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«Vielleicht wird es in Zukunft eine afrikanische Geschichte geben. Gegenwärtig jedoch gibt es keine oder nur eine äußerst begrenzte: die Geschichte der Europäer in Afrika.»
So lautete die Einleitung des Buches Der Aufstieg des christlichen Europa 325-1492 von 1971, in dem sich der britische Historiker Hugh Trevor-Roper über den Trend beklagte, dass Studierende geradezu danach dürsten würden, über die klassischen Erzählungen von ägyptischen Pharaonen und den karthagischen Feldzügen hinaus mehr über «die Geschichte des schwarzen Afrikas» zu erfahren. Trevor-Roper war Professor in Oxford und bekannt für seinen 1947 erschienenen Bestseller Hitlers letzte Tage. «Wenn der Geschichtsablauf überall gleichartig ist, wie man heute teilweise annimmt, gibt es keinen vernünftigen Grund, warum wir einen bestimmten Abschnitt davon einem anderen vorziehen sollten; denn alles zu erforschen ist beim heutigen Stand der Forschung unmöglich», fuhr Trevor-Roper fort. «Dann allerdings könnten wir unsere eigene Geschichte wirklich vernachlässigen und uns über das für uns recht unwichtige Tun und Treiben wilder Stämme in einem malerischen, aber bedeutungslosen Winkel der Erde unterhalten.»
Trevor-Ropers Aussage war repräsentativ für große Teile der westlichen Welt, deren Blick auf das Afrika südlich der Sahara immer noch stark vom Kolonialismus und davor von Jahrhunderten der Sklaverei geprägt war. Mehr als hundert Jahre zuvor hegte der deutsche Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel ähnliche Gedanken. In seinen Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte von 1837 schreibt er, in den Schwarzafrikanern würden wir «den Menschen dort in der Barbarei und der Wildheit sehen». Hegel behauptet hier, der Mangel an Selbstkontrolle würde Fortschritt und das Schaffen einer Kultur in Afrika unmöglich machen. «Denn es ist kein geschichtlicher Weltteil; es hat keine Bewegung und Entwicklung aufzuweisen, und was etwa in ihm, d.h. in seinem Norden geschehen ist, gehört der asiatischen und der europäischen Welt zu.»
Für Trevor-Roper, Hegel und viele ihrer Zeitgenossen war Geschichte eine ständig fortschreitende und bewusste Bewegung. Ein bisschen wie in dem klassischen Computerspiel Civilization, wo man eine bekannte Zivilisation auswählt und sie von der Steinzeit bis in unsere Zeit begleitet, indem man vorgegebenen Wegen technologischer Entdeckungen folgt: erst das Rad, dann die Schrift und so weiter. In dieser linearen Betrachtungsweise war die westliche Zivilisation gleichbedeutend mit dem jüngsten und bedeutendsten Schritt und die afrikanische mit dem ersten und primitivsten. Afrika war nur interessant, wenn man zeigen wollte, welche unzivilisierten und barbarischen Traditionen und Lebensformen die westliche Welt seit Langem hinter sich gelassen hatte.
Aus dieser Sichtweise erwuchs zwangsläufig ein Teufelskreis - da Afrika als ein Kontinent ohne wirkliche Geschichte, die ein näheres Hinsehen wert wäre, betrachtet wurde, unternahm man auch nur wenige Versuche, die afrikanische Geschichte zu studieren, was wiederum dazu führte, dass es nur wenige neue Entdeckungen zu verzeichnen gab.
In A History of Modern Africa: 1800 to the Present (2009) schreibt der britische Historiker Richard J. Reid, dass schon während der Kolonialzeit aktiv versucht wurde, afrikanische Geschichte zu bagatellisieren. In Rhodesien, dem heutigen Simbabwe, zensierte die Kolonialverwaltung beispielsweise archäologische Funde, die darauf hinwiesen, dass die beeindruckende Ruinenstadt Groß-Simbabwe von Schwarzafrikanern errichtet worden ist. Stattdessen wurde eine Theorie bevorzugt, wonach es sich dabei um Reste antiker phönizischer Kolonisatoren aus dem heutigen Libanon handelte. Ebenso wurde der Mythos verbreitet, dass alles, was heute Südafrika ist, vor Ankunft der Europäer eine «leere Landschaft» gewesen sei - eine Lüge, dafür gemacht, den Kolonisatoren dasselbe Recht auf den Boden zu geben wie der indigenen Bevölkerung, die sie vertrieben hatten. Diese Theorien waren nicht das Ergebnis echter wissenschaftlicher Forschung, sondern wurden hauptsächlich von Vermutungen und Annahmen geleitet, die ihrerseits von Rassismus und Vorurteilen bestimmt waren.
