Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Es ist ein Junge!
Das Baby ist raus. Endlich! Was für eine Anstrengung so ein Ritt durch eine Möse doch sein kann: Die Mutter schreit, das Baby wird gequetscht, die Leute drum herum sind in Hektik. Aber nun ist das alles vorbei. Schleim- und blutverschmiert legt man das frische Menschlein auf die Brust der Mutter. Vielleicht stößt es schon einen ersten Schrei aus, vielleicht ist es aber auch ganz still. Niemand wird es mehr über Kopf halten und ihm einen Klaps geben, damit sich seine Lungentätigkeit laut bemerkbar macht. Doch eine Sache hat sich bis heute nicht geändert: das unbändige Interesse an seinem Geschlechtsteil. Denn ob da was zwischen den Babybeinen baumelt oder nicht, hat man schon gecheckt, bevor man weiß, ob sonst alles dran ist und dem Kleinen auch wirklich nichts fehlt.
»Was wird es denn? Ein Mädchen oder ein Junge?« Schon in der Schwangerschaft geht das los. Je größer die Wampe, desto öfter wird gefragt. Seit man nicht mehr warten muss, bis das Baby das Licht der Welt erblickt, sondern schon ein, zwei Ultraschalluntersuchungen ausreichen, um sein Geschlecht sicher bestimmen zu können, stürzen sich sämtliche Verwandte, Freund:innen und Kolleg:innen auf die werdende Mutter, um sie mit genau dieser Frage zu penetrieren. Selbst die älteren Damen an der Bushaltestelle würden ihr Leben dafür geben zu wissen, was sie denn da unter ihrem Herzen trägt. Wehe, wenn die Mutter nicht allen Bekannten und Unbekannten brav Auskunft gibt! Aber wenn sie nicht mal selbst wissen will, welche Art von Spross aus ihr herauskriechen wird? Da kann man nur den Kopf schütteln. Wer ist schon so dumm und lässt die Gelegenheit verstreichen, sich rechtzeitig mit rosa Kleidchen oder Bodys in Fußballtrikot-Optik einzudecken?
Kein Wunder, dass die Menschen um uns herum ein eindeutiges Bekenntnis einfordern. In unserer Welt - das belegt jede Statistik - entscheidet unser Geschlechtsteil über unsere Zukunft. Es bestimmt, ob unsere Eltern uns Autos oder Puppen kaufen, ob sie uns trösten oder »Nun reiß dich mal zusammen« sagen. Nils Pickert, Autor von Prinzessinnen-Jungs - Wie wir unsere Söhne aus der Geschlechterfalle befreien, beobachtet zwar, dass man Jungs heute anfangs mit mehr Weichheit begegnet. Dass sich das später aber auch wieder verliert. »Inzwischen ist es so, dass die ersten Jahre mit Jungen noch relativ entspannt sind. Wir sind in einer Phase, wo man die Jungen die ersten drei, vier Jahre noch ein bisschen laufen lässt«, erzählt er mir bei einem abendlichen Gespräch. »Und da ist es dann auch in Ordnung, wenn sie Trost brauchen oder Nähe. Manche kommen sogar damit klar, wenn sie Lust darauf haben, sich zu verschönern, ein Kleid anzuziehen. Aber spätestens wenn es dann auf die Grundschule zugeht, wird es sehr, sehr hart. Dann werden die Jungen zugeschnitten auf so ganz klischeehaftes Verhalten wie nicht weinen, sich durchsetzen, machen, führen, gestalten. Und das sind alles Dinge, zu denen Jungen sich gar nicht verhalten dürfen, sondern sie haben das zu erfüllen, um ihr Geschlecht zu beweisen. Wenn sie das nicht tun, dann zweifelt man ihr Geschlecht an. Dann werden sie beschimpft, dann werden sie geschnitten, dann werden sie gemobbt, und es sind teilweise nicht nur andere Kinder, sondern auch Erwachsene, die das machen. Das ist dann die Verkäuferin in der Drogerie, die den Fünfjährigen fragt, ob er wirklich pinke Haarspangen haben will: >Jungen machen das nicht!< Und das geht weiter über Eltern befreundeter Kinder oder von Mitschülern, die Sachen sagen wie: >Ja, aber der Junge hätte doch mal zurückhauen müssen< oder: >Er hätte sich doch wehren müssen<. Und das sind alles Konzepte, die viel mit Gewalt zu tun haben, mit Härte, mit Durchsetzungsvermögen.«
Oh ja. Und es ist ja nicht mal so, dass Eltern das mit voller Absicht machen, weil sie so sehr auf kleine Soldaten stehen. Aber diese kollektive Idee von Männlichkeit haben wir alle so weit internalisiert, dass es sehr viel Auseinandersetzung mit ihr braucht, um sie nicht ständig unbewusst zu reproduzieren.
Der kleine Unterschied zwischen unseren Beinen entscheidet über noch viel mehr: Er bestimmt, ob wir eher Ingenieur oder Krankenschwester werden. Ob wir viel oder wenig Kohle verdienen, wie oft wir die Windeln unserer Kinder wechseln, ob wir unsere Angehörigen pflegen und ob Altersarmut für uns eine Rolle spielen wird. Er bestimmt, ob wir unsere Freund:innen innig umarmen oder ihnen unbeholfen auf den Rücken schlagen. Und eben auch darüber, was wir im Bett anstellen und was wir lassen.
Es ist also ein kleiner Junge, der da auf der Brust seiner Mutter liegt und aus dem aller Wahrscheinlichkeit nach in nicht allzu ferner Zukunft ein Mann werden wird. Woher wir das wissen? Weil er einen Penis hat.
