E
s liegt in der Natur eines Buches über den Muskelaufbau, dass es sich mit dem Muskel als funktionales Organ befasst. Doch vielmehr möchte ich Ihnen die Bedeutung des Muskels als wesentlichen Bestandteil des menschlichen Wohlbefindens nahebringen. Immerhin ist er, in der Masse betrachtet, das größte Organ des menschlichen Körpers. Dabei kann das Wissen über kleinste Bestandteile des Muskels den richtigen Umgang mit ihm erleichtern und so Verletzungen oder Schädigungen vorbeugen. Grundsätzlich unterscheidet man zwischen zwei Arten von Muskeln: der glatten Muskulatur und der quer gestreiften Muskulatur. Die glatte Muskulatur ist beispielsweise im Darmtrakt vorhanden, dort arbeitet sie willkürlich, also nicht bewusst gesteuert, vor sich hin und sorgt dafür, dass körperinnere Abläufe reibungslos funktionieren können. Wir können die Arbeit der glatten Muskulatur nicht beeinflussen und können sie daher auch nicht gezielt trainieren.
Deshalb befassen wir uns in diesem Buch vielmehr mit der quer gestreiften Skelettmuskulatur. Sie ist für alle unwillkürlichen Bewegungen des Menschen verantwortlich, was heißt, dass wir sie aktiv steuern und belasten können. Zwar gibt es auch im Herzen quer gestreifte Muskulatur, diese ist allerdings keine Skelettmuskulatur und nicht trainierbar. Deshalb wird in diesem Buch der Begriff des Muskels mit dem des quer gestreiften Skelettmuskels synonym verwendet. Die Skelettmuskulatur hat Ihren Namen nicht grundlos. So sind die Muskeln über Sehnen an den Gelenken befestigt, sodass die Muskeln letztendlich das Skelett bewegen und daher den logischen Namen erhielten. Damit Sie wissen, was Sie denn überhaupt trainieren, folgt in diesem Kapitel ein Querschnitt durch den Aufbau eines Muskels[1].
DIESEN QUERSCHNITT beginnen wir im kleinsten Bestandteil des Muskels, der Muskelfaser beziehungsweise der Muskelzelle. Sie ist der Grundbaustein für alle übergeordneten Bausteine des Muskels, beispielsweise die Muskelfaserbündel, die wiederum den Muskel bilden. In der Fachliteratur werden die Begriffe Muskelfaser und Muskelzellen teilweise synonym verwendet, lassen Sie sich dadurch bitte nicht irritieren. Denn die Muskelfaser besteht aus unzählig vielen Einzel- und Untereinheiten, sodass eine sichere Klassifizierung durchaus schwerfällt.
Zunächst sollte man sich den Aufbau einer Muskelfaser verbildlichen; so ist eine Faser durch etliche, dicht beieinander liegende und vertikal verlaufende Streifen gekennzeichnet. Diese Streifen sind die sogenannten Fibrillen, die wiederum aus noch viel mehr und viel kleineren vertikalen Streifen bestehen. Diese nächste, kleinere Untereinheit ist das Zentrum des Muskels und seiner Prozesse. Es handelt sich um zahllose hintereinander geschaltete Sarkomere[2].
Der Aufbau eines Sarkomers ist von zentraler Bedeutung für die Funktionsweise eines gesamten Muskels und von großer Bedeutung für den richtigen und gesunden Umgang mit der eigenen Muskulatur. Ein wesentlicher Bestandteil des Sarkomers ist der Z-Streifen mit den dazugehörigen Aktin- u. Titin-Filamenten. Gemeinsam mit den zwischen den Aktin-Filamenten befindlichen Myosin-Filamenten bilden sie das Zentrum des Muskels. Dabei ist bemerkenswert, dass die Titin-Filamente sowohl an die Z-Streifen als auch an die Myosin-Filamente gebunden sind.
Mit dieser Bindung ist das Titin-Filament verantwortlich dafür, dass der Muskel im Ruhemodus wieder in seine Ausgangsposition zurückkehrt. Daraus folgt, dass das Titin-Filament auch für den Zusammenhalt des Sarkomers bei Dehnung zuständig ist.
Bei diesen wichtigen Funktionen im Muskel ist es doch sehr überraschend, dass in der Wissenschaft lange Zeit von lediglich zwei Filamenten im Muskel ausgegangen wurde. Wenn nun das Titin- und Myosin-Filament für die Dehnung und den Ruhezustand zuständig sind, scheint es nur logisch, dass das Aktin-Filament gemeinsam mit dem Myosin-Filament die Aufgabe der Muskelkontraktion übernimmt. Diese beiden Filamente habe eine hohe Affinität zueinander, das heißt, dass sie grundsätzlich bestrebt sind, spontan eine Bindung miteinander herzustellen[3].
In der folgenden, sehr vereinfachten und schematisierten Abbildung können Sie sehen, wie ein Sarkomer aufgebaut ist. Im Abschnitt "Funktionsweise eines Muskels" können Sie dann erfahren, inwieweit sich dieser Aufbau förderlich auf die Arbeit des Muskels auswirkt.
