Hottentotten.
Die ethnographischen Verhältnisse des Schutzgebietes 1892.
Inhaltsverzeichnis Nach den vorstehend geschilderten kriegerischen Ereignissen hatten sich 1892, d.h. zur Zeit des Beginns einer tatsächlichen deutschen Schutzherrschaft, die ethnographischen Verhältnisse des Schutzgebietes wie folgt gestaltet.
Im Süden wohnten die Hottentotten oder Namas, in acht selbständige Stämme gespalten, und zwar die Witboois, Bethanier, Bondelzwarts, Feldschuhträger, Bersabaer, Franzmann-Hottentotten, die Khauas-Hottentotten und die rote Nation. Der letztgenannte Stamm war bei dem Zusammenstoße mit Witbooi aus seinem Stammsitze Hoachanas vertrieben worden und lebte in kümmerlichen Resten, aber immer noch geschlossen, unter seinem Kapitän Manasse, mitten unter den Hereros. Der ehemals mächtige Stamm der Afrikaner war so gut wie ganz verschwunden; einem kleinen Teil desselben werden wir später im Süden des Schutzgebietes wieder begegnen. Die Witboois endlich hatten unter ihrem Kapitän Hendrik ihren Stammsitz Gibeon verlassen und sich in Hornkranz, einem Platz zwischen Kuiseb und Swakop, festgesetzt, um hier den Rinderherden der Hereros näher zu sein. Ein kleiner Teil war in Gibeon geblieben, gehörte aber noch direkt zum Stamme.
Inzwischen war als letzter Zuwachs aus der Kapkolonie, Ende der sechziger Jahre, eine dritte Rasse eingewandert, nämlich die sogenannten Bastards, die Hauptmasse unter Leitung des Missionars Heidmann jetzt in Rehoboth. Sie waren den Räubereien der Buschmänner und verwilderten Hottentotten, Koranas genannt, gegen die die Kapregierung sie nicht schützen zu können erklärt hatte, gewichen. Die Ausgewanderten teilten sich in drei Gruppen, die sich nach wechselnden Schicksalen in Rehoboth, Grootfontein (südlich) und Rietfontein (südlich) niederließen. Von diesen wurde der Stamm von Rehoboth der für uns wichtigste. Er hat von dem Witbooikriege ab bis in die jetzige Zeit treu zur deutschen Regierung gehalten. Der Stamm von Rietfontein fällt mit dem größten Teil seines Gebietes in die englische Machtsphäre und kommt daher für uns nicht in Betracht. Der Stamm von Grootfontein hatte während der Witbooikriege seinen Wohnsitz verlassen und wurde nach deren Beendigung von uns wieder dorthin zurückgeführt. Ihm werden wir später gleichfalls wieder begegnen.
Die Bastards sind Abkömmlinge von Buren und Hottentottenfrauen. Sie selbst zählen sich mehr zu den Weißen als zu den Eingeborenen. Bei allen Fehlern haben sie uns doch in Krieg und Frieden sehr wertvolle Dienste geleistet. Sie sollten wir daher immer mehr an uns ketten und, ihren eigenen Wünschen entsprechend, den Weißen möglichst nahestellen. Wächst doch auch im Schutzgebiet schon jetzt ein den Bastards verwandtes Geschlecht heran, welches das volle Bürgerrecht besitzt. Es sind dies die Nachkommen von Reichsdeutschen und Bastardmädchen, Verbindungen, welche nicht gerade selten sind. Von ihren hottentottischen Voreltern haben die Bastards bedauerlicherweise den Hang zum Müßiggang sowie zur leichtsinnigen Vermögensverwaltung und zum Umherschweifen geerbt.
Nördlich an die Hottentotten schloß sich das mächtige Volk der Hereros an, nominell unter einem gemeinsamen Oberhäuptling stehend, tatsächlich jedoch gleichfalls in verschiedene Stämme zerfallend, deren Unterhäuptlinge die Autorität des Oberhäuptlings entweder gar nicht oder nur widerwillig anerkannten. Einem äußeren Feinde gegenüber pflegten sie sich indessen zu einigen.
Herero-Frau.
Der äußerste Norden des Schutzgebietes war und ist noch von den Ovambos besetzt, die wie die Hottentotten, sowohl dem Namen nach wie tatsächlich, in verschiedene selbständige Stämme zerfallen. Mit ihnen sind wir bis jetzt noch wenig in Berührung gekommen.
Der beiden im Nordosten des Schutzgebietes in das Kaokofeld verirrten Hottentottenstämme, nämlich der Swartboois und der Topnaars, habe ich bereits gedacht.
Hereros am Waterberg.
Die Gesamtstärke der Eingeborenen in Deutsch-Südwestafrika betrug 1892 etwa
15000 bis 20000 Hottentotten, 3000 " 4000 Bastards, 70000 " 80000 Hereros, 90000 " 100000 Ovambos.
Die Buschmänner und Bergdamaras sind schwer zu schätzen, sie mögen vielleicht zusammen 30000 bis 40000 Köpfe betragen.
Vermöge des langen Wirkens der Mission ist der Kulturzustand unserer Eingeborenen bereits ein verhältnismäßig hoher. Die sämtlichen Christen sowie die reicheren Heiden gehen in europäischer Kleidung. Als Kirchen- und Schulsprache haben die Missionare das von den Buren eingeführte Holländisch angenommen. In dieser Sprache kann man sich mit allen Stämmen verständigen, da sich bei jedem derselben eine Anzahl findet, die ihrer mächtig ist. Auch der Schriftwechsel mit den Häuptlingen sowie dieser unter sich wird holländisch geführt. Ebenso ist der Titel »Kapitän«, den die Häuptlinge des Schutzgebietes durchweg angenommen haben, dem Holländischen entlehnt.
