Schweitzer Fachinformationen
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Am nächsten Morgen stand ich lange vor dem Spiegel. Ein kleiner fieser Kater pochte hinter meinen Schläfen. Der Kantinensekt. Wir hatten ja auch vier Flaschen geleert und schon eine Menge kollegialen Spaß gehabt! Die zweideutigen Bemerkungen der Herren waren an meinem Komikzentrum abgeprallt wie von einem Trampolin, und ich hatte mit noch viel zweideutigeren Bemerkungen zurückgeschossen, so dass sich am Ende sogar Thomas Rischmüller für mich schämte und sich seine Pudelmütze über das Gesicht zog - nach dem Motto »Ich kenne des Menschen nicht«. Na ja, ich war halt völlig durch den Wind vor lauter Glück, und am Ende auch richtig betrunken. Dass dieser Kelch an mir vorübergegangen war! Das Mörsenbroicher Ei konnte nun jemand anderem im Halse stecken bleiben!
Was sollte ich denn jetzt anziehen? Ein Outfit nach dem anderen flog nach kurzer Begutachtung auf mein Bett.
Zu bieder, zu brav, zu albern, zu bunt, zu anbiedernd, zu lässig, zu fein. Zu spießig, spießig, spießig!
Lauter Borkenkäfer-Panzer! Alles Lehreroutfits!
40 Augenpaare würden mich heute taxieren!
Eigentlich hatte ich nichts anzuziehen. Nichts.
Auch Thomas Rischmüller konnte mir keinen brauchbaren Ratschlag geben, als ich ihn panisch anrief. »Zieh doch einfach dasselbe an wie gestern.«, riet er mir in seiner unnachahmlich kreativen Art. »Das sah doch prima aus.«
Wahrscheinlich hielt er sich selbst an diese goldene Regel, 365 Tage im Jahr.
»Ist das nicht ein Ding? Gestern um diese Zeit wusstest du noch gar nicht . und jetzt bist du . Mensch, Wanda! Die stehen auf dich!«
»Aber nicht mehr lange! Ich hab nur Klamotten für den Mörsenbroicher Container«, jammerte ich, während ich mir mit einer Hand die Schläfen massierte. »Aber danke, dass du mich vor dem gerettet hast. Das werde ich dir nie vergessen.«
Von Thomas Rischmüller war keine modische Beratung zu erwarten. Wie blöd von mir, ihn anzurufen. Auch meine Mutter wollte ich unter keinen Umständen jetzt schon in die kurzfristige Planungsänderung in meinem Leben einweihen.
Sie hätte mir außerdem zu einem »gediegenen, bescheidenen Auftreten mit flachen, geputzten Schnürschuhen und wenig Make-up« geraten.
Endlich hatte ich mich für einen schwarzen Rollkragenpullover (Über-Ich), eine schwarze Lederhose (Ich) und meine gewagten schwarzen Lackstiefel (Es) entschieden. Die Lackstiefel waren zwar ganz schlicht, aber hochhackig - sonst hätte ich keinen einzigen Eyecatcher gehabt. Die Stiefel sollten von meiner Problemzone Haupthaar ablenken. Denn natürlich hatte ich keine Zeit gehabt, mir schnellstens neue Strähnchen und einen anständigen Schnitt machen zu lassen. Mein Es hatte übrigens schon einen winzig kleinen Seitenblick auf den bollernden Präsidenten-Robert geworfen, auch wenn mein Über-Ich das schmallippig und mit strengem Blick leugnete.
Die Stiefel waren deutlich besser als die schneerändrigen Treter von gestern. Mein Ich nickte zufrieden. Das Outfit war schlicht und klassisch und betonte meine langen Beine. Was anderes wollte ich nicht betonen, deshalb der Rollkragenpullover. Schließlich wollte ich mir unter meinen neuen Kolleginnen keine Feinde machen.
