Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Der Regen prasselte auf die Frontscheibe, als Line die Tiefgarage verließ. Das Wasser lief in langen Streifen an den Fenstern hinab und verwischte die Welt außerhalb des Wagens.
Während der ersten Kilometer auf der Autobahn dachte sie nur an ihren Vater und die Ungewissheit, mit der er derzeit leben musste. Sie fühlte sich hilflos, so, als hätte sie ihn verraten.
Sie blickte auf den Beifahrersitz, sah den Zettel mit den Notizen des Nachrichtenchefs und spürte, wie sich andere Gedanken in ihrem Kopf zu formen begannen. Zwar hatte sie keine Möglichkeit zu verhindern, dass der Artikel über ihren Vater gedruckt wurde, konnte es aber vielleicht schaffen, ihn von der Titelseite zu verdrängen. Dabei kam es allerdings ganz darauf an, was sie aus der Sache machen könnte, zu der sie jetzt unterwegs war.
Die ersten Stunden nach einem Mordfall waren sowohl für Journalisten als auch die Polizei besonders wichtig. Sie trat etwas fester aufs Gaspedal, zog ihr Handy hervor und wählte die Nummer des Fotografen, der schon vor Ort war. Sein Name war Erik Fjeld. Ein kleiner, rundlicher und rothaariger Typ mit einer dicken Brille. Schon zwei Mal hatte sie mit ihm zusammengearbeitet.
»Was weißt du?«, fragte sie und kam gleich zur Sache.
»Mittlerweile wurde ein größeres Gebiet abgesperrt«, erklärte er. »Aber als ich herkam, war hier fast niemand.«
»Wissen wir, wer ermordet wurde?«
»Nein, und ich glaube auch nicht, dass die Polizei es weiß.«
Line schaute auf die Uhr. Die Deadline war um Viertel nach eins. Demnach hatte sie ungefähr drei Stunden. Sie hatte schon Titelseiten in kürzerer Zeit geliefert, aber es kam mehr auf den Fall als auf sie selbst an. Immer seltener erschienen Mordfälle auf den Titelseiten der Zeitungen. Das Interesse an derartigen Neuigkeiten sank, wenn die Onlinezeitungen schon über Fälle berichteten, während die Papierzeitungen noch im Druck waren. Da musste es schon etwas ganz Besonderes an einem Fall geben oder eine journalistische Perspektive, die von keiner anderen Zeitung so gebracht wurde.
»Aber es ist ein Mann?«, fragte sie, während sie an den Scheibenwischern vorbei auf die regennasse Fahrbahn schaute, die im Scheinwerferlicht der Autos glänzte.
»Ja, angeblich um die fünfzig.«
Line verzog das Gesicht. Das klang wie ein Fall, aus dem nur schwer etwas zu machen war. Junge Frauen brachten fette Schlagzeilen. So war es einfach. Und die Chancen, dass es sich bei dem Toten um einen Prominenten handelte, standen auch nicht besser. Auf die Schnelle fielen Line nur zwei bekannte Personen ein, die aus Fredrikstad kamen. Roald Amundsen und der Filmregisseur Harald Zwart. Amundsen war fast schon hundert Jahre tot, und Zwart hielt sich bestimmt nicht mal in Norwegen auf.
»Hast du eine Adresse oder eine Autonummer?«, fragte sie weiter.
»Sorry, nichts dergleichen.«
»Sind schon viele von der Presse da?«, wollte sie wissen.
»Nur die Lokalpresse. Demokraten und Fredriksstad Blad und dann noch ein Fotograf, der gewöhnlich für Scanpix arbeitet.«
»Was hast du an Bildern?«
»Ich bin frühzeitig hier gewesen«, erklärte der Fotograf. »War ganz dicht dran und konnte eine gute Serie machen. Der Tote wird zugedeckt. Sein Hund steht neben ihm und reckt den Hals. Tolle Beleuchtung mit Reflexionen von den Blaulichtern. Absperrband und Uniformen im Hintergrund.«
»Hund?«
»Ja, sieht so aus, als wäre er mit dem Hund draußen gewesen und dann überfallen worden.«
Line merkte, dass die Informationen ihre Stimmung aufhellten. Da draußen gab es eine Menge Hundebesitzer.
»Was für ein Hund ist das?«
»Irgend so was Langhaariges. Erinnert ein bisschen an Labbetuss im Kinderfernsehen, wenn du den noch kennst. Nur nicht so groß.«
Line grinste. Sie erinnerte sich an Labbetuss.
»Warte mit den Hundebildern, bis ich da bin«, sagte sie. »Aber schick alles andere rüber. Für die Internetausgabe brauchen sie in der Redaktion bestimmt was anderes als Leserfotos.«
»Die wollen bestimmt auch die Bilder von dem Hund«, wandte der Fotograf ein. »Die sind ziemlich gut.«
»Warte noch damit«, wiederholte Line. Sie brauchte die Bilder für ihren eigenen Aufmacher. Wenn die besten Bilder schon online zu sehen waren, reduzierte sich der Wert ihrer eigenen Arbeit.
Nachdem der Fotograf nichts mehr einzuwenden hatte, beendete Line das Gespräch. Dann warf sie einen Blick in den Rückspiegel und sah in ihre eigenen blauen Augen. Sie war ungeschminkt und hatte nach dem Besuch im Trainingsraum nicht mal ihr Haar richten können.
Ihr schien, als hätte sich innerhalb der letzten Stunde alles um sie herum auf den Kopf gestellt. Eigentlich hatte sie vorgehabt, sich abends aufs Sofa zu legen und einen guten Film herauszusuchen. Doch stattdessen fuhr sie jetzt mit leicht überhöhter Geschwindigkeit auf der E 6 in Richtung Østfold.
