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Die Setzung des Gleises und seine Stabilisierung
ZUSAMMENFASSUNG
Das endlos verschweißte Gleis dehnt sich im Sommer bei hohen Schienentemperaturen aus und wird durch die Einbettung in den Schotter daran gehindert seitlich auszuweichen und sich zu entspannen. Als Folge entstehen hohe Druckspannungen in der Schiene. Eine Entspannung des Gleises wird Verwerfung genannt und stellt ein Entgleisungsrisiko dar. Damit Verwerfungen vermieden werden, müssen Führungskräfte der Züge Grenzwerte einhalten und muss der Querverschiebewiderstand des Gleises einen entsprechenden Minimalwert aufweisen. Durch Instandhaltungsarbeiten, wie dem Stopfen oder Schotterreinigen, wird der Querverschiebewiderstand (QVW) deutlich herabgesetzt. Eisenbahningenieure errichten in diesem Fall Langsamfahrstellen - Restriktionen in Bezug auf die Fahrgeschwindigkeit der Fahrzeuge, um die Führungskräfte zu reduzieren. Maschinell setzt man zwei Verfahren zur künstlichen schnelleren Stabilisierung des Gleises ein: die dynamische Gleisstabilisation und die Zwischenfachverdichtung kombiniert mit der Vorkopfverdichtung.
Der Dynamische Gleisstabilisator (DGS) führt zu einer Setzung, die einer Zugbelastung von 80.000 bis 100.000 Lasttonnen entspricht. Stopfen reduziert den QVW um 50 bis 60 %. Der erniedrigte QVW nach dem Stopfen wird durch den DGS um etwa 30 % erhöht. Die Setzungen, die der DGS bewirkt, betragen ungefähr 30 % der vorangegangenen Hebung. Die Setzungen verschlechtern die Längshöhenqualität. Die Stabilisierung mit Zwischenfachverdichter bringt einen niedrigeren QVW-Gewinn, allerdings keine Einbuße an Gleisgeometriequalität.
Der QVW ist abhängig vom Gleisaufbau, dem Schotterquerschnitt und der Dichte der Lagerung der Schotterkörner unter den Schwellenauflagern.
Betonschwellen haben höhere QVW-Werte als Holzschwellen. Besohlte Betonschwellen weisen sehr hohe QVW-Werte und mehr Berührungskontakte mit den Schotterkörnern auf. Dies bewirkt eine Homogenisierung der Kraftableitung über eine Vielzahl von Schotterkörnern. Eine Verdopplung der Haltbarkeit der Gleislage ist die Folge. Zunehmend wird das Schotterverhalten mittels Diskrete-Elemente-Methoden (DFEM) simuliert. Diese Verfahren erfordern eine hohe Rechenleistung. Die einzelnen Schotterkörner werden mathematisch beschrieben oder durch gescannte Muster nachgebildet. Die Ergebnisse der FEM-Simulationen sind folglich praxisnah.
8.1 Der Gleisschotter
Der Gleisschotter ist das lastabtragende und lastverteilende Element vom Angriffspunkt der Kräfte über die Schienen und Schwellen in den Untergrund. Wäre Schotter homogen und gleichförmig, würden gleichmäßige Setzungen auftreten. Das ist nicht der Fall. Die Kräfte werden über die zufällig angeordneten Körner unterschiedlicher Größe, Form und Festigkeit übertragen. Die Kraftableitung ähnelt einem Wurzelwerk wie Bild 8.1 zeigt.
Bild 8.1: Stochastisch bedingte Kraftableitung über Schotterstruktur; Quelle: Autor nach [3].
Die dynamische Belastung der Schwellen durch zyklisch wiederkehrende Zuglasten führt zu einer Schotterabnutzung der unteren Korngrößen < 22,4 mm als Folge von Kornzertrümmerung und Abrieb.
Besohlte Schwellen weisen mehr Kontakte mit den Schotterkörnern auf, die Lastableitung wird homogener und verteilt sich gleichmäßiger. Die Folge ist eine langsamer verlaufende Setzung und eine längere Haltbarkeit der Gleislage. Die Kontaktflächen unbesohlter Betonschwellen betragen zwischen 1,5 und 2,8 % der Schwellenauflagerfläche. Bei besohlten Schwellen liegen diese zwischen 10 und 20 %. Unter zyklischer Last nimmt die Kontaktfläche weiter zu und die Kontaktkräfte nehmen ab.[1] Die Kontaktspannungen besohlter Schwellen liegen um den Faktor 3 bis 4 unter jenen unbesohlter Schwellen.
Die Eigenschaften der Schwellenbesohlung bleiben auch unter langer Lasteinwirkung erhalten. Nach 15 Jahren Betriebsdauer wurden besohlte Schwellen einer japanischen Eisenbahnlinie ausgebaut. Die mechanischen Eigenschaften blieben erhalten und wiesen mit neuen Sohlen vergleichbare Werte auf.[50]
Merksatz
Die groben Schotterpartikel und die übliche Höhe des Schotteraufbaus ergeben 6 bis 8 Gesteinslagen übereinander. Je geringer die Anzahl der die Schwellenunterseite berührenden Schotterkörner ist, umso zufälliger und inhomogener ist der abgeleitete Kraftfluss in den Unterbau. Dies bewirkt unterschiedliches Setzungsverhalten der Schwellen und ist die wesentliche Ursache der Längshöhenfehler.
