Schweitzer Fachinformationen
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I
Während er den Fluss hinabfährt, wirft sich Richter Di seinen Leichtsinn vor; in einer Herberge hört er interessante regionale Sagen.
Im Angesicht des Flusses, der auf beiden Seiten seiner Dschunke immer mehr anschwoll, sagte sich Richter Di, dass er verrückt gewesen war, trotz der Warnungen der Schiffer an Bord zu gehen. Leider duldeten die kaiserlichen Befehle keinen Aufschub; daher hatte er den Gehorsam gegenüber seinem Kaiser über seine eigene Sicherheit und sogar die Vernunft oder die grundlegendsten Vorsichtsmaßnahmen gestellt.
Es war schwer genug gewesen, die Seeleute zu überreden, auszulaufen. Aber ein paar Silbermünzen, das Amtssiegel und die energische Überzeugungskraft seines Wachtmeisters hatten dieses kleine Wunder bewirkt, das sie in ihr Verderben führen würde: Sie fuhren - wie lange schon? - auf diesem immer schrecklicher werdenden Fluss, auf dem der Tod mit jedem Augenblick näherkam.
Während das Ende seiner Amtszeit in Hanyuan, das nicht weit von der Hauptstadt entfernt lag, herannahte, hatte Richter Di die Ankündigung seiner Versetzung nach Puyang erhalten, eine weitaus abgelegenere Stadt, deren Bezirksrichter gestorben war. Peking legte offenbar großen Wert auf seinen Amtsantritt, dessen Dringlichkeit mit Nachdruck betonte wurde: Die Bewohner Puyangs klagten bereits seit fünf Monaten darüber, dass der Posten des Bezirksrichters nicht besetzt, die Justiz nicht gewährleistet und die gesellschaftliche Ordnung gestört seien.
Zum Ruhme des Kaisers war es daher wichtig, dass dessen Diener Di Jen-dsiä sich schnellstmöglich dorthin begab. Vielleicht hatte Richter Di unrecht gehabt, als er das am Briefende stehende "schnellstmöglich" wörtlich interpretiert hatte. Was würde es dem Sohn des Himmels denn nützen, wenn er ertrank? Wie sollte ein blau angelaufener Bezirksrichter, der zur Hälfte von Fischen gefressen worden war, seinen Auftrag erfüllen? Sein schlechtes Gewissen nagte an ihm, und er ärgerte sich über seine verhängnisvolle Bereitschaft, während er besorgt die Äste und Trümmer in der Wasserflut betrachtete, die ihn in kürzester Zeit verschlingen würde.
Seit fünf Tagen regnete es unaufhörlich. "Ich habe gut daran getan", dachte Richter Di, "dass ich meine Ehefrauen in Hanyuan gelassen habe. Die schlammigen Wege hätten ihnen nur ein beschwerliches Vorwärtskommen erlaubt, selbst in den Sänften." Das Schlingern wurde stärker. Er klammerte sich an die Reling und sann darüber nach, dass ihn zumindest seine Nachkommen überleben würden, da er nicht den Fehler begangen hatte, Frauen und Kinder zu diesem selbstmörderischen Abenteuer mitzunehmen.
Für den Augenblick seine konfuzianische Schule vergessend, die ihn pragmatisches Denken gelehrt hatte, schickte er im Geiste besorgt ein Gebet an die Flussgottheit, in dem er sich für seine Überheblichkeit entschuldigte, die ihn veranlasst hatte, die derzeit entfesselten Naturkräfte so herauszufordern.
Große graue Wellen stiegen hoch und zerschellten am Rumpf des Schiffes, als versuchten die Hände von Riesen, es zu zerstören. Der Regen verdoppelte seine Heftigkeit. Wachtmeister Hong eilte mit Ölzeug in der Hand zu seinem Herrn.
"Herr Di, Sie sollten nicht so nahe am Rand stehen, da werden Sie ja völlig durchnässt! Ich bitte Sie, sich wieder unter das Schutzdach zu stellen."
Hong Liang bedeckte den Kopf seines Herrn. Di ließ sich in die Richtung einer kleinen Kabine schieben, die sehr nützlich war, um sich an schönen Tagen vor der Sonne zu schützen, jedoch völlig ungeeignet, um die Passagiere zur Zeit des Monsuns vor Feuchtigkeit zu bewahren.
"Wenn wir wenigstens ein anständiges Schiff gefunden hätten", fuhr Hong Liang fort, während er versuchte, das Feuer im Ofen erneut zu entfachen. "Diese Barkasse führt uns in den Tod!"
Die Konfrontation mit den wütenden Elementen schwächte das Gefühl für die guten Sitten etwas ab: Trotz der Hochachtung vor seinem verehrten Herrn, ließ die Furcht Hong eine Sprache verwenden, die er sich in normalen Zeiten niemals in dessen Gegenwart erlaubt hätte. Aber Richter Di war Tausende Meilen weit davon entfernt, ihm das übel zu nehmen.
Er war damit beschäftigt, seine Seele auf den Übertritt ins Jenseits vorzubereiten, in das sie - wie es schien - bald abberufen würden. Er befürchtete, dass sein Schuldgefühl die Suche nach dem Glück erschweren könnte, nach der jeder Mensch im Reich der Mitte strebte, um den ewigen Schlaf zu erlangen. Di war sich nicht sicher, ob er über genügend Zeit verfügte, um alle jene Manen um Vergebung zu bitten, die er in diese unüberlegte Fahrt verwickelt hatte.
