Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Eine Stimme hinter der Nr. 8 aus Messing rief »Ist offen«. Ich drückte die Tür auf. Das übliche Gesetz gleißenden Gegenlichts galt, und in dem Halbdunkel sah ich gar nichts. Es gab weder Diele noch Wartezimmer und schon gar keine Sekretärin, die seine Termine regelte. Ich war in der sogenannten Suite gelandet, einem großen vollgemüllten und unergründlichen Zimmer, das noch dunkler wurde, als die Stimme sagte »Tür zu« und ich gehorchte. In dem kurzen Augenblick, in dem ich Umrisse ausmachen konnte, sah ich den bootsgroßen Schreibtisch, die Gestalt dahinter, die Formen an den Wänden, allesamt leblos. Hier lag niemand im Hinterhalt, da war ich ziemlich sicher. Ich wäre wieder zur Tür hinaus, bevor er um seinen Tisch herum war. Ich hatte Pfefferspray und eine kleine Presslufthupe in der Handtasche. Beides hatte ich noch nie gebraucht, und die Hupe war vielleicht eh nur ein Witz.
»Phoebe Siegler?« Die einzige Lampe im Zimmer stand auf dem Tisch, und ich sah nur Jeans und Stiefel. Die einzige Gesellschaft der Lampe war ein Festnetztelefon, ein schwerer schwarzer Büroapparat. Kein Computer.
»Tut mir leid, dass ich so spät dran bin«, haspelte ich.
Er schwang die Füße vom Tisch, rollte mit dem Stuhl ein Stück vor, und jetzt hatten sich meine Augen so weit an die Lichtverhältnisse angepasst, dass ich seine abgewetzte rote Lederjacke sehen konnte, bis ins Detail wie ein Cowboyhemd geschnitten, mit weiß gesäumten Westentaschen und Manschetten. Das Leder war so steif und trocken, als hätte man ein Cowboyhemd in Bronze gegossen und dann mit Farbe besprüht. Eine alberne Jacke, aber irgendwann gehörte sie für mich einfach dazu. Mehr als das, sie wurde sein Markenzeichen. Ich habe nie wieder eine ähnliche Jacke gesehen.
Über der Jacke schob sich sein großer Kopf in den Lichtkegel. Seine Augen waren braun unter buschigen, verschmitzt gewölbten Brauen. Seine Haare strömten aus der breiten Stirn nach hinten, und auch seine Koteletten waren so breit und buschig, als strömten sie aus seinen Wangen. Als wäre sein ganzes Gesicht durch Lücken in einem Haarnetz gestopft worden, ging mir absurderweise durch den Kopf. Wo die Koteletten aufhörten, fingen Zweitagestoppeln an, mindestens. Er erinnerte an die Blattgesichter aus Ton, die man manchmal in den Schuppen von Möchtegerngärtnern sieht. Seine große Nase und die Lippen, die tiefe Kinnspalte und das Philtrum erinnerten an eine Pekannuss oder einen Penis. Ich muss gestehen, dass mich Männer mit Penisgesichtern manchmal anziehen, weswegen ich schon mal mit einem Kahlkopf zusammen war. Aber anfangs find ich sie immer abstoßend.
Diesmal war ich auch entsetzt und ließ mir das anmerken. Er sagte: »Ich bin Charles Heist« und schob sich weiter ins Licht, reichte mir aber nicht die Hand. Inzwischen konnte ich auch das Mobiliar erkennen. Links an der Wand stand ein schmales Eisenbett mit zerwühlten Bettdecken und Kissen entlang der Längsseite. Hoffentlich ging er nicht davon aus, dass ich das als Couch ansah. Rechts standen der angeschlagene schwarze Koffer einer Akustikgitarre, ein Aktenschrank mit zwei Schubladen und ein hoher Kleiderschrank aus Hellholz, der ein ziemlich protziges Stück dänische Moderne abgegeben hätte, wenn er nicht so ramponiert gewesen wäre. Aber das war nur mein Gehirn, das sich an Nebensächlichkeiten stieß wie eine Flipperkugel.
Er half mir auf die Sprünge. »Sie sagten am Telefon, Sie würden jemanden suchen.« Ich hatte am Vortag eine Nummer angerufen und war zurückgerufen worden - vielleicht von dem Telefon vor ihm auf dem Tisch.
»Genau, die Tochter einer Freundin.«
»Setzen Sie sich.« Er deutete auf einen Klappstuhl zwischen Akten- und Kleiderschrank. Er sah zu, wie ich ihn nahm und aufklappte, und schämte sich offenbar kein bisschen seines mangelnden Feingefühls. Ich war erst mal froh, dass der Schreibtisch zwischen uns stand, und vielleicht spürte er das, was ein tieferes Feingefühl verraten hätte.