Dann sang ich mich in meinem winzigen Badezimmer vor dem Spiegel lange und gründlich ein, wobei ich mir sinnlos den Lockenstab durch die Haare zog und keinerlei Plan hatte, wie meine Frisur für den ersten Probentag aussehen sollte. Nach rechts oder nach links gescheitelt? Nach hinten, streng aus dem Gesicht? Oder nach vorn, mit seitlich fallendem Pony? Wie war meine Frisur eigentlich gestern gewesen? Hatte ich überhaupt eine gehabt?
O Gott, ich würde mit dem Ensemble nach Amsterdam fliegen . Am kommenden Montag schon! In vier Tagen. Wahnsinn! So etwas Verrücktes! Ich war noch nie zuvor in Amsterdam gewesen. Und wie würde wohl die Zimmerverteilung aussehen? Steckten die einen nach Geschlechtern getrennt in Mehrbettzimmer? Wie auf einer Klassenfahrt? Wer schlief oben, wer unten? Und machte der Blockwart, äh, Herr Kleinehellefort um zehn das Licht aus? Würden wir Kissenschlachten veranstalten? Oder wenigstens eine Mitternachtsparty? Bestimmt würden wir abends am Kamin romantische Lieder zur Gitarre singen. Wahnsinn, mit 40 Sängerinnen und Sängern auf Reisen zu sein! Ich war so aufgeregt, dass meine Hände zitterten. Und meine Stimmbänder auch.
***
Über meinem unentschlossenen Hin und Her hätte ich fast die U-Bahn verpasst, aber schließlich saß ich drin.
Um Punkt zehn Uhr würde die erste Probe meines Lebens mit dem Klassisch-TV-Ensemble beginnen.
Hatte der Gutknecht doch gesagt - »Morgen, zehn Uhr«.
Ich räusperte mich nervös. War ich zu früh? Das wäre peinlich. Anbiederisch. Streberhaft. Zu spät? Noch viel peinlicher!
Was erwarteten die von mir? Dem jüngsten Neuzugang ever? Sie würden mich mit Argusaugen und -ohren .
Wie sollte ich mich benehmen?
Kind, sei natürlich und bescheiden und rede nur, wenn du gefragt wirst.
Also, hallo erst mal, ich weiß nicht, ob Sie es schon wussten, aber mein Name ist Wanda . Wanda Zapf. Auch genannt »die Zapfsäule«. Weil ich so trinkfest bin. Hohoho. Ich hörte den Präsidenten-Robert schon lachen.
Bloß keine Anbiederei! Nein, auf keinen Fall.
Guten Morgen, ich bin die Neue, wo darf ich sitzen?
Im Geiste hörte ich Herrn Kleinehellefort mit zitterndem Schnauzbart schnarren: »Die Neuen sitzen nicht, die stehen. Und zwar mit dem Gesicht zur Wand. Und kriegen alle halbe Stunde mit der Stimmgabel was hinter die Löffel.«
Ich stellte mir die Gesichter von gestern vor, die zwei Reihen mit den Notenpulten. Wo würde ich eingereiht werden? Wer würde mein Nachbar sein? Wann würde ich in das erste Fettnäpfchen tappen? Wann den ersten Einsatz verpatzen? Wann in eine Generalpause hineinblöken? Wann den Ersten mit dem falschen Namen ansprechen?
Mein Blick irrte durch die volle U-Bahn, die sich gerade wieder in eine Kurve warf, so dass alle Fahrgäste durcheinanderpurzelten. Und plötzlich sah ich ihn. Zwischen Jugendlichen mit herunterrutschenden Hosen und Schlägerkäppis, zwei kichernden Mädels, die sich gegenseitig mit dem Handy fotografierten, anderen Passagieren, die stehend an Schlaufen Halt suchten, und älteren Damen, die ängstlich ihre Handtaschen umklammerten, saß er neben einem Rentner, der seinen Zwergschnauzer an sich presste. Eingequetscht wie ein Hering in der Dose.