8.2 Das endlos verschweißte Gleis
Das endlos verschweißte Gleis ( ausführliche Darstellung in Kapitel 6.6.15) wird bei der Neutraltemperatur verlegt. Bei dieser weist die Schiene einen neutralen Spannungszustand auf. Typische Neutraltemperaturen liegen in Europa zwischen 12 und 25 °C und hängen von den Minimal- und Maximaltemperaturen ab, die in der jeweiligen Region auftreten. Im Winter - bei niedrigen Temperaturen - will sich die Schiene zusammenziehen, wird aber über die Schwellen und Befestigungsmittel im Schotter festgehalten. Es treten Zugspannungen auf. Die Schienen neigen zu Brüchen.
Im Sommer - bei Schienentemperaturen bis zu 60 °C - hingegen möchte sich die Schiene ausdehnen und wird daran gehindert. Es treten Druckspannungen auf. Die Schiene strebt danach, sich wie ein langer Stab, auf den man sich stützt, auszuknicken. Die im Schotter liegende Schwelle und der gesamte Gleisrost verhindern dies, solange der horizontale Widerstand des Gleises eine ausreichende Sicherheit gegen die wirkenden Führungskräfte der Züge aufweist. Dieser Widerstand wird Querverschiebewiderstand genannt.
Ist der Querverschiebewiderstand nicht ausreichend, kommt es zu Gleisverdrückungen, Gleisverwerfungen und Zugentgleisungen. Gleisverwerfungen weisen Wellenlängen von etwa 20 m und Amplituden von einigen Dezimetern auf. Gleisverdrückungen sind Gleisrichtungsfehler mit Amplituden im Zentimeterbereich. Sie werden als thermische Gleislagefehler bezeichnet.[45] Gleisverdrückungen treten in Bereichen lokaler Reduktion des QVW auf, beispielsweise an weißen Stellen im Schotterbett (Bereiche starker Wechselwirkung zwischen Rad und Schiene - die Zerstörung des Schotters darunter zeigt sich in Form von austretendem Gesteinsmehl).
Für das sichere Befahren der Gleise ist ein ausreichender Querverschiebewiderstand (QVW) notwendige Voraussetzung.
Bild 8.2: Kritische Temperaturerhöhung über Neutraltemperatur versus seitlicher Verschiebung des Gleises; Quelle: Autor.
Bild 8.2 zeigt die kritische Temperaturerhöhung eines Betonschwellengleises versus der Neutraltemperatur. Übersteigt die Temperaturdifferenz Tb,max, kommt es zu einer Verwerfung. Das Gleis entspannt sich und springt spontan auf eine Gleisamplitude von etwa 35 cm. Bis zu einer Temperaturdifferenz von Tb,min ist das Gleis verwerfungssicher. Im Zwischenbereich können geringe Störungen zu einer Verwerfung führen (strichlierte rote Linie). Es gibt, wie die Abbildung zeigt, theoretisch zwei Punkte, auf die das Gleis entspannt zum Liegen kommt, der eine bei 6 cm und der andere bei 32 cm.
Ursprüngliche Neutraltemperaturen verändern sich mit der Zeit (bis zu 10 °C) durch:
Schienenlängskriechen infolge Zugbeschleunigungen und Bremsungen in Steigungen;
in engen Kurven durch Bogenatmung;
als Folge von Instandhaltungsmaßnahmen wie Stopfen, Schienentausch, Schienenfehlerbehebung - Einsetzen von Schienenstücken; Schotterbettreinigung.
Merksatz
Das endlos verschweißte Gleis wird bei Neutraltemperatur verlegt. Temperaturen über der Neutraltemperatur führen zu hohen inneren Druckspannungen, Temperaturen darunter zu Zugspannungen. Zugspannungen erhöhen die Bruchwahrscheinlichkeit der Schiene, Druckspannungen verringern die Sicherheit gegen Verwerfung. Ein ausreichend hoher Querverschiebewiderstand garantiert die Sicherheit gegen Gleisverdrückungen und Gleisverwerfungen.
Der QVW ist abhängig vom Bogenradius, der Schwellenart und Gleisrichtungsfehlern. Geringe Abhängigkeiten existieren von der Längssteifigkeit und der Verdrehsteifigkeit des Gleisrahmens.[4,5]
8.3 Querschiebewiderstand
Der Querverschiebewiderstand eines Gleises ist vorrangig dem Widerstand der Schwellen gegen Verschieben im Schotter zuzuschreiben.
Der Gesamtwiderstand der Schwellen im Gleis setzt sich aus vier Teilwiderständen zusammen:
Sohlreibung ist der Widerstand an der Schwellensohle, der von der Reibung zwischen Schotter und Schwellenunterseite und damit vom Reibwert und von der Auflast (Normalkraft) abhängt.
Schwellenflankenwiderstand ist der Widerstand an den Schwellenflanken, der sich aus dem aktiven Schotterdruck gemäß der klassischen Erddrucktheorie ableiten lässt. Er ist abhängig von der Schütthöhe, der...