Schweitzer Fachinformationen
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Die Topkea Schule ist die Geschichte einer Familie um die Jahrtausendwende. Die Geschichte einer Mutter, die sich von einem Missbrauch befreien will; eines Vaters, der seine Ehe verrät; eines Sohnes, dem die ganzen Rituale von Männlichkeit suspekt werden und der zunehmend verstummt. Eine Geschichte von Konflikten und Kämpfen und versuchten Versöhnungen.
In einer an Wundern reichen Sprache erzählt Ben Lerner vom drohenden Zusammenbruch privater und öffentlicher Rede und unserer heutigen Gesellschaft - davon, wie es so weit gekommen ist und wo es mit uns hingehen könnte.
Zum ersten Mal las ich »Ein Mensch mit Namen Ziegler« in der Linie 4, bei flackerndem Licht in dem rüttelnden, fast leeren Waggon; ich war auf dem Rückweg von Jane, von einem der ersten Male, die wir miteinander geschlafen hatten; binnen eines Jahres würde ich ihretwegen Rachel verlassen.
Die Erzählung beginnt mit einem Besuch Zieglers im historischen Museum der Stadt - er befindet sich entweder in Basel oder in Berlin -, das an Sonntagvormittagen keinen Eintritt kostet. Allein in einem Raum, der »Gegenstände des mittelalterlichen Aberglaubens« enthält, langt er, ohne nachzudenken, über ein Seil, um Esse, Mörser und andere Gerätschaften einer alchimistischen Werkstatt zu berühren; zu seiner Überraschung entdeckt er zwischen den Werkzeugen »ein kleines dunkles Kügelchen, etwas wie eine Arzneipille«. Ein weiterer Besucher erscheint, Ziegler erschrickt und nimmt die Pille unwillkürlich an sich. Später entdeckt er sie beim Mittagessen wieder, steckt sie sich, »einem kindlichen Gelüst« folgend, in den Mund und spült sie mit einem Schluck Bier hinunter. Nach dem Essen setzt er seinen vergnügten Sonntag mit einem Besuch im Zoo fort. Während er zwischen den Käfigen umherwandert, geht ihm langsam auf, dass er dank der geheimnisvollen Pille die Sprache der Tiere versteht, die sich, wie er erkennt, auf bösartige Weise über die Zoobesucher lustig machen, die sie für Dummköpfe, Schwindler und Rohlinge halten. Dass er die Tiere verstehen kann, entsetzt Ziegler weniger als deren Verachtung und wie weit sie geht; verspottet von Affe und Elch (der »mit seinen Augen« spricht), von Steinbock und Gams (was auch immer das ist), von Lama, Gnu, Wildsäuen und Bären, bricht er schließlich zusammen; er wirft Stock, Hut, Krawatte und dann seine Schuhe von sich und drückt sich schluchzend an das Gitter eines Käfigs. Am Ende der Erzählung wird Ziegler in ein Irrenhaus verfrachtet, das ich mir als Bellevue vorstelle, wo ich als Assistenzarzt gearbeitet hatte.
Dr. Samuels, mein Analytiker im Aufbaustudiengang, sagte so selten etwas - bloß »Fahren Sie fort« oder »Sagen Sie mehr darüber«, oder er wiederholte etwas, was ich gesagt hatte, um dessen Bedeutung hervorheben -, dass allein schon seine Empfehlung die Hermann-Hesse-Erzählung mit Geheimnis aufgeladen hätte. Sollte ich Ziegler sein? (Ziegler ist unscheinbar, »nicht unbegabt, aber auch nicht begabt«, ein Mensch, der in erster Linie vor Geld und vor der Wissenschaft Hochachtung hat und zu denen gehört, »die uns jeden Tag und immer wieder auf der Straße begegnen und deren Gesichter wir uns nie recht merken können, weil sie alle miteinander dasselbe Gesicht haben: ein Kollektivgesicht«.) War die Therapie wie Alchemie oder ihr Gegenteil? Wollte Samuels, der über meine Affäre mit Jane Bescheid wusste, mir nahelegen, dass zwischen meinem ehelichen Fehlverhalten und Zieglers Griff über das Museumsseil eine Parallele bestand?
Die Beziehung zwischen Rachel und mir hätte ohnehin nicht gehalten; wir heirateten in dem Jahr, bevor ich mit dem Aufbaustudium anfing, nachdem wir beide im Abstand von wenigen Tagen ein Elternteil verloren hatten: meine Mutter erlag schließlich dem Brustkrebs, Rachels Vater starb an einem Herzinfarkt. Die Heirat war ein zum Scheitern verurteilter Versuch, im Gefolge dieser beiden Todesfälle ein Gefühl von Familie zu stärken; wir hatten eine Vorgeschichte und die Trauer gemeinsam, und nicht viel mehr.
Unsere Hochzeit, unsere Nicht-Hochzeit, fand, mit einem etwas fahrigen Freund als Trauzeugen, in der City Hall statt, gefolgt von einem Festessen in einem unangenehm edlen italienischen Restaurant. Von einem plötzlichen Regenguss durchnässt, kamen wir ziemlich derangiert, mit triefendem Haar dort an, in meinem Revers eine ruinierte ironische Nelke. Der Kellner goss mir zum Probieren ein wenig Rotwein ein; einen Moment lang dachte ich, er machte sich über mein Alter lustig und gäbe mir eine Kinderportion. Dann schwenkte ich den Wein zu heftig und kleckerte etwas aufs Tischtuch. Ich versuchte, eine chaplineske Darbietung daraus zu machen, aber das Ganze hatte etwas Alptraumhaftes - zwei Kids, die verzweifelt auf erwachsen machen. Ein Jahr voller Nächte, die ich damit zubrachte, an die Decke zu starren, während Rachel neben mir schlief und die Risse in dem vom Licht der Straßenlaternen gelben Putz sich vor meinen Augen auszubreiten schienen.
