Schweitzer Fachinformationen
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»Herzen sind dazu da, gebrochen zu werden.«
Oscar Wilde
HEUTE
Scarlett
Anton war vorbeigekommen, um mich aufzuheitern. Er hatte eine extragroße Flasche Patrón dabei.
Netter Versuch.
Als Dank für den Tequila machte ich Brownies für ihn. Die beiden Dinge passten zwar nicht wirklich zusammen, doch das war mir egal. Ich konsumierte ohnehin bloß Ersteren.
Demis Nichte Olivia würde heute bei uns übernachten. Das tat sie häufig, wenn wir mehrere Tage am Stück zu Hause waren. Demi war mit Leib und Seele Tante und konnte gut mit Kindern umgehen.
Ich hingegen fühlte mich in der Gegenwart von Kindern unwohl und hatte schon Probleme mit ihnen gehabt, als ich selbst noch eines gewesen war. Ein Umstand, der sich kaum gebessert hatte, nachdem ich erwachsen geworden war.
Olivia war ein entzückendes kleines Ding mit Demis Teint, den schwarzen Haaren und blauen Augen. Sie wirkte sehr gepflegt. Ganz offensichtlich kümmerten sich alle Menschen in ihrem Leben sehr gut um sie.
Ich fragte mich kurz, wie sich das für ein Kind wohl anfühlte.
Die Mädels wollten mit Olivia in den Zoo gehen. Natürlich hatten sie mich - und sogar Anton - ebenfalls eingeladen, doch ich war nicht in der Stimmung, mich mit einem Kind abzugeben, geschweige denn, den ganzen Tag mit einem zu verbringen.
Außerdem hatte ich einen sehr bedeutenden, wohldurchdachten Plan. Ich wollte zu Hause bleiben und mich betrinken.
Bisher leistete ich gute Arbeit. Es war erst früher Nachmittag, und Anton und ich waren bereits dazu übergegangen, Shots zu kippen.
Wir standen in der Küche, und ich sah Anton über die Kücheninsel hinweg in die Augen.
»Weil Tequila!« Wir prosteten uns zu und tranken.
Ich hatte mein Glas zuerst geleert und knallte es triumphierend vor ihm auf den Tisch, während er mit seinem noch beschäftigt war.
In diesem Moment tauchte Olivia auf. Offenbar war es ihr langweilig geworden, Zeichentrickserien zu gucken, während sich die anderen fertig machten.
Sie lehnte sich an den Küchentresen und starrte mich an. Sie war ein neugieriges, altkluges Kind. Jeder in ihrem Umfeld vergötterte sie, und das wusste sie nur zu gut. Vermutlich hatte ihr noch nie jemand eine Ohrfeige verpasst, weil sie eine falsche Frage gestellt hatte, daher fragte sie einfach, was ihr in den Sinn kam.
»Hi, Tante Scar.« Sie strahlte mich an. Sie nannte alle meine Mitbewohnerinnen Tante. Ich hatte keine Ahnung, wie sie darauf kam. Vermutlich war es Demis Idee gewesen.
»Hi, Olivia«, antwortete ich ernst.
Wie gesagt, ich habe es nicht so mit Kindern.
»Hi, Mister Anton«, meinte sie in Antons Richtung.
Er blinzelte, kratzte sich unablässig das bärtige Kinn und wirkte, als fühlte er sich ebenso unbehaglich wie ich. Gut. Das war einer der vielen Gründe, warum ich ihn so gerne um mich hatte. Wir waren uns so ähnlich, dass ich mich in seiner Gegenwart weniger allein fühlte.
Vor allem in Zeiten wie diesen hatte ich es bitter nötig, mich weniger allein zu fühlen.
Es ging mir nicht sonderlich gut.
So viel stand fest.
Ich schlief nicht. Ich zog mich nicht an, es sei denn, ich musste zur Arbeit, und gammelte den ganzen Tag in einem meiner zahllosen Katzenshirts in der Wohnung herum. (Heute prangte ein Bild dieser übellaunigen Katze, die dank des Internets berühmt geworden war, auf meinem T-Shirt, und darunter stand #sogehtsmirheute.) Ich trank zu viel. Ich dachte zu viel nach. Ich hasste mich selbst zu viel.
Ich dachte daran, was Dante getan hatte, wie er mich manipuliert und durcheinandergebracht hatte. Schon wieder .
Ich konnte nicht behaupten, dass es schmerzhafter oder schockierender gewesen wäre als beim ersten Mal. Sobald einem das Herz einmal gebrochen worden war, kam nichts mehr dieser tief greifenden Zerstörung nahe, die beim ersten Mal angerichtet worden war. Auch wenn es trotzdem höllisch wehtat.
Ich will damit bloß sagen, dass ich mich nicht sofort von dem Schlag erholte.
Aber da war wieder dieses alte, vertraute Gefühl. Es war immer schon da gewesen, doch ich hatte es eine Weile lang tief in mir begraben.
Es war wie das Gefühl, wenn man aufwacht, weil man friert und das Laken nach unten getreten hat, und dann jedoch erkennt, dass irgendjemand einen bereits wieder zärtlich zugedeckt hat.
Bloß das genaue Gegenteil. Es war die Gewissheit, so etwas nie wieder zu erleben. Niemand würde je genug für mich empfinden, um mich warm halten zu wollen.
In letzter Zeit war dieses Gefühl stärker als je zuvor. Es verschlang mich, lähmte mich.
»Nur Anton, bitte«, korrigierte Anton Demis Nichte, womit er mich aus meinen Gedanken riss und zurück in die Gegenwart beförderte.