Der Kapitän schob den Vorhang der Kabine beiseite, um zu verkünden, dass das Anschwellen der Fluten nicht mehr erlaube, die Fahrt fortzusetzen.
"Das haben wir schon bemerkt, stellen Sie sich vor!", erwiderte Hong Liang, der sich fragte, ob der Magen seines Herrn sich nicht wohl bald über seine Schuhen entleeren würde.
Sie befanden sich in der Nähe einer kleinen Hafenstadt, als der Kapitän seinen hochgestellten Passagier respektvoll um die Erlaubnis bat, anlegen zu dürfen, wenngleich dies eine reine Höflichkeitsfloskel war. Richter Di nickte zustimmend, ohne das Risiko einzugehen, den Mund zu öffnen.
Beinahe eine halbe Wache[1] wurde für das heikle Anlegemanöver benötigt. Die Dschunke wurde unter großem Krachen nicht ohne Mühe am Pier festgezurrt, und der Kapitän kündigte an, dass er sich gezwungen sähe, für die Reparaturkosten einen Zuschuss zu verlangen. Der Richter versprach ihm alles, was er wollte, und beeilte sich, den Fuß auf festen Boden zu setzen, wovon er sich große Erleichterung erhoffte. Doch der Sturm machte dies zunichte, weil es dort beinahe genauso unangenehm war, wie schon der Aufenthalt inmitten der Wellen. Hong Liang und drei Seeleute nahmen das Gepäck, und die Gruppe beeilte sich unter dem peitschenden Regen in das Zentrum des kleinen Örtchens zu gelangen.
Ein Blick nach hinten zeigte dem Reisenden ein noch schrecklicheres Bild als jenes, das sich ihm bei der Ansicht der Dschunke geboten hatte. Im Fluss trieben jetzt ganze Baumstämme wie Geschosse, die sie zweifellos auf den Grund geschickt hätten, wenn sie noch länger an Bord geblieben wären.
"Die Götter sind mit uns", schrie Di durch das Prasseln des Regens. "Ohne die segensreiche Existenz dieses Hafens wären wir jetzt dem Tod geweiht gewesen."
"Daran ist kaum zu zweifeln", antwortete Wachtmeister Hong. "Und wenn die Götter jetzt noch eine gute gastfreundliche und beheizte Herberge für uns auftreiben, will ich das voll und ganz glauben."
Plötzlich standen sie unmittelbar vor einem Schild, das einen Silberreiher zeigte, das jedoch vom Wind wie irrsinnig hin und her gerüttelt wurde.
"Sie haben dich gehört!", rief der Richter aus und drückte die Tür auf. Sie stellten jedoch fest, dass der vom Silberreiher angebotene Komfort nicht rechtfertigte, sich bei den Schutzgöttern groß zu bedanken: Es handelte sich um ein sehr einfaches Speiselokal, das nur von Fischern und Handelsreisenden frequentiert wurde. Der Geruch gebackenen Fisches drohte, die wenigen vor dem Sturm Geflüchteten, die sich um den Kamin versammelt hatten, zu ersticken. Dies war, wie dem auch sei, ein Ort der Wärme, wenn nicht des Friedens, an dem man sich trocknen und gleichzeitig hören konnte, wie das Balkenwerk krachte und die Dachziegel herunterfielen.
Der Herbergswirt eilte herbei, um die Neuankömmlinge zu begrüßen und ihnen seine Dienste anzubieten: eine Schale Suppe, kochend heißen Tee und ein Zimmer im Hinterhof.
"Im ersten Stock", präzisierte Hong Liang, der Eindringlinge befürchtete.
"Alle unsere Zimmer sind oben, werter Reisender", entgegnete der Wirt mit unterwürfigem Lächeln. "Wir mussten alle Appartements im Erdgeschoss wegen des Schlamms schließen. Gerade eben haben wir diesen Raum mithilfe von Sandsäcken vor der Feuchtigkeit bewahrt. Wenn der Regen nicht aufhört, müssen wir mit den Unannehmlichkeiten eines Hochwassers rechnen, was für uns genauso unerfreulich wäre wie für unsere werten Besucher."
Der Richter seufzte und rieb sich die Hände, um sich zu wärmen. Das Wasser war auf dieser Reise eindeutig unheilvoll. Der Wirt hüstelte. Er witterte einen hochrangigen Gast, wagte aber nicht, ihm die Frage direkt zu stellen, die ihn quälte: "Darf ich die ehrenwerten Herrschaften fragen, ob unsere gute Stadt Tchouan-go das Ziel Ihrer Reise darstellt?"
Di dachte daran, dass seine Rangabzeichen zuunterst in seinen Truhen verwahrt waren. Nichts zwang ihn, sich als kaiserlicher Bezirksrichter zu erkennen zu geben, und der erbärmliche Zustand, in dem er sich befand, wies ihn auch nicht als solchen aus. Es war wohl besser, sein Inkognito zu wahren, das ihm mehr oder weniger unverbindliche Kommentare ersparte über die Notwendigkeit, Deiche anzulegen, die Gleichgültigkeit der Regierung oder über die schwierige Situation von Beamten auf Dienstreise.
Am meisten sehnte er sich bei all seinem...
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