Nachdem sie an der Ausfahrt nach Vinterbro vorbeigekommen war, wechselte sie die Spur und griff nach dem Zettel mit der Nummer des Mannes, der die Zeitung angerufen hatte. Eigentlich hätte sie sich für ein Interview mit ihm verabreden sollen, doch dafür war es jetzt zu spät. Sie musste es am Telefon probieren.
Es klingelte lange, bevor jemand abnahm. Der Mann war von seinem Erlebnis offenbar ziemlich mitgenommen. Seine Stimme stockte beim Sprechen.
Line beugte sich vor, legte den Zettel aufs Lenkrad und steuerte mit dem Unterarm, während sie Stichwörter aufschrieb. Seine Geschichte gab nicht mehr her, als sie ohnehin schon wusste.
Der Anrufer hatte sich auf dem Heimweg befunden, als er auf den toten Mann gestoßen war.
»Das Blut floss noch aus ihm heraus«, erklärte er. »Aber ich konnte nichts tun. Sein Gesicht war völlig eingeschlagen.«
Line fuhr angeekelt zusammen. Doch fließendes Blut würde eine hervorragende Schlagzeile abgeben und könnte vielleicht dazu beitragen, den Fall näher an die Titelseite heranzubringen. Wie jemand umgebracht wurde, war immer ein wichtiger Punkt.
»Er wurde also totgeschlagen?«, fragte sie, um ganz sicher zu sein.
»Jaja.«
»Wissen Sie, womit er erschlagen wurde?«
»Nein.«
»Da lag nicht vielleicht irgendwas auf dem Boden? Eine Schlagwaffe oder so?«
»Nein . Also das hätte ich sicher bemerkt, wenn da ein Baseballschläger oder so was rumgelegen hätte. Aber es kann ja auch ein Stein oder etwas anderes gewesen sein.«
»Dann müssen Sie ihn ja gefunden haben, gleich nachdem es passiert ist«, fuhr Line fort und spielte auf das frische Blut an. »Haben Sie sonst irgendjemanden gesehen?«
Einen Augenblick war es still, so als dächte der Mann nach.
»Nein, ich war da ganz allein«, erwiderte er. »Ich und der tote Mann. Und sein Hund.«
Auch nach einigen anderen Fragen hatte Line nichts in der Hand, was sie weiterverwenden konnte. Sie beendete das Gespräch und spürte widersprüchliche Gefühle in sich aufkeimen.
In der Hoffnung, den Artikel über ihren Vater von der Titelseite zu verdrängen, jagte sie blutigen und bestialischen Details hinterher. Um ihre eigenen Bedürfnisse zu stillen, wünschte sie sich nahezu, dass einem anderen Menschen möglichst viel Leid zugefügt worden war. Das waren Gedanken, in denen sie sich kaum wiederfinden konnte.
Vor ihr auf der Straße wirbelte ein Lastwagen Wasser von der regennassen Fahrbahn auf. Sie überholte ihn und wählte dann die Nummer der Auskunft.
Normalerweise dienten die Redaktionsmitarbeiter als eine Art Bodentruppe, wenn sie selbst irgendwo unterwegs mit einem Fall beschäftigt war. Ein Team, das sie laufend darüber informierte, was die Onlinezeitungen schrieben, und das aus eigenem Antrieb Informationen überprüfte und Dinge recherchierte, bei denen sie Unterstützung haben wollte. Jetzt allerdings hatte sie keine Lust, mit irgendjemandem im Haus zu sprechen.
Eine Frau mit schläfriger Stimme fragte, womit sie helfen könne. Line bat sie um die Nummer einer Tankstelle in Gamlebyen in Fredrikstad. Gerüchte über irgendwelche Geschehnisse in einer Kleinstadt hatten die Tendenz, sich schnell zu verbreiten. Schon oft hatte sie die Erfahrung gemacht, dass Tankstellen, die auch abends und nachts geöffnet hatten, Orte waren, an denen über alles Mögliche gesprochen wurde.
Line wurde mit der Tankstelle Statoil Ostseite verbunden. Das Mädchen am anderen Ende der Leitung schien jung zu sein. Line stellte sich vor und nahm den Zettel mit den Stichwörtern des Nachrichtenchefs zur Hand.
»Ich arbeite für VG und bin unterwegs, um über den Mord in der Heibergs gate zu schreiben«, erklärte sie und überprüfte noch einmal den Straßennamen auf dem Blatt vor ihr. »Haben Sie davon gehört?«
Line merkte, wie das Mädchen ein Kaugummi in ihrem Mund beiseiteschob, bevor sie antwortete.
»Ja, hier sind schon ein paar Leute gewesen und haben darüber gesprochen.«
»Hat jemand gesagt, wer der Tote ist?«
»Es soll sich um einen Mann handeln, der seinen Hund ausgeführt hat.«
»Da gibt's viele, die am Wallgraben mit ihrem Hund rumlaufen.«
»Er hat einen langhaarigen Hund«, bohrte Line weiter. »So einen wie Labbetuss. War er vielleicht mal an der Tankstelle?«
»Labbetuss?«
Das Mädchen am Telefon war offensichtlich zu jung, und Line sparte sich weitere Erklärungen.
»Der Ermordete soll zwischen fünfundvierzig und fünfzig sein«, fuhr sie stattdessen fort.
»Ich glaube nicht, dass ich den schon mal gesehen habe«, sagte das Mädchen nach einigem Zögern. »Zumindest nicht heute, aber ich kann mich gerne mal ein bisschen für Sie...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.