Schweitzer Fachinformationen
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»She´s the tear in my heart, she´s a carve, she´s a butcher with a smile, cut me farther than I´ve ever been.«
Tear in my Heart, Twenty One Pilots
Alec
Indiana Thomson riss mich aus dem Schlaf, bevor ich ihr das erste Mal begegnete. Sie hatte sich so leise in mein Leben geschlichen, dass ich es gar nicht bemerken konnte.
Zu Beginn sollten meine Augen eine Sekunde zu lang an ihren Lippen hängen, mein Herz würde ein paar Schläge aussetzen, wenn ich sie ansähe. Doch ich würde all diese Gefühle ignorieren, nur damit sie Wochen später wie ein Tsunami über mich hereinbrechen würden; brausende Wellen aus grünen Augen, Worte, die so schön waren, dass sie schmerzten. Indiana Thomson sollte meinem Leben Farbe einhauchen, indem sie mir von Worten erzählte, die ich noch nie gehört hatte, obwohl ich ein verdammter Experte in Sachen Worte war.
Doch davon hatte ich an diesem alles verändernden Septembersonntag noch keinen blassen Schimmer.
Ich hasste meine Klingel und ihr verdammtes Geräusch. Sie riss mich aus dem Schlaf - und das an einem Sonntag. Mit einem Gähnen rollte ich mich auf die linke Seite und starrte meinen Wecker an. 8:32 Uhr. Meine Augen fielen wieder zu. Die letzte Nacht war lang gewesen, mit viel besoffenem Gelächter, gierigen Händen und meinem nüchternen Herzen, das nie betrunken wurde, egal, wie viel Whiskey ich runterkippte.
Ring. Ring. Ring. Ring. Ring.
Mir blieb nichts anderes übrig, als widerwillig die Augen aufzuschlagen. Mein Fenster war geöffnet und der höllische Straßenlärm verhinderte, dass ich wieder wegdämmerte. New York war nie ruhig, weil New York niemals schlief. Es war stets laut mit den gehetzten Einwohnern, den neugierigen Touristen und den ratternden Taxis, deren Motoren an einigen Tagen sogar in meinem siebten Stockwerk brummten. Ich torkelte aus dem Bett. Meine nackten Füße berührten den kalten Boden und ich schwor, denjenigen, der es wagte, an einem verfickten Sonntagmorgen bei mir zu läuten, eigenhändig umzubringen.
Die Dielen knirschten unter meinen Fußballen, ich stolperte in Richtung Tür und rutschte dabei fast auf Notizblättern mit Charakterskizzen und Romanideen aus. Die Geräusche der Stadt vermischten sich mit dem meines müden Gähnens, als ich die Türklinke herunterdrückte und kurz darauf blinzelte.
Ich hatte vieles auf meiner Fußmatte erwartet: einen meiner zwei besten Freunde, die es letzte Nacht mehr als ich übertrieben hatten - so wie sie es ständig mit Alkohol, Frauen und noch mehr Alkohol übertrieben -, eines der Nachbarskinder, die nur zu gern an meine Tür klopften, um mich darum zu bitten, dieses und jenes rauf- und runterzutragen, oder vielleicht sogar eines meiner Dates, das die Bedeutung eines One-Night-Stands nicht verstand; von Letzteren gab es leider einige.
Doch ich lag falsch, denn ich sah in das Gesicht einer jungen Frau, die ich nicht kannte.
Sie war einen guten Kopf kleiner als ich, trug zerrissene Jeans und ein graues Shirt, dessen Saum sie knapp über dem Hosenbund zu einem Knoten gebunden hatte. Ihre Füße steckten in weinroten Dr. Martens, während sie nervös von einem Fuß auf den anderen trat.
Ich musterte sie von Kopf bis Fuß, bis meine Augen zuletzt an ihren Fingernägeln verharrten. Sie waren ordentlich geschnitten, perfekt manikürt in diesem modischen French-Nail-Style, an dem sich meine Schwester ständig versuchte, bevor sie sagte: »Mein Leben ist ein Desaster! In der letzten Matheklausur habe ich die letzte Aufgabe nicht geschafft und jetzt kriege ich es nicht einmal gebacken, mir meine Nägel im French-Nail-Style zu lackieren.« Meine Schwester seufzte dabei stets theatralisch, was ich nicht verstand, weil ich diesen komischen Nageltrend noch nie gemocht hatte. Trotzdem verzogen sich meine Lippen jetzt zu einem Lächeln, denn ich mochte, dass die Fingernägel der Fremden nicht zum Rest ihrer sonstigen Erscheinung passten: grüne Augen, umrandet von verschmierten Make-up-Resten, helle Haut, eine Spur zu blass, klobige Boots und die zerknitterte Kleidung.
Ihre Wangen brannten rot, als sie sich räusperte, und ich wusste, mein Blick machte sie nervös.
Doch das war nichts Neues.
Ich war Alec Carter, konnte jedes Mädchen binnen von Sekunden in Verlegenheit bringen und jegliche Frauen in weniger als einer Minute auf die Knie zwingen, während ich meine Hose öffnete.
Doch darum ging es mir gerade nicht.
Die Frau vor mir war interessant.
Das Grinsen auf meinen Lippen wurde breiter, denn der Schriftsteller in mir mochte interessant.
Okay, vielleicht war ich kein bekannter und erfolgreicher Schriftsteller. Noch nicht. Aber dass ich ein Schriftsteller war, ließ sich nicht leugnen, wenn auch kein gescheiter. Doch Himmel, ich versuchte es. Verdammt noch mal, ich gab in meinem Studium und an meinem PC wirklich alles, was ich hatte. Aber das Problem eines jeden Schreibenden, vielleicht auch das jeden Träumers, war, dass er mit seinen Gedanken stets woanders war, sich so penibel in den Details seiner Gedankenwelt verhedderte, dass er den Bezug zur Realität verlor.
