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Ich begegnete Perkus Tooth zum ersten Mal in einem Büro. Allerdings nicht in einem, in dem er arbeitete, auch wenn ich das damals durcheinandergebracht habe - für mich übrigens nichts Ungewöhnliches.
Es war an einem normalen Spätsommernachmittag in der Geschäftsstelle der Criterion Collection an der Ecke 52nd Street und Third Avenue. Ich war dort, um eine Reihe von Audiokommentaren für die DVD-Neuausgabe des »verschollenen« Film noir Die Stadt als Labyrinth aus den Fünfzigern aufzunehmen. Meine Aufgabe war es, den Text des kürzlich verstorbenen Autorenfilmers Von Tropen Zollner einzusprechen. Ich sollte einige seiner Statements aus Interviews und Artikeln für eine begleitende Dokumentation lesen, die die Programmgenies bei Criterion, von denen ich zwei bei einer Dinnerparty kennengelernt hatte, gerade vorbereiteten. Um mich für das Projekt zu begeistern, hatten sie mir einen Berg von Archivmaterial zur Verfügung gestellt, den ich beiläufig durchgegangen war, sowie eine Vorabversion des rekonstruierten Films. Es war das erste Mal, dass ich den Namen Von Tropen Zollner gehört hatte, also hielt sich meine Begeisterung zunächst in Grenzen. Aber der Enthusiasmus von Cineasten ist ansteckend, und mir gefiel der Film. Mich selbst sah ich eher als Schauspieler im Ruhestand. Solche Sachen waren das Einzige, was ich als Abgesang auf meinen mittlerweile verblassenden Ruhm als ehemaliger Kinderstar noch annahm. Eine wirklich exzentrische Gefälligkeit. Außerdem war ich neugierig darauf, die Räume von Criterion zu sehen. Gerade Anfang September, wenn die Schulferien zu Ende gingen, kribbelte es mich immer, meinem Müßiggang etwas entgegenzusetzen. Janice war weit weg, und ich verlor mich in Oberflächlichkeiten: Partys, Klatsch, Rendezvous, bei denen ich Mittelsmann war oder vertrauensvoller Freund. Arbeitswelten faszinierten mich, Schnittstellen, an denen Manhattans Fassade der praktischen Realität wich.
Ich sprach Zollners Worte in einem Aufnahmestudio inmitten der beengten, baufälligen Räumlichkeiten von Criterion ein. In der Kabine, von der aus der Toningenieur mir über Kopfhörer Anweisungen gab, saß auch ein Restaurator, der auf einem Bildschirm mit der Maus fleißig Kratzer und Flecken von nackt im Matsch herumtollenden Hippies wegretuschierte. Mir war gesagt worden, er restauriere Ich bin neugierig - gelb. Anschließend wurde ich von Susan Eldred, der Produzentin, die mich engagiert hatte, abgeholt. Es waren Susan und eine Kollegin gewesen, die ich auf der Dinnerparty kennengelernt hatte - unvoreingenommene, begeisterungsfähige Menschen mit einer Leidenschaft für den Mikrokosmos filmischen Wissens, die mir sofort sympathisch gewesen waren. Susan führte mich zu ihrem Büro, einer Art Höhle mit einem armseligen Fenster und überbordenden Regalen voller Videobänder, weiteren verschollenen Filmen, die nach Rettung schrien. Anscheinend musste sich Susan das Büro teilen. Nicht mit ihrer Kollegin von der Party, sondern mit jemand anderem. Ein Mann saß unter den durchgebogenen Regalbrettern, ein Notizbuch in der Hand, den Blick in die Ferne gerichtet. Das Büro schien eigentlich zu klein für zwei zu sein. Die Strahlkraft der Marke Criterion passte nicht zu diesem ärmlichen und improvisierten Eindruck, den ich bei meinem Blick hinter die Kulissen gewonnen hatte, aber warum sollte er auch? Erst als Susan zu einer Besprechung gerufen wurde, stellte sie mich Perkus Tooth vor und gab mir ein Formular zum Unterschreiben.
Bei dieser ersten Begegnung war er völlig weggetreten, in einem seiner »ellipsistischen« Zustände, wie ich es bald zu nennen lernte. Perkus Tooth selbst steuerte später die Erklärung bei: ellipsistisch wie in »Ellipse«. Eine Art leeres Intervall, eine Absenz oder psychische Auszeit, in der er weder deprimiert noch euphorisch war, weder einen Gedanken beenden noch einen neuen beginnen wollte. Einfach dazwischen. Pausentaste gedrückt. Ich muss ihn ziemlich angestarrt haben. Mit seiner Schildkrötenhaltung und der völligen Schlaffheit seines Wesens, der hohen Stirn und der altmodischen Kleidung - eng geschnittener Anzug aus zerknittertem, fadenscheinigem Seidenstoff, ausgelatschte Turnschuhe - hätte man ihn für älter halten können. Als er sich wieder rührte, fuhr seine Hand über die offene Seite des Notizbuchs, als nähme sie ein Diktat mit einem unsichtbaren Stift auf, und ich betrachtete sein blasses, jungenhaftes Gesicht. Ich schätzte ihn auf über fünfzig, womit ich immer noch zehn Jahre zu hoch lag. Perkus Tooth war gerade mal Anfang vierzig, kaum älter als ich. Ich hatte ihn für alt gehalten, weil er wichtig gewirkt hatte. Er blickte jetzt auf, und unter seinem Schlupflid sah ich ein braunes Auge unkontrolliert in Richtung Nase wandern. Das Auge wollte querschießen, wollte die ganze besonnene Ausstrahlung mit einem komischen Streich diskreditieren. Sein anderes Auge ignorierte diesen Eröffnungszug und richtete sich auf mich.