Ein säuerlicher Hering. Mit heruntergezogenen Mundwinkeln. Ein wirklich deprimierter Bückling.
Verschanzt hinter einer Bild-Zeitung. Eigentlich sah ich sein Gesicht nur im Spiegel der Glasscheibe. Aber er war es. Der korpulente Korrepetitor von gestern. Herr Gutknecht.
Mein Herz klopfte für einen Moment noch unrhythmischer als ohnehin schon den ganzen Morgen. Mein Es, also der Kindergarten in meinem Gehirn, wollte zu ihm hüpfen, ihn am Jackenärmel zupfen und krähen: Hallo, na so ein Zufall! Da sitzen wir in derselben U-Bahn. Wenn das nicht lustig ist. Vielen Dank übrigens, dass du mir gestern so nett das A gegeben hast. Ohne dich hätte ich das Lied von der toten Zahnbürste nie geschafft. Und jetzt sind wir Kollegen. Juchhe! Wie heißt du denn mit Vornamen? Kommst du auch mit nach Amsterdam? Willst du oben oder unten schlafen?
So abweisend, wie Herr Gutknecht schaute, traute sich mein Ich allerdings nicht, auch nur in dieselbe Richtung zu denken wie mein Es, während mein Über-Ich tadelnd den Kopf schüttelte. Kind, das geht gar nicht. Und wehe, du biederst dich an. Lass den Mann in Ruhe, der hat andere Sorgen.
So sah er auch aus. Nicht gerade zum Jubeln aufgelegt.
Jetzt zog er sein Handy aus seiner zerknitterten Joppe und drückte es sich freudlos ans Ohr. Missgelaunt sprach er hinein, schüttelte den Kopf und klappte es wieder zu. Das sah mir nicht nach einer herzlichen Verabredung aus. Ob Herr Gutknecht eine Frau Gutknecht hatte? In diese und andere wirren Gedanken verstrickt, stieg ich am Dom aus der U-Bahn und trabte hinter dem Korrepetitor her. Sogar sein Gang strahlte schlechte Laune aus. In gebührendem Abstand krabbelte ich hinter ihm ans Tageslicht.
Wow! Was für ein Anblick war das heute am helllichten Tage! Die Wintersonne schien, der dunkelblaue Himmel blendete mich, die schwarz anmutenden Domtürme ragten über mir auf wie riesige Leibwachen. Auf dem Wallrafplatz wimmelte es von Menschen. Das pulsierende Leben! Hier sollte also in Zukunft mein Arbeitsplatz sein, nicht in einem Schulcontainer in Mörsenbroich. Großer Gohott, wir lohoben dich! Die Glocken begannen zu läuten, als wollten sie mich in diesem neuen Leben willkommen heißen. Ich konnte mein Glück kaum fassen. Wie gern hätte ich den Korrepetitor von hinten umarmt! Wie gern wäre ich mit ihm über die Domplatte getanzt! Wie gern hätte ich ein Küsschen auf sein kummerfaltenüberzogenes Gesicht gedrückt!
Der freudlose Herr Gutknecht hingegen schien weder den Dom noch die feierlich läutenden Glocken noch den blauen Himmel, geschweige denn mich durchgedrehte Freudentänzerin wahrzunehmen. Ohne sich auch nur einmal umzudrehen, bog er scharf links ab und verschwand in seiner Lieblingskneipe.
Zum armen Ritter. Als ich daran vorbeikam, fiel gerade die Schwingtür hinter ihm ins Schloss.
Man plazierte mich im zweiten Alt in der zweiten Reihe. Dazu musste ich mich an einer ziemlich beleibten Kollegin vorbeizwängen, die mich abschätzig musterte.
Die erste Reihe schien man sich als Neue erst noch verdienen zu müssen, oder vielleicht wollten auch die drei Damen, die mir die...
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