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DANI, 20, AUS SYRIEN
Brust raus, Arsch raus - und dann dieses Lächeln. Wenn Dani den Raum betritt, dann ist das stets ein Auftritt. Die Menschen können nicht anders, sie müssen sich einfach nach ihm umdrehen. Selbst wenn sie Dani nur aus dem Augenwinkel sehen. Er erntet dann nicht nur Blicke, er setzt auch Gedanken in Gang. Die haben natürlich mit seinem Äußeren zu tun: androgyn, auch mal männlich, besonders aber weiblich. Und Dani wäre nicht Dani, wenn er seine feminine Seite verstecken würde. Er setzt sie gekonnt in Szene.
"In Syrien war ich ganz offen schwul. Ich habe mich nie verstellt." Schon mit elf Jahren wurde ihm klar, dass ihn Männer reizen und nicht Frauen. Früh mit reichlich Selbstbewusstsein ausgestattet, war das Coming-out gegenüber seiner Mutter der schnelle, nächste und logische Schritt. Dann war die Öffentlichkeit dran. Dani wurde in kürzester Zeit zu einem schwulen Facebook-Star. "Ich habe meinen Stil sehr offensiv gelebt. Und diese Offenheit hat mich schließlich berühmt gemacht" sagt er.
Doch gehörte wohl noch mehr dazu, um diese Bekanntheit zu erlangen. Die große Bühne ist die seine. Auf Facebook startete er mit Partybildern und Selfies, zeigte sich mit den hübschesten Jungs des Viertels. Dann wurde es richtig abwechslungsreich: Dani im Kurt Cobain-Look mit Zigarette im Mundwinkel, am Strand im Sixties-Stil, in Nahaufnahme - mal verwegen, mal elegant, immer porentief. Ein paar Klicks weiter streckt er die Beine wie die Bardot gen Himmel, mimt den Überraschten im knappen Höschen, gibt sich als Fußballstar mit großen Kopfhörern und Pornobrille, dann wieder äußerst lasziv. Mal posiert er mit seiner vollen Weiblichkeit, dann wieder markant männlich. Weil das alles nicht aufgesetzt, sondern spielerisch wirkt, stieg die Zahl seiner Facebook-Freunde rasant. Wurde er durch die sozialen Medien gar zum bekanntesten Schwulen seines Landes? Die Frage gefällt ihm. Mit einem schelmischen Grinsen bleibt er nicht eindeutig: "Ja, oder vielleicht."
Er selbst bezeichnet sich nicht als Aktivist, hat nie in einer Schwulenorganisation mitgemacht, auch demonstrieren ist seine Sache nicht. Oder doch? War nicht jedes neue Bild auf seinem Profil, jeder Gang über die Straße eine stolze Demonstration seines Andersseins und für das Anderssein? Noch dazu in einem muslimischen Land, in dem Schwule im Gefängnis landen können? Ich denke, er war ein Aktivist. Wenn auch nicht im klassischen Sinne.
Vor dem Krieg wurden Schwule in Syrien nur selten strafrechtlich verfolgt. Jetzt, im Krieg, befassen sich Strafverfolgungsbehörden eher mit anderen Dingen. Doch der Krieg hat auch und speziell für die Schwulen viele negative Folgen. Eine davon: die Verrohung der Gesellschaft. Schwule sind in Syrien jetzt vogelfrei. Sie werden geächtet. Sie werden dort einfach von Hochhäusern geschmissen - und niemanden interessiert es. Am wenigsten Polizei und Justiz. Wer gar als Schwuler im IS-Gebiet leben muss, muss sich unsichtbar machen, um zu überleben: Das Terrorregime steinigt, erschießt und köpft Schwule auf öffentlichen Plätzen.
Der nächste Gedanke war: "Ich muss hier weg."
"Am Anfang bekam ich Drohungen über Facebook. Dann hatten sie die Nummer meines Smartphones und haben mir die Drohungen direkt geschickt. Irgendwann kamen die Leute auf der Straße auf mich zu, beleidigten mich und sprachen die Morddrohungen ganz offen aus. So selbstverständlich wie man jemanden grüßt."
Zu den Morddrohungen kamen Ansagen, er würde schon bald vergewaltigt werden. Grotesk, aber wahr: In vielen arabischen Regionen gilt der aktive Mann nicht als homosexuell. Bei einer Vergewaltigung muss er sich demnach auch nicht um seinen Ruf sorgen.
"Auch die Polizei hat mich mehrmals mitgenommen, von der Straße aufs Revier. Sie fragten mich immer wieder, warum ich solche Kleidung trage und wieso ich so aussehe." Immer wieder gab er die gleichen Antworten: "Es ist mein Leben. Ich tue, was immer ich tun möchte. Und ich kleide mich, wie es mir gefällt."
Von Kriegsmonat zu Kriegsmonat wurde die Situation aussichtsloser für ihn. Und trotz seiner inneren Stärke war dann irgendwann der Punkt erreicht.
"Ich konnte das nicht mehr aushalten."
Während er diese Worte ausspricht, verschwindet sein typischer, optimistisch-kämpferischer Gesichtsausdruck. Er wirkt jetzt keinesfalls zerbrechlich, wahrscheinlich kann man Dani auch gar nicht brechen. Doch seine Mimik verrät: Es geht um seine größte Niederlage.
