Schweitzer Fachinformationen
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Als Kind musste ich regelmäßig mit meinen Eltern in die Kirche gehen. Obwohl ich mich zierte, hat es mich innerlich aufgerichtet. Jeden Sonntag saßen wir in den harten Kirchenbänken, sangen Lieder in zu hoher Tonlage und lauschten dem Pfarrer, der Erbauliches über das Leben Jesus Christus von sich gab. Ich konnte die Geschichten nur schwerlich mit dem hageren Jüngling in Einklang bringen, der fast nackt und offensichtlich leidend über dem feierlich gewandeten alten Mann hing, welcher Richtlinien über christliches Leben formulierte: »Du sollst dies nicht tun und das nicht, und wenn du es doch tust, kommt die Strafe Gottes über dich. Du sollst ein Leben führen, das Gott gefällt, dann belohnt er dich.« Ich hockte zwischen meinen Eltern und beobachtete unter halb geschlossenen Lidern die Gläubigen. Wie sie faltete ich die Hände und betete zu Gott. Glaubte ich an ihn? Ja und nein. Es schien sicherer, es zu tun, denn anscheinend verfügte er über die Macht, mir in den Kopf zu schauen und mich zu bestrafen, würde ich etwas Böses denken oder tun. Und er konnte mich bei der Erfüllung meiner Wünsche unterstützen. Also bat ich ihn um Hilfe und wenn ich etwas Schlimmes getan hatte, erflehte ich mir Vergebung. Nicht, dass die Vergehen groß waren: Mal hatte ich schlecht über eine Schulkameradin geredet, mal zu einer Notlüge gegriffen.
Später habe ich vor jeder Operation rituell um das Leben meines Kindes gebetet. »Lieber Gott, mach, dass Niklas überlebt. Nimm mir nicht mein Kind weg. Ich tue alles, wenn du ihn nur beschützt.« Letztlich hat er ja meine Gebete erhört, aber ich konnte nicht begreifen, wie einem kleinen unschuldigen Wesen ein so hartes Schicksal auferlegt werden konnte. Und so verlor ich meinen Glauben, der nie wirklich in mir verankert gewesen war. Er war Fassade wie so vieles in meinem Leben.
Der Gedanke an den Monsterkäfer - mindestens vier Zentimeter lang und wieselflink - hat mir einen unruhigen Schlaf beschert. Ich habe das Moskitonetz sorgfältig festgesteckt und das Licht angeknipst, als ich nachts zur Toilette musste. Mit Schuhen bin ich ins Bad getapst, den Blick furchtsam auf den Boden gerichtet. Natürlich habe ich ihn nicht gesehen. Zurück unter den Decken verfolgte er mich bis in meine Träume, katzengroß auf dem Bett sitzend.
Es ist Tag, als ich erwache. Ich fühle mich leicht erschlagen und wie in Watte gehüllt, aber nicht schlimmer als sonst. Jegliches Zeitgefühl ist mir abhandengekommen - eigentlich kein unangenehmer Zustand. Ich dusche, schminke und ziehe mich an. Als ich aus der Glastür auf meine Miniterrasse hinaustrete, erschlägt mich die Hitze beinahe. Die Sonne brennt mitten vom Zenit auf meinen Scheitel. Ich muss mir unbedingt einen Sonnenhut kaufen.
Im Tageslicht sieht der Innenhof noch anheimelnder aus. Eine plätschernde Oase, überall tropische Pflanzen. Vor den Zimmern sitzen Gäste, plaudern leise und frühstücken. Ich gehe durch den schwarz-weiß gefliesten Barbereich und suche die Küche. Ein junges Mädchen, traumschön in einem mit Paradiesvögeln bedruckten Sarong, den balinesischen Tüchern, die man zu allem Möglichen nutzt, kommt mir lächelnd entgegen.
»American or balinese breakfast?«, fragt sie.
Ich entscheide mich für die einheimische Variante, ohne zu wissen, was mich erwartet. Mir wird bedeutet, auf meiner Terrasse Platz zu nehmen. Während ich warte, beobachte ich das zwitschernde Treiben über mir. Sehr kleine Vögel wohnen in dem mit silbrigen Blüten übersäten, verästelten Baum. Aufgeregt fliegen sie hin und her. Allmählich erkenne ich ein Nest, in dem noch winzigere Vogelbabys sitzen und gierig den Miniaturschnabel aufsperren, um von ihren Eltern gefüttert zu werden.
Lächelnd serviert mir das schöne Mädchen - oder ist es ein anderes? - das Frühstück. Kaffee, einen milchig hellrosa Saft mit Stracciatella-artigen Sprengseln, Obstsalat aus Papaya, Melone, Mango, Kiwi, Ananas sowie unbekannten Früchten, darauf Joghurt und etwas Müsli. Es sieht toll aus und schmeckt großartig. Ich genieße jeden Bissen. Die Früchte sind derart saftig, lecker und reif - nicht zu vergleichen mit dem Obst in Deutschland. Der Smoothie hat ein eigenartiges, säuerlich-scharfes, dennoch köstliches Aroma.
»Das ist rote Drachenfrucht, die Pitaya«, erläutert mir später Sabine, die deutsche Inhaberin des Boutique-Hotels. Sie hat lange rotblonde Haare, ist etwa Mitte fünfzig und lebt seit einem Vierteljahrhundert auf Bali, wie sie mir bei einem weiteren Smoothie aus Papaya und Mango erzählt. Ich höre staunend, wie sie als 25-Jährige auf die Insel kam. Damals gab es wenig Tourismus und die Insel war ein schwer zu erreichender Geheimtipp unter Hippies. Nur die holländische Fluggesellschaft KLM flog nach Badung, wie Denpasar früher genannt wurde, oder man musste über Java mit dem Schiff kommen. Sabine studierte Jura, langweilte sich aber dabei. Sie verfiel der Insel sofort, kam wieder, jobbte, blieb länger, vernachlässigte ihr ungeliebtes Studium und verliebte sich stattdessen in einen Balinesen. Ein paar Jahre pendelte sie, dann brach sie die Brücken nach Deutschland ab und beschloss, ganz hierzubleiben. Sie heiratete den Balinesen und bekam zwei wunderhübsche Kinder mit ihm. Die Ehe hielt im Gegensatz zur Bali-Liebe nicht.
