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Unter unseren Füßen quietschten die Planken des Holzgerüstes, das man um den steinernen Altar des Vaterlandes in der Mitte des Marsfeldes errichtet hatte. Die Sonne schien mir in den Nacken, als ich mich über die Petition zur Absetzung des Königs beugte.
éléonore duplay.
Die Feder in meiner Hand war warm von all den anderen Händen, die bereits mit ihr unterschrieben hatten. Mein Blick huschte über die Unterschriftenliste. Zufrieden stellte ich fest, dass eine Menge Frauen unterzeichnet hatten. Zwei Jahre nach dem Sturm auf die Bastille durften in Frankreich zwar die Abgeordneten der Assemblée nationale gewählt werden, doch nur von Männern, die einen bestimmten Steuersatz entrichteten. Für uns Frauen und Besitzlose waren Petitionen wie diese die einzige Möglichkeit, uns Gehör zu verschaffen.
Meine Mundwinkel verzogen sich zu einem stolzen Lächeln, als ich die Feder an meine Schwester Babette weiterreichte, damit sie élisabeth duplay in die darunterliegende Zeile schreiben konnte.
Unser kleiner Bruder Jacques machte sich immer darüber lustig, dass wir keine Großbuchstaben beherrschten. Er besuchte sechs Tage die Woche das Collège d'Harcourt, ein Internat der Sorbonne. Aus ihm sollte einmal etwas Besseres werden als ein Schreiner. Den Familienbetrieb zu sichern, würde meine Aufgabe sein, indem ich einen Mann heiratete, der ihn führen konnte.
»Seht euch vor, Mädchen«, meinte einer der Männer, die aufpassten, dass beim Unterschreiben alles mit rechten Dingen zuging. »Heute Morgen haben wir hier drunter zwei Spanner erwischt.«
Wie aufs Stichwort sahen Babette und ich auf die nicht verfugten Holzplanken unter unseren Füßen. Durch die Ritzen hätte man uns tatsächlich unter die Röcke sehen können. Mir entging nicht, dass der Mann, der gesprochen hatte, Babette nicht aus den Augen ließ. In ihrem Kleid in der Farbe von Damaszenerrosen sah meine achtzehnjährige Schwester selbst aus wie eine zarte Blume. Auch ich war in mein bestes Kleid aus cremefarbener Baumwollseide mit dunkelblauen Streifen und Ärmeln bis zu den Ellbogen gekleidet, das selbst meiner eckigen Gestalt ein wenig zu schmeicheln vermochte. Darüber trug ich eine Schärpe in Blau-Weiß-Rot.
»Und? Was ist mit ihnen passiert?«, fragte ich gereizt.
Mit einem Grinsen fuhr sich der Mann mit dem Finger über die Kehle. Ich verdrehte die Augen in seine Richtung, um klarzumachen, dass ich ihn für einen Aufschneider hielt, und griff nach Babettes Hand, als ich das Gerüst hinunterstieg, meine Saffianledermappe mit Papier und Kohlestiften fest unter dem Arm.
Vor uns erstreckten sich die Rasenflächen des Marsfeldes vor den Toren von Paris, übersät von Menschen. Adrett gekleidete Bürger mit Perücken und Kniebundhosen, Handwerker in Arbeitskleidung und Sansculotten mit ihren langen Hosen und Holzschuhen - sie alle hatten die Petition zur Absetzung von Louis XVI. unterschrieben. Nun gingen sie hier mit ihren Familien spazieren, plauderten und saßen in Grüppchen im Gras. Dazwischen spielten die Kinder Fangen, und die Essensverkäufer schoben ihre Karren mit Getränken, Obst und Zuckerkuchen herum. Eher laut als schön sang man patriotische Lieder.
Im Gehen überprüfte ich den Sitz meines Haarbands, eine Geste, die mir in Fleisch und Blut übergegangen war, weil ich sie so viele Male am Tag wiederholte. Mein glattes Haar war noch jeder Haube und jeder Haarnadel entsprungen, als sei es auf der Flucht. Nur wenn ich ein Band fest im Nacken verknotete, konnte ich mir die dunklen Strähnen halbwegs ordentlich aus dem Gesicht halten, wie es sich für die Tochter eines respektablen Handwerkermeisters gehörte. An manchen Tagen hatte ich Kopfschmerzen davon. Da jedoch immer mehr Frauen das Haar offen trugen, es nicht länger puderten, zu Löckchen drehten und zu komplizierten Frisuren aufsteckten, fiel ich mit dieser Haartracht wenigstens nicht auf.
»Ich setze mich da drüben zum Zeichnen hin«, sagte ich zu Babette und wies auf einen der aufgeschütteten, grasbewachsenen Hänge rund um das Marsfeld. Ein nervöses Kribbeln im Magen erinnerte mich daran, dass ich bereits morgen meine Arbeiten vorzeigen sollte - im Louvre. Mit etwas Glück würde ich meinen Arbeitsproben eine Zeichnung der heutigen Versammlung hinzufügen können. Wenn das keinen Eindruck auf Maître David machte, dann .
»Das kannst du doch später noch machen«, sagte meine Schwester bittend. »Lass uns erst noch ein wenig flanieren.«
Die Augen mit den dunklen Wimpern weit aufgerissen, sah sie sich um, als versuchte sie, möglichst viele Eindrücke gleichzeitig aufzunehmen. Mutter hielt Babette für flatterhaft und verträumt und überwachte sie deshalb besonders streng. Verständlicherweise wollte meine kleine Schwester das Beste daraus machen, dass sie der mütterlichen Kontrolle für einen Nachmittag entronnen war. Also gab ich nach. Schließlich hatte ich ihr ein wenig Abwechslung versprochen, als ich vorgeschlagen hatte, sie heute zum Marsfeld mitzunehmen.
