Schweitzer Fachinformationen
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Que Sera, Sera (Whatever Will Be, Will Be)
Die Stadt glänzte im Sommerlicht. Eine Seltenheit in diesem Juli, der meist regnerisch und viel zu kühl war. Wie blank geschrubbt blickten die gediegenen Fassaden auf die Binnenalster hinab, allen voran das Hotel Vier Jahreszeiten hinter seinem Spalier aus Linden. Im Wasser dümpelten Schwäne, wenig beeindruckt von den umherschippernden Ausflugsdampfern. Die Kohleschuten, die sich am Ufer zusammendrängten, trübten die Idylle keineswegs. Im Gegenteil, sie zeugten davon, dass die Zeiten, in denen man am Bahngleis Kohle aus den Waggons klauen musste, ein für alle Mal vorbei waren.
Hier, in Hamburgs guter Stube, fiel es besonders leicht, die schlimmen und die trostlosen Jahre zu vergessen. Hier konnte man sich in dem Gefühl sonnen, den Beginn einer neuen Ära mitzuerleben, die goldschimmernd und himmelblau war, brausebunt und persilweiß.
Margot hatte dafür keine Zeit. Eifrig klapperten ihre flachen Absätze über die Terrasse vor dem Kaffeehaus, während sie Pils und Alsterwasser servierte, Sekt und Selters, Sahnestücke zu Tee und Kaffee, draußen nur Kännchen.
»Frollein, hallo!«
»Frollein, zahlen!«
Routiniert lächelnd nickte Margot nach links und rechts, während sie das nächste voll beladene Tablett zwischen den eng stehenden Tischen und Topfpalmen hindurchbalancierte. Tabakqualm, Stimmengewirr und Gelächter hüllten sie ein, auf dem Jungfernstieg brausten Autos vorbei, und Motorroller und dreirädrige Kastenwagen knatterten.
Auf der hinteren Terrasse des Alsterpavillons war mehr Platz, dort ging es gemütlicher und vor allem ruhiger zu, aber die war fest in der Hand der Kellner. Vermutlich war dort auch das Trinkgeld besser, wegen der Aussicht auf das Wasser, den halbmondförmigen Anleger der Barkassen sowie auf die alte und neue Lombardsbrücke, über denen die Wolken der Dampfloks schwebten.
»Frollein!«
»Komme sofort«, rief Margot.
Mit ein paar freundlichen Worten platzierte sie die Bestellung auf dem Tisch vor sich und trat dann unter den nächsten blauen Sonnenschirm, zu zwei Damen mittleren Alters in Kostüm und passendem Hut.
»Na endlich.« Eine der beiden seufzte vorwurfsvoll und griff umständlich nach der Karte. »Was nehm ich denn, was nehm ich denn .«
Halblaut begann sie, teils mit sich selbst, teils mit ihrer Begleiterin, zu beratschlagen, wonach ihr der Sinn stand und vor allem was sie denn auch vertrug. »Der Magen, wissen Sie.«
Margots Aufmerksamkeit wanderte ein paar Tische weiter, wo sich gerade drei gut gelaunte junge Frauen niederließen, die ihre extravaganten Sommerkleider ausführten. Todschick waren die Hutkreationen auf ihren Köpfen, die Frisuren sahen aus wie gerade in einem teuren Salon in Form gebracht und auf Hochglanz poliert. Kein Vergleich zu Margots schlichtem braunen Haar, das einmal im Monat von ihrer Mutter mit der Küchenschere auf Kinnlänge gestutzt und mit Bubinadeln aus dem Gesicht gehalten wurde.
Natürlich trugen die Damen Handschuhe, die gehörten ja jetzt zum guten Ton. Eine zündete sich sogar eine Zigarette an, auf deren Ende ihr Lippenstiftmund einen scharlachroten Abdruck hinterließ. Gewagt.
Sie schienen nicht viel älter zu sein als Margot, höchstens Mitte zwanzig. Sie fragte sich, womit die drei wohl ihr Geld verdienten, dass sie sich eine solche Garderobe leisten konnten. Überhaupt, sich hier an einem ganz gewöhnlichen Dienstagnachmittag zum Schnacken zu treffen - Margot verspürte einen Anflug von Neid.
». aber mit Sahne, hören Sie?«
»Zwei Kaffee und zwei Apfelkuchen mit Sahne«, wiederholte Margot. »Sehr gern, die Damen.«
Im Vorbeigehen sammelte sie ausgetrunkene Gläser ein und hastete dann ins Kaffeehaus, wo die Thekenklingel so fieberhaft schrillte, als wäre ein Feuer ausgebrochen.
»Platz da, Schätzchen!« Einer der Kellner schob Margot zur Seite, die Hand auf ihrem Rücken unverschämt weit unten.
Sie schluckte eine bissige Bemerkung hinunter, schnappte sich ihr Tablett und eilte wieder nach draußen. Mit einem eleganten Schlenker schaffte sie es gerade noch, einem Paar auszuweichen, das in abrupter Unentschlossenheit vor dem Eingang stehen geblieben war.
»Noch zwei Pils. Bitte sehr, die Herren«, sagte Margot und stellte zwei Männern im Anzug neue Gläser hin.
Genüssliche Ahs und Ohs drangen durch den Zigarrenrauch. Ein paar Runden Bier hatten die Stimmung der beiden Herren bereits merklich gehoben, ihre Gesichter gerötet. Eine fleischige Hand schloss sich um Margots Unterarm, feuchtheiß selbst durch den Blusenärmel hindurch.