»Sie haben meine Nummer von Jane Toth?«
»Ja.« Jane Toth war die Sozialarbeiterin, deren Namen die Ortspolizei herausrückte, nachdem sie mir die Hoffnung genommen hatte, bei der Suche nach Arabella Swados helfen zu können, deren letzte Spuren nach Upland wiesen. Achtzehnjährige Studienabbrecherinnen vom Reed College, die seit drei Monaten verschwunden waren, entsprachen nicht ihren Vorstellungen von Ausweitung ihrer Fallbelastung. Also hatte ich mich auf die Suche nach Ms. Toth gemacht, die sich vor Ort auf Bedürftige und Ausreißer spezialisiert hatte. Auch sie hatte mich erst mit einer Reihe von erwartungssenkenden Gesten traktiert, dann Heists Namen und Telefonnummer auf die Rückseite ihrer Visitenkarte gekritzelt und seinen merkwürdigen Spitznamen erwähnt. Sie hatte mich auch gewarnt, er neige zu unorthodoxen Methoden, produziere manchmal aber wunderbare Ergebnisse für Familien, bei denen die Spuren schon erkaltet waren wie bei Arabella.
»Haben Sie Dokumente mitgebracht?«
»Entschuldigung.« Das sollte ich mir abgewöhnen. Ich wühlte in der Handtasche nach Arabellas Pass, dessen Foto vor einem Jahr aufgenommen worden war. Da war sie siebzehn gewesen. »Das heißt dann wohl, in Mexiko müssen wir nicht suchen.«
»So nah ist Mexiko hier nun auch nicht, Ms. Siegler. Aber wenn man will, gibt es Stellen, wo man nur mit einem Führerschein rüberkommt.«
»Soweit ich weiß, hat sie keinen.«
»Benutzt sie Kreditkarten?«
»Sie hatte eine von ihrer Mutter, aber die benutzt sie nicht, das haben wir schon geprüft.«
»Sonst wären Sie nicht hier.«
Der Pass, den ich ihm auf den Tisch legte, war neu und sauber, und durch den festen Einband klappte er nicht auf, doch das merkte er nicht. Heist - ich sollte ihn Charles nennen, auch wenn er das da noch nicht für mich war - beachtete ihn gar nicht. Er starrte mich an. Ich hatte meinen Teil entkleidende Männerblicke abbekommen, aber das hier war existenziell schonungsloser, das Aufblitzen von Seelenverwandtschaft auf einer sonnigen Lichtung. Einen Augenblick lang wirkte er genauso schockiert wie ich, dass ich in sein Büro gekommen war.
»Ich nehme an, Sie arbeiten eher weniger in diese Richtung, oder? Mit Datenabgleich und so?« Au Backe. Ich haspelte wieder.
»Überhaupt nicht.«
»Als sie noch an der Highschool war, hat sie auf einem Biobauernhof in Vermont gejobbt.« Noch während ich das sagte, blitzten die Berge in mir auf, die öde Pampa, vor der ich mich gerade ins Haus verdrückt hatte. Das Blau. Arabella und ich waren verflixt weit weg von Vermonts ländlichen Dorfangeridyllen. »Ich glaube, da ist sie auf diese Idee gekommen, vom Radar zu verschwinden. Die hatte sie von privilegierten Jugendlichen, die genauso ahnungslos waren wie sie.«
»Muss ja nicht grundsätzlich 'ne schlechte Idee sein.« Das kam ohne eine Ablehnung meiner Einschätzung, obwohl ich dazu eingeladen hatte.
»Nein, klar, so hab ich's auch nicht gemeint. Jedenfalls: Solche Sachen übernehmen Sie?«
»Ja.« Jetzt machte sein blaues Starren dasselbe wie der Himmel: Es brachte mich um. Vielleicht war es aus Gnade, dass er die Spannung löste, indem er eine Schreibtischschublade zu seiner Rechten aufzog. Natürlich würde er eine Waffe herausnehmen. Vielleicht war das auch die Stelle im Drehbuch, wo er eine Flasche und zwei Schnapsgläser auf den Tisch stellte. Vielleicht sah ich der Frau ähnlich, die ihm das Herz gebrochen hatte. Ich beugte mich ein wenig vor. Die Schublade war tief und rollte massiv aus dem Tisch heraus. Er schob den Arm weit hinein und holte einen pelzigen, grau gestreiften Football heraus, der eine kegelförmige weiße Schnauze und weiche rosa Krallen wie die Hände einer Kinderpuppe hatte. Ich war selbst überrascht, dass mir sofort die richtige Bezeichnung einfiel - ein Opossum.
Die Beine und der dicke unbehaarte Schwanz des Tiers hingen beidseits übers Heists Arm, aber es war nicht tot. Seine schwarzen Augen funkelten. Ich lehnte mich wieder zurück. Im Zimmer roch es warm und holzig, wie Strauchwerk, und jetzt schrieb ich das dem Tier zu, von dessen Versteck in der Schublade ich nichts geahnt hatte. Heist strich ihm mit einem stumpfen Finger von den katzenartigen Ohren das Rückgrat hinab und schien es fast zu hypnotisieren. Vielleicht wurde auch ich hypnotisiert.
»Ist das Ihr Bluthund?«, flachste ich. »Ich hab vergessen, ein bisschen Stoff mitzubringen.«
»Sie heißt Jean.« Er sprach ausdruckslos, ließ sich von meiner Schnoddrigkeit noch immer nicht aus der Ruhe bringen. »Sie erholt sich von einer Harnwegsinfektion, falls sie nicht daran stirbt.«
»Also einfach ein Haustier.«
»Es...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.