"Unter diesen Umständen hast du als Schwuler in diesem Land keine Zukunft. Das muss man akzeptieren." Sein nächster Gedanke war dann: "Ich muss hier weg."
Weil seine Mutter, eine Journalistin, niemanden außer ihn hatte, sind sie gemeinsam geflohen.
"Unser Ziel war einfach nur Europa. Einfach in Sicherheit sein." Auf Nachfrage dann der Nachsatz: "Aber geträumt habe ich von Deutschland."
Auf der Flucht hatten Mutter und Sohn zwei heikle Situationen zu überstehen. In Lebensgefahr waren sie nie. Aber das kleine Schlauchboot, mit dem sie auf der Ägäis unterwegs waren, führte bei Danis Mutter zu einem emotionalen Ausnahmezustand:
"Als wir auf dem Schiffchen waren, das uns von der Türkei nach Griechenland bringen sollte, war die Stimmung wirklich beängstigend. Meine Mutter hatte Todesangst. Die ganze Zeit hat sie meine Hand gehalten. Stundenlang hat sie auf mich eingeredet. 'Ich bleibe bei dir, bleib du bei mir, wir bleiben immer zusammen.' Sie konnte keinen klaren Gedanken fassen, und ich konnte sie kaum beruhigen. Es war schrecklich, denn ich liebe meine Mutter, und sie hat so gelitten."
Zwei Wochen später dann die nächste brenzlige Situation, dieses Mal für Dani. "In Ungarn wurden wir von der Polizei festgenommen. Sie wollten mich vergewaltigen, doch ich ließ es nicht zu."
Festnahmen von Flüchtlingen waren zur damaligen Zeit, im Sommer 2015, eine ungewöhnliche Angelegenheit. Die meisten Grenzen waren offen, in der Regel geleiteten die nationalen Polizei die Flüchtlingsgruppen durchs Land bis zur nächsten Grenze. Scharfe Gesetze, die Flüchtlinge abschrecken sollen, traten in Ungarn erst im Herbst 2015 in Kraft. Immerhin blieb die polizeiliche Willkür, die Dani und seine Mutter zu ertragen hatten, ohne schlimmere Folgen.
"Ich wohnte plötzlich mit Menschen in einem Raum, vor denen ich in Syrien geflüchtet war."
"Als wir es dann tatsächlich bis nach Deutschland geschafft hatten, fühlte ich: Ja, ich mag es hier. So habe ich es mir vorgestellt."
In Passau wurden sie registriert. Dann durften sie weiterreisen, wohin sie wollten.
"Ich liebe das Wasser. Und auf Bildern hatte ich gesehen, dass Hamburg viel Wasser hat. Also fuhren wir dorthin."
Sein Zuhause war vorher in Damaskus, dort ist er geboren und aufgewachsen. Damaskus und Hamburg haben etwa gleichviel Einwohner. Doch leben die Menschen in Damaskus dicht gedrängt, die Hansestadt breitet sich auf der zehnfachen Fläche aus. Und während Damaskus nur ein paar Kanäle durchzogen ist, hat Hamburg mit Alster und Elbe weit mehr Wasser zu bieten.
"Der Hafen ist mein Lieblingsort. Ich liebe die Atmosphäre dort. Die Industrie, den Strand, die Weite."
Doch konnte er zunächst weder seine neue Heimat noch sein neues, freies Leben genießen.
"Ich wohnte plötzlich mit solchen Menschen in einem Raum, vor denen ich in Syrien geflüchtet war."
Bei Dani war es die Massenunterkunft, die ihn beinahe vollends verzweifeln ließ:
"In den ersten fünf Monate war ich in diesem schrecklichen Camp. Ich habe die ganze Zeit gedacht: Was habe ich mit meinem Leben gemacht! Warum bin ich hier? Genau solche Leute haben mich in Syrien bedroht. Und jetzt muss ich Bett an Bett mit ihnen zusammenwohnen."
Als Dani nach Deutschland kam, war das die Zeit des größten Flüchtlingstrubels. Städte und Gemeinden mussten froh sein, den Geflüchteten überhaupt eine Unterkunft bieten zu können. Und so kamen Dani und seine Mutter in ein großes Sammellager. Allerorts entstanden diese unmenschlichen Schlafstätten. Platz, Privatsphäre, Ruhe - Fehlanzeige. Für Schwule, vor allem ganz offensichtliche Schwule wie Dani, sind solche Umstände erst recht unerträglich. Es geht an die Substanz. Er wurde gemobbt, geschlagen, auch musste er sich dort wieder einmal gegen Vergewaltigungen zur Wehr setzen.
"Irgendwann gingen meine Mutter und ich in den Wald. Um zu weinen. Dabei hat uns ein Mann angesprochen. Er hat uns getröstet, er war wirklich sehr freundlich zu uns. Nach einer Woche hat er vorgeschlagen, dass wir bei ihm wohnen können."
Und noch eine andere Fügung brachte ihn von den düsteren Gedanken weg:
"Ich habe diese Gruppe gefunden: Schwule Deutsche habe uns Geflüchteten geholfen. Sie haben mich...
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