»Warten Sie, Frollein, warten Sie! Vielleicht wollen wir noch eine Kleinigkeit schnabulieren.« Der Gast ließ sie los, um zur Karte zu greifen. »Vorausgesetzt, wir finden darauf etwas so Appetitliches wie Sie.«
Die beiden lachten dröhnend, als wäre dieser Witz besonders originell.
Margot blieb höflich. »Was hätten Sie denn gern, warme oder kalte Küche?«
»Oh, heiß darf es schon sein«, antwortete der erste Gast.
Wohlgefällig wanderte sein Blick von Margots Bluse zu ihrem Rocksaum und wieder zurück. Sein Gegenüber blies amüsiert den Rauch aus.
»Die Küche öffnet erst in zwei Stunden wieder.«
»So lange halten wir es gerade noch aus«, erwiderte der andere Gast gut gelaunt.
Margot nickte einer sonnenbebrillten Dame zu, die nach ihr winkte, während hinter ihr jemand nach der Rechnung rief. »Frollein, hallo«, erschallte es ungehalten neben ihrer Schulter, und irgendwo an der bepflanzten Terrassenumrandung plärrte ein Kind nach Eiskrem.
»Lassen Sie sich ruhig Zeit.« Margot schob den Block in die Schürzentasche und streckte die Hand nach dem leeren Tablett aus. »Ich komme gern noch einmal bei Ihnen vorbei.«
»Nicht so schnell, Frolleinchen!« Der Gast fasste sie wieder beim Arm. »Allzu viel verdient man hier bestimmt nicht, was? So als ganz junges Ding.«
»Kleiner Tipp von einem altgedienten Gastronomen«, warf der andere augenzwinkernd ein. »Brust raus und ein paar Knöpfe auf, dann klappt's auch mit dem Trinkgeld.«
Margot hob die Brauen. »Wenn die Herren im Augenblick sonst keinen Wunsch haben .«
Hinter ihr schnipste jemand ungeduldig mit den Fingern.
»Na, wünschen würd ich mir schon was, Frollein. Zum Beispiel einen lauschigen Abend mit Ihnen.«
»Vielen Dank, der Herr. Aber nein.« Margot blieb um einen halb würdevollen, halb leichtherzigen Ton bemüht. Mit Gästen verscherzte man es sich besser nicht, auch nicht mit denen der unangenehmen Sorte.
Ihren Widerstand beantwortete der Gast mit einem umso festeren Druck seiner Finger. »Wär doch nett mit uns zwei Hübschen, hm?«
Drinnen erreichte das Schrillen der Thekenklingel einen neuen Höhepunkt, und gleich aus mehreren Richtungen ertönten an Margot gerichtete Rufe.
»Hallo, Frollein, kommen Sie vielleicht auch mal bei uns vorbei?«
»Zahlen bitte!«
»Frollein, hier! Frollein!«
Der schwitzige Daumen strich über Margots Handgelenk, während sich die Augen des Gasts an ihren Blusenknöpfen festsaugten.
»Soll sich auch für Sie lohnen, Frollein. In jeder Hinsicht.«
»Sie müssen meinen Freund Friedhelm hier entschuldigen«, spöttelte der andere Gast mit beifälligem Lachen. »Er braucht wohl dringend eine Abkühlung.«
»Sehr wohl, der Herr«, erwiderte Margot artig und leerte das Pils über Friedhelms Schoß aus.
Als Margot das Fahrrad vom Kaffeehaus wegschob, warf sie keinen Blick zurück. Ihre Ohren gellten noch vom Gebrüll des Oberkellners unten in den Personalräumen, für eine Rechtfertigung ihrerseits hatte es keinen Platz gegeben.
Nach Billstedt hinauszufahren würde sie im Augenblick nicht schaffen. Ihre Knie zitterten zu sehr für die Dreiviertelstunde auf dem Rad, die sie sonst gern auf sich nahm, um sich das Geld für die Bahn zu sparen. Vor allem wusste sie nicht, was sie ihrer Mutter sagen sollte. Fristlos gekündigt nach noch nicht einmal vier Monaten.
Irmgard Frei war so stolz darauf gewesen, dass ihre jüngere Tochter eine gute Anstellung gefunden hatte. Noch dazu im feinen Alsterpavillon, diesem Phoenix aus Beton und Glas, der aus den Bombentrümmern auferstanden war und sich elegant einer neuen Epoche entgegenschwang. Margots Mutter hatte sogar eine der Ansichtskarten, die es davon gab, an Tante Erna geschickt und ihr berichtet, dass selbst Bundespräsident Heuss den Bau als schönste Gaststätte der Republik gelobt habe.
Es war bei Weitem nicht Margots erste Kündigung. In einer Bäckerei hatte sie schon ausgeholfen und verschiedene Zeitungen ausgetragen. Als Zimmermädchen hatte sie sich versucht, als Blumenverkäuferin und in einer Wäscherei, aber nirgendwo hatte sie es lange ausgehalten. Dabei war Margot nicht faul und auch nicht dumm, noch nicht einmal langsam. Nur zu forsch und manchmal vorlaut, mit einem eigenen Kopf und schnell gelangweilt.
Flatterhaft, fand Lore. Bei dem Gedanken, was ihre große Schwester wohl zu ihrem Rauswurf sagen würde, verdrehte Margot die Augen. Lore hatte leicht reden, die hatte es ja schön mit ihrem Hans in der ausgebauten Gartenlaube in Wilhelmsburg, die seine Familie über den Krieg gebracht hatte. Hans verdiente ordentlich auf der Werft, und zusammen mit dem, was Lore dort für ihre Arbeit als Sekretärin bekam, konnten sie einiges zur Seite legen, um sich einen eigenen Hausstand zu leisten, sobald es wieder Wohnungen geben würde.
Margot dagegen hatte noch nicht einmal daran...
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