Der eigenen Geschichte beraubt zu werden, ist ein Schicksal, das vor allem wohl die versklavten Afrikaner erleiden mussten. Anstatt eine natürliche kulturelle Zusammengehörigkeit zu empfinden, mussten sie die Fragmente ihres Ursprungs in einem fremden Land zusammenpuzzeln.
Innerhalb westlicher akademischer Kreise wuchs das Interesse an der afrikanischen Geschichte in den 1950er- und 1960er-Jahren, während gleichzeitig viele Länder des Kontinents unabhängig wurden und Afrika vom Glauben an die Zukunft durchströmt wurde. Historische Forschung war bis dahin größtenteils auf Imperialismus gegründet gewesen. Europäer - oft mächtige Männer oder mutige Entdecker - spielten die Hauptrollen, während Afrikaner zu passiven Statisten degradiert waren. Nun hingegen wollte man die vorkoloniale Geschichte studieren, um Anhaltspunkte zu finden, wie ein selbstständiges Afrika aussehen könnte.
Doch in der Geschichtswissenschaft sind Primärquellen - ursprüngliche Quellen aus der betrachteten Zeitperiode - immer entscheidend gewesen. Das aber machte Probleme, weil viele der afrikanischen Länder keine vorkoloniale Schriftsprache besaßen. Natürlich war die mündliche Tradition reich, doch die Historiker jener Zeit hielten sie im besten Fall für unzuverlässig und im schlimmsten Fall für nicht verwendbar.
Abgesehen von archäologischen Funden und linguistischer Detektivarbeit nährt sich ein großer Teil des Wissens über die frühe afrikanische Geschichte aus den schriftlichen Quellen ausländischer Besucher, wie zum Beispiel der arabischen Entdecker des Mittelalters, die Westafrika bereisten, oder der europäischen Missionare, die im 16. Jahrhundert versuchten, das Christentum zu verbreiten. Diese Schilderungen sind wertvoll, aber problematisch, und triefen oft von Rassismus, Verachtung und Arroganz. In den erhaltenen schriftlichen Quellen europäischer Expeditionen durchs afrikanische Inland im 19. Jahrhundert wird immer wieder offenbar, dass jene Entdecker sich tatsächlich als die Ersten betrachteten, die Berge, Seen und Flüsse des Kontinents erblickten. Die Afrikaner, die ihnen am Wegesrand begegneten, wurden nicht als gleichrangige Menschen gesehen, sondern mehr als Accessoires der Natur, nicht unähnlich den exotischen Tieren, die ja auch ein Teil der Landschaft waren.
In Ermangelung ursprünglicher vorkolonialer Quellen kreiste ein großer Teil der Forschung um die Kolonialgeschichte - eine dankbare Aufgabe für Historiker, da das Öffnen der Kolonial-Archive nach der jeweiligen Unabhängigkeit eines Landes in der Regel große Mengen von schriftlichen Quellen offenbarte. Erschwerend kam hinzu, dass die wirtschaftlichen und politischen Krisen der 1970er- und 1980er-Jahre in vielen afrikanischen Ländern Feldstudien für ausländische Wissenschaftler erschwerten, während gleichzeitig einheimische Akademiker von gekürzten Universitätsbudgets betroffen waren.
Als Folge der kolonialgeschichtlichen Dominanz hat das Bild von Afrika als einem Kontinent, dessen Geschichte mit der Ankunft der Europäer beginnt - eben jenes Bild, das Trevor-Roper und Hegel propagierten -, bis heute überlebt. Tippt man «Warum ist Afrika .» auf Google ein, dann ergänzt die Suchmaschine mit Sätzen wie «. so arm», «. ein Entwicklungsland», «. immer noch so unterentwickelt» oder «. der ärmste Kontinent». Es gibt immer noch Menschen, für die Afrika mehr oder weniger ein einziges Land ist, nämlich eine finstere Ecke der Welt, dominiert von endlosen Kriegen und großer Armut, und es gibt immer noch Menschen, die denken, dass der Kontinent jeglichen bisher erreichten Fortschritt dem Kolonialismus zu verdanken habe.
Diese Gedanken haben mich veranlasst, ein Buch zu schreiben, das diesem vergessenen Teil der Weltgeschichte gewidmet ist. Aufmerksame Leser haben sicherlich bemerkt, dass der Titel des Buches nicht Afrikanische Geschichte lautet. Der Grund dafür ist, dass ich mich auf die Geschichte der Schwarzen Menschen konzentrieren will, auf diejenigen Teile des Kontinents und seiner Erzählung, die für gewöhnlich vergessen werden.
Ein anderer Grund ist, dass es unterschiedliche Ansichten darüber gibt, was mit Afrika gemeint ist. Aus einer rein...
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