Unser Trinkgelage zeigte bereits erste Auswirkungen, denn Antons Reaktion war offensichtlich nicht mehr die schnellste.
»Meine Mommy und Tante Demi meinen, es sei unhöflich, einen Erwachsenen nur beim Vornamen zu nennen.«
Anton und ich wechselten einen Blick. Wie seltsam musste es für ein Kind sein, so viele Erwachsene um sich herum zu haben, die sich über jeden Aspekt seines Daseins Gedanken machten.
»Wie wäre es mit Onkel Anton?«, versuchte sie. »Das ginge auch.«
Er nahm gerade einen Schluck Wasser, als sie das sagte, und verschluckte sich prompt und begann zu husten.
Ich musste lächeln, vermutlich zum ersten Mal seit Tagen.
Schließlich presste er mit kratziger Stimme eine Antwort hervor. »Mister Anton ist schon in Ordnung.«
Sie nickte und schenkte ihm ein zauberhaftes Lächeln.
»Was ist das?«, fragte sie mich, auf den Tequila deutend.
»Erwachsenenzeug«, antwortete ich und dachte, damit wäre die Sache erledigt.
»Kann ich mal probieren?«
Ich zog eine Grimasse, woraufhin sie zu kichern begann. »Bist du denn schon erwachsen?«
»Ja«, erwiderte sie schnell.
»Erwachsene sind mindestens einundzwanzig Jahre alt. Bist du einundzwanzig?«, fragte ich spitz.
»Ja«, witzelte diese unverschämte kleine Lügnerin.
»Wohl kaum«, erwiderte ich.
Sie deutete mit dem Kopf in Richtung Backofen. »Kann ich dann einen von denen haben, wenn sie fertig sind?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Glaub schon.«
»Tante Farrah meinte, du magst keine Kinder. Warum magst du keine Kinder?«
»Weil sie zu viele Fragen stellen.«
»Wie zum Beispiel?«
»Genau.«
»Und warum magst du Kinder sonst nicht?«
»Weil sie selbstsüchtig und gemein sind«, rutschte mir irgendwie heraus.
Sie riss die Augen auf, die sofort ein wenig glasig wurden, und ich erkannte, dass ich es zu weit getrieben hatte.
»Du glaubst, ich bin selbstsüchtig und gemein?«, fragte sie mit zitternder Stimme, als würde alleine der Gedanke daran sie zum Weinen bringen.
Verdammt. »Nein.« Eigentlich schon. »Doch nicht du. Ich dachte bloß . an andere Kinder . die es waren«, schloss ich etwas lahm.
»Wenn du keine Kinder magst, wieso machst du dann immer leckeren Kuchen, wenn ich komme?«
Ich dachte kurz darüber nach. Es stimmte. Ich backte tatsächlich jedes Mal, wenn sie kam. Ohne Ausnahme. Was zur Hölle hatte das zu bedeuten?
»Das ist bloß Zufall«, erklärte ich. »Ich backe die ganze Zeit.« Das war eine Lüge. Aber sie war acht. Wenn man eine Achtjährige nicht belügen konnte, wen dann?
Sie strahlte mich an. »Du magst mich. Ich wusste es.«
Ich verzog den Mund, und sie kicherte. »Du bist ganz in Ordnung«, räumte ich ein.
»Ich mag dich«, kam sie mir entgegen. »Du bist echt hübsch, und du riechst gut.«
Verdammt. Diese verdammte Demi und ihre unverbesserlich liebenswerte Nichte. »Du bist auch sehr hübsch«, erwiderte ich widerwillig.
Sie tat, als hätte das ihren Tag gerettet, und vollführte einen enthusiastischen Freudentanz mit sehr vielen Drehungen und winkenden Armen.
Hatte sie versucht, mich für sich zu gewinnen, oder war sie wirklich so verdammt hinreißend? Ich hatte keine Ahnung, aber ich fühlte mich unwillkürlich geschmeichelt.
Trotzdem würde ich sie nie an mich heranlassen. Ich würde mir niemals gestatten, eine Bindung zu einem Kind aufzubauen. Schon der Gedanke daran stürzte mich in dunkle, bodenlose Abgründe, von denen ich mich lieber fernhielt.
Glücklicherweise brachen sie kurz darauf in den Zoo auf, und ich war nicht länger Olivias ansteckendem Charme ausgesetzt. Verflucht, sie hätte mich sogar beinahe überredet, sie zu begleiten. Wäre ich um zwei Shots nüchterner oder um drei Shots betrunkener gewesen, hätte sie mich gehabt.
Fast genauso schlimm war jedoch, dass ich ihnen ein süßes kleines Lunchpaket voller Brownies mit auf den Weg gab, als wäre ich die verdammte Übermutter.
Natürlich zog Anton mich deswegen auf, und ich konnte es ihm nicht verübeln.
Ich beendete seine Sticheleien mit einem weiteren Shot. Er hatte einen wunden Punkt erwischt, doch um ehrlich zu sein, war in letzter Zeit alles an mir ein wunder Punkt.
Einige Zeit später läutete mein Telefon. Ich hatte noch alle Sinne beisammen und lallte auch noch nicht, was bedeutete, dass ich noch gut im Spiel war. Anton schlug sich ebenfalls tapfer. Die einzigen Anzeichen, dass er schon ordentlich einen im Tee hatte, waren, dass er seine Worte zu sehr betonte und nicht mehr so schlagfertig war wie sonst.
Ich warf einen Blick auf das leuchtende Display und grinste...
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