Mit den Missionaren waren aber auch Händler und Jäger gekommen und damit die Schattenseiten unserer Kultur. Unsere Eingeborenen sind ebenso leidenschaftliche Raucher wie Liebhaber von Alkohol. Was aber für uns besonders unangenehm ist, sie kennen und besitzen den Hinterlader schon seit 30 bis 40 Jahren. Demzufolge ist ihre Fechtweise durchaus europäisch; wir werden daher in Südwestafrika von Gefechten, in denen 50 Reiter der Truppe Tausende von Eingeborenen ohne nennenswerte eigene Verluste in die Flucht geschlagen haben, nie etwas zu hören bekommen.
Kapitel II.
Aufrichtung der deutschen Schutzherrschaft.
Inhaltsverzeichnis Die Zeit der nominellen Schutzherrschaft.
Inhaltsverzeichnis Noch mitten unter den vorstehend geschilderten Kämpfen der Eingeborenen untereinander hatte sich in aller Stille ein Ereignis vollzogen, das die ganze Zukunft des Schutzgebietes in andere Bahnen lenken sollte, nämlich die Annahme der deutschen Schutzherrschaft seitens der meisten Eingeborenenstämme. Die Art der Aufrichtung unserer Herrschaft in Südwestafrika war nämlich der Abschluß von Verträgen, in denen die Eingeborenen-Häuptlinge einen Teil ihrer Regierungsgewalt an uns abgaben und dafür das Versprechen des Schutzes erhielten. Aber diejenigen, die im Namen des Reiches diesen Schutz versprachen, hatten hierzu nicht die geringste Macht. Wenn trotzdem damals die hochfahrenden Hereros sowie der größte Teil der freiheitliebenden Hottentotten sich unter deutschen Schutz gestellt haben, so haben sie dies nur getan, weil sie es mit dem verheißenen Schutze ernst meinten. Der ewigen Kriege unter sich müde, erwarteten sie von der deutschen Regierung ein Eingreifen in diese Kämpfe zu ihren Gunsten. Der einzige, der einen solchen Gedanken weit von sich wies, war der Kapitän Hendrik Witbooi. Dieser fuhr fort, die Rinderherden der Hereros, soweit er deren habhaft werden konnte, als die seinigen zu betrachten. Infolgedessen war von der nominell bestehenden deutschen Herrschaft im Schutzgebiete bis 1891 nichts, bis 1893 nur wenig zu merken.
Schließlich ergriff die Eingeborenen, an der Spitze die Hereros, neben der Mißachtung gegen die Weißen auch noch Mißmut und Erregung, deren Ausbrüche 1891 zur Abreise des damaligen deutschen Regierungsvertreters, Dr. Göring, geführt haben. Jetzt erst sandte das Deutsche Reich Soldaten, und zwar 1891 bis Anfang 1893 steigend von 30 bis 50 Mann, an ihrer Spitze den neuen Reichskommissar, Hauptmann v. François. Diese kleine Macht vermochte wenigstens die Person des deutschen Regierungsvertreters zu schützen sowie ihn mit einer gewissen Autorität zu umgeben. Immerhin mußte er sich z.B. unter dem 13. und 14. Juni 1891 von dem schlauen Hererohäuptling Manasse von Omaruru u.a. folgendes sagen lassen:[4]
»Lieber Hauptmann v. François. Ich habe Sie auch über etwas zu fragen, damit Sie mir's sagen; nämlich bezüglich der Hilfe, von der Sie mir sagten, daß Sie mir solche gebracht, bitte ich sehr, mir mitzuteilen, welche? Denn ich weiß noch nicht, welche Hilfe, und sollte ich es wissen, so habe ich es vergessen. Sie müssen mir's nochmal sagen: Ich meine diese oder jene Hilfe« usw.
Und ferner:
»Was nun diese Verordnungen betrifft, die Sie erlassen, so erkenne ich an, daß dieselben recht gut sind. Nachdem ich jedoch etwas darüber nachgedacht, will es mir scheinen, daß es gut gewesen wäre, wenn Sie, da Sie jetzt Stellvertreter des Kaisers sind, zunächst mit den Häuptlingen der Hereros sich verständigt und dann die Verordnungen erlassen hätten. Ich sage so, weil mir noch nicht erkennbar ist, worin die Hilfe besteht, über die wir zuletzt auf Okahandja gesprochen, als wir mit Ihnen und Dr. Göring zusammen waren. Vielmehr sind Menschen und Eigentum der Hereros nach jenem Bündnis in höherem Maße als früher durch den Krieg vernichtet worden, und keine Hand eines Deutschen hat sich geregt, sie zu schützen. Die unverständigen Hereros, die die Weise dieser Verordnungen nicht einsehen, werden deshalb dieselbe jetzt nicht anerkennen« usw.
An logischem Denken fehlt es nach diesen Briefen unseren »Wilden« nicht, wie sie auch für Recht und Unrecht stets ein feines Gefühl zeigen.
Während der Jahre 1891 und 1892 bemühte sich dann der Reichskommissar, den Kapitän Witbooi zum Einstellen seiner Kriegszüge gegen die Hereros, daneben auch zur Annahme der deutschen Schutzherrschaft zu bewegen. Letzteres...