Weiterhin sollte die Rolle von anderen Bestandteilen der Muskelzelle nicht unterschätzt werden, denn diese sorgen für die Versorgung der eben beschriebenen kleineren Muskelbestandteile und somit auch für deren konstantes Funktionieren. Denn obwohl ein grundsätzliches Bindungsbestreben zwischen Aktin- u. Myosin-Filamenten besteht, benötigen sie dennoch Energie, um diesen Prozess zu vollziehen. Damit diese Energieversorgung garantiert ist, benötigt die Zelle einen funktionierenden Energiestoffwechsel und genau dafür sind die Mitochondrien im Zellplasma verantwortlich. Sie befinden sich in großer Anzahl vor allem in Zellen mit hoher energetischer Aktivität, also insbesondere in Muskelzellen. Dadurch, dass Mitochondrien alle notwendigen Enzyme des aeroben Stoffwechsels schon in sich tragen, können sie durch Zufuhr von Sauerstoff und Nährstoffen Energie produzieren und so die Muskelfunktion versorgen.
Und so kommt es nicht von ungefähr, dass Mitochondrien auch "die Kraftwerke der Zelle" genannt werden. Außerdem sollten Sie sich merken, dass man durch konstantes Ausdauertraining Anzahl und Volumen der Mitochondrien vermehren kann. Das heißt, umso mehr Mitochondrien Sie sich "antrainiert" haben, desto besser sollte Ihre Ausdauer sein und werden[4]. Was dabei genau aerob bedeutet und was eine aerobes beziehungsweise anaerobes Training ist, stelle ich Ihnen im Kapitel "Das Krafttraining" vor.
IM VORANGEGANGENEN Abschnitt haben wir geklärt, dass eine Muskelfaser aus zahlreichen Kleinstbausteinen besteht. Unzählige Muskelfasern bilden dann ein sogenanntes Muskelfaserbündel und diese dann den Muskel, den wir beim Sport belasten. Dennoch bleibt die Frage offen, wie diese Bestandteile gemeinsam einen derart stabilen und belastungsfähigen Muskel schaffen können. Die Antwort ist, gemessen an der Komplexität dieser Aufgabe, vergleichsweise simpel: die Faszien. Grundsätzlich handelt es sich bei Faszien um eine sehr feine und überaus elastische Bindegewebshaut, die sich um jede einzelne Muskelfaser schließt. Gleichermaßen sind auch Faserbündel, Muskeln und Muskelbündel mit dieser Haut überzogen. Doch darüber hinaus verbinden und halten Faszien nicht nur Muskeln. Das den ganzen Körper umfassende Binde-gewebsnetzwerk umspannt nämlich auch noch Organe und Sehnen. Weiterhin wirkt es bei Bewegungen wie eine Art Stoßdämpfer, um Knochen und Muskeln zu entlasten[5]. Bei Überbeanspruchung oder falscher Belastung der Faszien können sie verkleben und ihre Schutzfunktion nicht mehr wahrnehmen, sodass die Belastung direkt an Kochen und Sehnen weitergegeben wird.
Daraus können dann schwerwiegendere Verletzungen entstehen, die den Fortschritt des Muskelaufbaus verhindern. Weitere Charakteristika der Faszien sind die unzähligen Kapillaren, die sie durchziehen. Durch dieses ebenfalls sehr dicht gespannte Versorgungsnetz können die Mitochondrien in den Muskelzellen über die Blutgefäße ständig mit Nährstoffen versorgt werden. Diese werden dann bekanntlich in Energie umgewandelt und sorgen für das Funktionieren und Durchhalten des Muskels. Aufgrund dieser elementaren Funktion im menschlichen Körper und im Muskelapparat ist es überaus wichtig, die Faszien, soweit es geht, zu entlasten und aktiv zu regenerieren. Doch auch dazu später im Regenerationskapitel mehr.
Aufgrund ihrer Lage zwischen Skelett und Haut sind die Skelettmuskeln ein wesentlicher Faktor für die Physiognomie des Menschen, also sein äußeres Erscheinungsbild. Konstantes und belastendes Training sorgt für eine Vermehrung der Sarkomere und der enthaltenen Filamente und vergrößert so das Volumen des Muskels. Dadurch kann eine Physiognomie, die eher dem Schönheitsideal der heutigen Zeit entspricht, erreicht werden. Gleichmaßen kann kein Training auch für den Schwund von Sarkomeren und Filamenten und eine Schrumpfung des Muskels verantwortlich sein. Deshalb ist es wichtig, dass Sie regelmäßig trainieren, sich angemessen regenerieren und auf die Signale Ihres Körpers hören.
DER BEGRIFF DER MUSKELKONTRAKTION leitet sich vom lateinischen Begriff "contractio" ab, was so viel bedeutet wie "Zusammenziehung". Bei einer Kontraktion handelt es sich allerdings nicht nur um den Prozess des Zusammenziehens des Muskels, sondern auch um alle vor- und nachgeschalteten Vorgänge im Körper, die das Zusammenziehen erst ermöglichen.
Dieser Prozess beginnt mit der Entsendung eines Signals, welches via Rückenmark zum entsprechenden Nerv weitergeleitet wird. Am Ende des Nervs, der...