»Die Mentalität ist zu fremdartig, so viele Riten und Überlieferungen spielen in Denken und Verhalten der Menschen hinein. Wir haben uns nicht verstanden«, erklärt sie bedauernd. Ich lächle. Es ist ja schon schwer genug, einander zu verstehen, auch wenn man dieselbe Sprache spricht und aus derselben Kultur stammt.
Heute nennt sie das Anwesen ihr Eigen, das in den Jahren immer weiter organisch gewachsen ist, außerdem hat sie eine Eigentumswohnung in Bremen und eine in Rio de Janeiro, wie sie mir erzählt. Wie und womit ihr das gelungen ist, verrät sie nicht. Hat sie sich das selbst aufgebaut oder Kapital geerbt, durch Scheidung erhalten, stammt ihr Ex-Mann aus einer reichen balinesischen Familie? Fragen, die ich nicht stellen mag.
»Ich bin während der Übergangszeit hier. Im balinesischen Sommer ist es mir zu heiß, in der Regenzeit zu nass. Dann überlasse ich das Hotel meinen Angestellten und besuche Brasilien oder die alte Heimat«, sagt sie lächelnd.
Ich bin voller Bewunderung und Ehrfurcht. So ein selbstbestimmtes Leben würde ich auch gern führen. Sabine spricht eine der Angestellten in der Landessprache an.
Ich staune. »Du sprichst Balinesisch?«
»Natürlich. Das ist unerlässlich, wenn man hier lebt, ansonsten bleibt man fremd. Meine Angestellten würden mich nicht respektieren, hinter meinem Rücken über mich reden.«
Ich nicke. Stefan hat immer gesagt, dass man alle und jeden verstehen und deren Sprache sprechen müsse, wenn man ein Unternehmen führen wolle.
»Balinesisch ist nicht besonders schwierig. Bis auf ein paar Ausnahmen wird alles gesprochen, wie es geschrieben wird.«
Ich denke an die unverständlichen Schriftzeichen, die ich bislang gesehen habe. »Du kannst das auch lesen?«
Sie lacht. »Nicht die alten Zeichen. Aber Balinesisch wird heute mit dem lateinischen Alphabet geschrieben. Die frühere balinesische Schrift ähnelt der alten javanischen Schrift. Dann gibt es noch Hoch-, Mittel- und Niederbalinesisch, drei Sprachebenen, die sich am Kastensystem orientieren. Und es existieren Regeln, wer mit wem wie spricht.«
Puh, das scheint mir nicht besonders einfach zu sein. Meine Bewunderung für diese Frau, die sich in einem fremden kulturellen Kontext behauptet, steigt. Hinzu kommt, dass sie nicht mit einem Wort erwähnt hat, dass oder warum ich allein reise. Für sie mag vollkommen selbstverständlich sein, was für mich exotisch und schmerzhaft ist. Ich war es gewohnt, mich mit Stefan über das auszutauschen, was wir erlebten.
»Was möchtest du dir hier anschauen? Du bleibst eine Woche, oder?«
»Sechs Tage. Dann fahre ich nach Ubud zu einem Yoga-Retreat.« Es fühlt sich gut an, irgendwie erwachsen, das auszusprechen. Als wäre ich eine erfahrene spirituell Suchende, die um den Erdball reist.
»Okay, dann wünschst du dir hier in erster Linie Strand und Erholung? Oder willst du surfen lernen?«
»Oh Gott, nein.« Ich habe nicht nur Angst vor Hunden, sondern ebenso vor hohen Wellen, davor, dass mir Wasser über dem Kopf zusammenschlägt.
»Gut, ansonsten hätte ich dir ein paar Surfschulen in Kuta genannt.«
»Vielen Dank, aber das ist nicht meins.«
Sabine rät mir, einen hohen Sonnenschutzfaktor zu benutzen und mir eine Liege mit Schirm am Strand von Seminyak zu suchen, in der Nähe eines Warungs, dessen Lage sie mir beschreibt. Ein Warung bezeichne einen einfachen Strandimbiss, doch laut ihr bieten viele Warungs erstklassige Currys und andere balinesische und indonesische Gerichte zu Spottpreisen an.
Voller Vorfreude mache ich mich auf den Weg, vorschriftsmäßig mit Sonnenschutzfaktor 50 eingecremt, dazu habe ich Mückenschutz aufgetragen, der furchtbar stinkt. Es soll hier tag- und nachtaktive Mücken geben, von den dämmerungsaktiven ganz zu schweigen - und alle können im Zweifelsfall Krankheiten übertragen. In meinen Rucksack habe ich ein Strandlaken, Wasserflasche, Handy, Buch und Geld gepackt. Als ich dieselbe Straße hinuntergehe, die ich bereits gestern Abend erkundet habe, sehe ich viele kleine Geschäfte, Wohnhäuser, Mofa-Verleiher und Unterkünfte. Alles wirkt behelfsmäßig und provisorisch zusammengezimmert. Manches ist hübsch und idyllisch, Blumen, bunt bemalte Schilder und anheimelnde Dekoration, dann wieder zieht mir der beißende...
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