Wegen des Fremdgehens fühlte ich mich beschissen - jedenfalls, wenn ich nicht gerade von Jane berauscht war -, und es kam mir, wahrscheinlich weil mein Versuch einer Ersatzfamilie fehlschlug, so vor, als hätte ich meine Mutter noch einmal verloren, als wäre die Nachricht ganz frisch - nicht, dass sie alt war -, wobei die Analyse fraglos alles aufrührte. Ein Kinoplakat mit einem Hauptdarsteller, den sie mochte, am New Yorker in der West 88th, eine in der U-Bahn zufällig gehörte Formulierung, die sie auch hätte verwenden können - »Grüß deine Schwester von mir« - Rachel, die auf eine bestimmte Weise auf ihren Tee pustete - plötzlich fühlte ich mich völlig verlassen, aber nur kurz, wie ein Schwindelanfall, als hätte sich in meinem Innenohr ein Kristall gelöst. (»Besonders respektierte [Ziegler]«, schreibt Hesse, »die Krebsforschung, denn sein Vater war an Krebs gestorben, und Ziegler nahm an, die [.] Wissenschaft werde nicht zulassen, dass ihm einst dasselbe geschähe«; ob Samuels an diese Passage gedacht hatte?) Dann war da die Außenwelt: es war 1969, überall in Manhattan explodierten kleine, selbstgebastelte Bomben, ständige Studentendemos; es herrschte Empörung, aber auch ein Gefühl von Gemeinschaft, von Karneval; wir empfanden die Geschichte als lebendig. Jane und ich engagierten uns zunehmend in der Antikriegsbewegung; mein jüngerer Bruder, dem es lieber wäre, nicht in einem Roman vorzukommen, schloss sich dem gerade entstehenden Weather Underground an; mein Vater und ich sprachen nach unserem letzten Krach wegen des Krieges kaum noch miteinander; sämtliche Ordnungen, die privaten wie die politischen, bröckelten.
Hätte ich Samuels jemals geschildert, worüber ich für meine Doktorarbeit forschte, wäre ich davon ausgegangen, dass dies die Ziegler-Empfehlung veranlasst hatte, doch ich sprach zwar offen über Verlangen und Trauer - ein neues Liebesleben mit Jane, der wiederkehrende Traum von meiner Mutter, der, in dem sie in die Kamera winkt -, erwähnte in der Analyse aber niemals meine akademische Arbeit, ein Umstand, der Samuels nicht aufzufallen schien. Falls meine Forschungsarbeit Bestandteil unserer Sitzungen würde, falls sie sich mit dem Reden über meine Affäre, meine Mutter etc. verschränkte, dann, glaubte ich, würde ich blockiert, gelähmt, zumal wenn Samuels - hartnäckig, mit einer langen Publikationsliste, sehr schweizerisch - Missbilligung auch nur andeutete; die Hälfte der Zeit kam ich mir bereits wie ein Hochstapler vor. Ich vermutete, dass Samuels mich - bestenfalls - für »nicht dumm, aber auch nicht begabt« hielt.
Seit Monaten führte ich Versuche durch, die mit der Technik des »Speech Shadowing« zu tun hatten, bei der ein Proband Gesprochenes unmittelbar nach dem Hören wiederholt. Ich ließ die Teilnehmer klobige schwarze Kopfhörer aufsetzen und die Aufnahme eines Textes anhören, den ich mehr oder weniger willkürlich ausgewählt hatte (ein Handbuch für Fahrschüler, das ich Ecke 109th und Columbus zwischen anderen ausgesonderten Büchern gefunden hatte). Während der Proband die Aufnahme nachsprach, erhöhte ich allmählich - fast unmerklich - die Abspielgeschwindigkeit; zu meinem Entsetzen stellte ich fest, dass eine bedeutende Anzahl der Probanden ab einer bestimmten Schwelle zu faseln begannen, dabei aber die ganze Zeit glaubten, sie gäben die aufgenommene Passage klar und deutlich wieder. Als das zum ersten Mal in meinem Wohnzimmer passierte - zwei Tonbandgeräte und ein Mikrofon auf dem länglichen Couchtisch aus Rosenholz, den mein Vater uns zur Hochzeit geschenkt hatte -, dachte ich, der Proband (mein im Erdgeschoss wohnender Nachbar Aaron, der uns außerdem Drogen verkaufte) habe einen Schlaganfall. Rachel kam ins Zimmer gestürzt, um nachzusehen, was zum Teufel da vor sich ging. Doch Aaron saß einfach nur da, während er in Glossolalie absank - oder aufstieg? -, allerdings ohne jedes Anzeichen von Ekstase; in seiner einzigen, mottenzerfressenen Strickjacke wirkte er so gelangweilt wie eh und je.
Meine Theorie war, dass die Sprechmechanismen bei Überlastung durch Informationen ...
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