Schweitzer Fachinformationen
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MEINE Freundinnen haben mir immer erzählt, ein Baby zu kriegen sei, wie eine Wassermelone auszuscheiden. Unverdaut, natürlich. Alles gelogen. Ein Baby zu kriegen ist, als hätte man einen Häuserblock im Enddarm, samt Balkonen, Markisen, Wäscheleinen, Fernsehantennen, Satellitenschüsseln, Gartengrills, nierenförmigen Swimmingpools, Terrassen, Doppelgaragen und davor geparkten Autos.
Eine weitere Wehe schüttelt mich.
«Haben wir Schmerzen?» erkundigt sich die Schwester teilnahmsvoll, während sie mich sanft von der Zimmerdecke kratzt. «Sieht doch alles gut aus. Keine Krampfadern, keine vaginale Blutung.» Sie steht über mir und macht Kreuze auf einem Klemmbrett. «Kein Verlust von Fruchtwasser, keine anderweitigen Auffälligkeiten. Schön. Dann wollen wir mal sehen . Rasur?»
«Nein.»
«Einlauf?»
Ich komme mir vor wie bei einem Bewerbungsgespräch für einen Job, den ich nicht haben will. Über die Tapete zieht ein Schwarm Störche mit Bündeln lächelnder Babys im Schnabel - ironisches Bühnenbild für das Mutterschaftsdrama, das sich darunter abspielt. «Nein.» Vor mir erhebt sich mein Bauch, ein Fleischballon, durchzogen von einem bizarren Muster aus blauen Äderchen. Ich bin ein Wasserbett, das als Trampolin mißbraucht wird. Von innen.
«Familienstand?»
«Was zum Teufel hat das mit .»
«Und wer ist der glückliche Vater?»
Der unglückliche Vater. Er ist nicht mal aufgekreuzt, die fiese Ratte. Von mir aus kann er zur Hölle fahren. Ohne Rückfahrkarte.
Die Schwester entfernt die CTG-Kabel. «Machen Sie sich keine Gedanken. Manche Männer wollen einfach nicht bei der Geburt dabeisein.»
«Hören Sie, ich will auch nicht dabeisein!»
«Sie ist nicht verheiratet.» Yolanda flattert um mein Bett wie die übereifrige Gastgeberin einer Cocktailparty. Ich warte jeden Moment darauf, daß sie Appetithäppchen herumreicht. «Die Ärmste. Nicht, daß unsereinen so was stört, aber der Kleine wird es sicher schwer haben.»
«Es ist ein Mädchen, Sie dämliche -» Der Schmerz legt sich im Klammergriff um meinen Unterleib. Ich stiere mit hervorquellenden Augen auf den mittleren Knopf der Schwesternuniform und warte, daß der Krampf vorübergeht. At-men, drei, vier.
«Sie war in meinem Geburtsvorbereitungskurs, wissen Sie.» Yolanda rückt ununterbrochen ihre knallrote Riesenbrille zurecht. «Sie kam ganz allein, und irgend jemand mußte sich ja schließlich um sie kümmern.»
Wäre ich ihr doch bloß nicht auf dem Klinikflur begegnet! Schlimm genug, daß sie überhaupt hier ist, und dann schiebt sie auch noch diese unerträgliche Märtyrernummer! «Verschwinden Sie!» röchle ich. Es gibt absolut nichts, was mir an Yolanda Grimes sympathisch wäre. Yo-Yo gehört zu den Frauen, die morgens schon gutgelaunt aus dem Bett springen und den ganzen Tag hindurch immer fröhlicher werden. Sie backt nicht nur ihr Brot selbst und bringt ihre Zeitungen regelmäßig zum Altpapier-Container, nein, auch diese Massen von rohem Eiweiß, die wir alle im Kühlschrank sammeln, um sie schließlich ungenutzt in den Ausguß zu rühren? Daraus macht sie Baisers! «Alex muß jede Minute -»
«Ja, ja.» Yolanda tätschelt mir die Hand und wirft der klemmbrettschwenkenden Schwester einen verschwörerischen Blick zu. «Also, dann war die Schwangerschaft wohl, äh . ungeplant?» fragt Miss Klemmbrett. «Tut mir leid», fügt sie hinzu, als sich mein Blick wie ein Dolch in ihre Stirn bohrt, «die Frage ist Vorschrift.»
