamen auch wir Kinder zweimal am Tag einen Teller Suppe. Das arme Vieh litt ebenso großen Hunger wie wir, denn die Viehweide war in diesem heißen Sommer braun verbrannt, sodass die Tiere nichts zum Fressen fanden. Das ausgeklügelte Drainage-System, das bereits unsere deutschen Vorfahren angelegt hatten, war von Stalins Brigaden zerstört worden. Die große Dürre trug dazu bei, dass die Kühe fast keine Milch mehr gaben. Der Staat verlangte mehr Milch von einer Kuh, als sie geben konnte. Mutter erzählte: Wenn man fünf Liter gute Milch abgeliefert hatte, bekam man drei Liter entrahmte Milch wieder zurück, die sie für die Schleimsuppe verwendete. Das war alles, was unsere Familie zu essen bekam, und das fast drei Jahre lang.
Es folgte das Jahr 1934 mit einem noch größeren Schrecken: Zu der großen Hungersnot kam eine Seuche mit Erbrechen und Blutdurchfall dazu. Dieser Krankheit fielen pro Haushalt zwei bis vier Kinder zum Opfer. In unserer Familie starben alle meine drei kleinen Geschwister: Eduard mit vier Jahren, Lisa mit drei Jahren und Michael mit einem halben Jahr, und kamen zusammen in ein Grab. Die Bäuche von uns beiden großen Schwestern, Katharina und mir, Lydia, waren so geschwollen, dass wir kaum laufen konnten. Wenig später kam die kleine Klementine zur Welt: Mutters sechstes Kind, das sie geboren hatte, aber das dritte, das überlebte.
Ganze Familien und ganze Ortschaften, deren Straßen für den Ein- und Ausgang gesperrt wurden und auf das »schwarze Brett« eingetragen wurden, starben aus. Auf solch einem »schwarzen Brett« landeten Dörfer, die Getreidebeschaffungspläne nicht erfüllten. Dies bedeutete die völlige Isolation von der Außenwelt. Sie wurden von Truppen umgeben, die für die Bewohnerinnen die Lebensmittellieferungen komplett abschnitten, bis alle Menschen innerhalb des Dorfes starben.
Die Brigaden holten alle Lebensmittel ab, und später kamen sie zurück: »Warum lebst du noch? Wo hast du das Essen her?« So mancher wurde daraufhin erschossen. Sie wollten sicherstellen, dass alles Essbare aus der Ukraine entfernt wurde und diese Nation nicht mehr gegen die Verstaatlichung ihres Eigentums rebellieren konnte.
Fast vier Millionen Ukrainer und damit auch die Deutschen, die dort seit Generationen lebten, verhungerten. Bei einer Umfrage, die 1937 durchgeführt wurde, erfuhr Stalin von dem entsetzlichen Ausmaß, doch er ließ die Leute, die die Befragung durchgeführt hatten, erschießen, und die Welt sollte nichts darüber erfahren. Es sollte heißen, die Hungersnot sei durch eine große Dürre und Missernte entstanden, und nicht durch Willkür. Es war eine bewusste politische Entscheidung Stalins, die Leute verhungern zu lassen, und ich, Lydia, bin eine der letzten Zeitzeuginnen, die davon berichten.
Wie durch ein Wunder überlebten wir: der Vater Josef und die Mutter, Marianna, mit uns drei verbliebenen Kindern Katja, Lydia und Klementine. 1937 erblickte unser kleiner Bruder Jakob das Licht der Welt, und gleichzeitig kamen wir großen Mädchen, zwölf und zehn Jahre alt, das erste Mal in die Schule.
Wegen der Hungersnot und der damit verbundenen Seuchen war der Unterricht über Jahre ausgefallen. 1936 wurden alle deutschen Schulen in der Ukraine geschlossen, Lehrkräfte wurden verhaftet, und Ukrainisch wurde als Unterrichtssprache eingeführt. Die...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.