So wie ich in diesem Moment.
Ich konnte nichts dafür, dass ich mir vorstellte, wie es sich anfühlen würde, wenn die Fremde ihre perfekten Nägel in meinen Rücken krallen und aufschreien würde. Meine Fingerspitzen würden auf ihrer Haut brennen, und ich würde sie fragen, was sie hinter ihrer Rebellenfassade wohl versteckte.
»An was denken Sie?«
Die Stimme der Fremden riss mich aus meinen Gedanken, bevor ich mich räusperte und ihr schamlos in die Augen starrte.
»Tut mir leid.« Ich täuschte ein Gähnen vor. »Bin noch etwas verschlafen.«
»Das war nicht die Antwort auf meine Frage.« Sie steckte die Hand in ihre Hosentasche; ihre Jeans waren so knalleng, dass ich die Abdrücke ihrer Fingerknöchel sah. »Aber die ist jetzt auch egal«, murmelte sie. »Sind Sie Alec Carter?«
Ich nickte, wobei ich mich gleichzeitig fragte, wieso die Fremde meinen Namen kannte. Vielleicht war sie eine Auftragskillerin und hatte mit der Mission, mich zu töten, an meine Tür geklopft? In Gedanken malte ich mir oft Horrorszenarien aus; das gab mir außergewöhnliche Ideen für Kurzgeschichten.
»Alec Carter wie der Hausmeister Alec Carter?« Sie richtete ihre grünen Augen bestimmt auf mich, sichtlich bemüht, ihren Blick nicht auf meine Boxershorts zu senken, die alles war, was meinen Körper bedeckte; Menschen, die Geld für Pyjamas ausgaben, hatte ich noch nie verstanden.
»Der bin ich«, sagte ich und dachte an den Werkzeugkasten neben meiner Badezimmertür.
Die Fremde atmete erleichtert aus. »Mein Name ist Indiana Thomson. Mr. Kahn hat mir am Telefon gesagt, dass Sie mir die Schlüssel zu meiner Wohnung übergeben würden. Also .« Sie bemühte sich um ein Lächeln, doch es zitterte.
Ich hingegen seufzte, weil ich wusste, dass dieser Hausmeisterjob in keinem Universum beneidenswert gewesen wäre. Die Familie Rojas verstopfte jede Woche aufs Neue ihre Rohre, während ich ihnen abermals erklärte, dass sie aufhören müssten, die Reste ihres Mittagessens in den Abfluss zu schütten. Die Kinder der Garcias dachten, dass Hausmeister ein Synonym für Mädchen für alles sei, und hatten erst gestern an meine Tür geklingelt, weil sie wollten, dass ich ihre Fahrräder nach unten schleppte. Lange hatte ich sie kopfschüttelnd angestarrt. Ich meine, wer zum Teufel fuhr in New York überhaupt mit dem Fahrrad?
»Natürlich.« Ich erinnerte mich an den Kalender, den ich mir besorgen musste, um Termine und nicht hypothetische Namen für Protagonisten zu notieren. »Mr. Kahn hat mich darüber informiert. Ihr Apartment ist das direkt neben meinem.«
Mit einer kurzen Kopfbewegung deutete ich nach links und sah Indiana wieder an. Ihre Augen schimmerten hell und grün, während sie sich an den Muskeln meines Bauchs bis zum Bund meiner Boxershorts entlangschlängelten.
Ich grinste.
»Ich hole dann mal die Schlüssel, einen Augenblick.« Ich verschwand hinter meiner Tür, hüpfte hastig in die Jeans, die über meinem Sessel lag und schlüpfte ohne Socken in die schwarzen Boots, bevor ich auf der Kommode neben meiner Tür nach den Schlüsseln für die Wohnung 708 griff. Als ich wieder vor der Türschwelle stand, studierte Indiana mit gesenkten Blick meine Fußmatte.
»Betreten auf eigene Gefahr?«, lachte sie und hob den Blick.
Ihre Lippen zogen sich leicht auseinander, ihre Zähne waren strahlend weiß. Meine Augen klebten auf ihrem Mund, und ich wusste, ich fand ihr Lächeln samt ihren Lippen schön.
»Ein Geschenk meiner Schwester«, erwiderte ich. »Es würde ihr das Herz brechen, wenn sie mich besuchen und feststellen würde, dass ihre Fußmatte fehlt.«
»Verstehe. Dann hoffen wir mal, dass ich Ihre Baustelle nie betreten muss.«
Ich zuckte darauf nur die Schultern und verschwieg Indiana Thomson, dass ich nichts dagegen gehabt hätte, sie auf mein zerwühltes Bett zu schmeißen, um mit ihrem Körper ein heißes Durcheinander anzustellen, das sie bis auf jedes verwuschelte Haar geliebt hätte. Als der Schlüssel in meiner Hand klirrte, schob ich den Gedanken beiseite und ging auf die Wohnung meiner neuen Nachbarin zu.
»Steht die Eingangstür im Erdgeschoss eigentlich immer offen?«, fragte sie, während ich den Schlüssel in das Schloss steckte.
»Wenn man sie schließen würde, nein. Aber -«
Ich sprach meinen Satz nicht zu Ende, weil drei Kinder gerade die Treppen hinunterliefen und mit ihrem kreischenden Gelächter meine Stimme um Längen übertönten. Das kleinste von ihnen, ein Junge mit einer zu großen Brille, rutschte fast auf seinen Flip-Flops aus und seine ältere Schwester rief...
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