Das beste Stück
Der Moment, in dem ich die Großartigkeit des männlichen Glieds vollends begriff, ereignete sich in einer Frauenarztpraxis. Meine schwangere Mutter lag auf der Liege, ein Ultraschall war fällig, und wie das halt so ist, wenn ein Geschwisterchen erwartet wird: Ich, die zukünftige große Schwester, durfte mit. Routiniert checkte der Arzt die Organe, zeigte mir Hände, Füße, Köpfchen, um schließlich zum Wesentlichen zu kommen: »Und hier«, an dieser Stelle machte er eine kunstvolle Pause, »haben wir den kleinen Leuchtturm.«
Einen Leuchtturm also. Noch nannte man ihn »klein«, aber das konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass es einen eklatanten Unterschied zu meinem eigenen Genital gab. Bei mir leuchtete nix da unten, im Gegenteil, da war absolute Finsternis, von daher hieß es auch eher »Hände weg! Das fasst man nicht an«. Mein Brüderchen hingegen rannte schon bald darauf nackt durch den Garten, spielte unbefangen mit seinem Puller und labte sich am Stolz unserer Eltern, einen männlichen Nachfahren in die Welt gesetzt zu haben. Es ihm übel zu nehmen wäre ungefähr genauso sinnvoll gewesen, wie sich darüber zu beschweren, dass ich nicht fliegen konnte wie ein Vogel. Es war Naturgesetz, dass für Pimmel andere Regeln galten als für Muschis. Fertig, aus.
Der Penis ist angeblich der ganze Stolz eines Mannes - sogar ein paar Kronjuwelen hängen da unten dran! Während Frauen im gesellschaftlichen Narrativ ihren Stolz vielmehr dadurch ausdrücken, dass sie nicht allzu viel Gebrauch von ihrem Genital machen. Und ihre Juwelen zieren auch eher den Verlobungsring als etwas zwischen ihren Beinen.
Dank seiner herausragenden Stellung ist der Penis nicht nur am männlichen Körper zu finden, er ziert auch Spielplätze, Klotüren, Hauswände. Wie schon die Höhlenmenschen Dinge, die ihnen wichtig waren, mittels bildlicher Darstellung auf Stein verewigten, so verewigen noch heute Männer ihre Potenz. »Ich bin hier!«, proklamiert der aufgesprühte oder hingekritzelte Penis, die Welt muss das erfahren. Sagt auch Carl1, der sich noch lebhaft an seine eigenen Kunstwerke erinnern kann: »Ich habe als Teenager ständig irgendwo ejakulierende Pimmel hingekritzelt. Das sind ein, zwei, drei Striche, wenn man die Hoden weglässt. Auf Schulbänke, Bussitze, in Hefte rein, auf Buchseiten in der Schule. Ja, ich habe meine Pimmel-Spur hinterlassen. Warum? Ich weiß, dass es viele getan haben, deswegen glaube ich, es ist normal. Das Teenageralter ist eine Zeit, in der mit einem Mal dieses Ding zwischen den Beinen präsent wird und einem bewusst wird, dass das etwas ganz Besonderes ist. Plötzlich wird das Ding hart, und man spritzt ab, und man kann Sex damit haben - und ich glaube, die Pimmel malt man eher, wenn man noch keinen Sex hat. Aber das ist ein unglaublich faszinierendes und die ganze Teenager-Seele beherrschendes Thema: Da ist dieser Schwanz zwischen meinen Beinen und was man mit dem wohl alles machen kann. Und darüber definiert man sich auch sehr und möchte es vermutlich einfach so rausschreien an alle Leute, und deswegen malt man es einfach überall hin: >Ja, es gibt Pimmel, Leute! Es gibt Pimmel, und die sind toll!<«
Komische Vorstellung, wenn Mädchen das Gleiche täten, oder? Dabei pubertieren sie genauso wie Jungs und lernen die Freuden ihres Genitals kennen. Nur halt heimlich.
Auch das Dickpic, diese unangenehme Begleiterscheinung des digitalen Zeitalters, haut in diese Kerbe, genauso wie Männer, die plötzlich ihren Trenchcoat lüften, um öffentlichkeitswirksam an ihrem Dödel rumzuspielen. Sexuelle Grenzüberschreitungen werden uns später noch intensiver beschäftigen, was jedoch für den Moment zählt, ist Folgendes: Außerhalb von Sexualkontakten und anderen Situationen, in denen genitale Nacktheit einvernehmlich beschlossene Sache ist, ist Pimmel zeigen ein astreiner Machtgestus. Genau genommen muss man sich für den noch nicht mal ausziehen. Es reicht schon, sich als Kerl partout so hinzusetzen, als wäre man derart gigantisch bestückt, dass einem die Beine im Neunzig-Grad-Winkel auseinander gedrückt würden. »Macht Platz für mein Ding!«, so die nicht ganz so subtile Botschaft der Manspreader.
Aber warum ist es überhaupt so, dass Männer sich derart auf ihren Penis einen runterholen müssen?
Betrachtet man den Menschen aus biologischer Sicht, dann besteht sein Daseinszweck einzig und allein in der Fortpflanzung. Wir werden geboren und wir sterben, und dazwischen müssen wir dafür sorgen, dass unsere Art nicht ausstirbt. Nun erscheint es vielleicht ein bisschen antiquiert, auf heteronormativer, reproduktionsorientierter Sexualität rumzureiten, um irgendetwas zu erklären. Heute haben wir Sex, wie, wann und mit wem es uns passt, und an die Erhaltung der Menschheit denken dabei die wenigsten von uns - ganz im Gegenteil, für viele ist die Aussicht auf Elternschaft der absolute Abtörner. Und doch hilft der Blick in die Funktionsweise unserer tierischen, instinktgetriebenen...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.