»Du bist der Schauspieler.«
»Ja«, sagte ich.
»Also, ich schreib das Begleitheft. Für Die Stadt als Labyrinth.«
»Oh, toll.«
»Ich mach das oft. Ouvertüre um Mitternacht . Widerspenstige Frauen . Die unheilige Stadt . Echolalie .«
»Alles Film noir?«
»Oh, Mann, nein. Hast du noch nie Echolalie von Herzog gesehen?«
»Nein.«
»Tja, ich hab den Text dazu geschrieben, aber er ist noch nicht veröffentlicht. Ich versuch immer noch, Eldred zu überreden .«
Perkus Tooth, so erfuhr ich später, nannte jeden beim Nachnamen. Ob berühmt oder berüchtigt. Seine Geisteswelt war episch, bevölkert von hoch aufragenden Figuren ähnlich den Köpfen der Osterinsel. In dem Moment kam Eldred - Susan - zurück ins Büro.
»Also«, sagte er zu ihr, »hast du hier irgendwo das Video von Echolalie?« Er richtete seine Augen, das gesunde linke und das umherirrende rechte, auf ihre Regale, die Kakophonie bekritzelter Etiketten dort. »Er soll es sich anschauen.«
Susan zog die Augenbrauen hoch, und er schrumpfte zusammen. »Ich weiß nicht, wo es ist«, sagte sie.
»Schon gut.«
»Hast du meinen Gast genervt, Perkus?«
»Wie kommst du drauf?«
Susan Eldred wandte sich mir zu und nahm das unterschriebene Formular an sich, dann verabschiedeten wir uns. Als ich in den Fahrstuhl stieg, zwängte sich Perkus Tooth, den antiquierten Filzhut auf den Kopf gepresst, noch schnell durch die sich schließenden Türen. Der Fahrstuhl war, wie so viele in den Gebäuden von Midtown, eine winzige Mausefalle, kaum größer als ein Speiseaufzug - es gab keinen Spielraum, so zu tun, als wären wir uns nicht gerade erst in dem Büro begegnet. Das schlechte Auge mäanderte leicht, und Perkus Tooth warf mir einen abwesenden Blick zu, weder unfreundlich noch entschuldigend. Trotz der klassischen Kleidung war er kein gediegener Retrofetischist. Sein Hemdkragen sah schmuddelig und verknittert aus. Die grüngrauen Turnschuhe wie versteinerte Schwämme in einem Putzeimer.
»Also«, sagte er wieder. Dieses »Also« von Perkus, seine Angewohnheit, jedes Thema einzuleiten, als führte es ein früheres Gespräch fort, war keineswegs aufdringlich. Es war eher so, als wäre er gerade aus einem Tagtraum erwacht und hielte die aufrüttelnde Stimme in seinem Kopf für die seines Gegenübers. »Also, dann leih ich dir eben meine Kopie von Echolalie, obwohl ich sonst nie was verleihe. Du musst ihn einfach sehen.«
»Gerne.«
»Es ist eine Art filmischer Essay. Herzog hat ihn am Set von Morrison Grooms Bei weitem nicht gedreht. Wie du weißt, ist Grooms Film ja nie fertig geworden. Echolalie dokumentiert Herzogs Versuche, Marlon Brando am Set zu interviewen. Brando will aber nicht, und immer wenn Herzog ihn abfängt, plappert Brando einfach nach, was Herzog sagt . du weißt schon, Echolalie .«
»Ja«, sagte ich, verblüfft, wie ich es später noch so oft sein sollte, über den reißenden Strom an Informationen aus Perkus Tooths Mund.
»Aber ist auch die einzige Möglichkeit, was von Bei weitem nicht zu sehen. Morrison Groom hat das Filmmaterial vernichtet, so dass die Szenen in Echolalie ironischerweise alles sind, was von dem Film übrig ist .«
Wieso »ironischerweise«? Ich traute mich nicht zu fragen. »Einfach unglaublich«, sagte ich stattdessen.
»Du weißt natürlich, dass Morrison Grooms Selbstmord wahrscheinlich nur vorgetäuscht war.«
Mein Nicken war eine Lüge. Die Fahrstuhltüren öffneten sich, und wir stolperten gemeinsam hinaus auf den Gehweg, wobei wir uns vor jeder Türschwelle in die Quere kamen: »Du zuerst .«, »Ups .«, »Nach dir .«, »Tschuldigung.« Wir standen einander gegenüber, die mittwochnachmittäglichen Passantenströme Manhattans flossen um uns herum wie um Inseln. Perkus Tooth war auf einmal sehr kurz angebunden, vielleicht nachträglich darauf bedacht, mir nicht auf die Nerven zu gehen.
»Also, ich bin weg.«
»Es hat mich gefreut, dich zu treffen.« Ich benutzte das Wort »kennenlernen« schon lange nicht mehr, sondern hatte es durch diese schwammige Aussage ersetzt, nachdem mir zum tausendsten Mal jemand erklärt hatte, dass wir uns schon zuvor kennengelernt hätten.
»Also .« Er blieb erwartungsvoll stehen.
»Ja?«
»Wenn du dir das Video abholen willst .«
Das konnte ein Test sein, ich war mir nicht sicher. Perkus Tooth handelte mit okkultem Wissen und maß mit geheimem Zirkel. Ich wusste nie, wann ich eine Linie...
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