»Ich wünschte, Sophie wäre auch hier«, sagte Babette, während wir weiterschlenderten, und hakte sich bei mir unter.
Ich verzog das Gesicht bei der Erwähnung unserer Schwester. »Ich bezweifle, dass sie uns zu einer Demonstration gegen den König begleitet hätte.«
Sophie war die Schönste von uns Duplay-Mädchen. Es war zu erwarten gewesen, dass jemand sie zügig wegheiraten würde. Aber hatte es gerade ein Royalist aus der Auvergne sein müssen? Den Briefen unserer Schwester war zu entnehmen, dass sie die Ansichten ihres Mannes mittlerweile teilte - sehr zum Missfallen unserer Eltern, die wie so viele Franzosen der Monarchie rein gar nichts mehr abgewinnen konnten.
»Sie hat ja nicht einmal die Flucht der königlichen Familie verurteilt«, erinnerte ich Babette. »Wenn der dicke Louis nach seiner Flucht mit einem Heer zurückgekehrt wäre, um die Assemblée aufzulösen und die ganze Revolution rückgängig zu machen, hätte sie das wahrscheinlich noch beklatscht.«
Verstehen konnte ich diesen Geisteswandel nicht. Während mich von Babette fünf Jahre trennten, war Sophie nur ein Jahr jünger als ich. Wir hatten zusammen am Fenster gestanden, als am 14. Juli 1789 die Menschen auf der Suche nach Waffen und Munition in Scharen durch die Rue Honoré gerannt waren. Später am Tag war die Bastille gestürmt worden. Wir waren uns einig gewesen, dass nun alles anders werden würde, dass es keine aufregendere Zeit geben konnte, um am Leben zu sein.
Und dann, kein halbes Jahr später .
»Wie kann man nur in solch einem Moment Paris verlassen?«, fragte ich kopfschüttelnd.
Babette zuckte die Achseln. »Sie hat eben den einen gefunden, ohne den alles andere sinnlos ist«, sagte sie.
Doch das wollte ich nicht gelten lassen.
»Wenn man schon heiratet«, überlegte ich laut, »dann doch bitte einen Mann, der sich dem Wohl der Nation verschrieben hat - und keinen Königstreuen.« Dasselbe hatte ich zu Sophie gesagt, die mir daraufhin vorgeworfen hatte, neidisch zu sein, weil sie vor mir unter die Haube kam.
Eine reichlich alberne Unterstellung. Ich wusste längst, wen ich heiraten sollte, und dass ein anderer Mann versuchen würde, mich auf Abwege zu führen, hielt ich für nicht sehr wahrscheinlich. Was mir nur recht sein konnte, denn wenn alles gut ging, würde ich ab morgen Schülerin eines Meisters der Académie sein.
»Was ist denn?« Babette betrachtete mich besorgt, vielleicht wegen meines schroffen Tons. »Bist du nervös wegen morgen?«
»Natürlich nicht!«, log ich, obwohl sie regelrecht meine Gedanken gelesen hatte. Die Aussicht auf das Vorstellungsgespräch verursachte mir die Art von Flattern in der Magengrube, die angeblich Verliebte verspürten. Doch vielleicht war es nur die Angst davor, mir wieder eine Abfuhr einzufangen. Mein erster Vorstoß, mir einen Lehrer zu suchen, war nicht wie geplant verlaufen. Die Malerin Adélaïde Labille-Guiard, die bekannt dafür war, dass sie Frauen förderte, hatte sich meine Porträts angesehen und gemeint: »Ich vermisse Gefühl.«
Das lag nun beinahe ein Jahr zurück, doch noch immer spürte ich den Stich, den mir diese beiläufige Bemerkung versetzt hatte. Wenn sie gesagt hätte, die Proportionen seien nicht stimmig oder die Farbmischung für die Haut sei nicht gelungen, hätte ich das akzeptieren können. Doch was sollte das überhaupt heißen, »Gefühl«? Sollte ich anfangen, wie Fragonard zu malen? Nackte Putten und Rüschen überall?
Mir schwebte etwas ganz anderes vor. Etwas Patriotisches mit harter Linienführung, kühl und zugleich kraftvoll - wie die Historiengemälde von Maître David. Das war der neue Stil, den es zu kultivieren galt. Heroische Szenen, Volksmassen. Die Erziehung zur rechten Handlungsweise. David war Jakobiner. Er würde mir nichts von fehlendem Gefühl erzählen. Außerdem hieß es, er sei Malerinnen in seinem Atelier gegenüber aufgeschlossen.
»Éléonore! Seid ihr ohne eure Eltern hier?«
Ich blickte mich um und sah die Lohiers, unsere Gemüsehändler aus der Rue Honoré, auf uns zukommen. Fast alle unsere Nachbarn waren Anhänger der Revolution.
Zu meinem Leidwesen fasste Madame Lohier mich sogleich am Arm - ein deutliches Zeichen, dass sie gedachte, uns nicht mehr von der Seite zu weichen. »Passt du gut auf deine hübsche Schwester auf, Éléonore?«, fragte sie mich, als sei es von vornherein ausgeschlossen, dass ich selbst Schutz vor begehrlichen Blicken brauchen könnte. Es stimmte ja auch: Anders als meine jüngeren Schwestern hatte ich nie die...
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