«Ungeplant?» Yolandas Schandmaul ist bereits im ersten Gang, bevor ich Luft holen kann. «Ach, sie ist extra nach England gekommen wegen diesem . Mann», sagt sie, und aus ihrem Munde klingt dieses Wort wie eine unheilbare Krankheit. «Und dann wurde sie schwanger.»
«Ich wurde nicht schwanger. Ich wurde geschwängert!» Du lieber Himmel, was hatte er mir schon bei unserem ersten Date von seiner Liebe zu Kindern vorgeschwärmt. Wie oft hatte er beteuert, er verachte diese Väter, die ihre Kinder vor dem Abendessen auf dem Silbertablett hereingebracht bekämen und sie wieder wegschickten, sobald die Suppe serviert wurde. Wenn Jugendliche wegen irgendwelcher Bagatelldelikte vor Gericht ständen, meinte er, sollte man die Väter dazu verurteilen, ihre Abende zu Hause zu verbringen. Wir hatten sogar darüber gesprochen, was für Puppen wir kaufen würden und ob sie anatomisch korrekt sein sollten.
Ich rutsche vom Bett wie eine Monsterqualle und fühle mich anatomisch absolut inkorrekt. Das Design des weiblichen Reproduktionssystems ist eine Totalpleite. Ich meine, wie kann etwas so Riesiges aus etwas so Kleinem herauskommen? Na ja, etwas ziemlich Kleinem. Ich bin neunundzwanzig, also ist die Zahl meiner Verflossenen schon eine Weile zweistellig. Mein durchscheinend weißer Mittelteil hüpft auf und ab - die groteske Parodie eines Bauchtanzes. Heftiger Schmerz rast im Zickzack durch meinen Leib. «Verdammt, ich schaff das nicht!» Hätte ich doch bloß nicht aufgehört zu rauchen, dann wäre es wenigstens kleiner.
«Na, na», tadelt Yolanda vergnügt. «Alle zehn Sekunden wird irgendwo auf diesem Planeten ein Baby geboren. So schlimm kann es doch nicht sein.»
Ich bin froh, daß ich den Einlauf abgelehnt habe. Es wird mir ein Vergnügen sein, Yolanda Grimes von oben bis unten einzusauen.
Während wir den Flur hinunterwatscheln, wobei ich alle paar Schritte anhalte, mich an die Wand lehne, nach Luft schnappe und versuche, so zu atmen, wie ich es gelernt habe, kann ich uns in dem Panoramaspiegel beobachten, der über dem Schnittpunkt der Krankenhausflure hängt. Wir geben ein ziemlich komisches Paar ab: ich ungefähr eins achtzig, mit kurzen roten Haaren, Rosentätowierung und blitzendem Nasenring. Yolanda klein, feist und in Nylonstrumpfhosen. Sie sieht aus wie eine dieser Gummipuppen beim Boxtraining, die so prall sind, daß sie sofort zurückfedern, wenn man auf sie eindrischt. «Verschwinden Sie endlich!» brülle ich noch einmal.
«Kommen Sie mit», federt sie zurück. «Der Kreißsaal ist gleich um die Ecke.»
«Was soll das heißen, ? Bei meiner augenblicklichen Verfassung könnte er genausogut in Afrika liegen!»
«Nach meiner Erfahrung machen die Frauen in der westlichen Welt viel zuviel Aufhebens von den Geburtsschmerzen. Sie sollten mehr Courage zeigen.»
Eine kesse Schamlippe riskieren, sozusagen. «Jetzt hauen Sie endlich ab und lassen Sie mich allein!» Doch als mich ein neuerlicher Krampf durchschüttelt, stütze ich mich unwillkürlich auf ihren Arm.
Wir befinden uns in einer Klinik in der Londoner Innenstadt; eine von der Sorte, die man erst mal saubermachen müßte, bevor man sie abreißen könnte. Mit dem abgeblätterten Anstrich und den schmuddeligen Linoleumböden wirkt der Kasten wie aus einem Prospekt des Bukarester Fremdenverkehrsbüros. Als wir durch die Gummitüren der Wöchnerinnenstation treten, kommt die passende Geräuschuntermalung hinzu: das Gestöhn und Gemurmel der werdenden Mütter erinnert an Orchesterproben für eine Komposition der rumänischen Postmoderne.
«Hach, wie die Babys heute wieder boomen», zwitschert Yolanda.
Offensichtlich bereitet ihr die Situation ausnehmendes Vergnügen. Ich würde sonstwas darum geben, daß sie aus dieser Station verschwindet, am besten gleich aus dieser Welt und in irgendeine ferne Galaxis, aber ich stehe nur hilflos und schmerzverkrümmt neben ihr. Ich zittere am ganzen Körper, wie eine Stimmgabel. Durch eine Art Nebelwand höre ich Laute aus meinem Mund dringen, mit denen ich sämtliche Geräuscheffekte in «Poltergeist II» würde bestreiten können. Falls Sie auch zu diesen Leuten gehören, die sich manchmal fragen, ob Gott eine Frau ist - vergessen Sie's. Gott muß ein Macker sein, soviel ist klar.
Bei der Führung durch die Klinik hatte ich mir auch den Kreißsaal angesehen. Mit seinen kiefernverschalten Wänden sah er aus wie eine verrottete schwedische Sauna. Doch jetzt nehme ich das gar nicht mehr wahr. Ich kippe nach vorn, direkt in etwas, das aussieht wie ein großer brauner Kuhfladen. Mir schießt durch den Kopf, daß Alex, der in den sechziger Jahren studiert hat, es sicher lustig fände, daß man endlich eine sinnvolle Verwendung für den Sitzsack gefunden hat. Hier nennen sie ihn «Stillkissen».
Die Schwester legt ihr Klemmbrett ab. Sie reicht mir einen Kittel von der Größe eines Waschlappens, damit ich meine schwellenden Formen bedecken kann. Dann hilft sie mir auf das Bett. «Bis jetzt hat sich der Kopf des Kleinen ja noch nicht hervorgetraut.» Getraut? Bin ich paranoid, oder ist das eine Anspielung auf meinen Familienstand? In den Geburtshilfe-Broschüren steht, was man in sein Klinikköfferchen packen soll. Ehemänner gehören da ebenso zur Grundausstattung wie ein Nachthemd. «Aber Babylein dreht sich vor der Geburt meistens noch mal rum, also kein Grund zur Sorge.» Sie befestigt eine Gummimanschette an meinem Arm. «Ich komme alle halbe Stunde vorbei, um den Blutdruck zu messen.» Ich kann ihr jetzt schon sagen, daß er hoch sein wird. Bestimmt habe ich Diabetes von dem ganzen rosa Zuckerguß, mit dem ich meine frohe Erwartung überkleistert habe. Ich hatte mir vorgestellt, ich würde eine hingebungsvolle Mutter sein, die Tofu püriert und phantasievolle Figuren aus Knetmasse fertigt. Im Moment sieht es leider gar nicht danach aus. Das hier tut verdammt weh. «Oh, Scheiße, nein!» schreie ich. «Ich will nicht!»
«Na, na», ermutigt mich Yolandas blecherne Einpeitscherstimme. «Bäuerinnen gebären draußen auf dem Feld. Sie hocken sich einfach hin,...
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