Schweitzer Fachinformationen
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I
Richter Di bereitet sich auf den Empfang eines hohen Gasts vor und lässt sich zu mehr hinreißen, als ihm lieb ist.
Di und seine Gemahlinnen waren im Begriff zu überprüfen, ob alles perfekt war, um Richter Lo gebührend zu empfangen, der auf dem Weg zur Präfektur bei ihnen Zwischenstopp machen wollte. Lo war zu einer Versammlung hoher Beamter und Gelehrter gerufen worden, die zurzeit beim Präfekten stattfand. Di verband mit seinem alten Freund die Erinnerung an gemeinsame Lehrjahre für das Amt des Bezirksvorstehers im Verwaltungsdienst der Metropole.
"Lo ist ein besonders sensibler Mensch, der mit einem exzellenten und sicheren Geschmack gesegnet ist. Ich möchte deshalb, dass jedes Detail absolut seinen Erwartungen entspricht", verlangte Di.
Seine Zweite Dame versicherte ihm, dass sein Kollege von Empfang und Betreuung entzückt sein werde. Sie hatte sich persönlich um die Ausstattung des Gästezimmers gekümmert und es mit einigen Blumensträußen ausgesuchter Eleganz dekoriert. Seine Erste Dame hatte darauf geachtet, dass sich in den Regalen eine Auswahl signierter Gedichtsammlungen der berühmtesten Autoren befand. Und seine Dritte Dame hatte die Kinder zum Schlafen in den anderen Flügel des Gebäudes geschickt, damit ihr Geschrei die Ruhe des Gelehrten nicht störte, der unter ihrem Dach die Nacht verbringen sollte. Als die Equipage des Besuchers angekündigt wurde, zogen sich die drei Frauen, nachdem sie ihrem Gatten einen angenehmen Abend gewünscht hatten, zurück - mit der gebotenen Höflichkeit. "Mein Haus ist wirklich von den Göttern gesegnet", sagte sich der Richter und lächelte zufrieden. Alles erschien ihm in diesem Augenblick vorbildlich: Er hatte verständnisvolle, bereitwillig mitarbeitende und hilfreiche Gattinnen, diskrete und folgsame Sprösslinge und einen treuen Freund, dessen Anwesenheit sicherlich höchst unterhaltsam sein würde. Zweifellos würden sie stundenlang in Erinnerungen an ihre Jugendjahre schwelgen, begleitet von köstlichen Speisen und den edelsten Weinen, die der Küchenmeister zu bieten hatte.
Di trat auf die Veranda seines Empfangszimmers hinaus. Auf beiden Seiten des Hofes waren Laternen angezündet worden, um der einbrechenden Dämmerung entgegenzuwirken. Eine kleine elegante Kutsche mit Vorhängen kam gerade zum Stehen. Die Diener beeilten sich, das Trittbrett auszuklappen, um dem einzigen Fahrgast einen bequemen Ausstieg zu ermöglichen. Ein kleiner Mann mit prallem Bauch stieg vorsichtig aus dem Gefährt und begab sich geradewegs zum Richter. Ein joviales Lächeln erhellte sein Gesicht, das ein dünner Backenbart zierte, obgleich eine tiefe Unmutsfalte augenscheinlich seine Stirn zeichnete.
"Ach, mein lieber, großer Bruder!", rief Lo und breitete die Arme aus, um seinen alten Freund zu begrüßen, den er ohne zu zögern auf beide Wangen küsste. "Was für ein Vergnügen, sich an die Schulter eines Freundes lehnen zu können, wo doch die Welt um mich herum geradezu zusammenbricht! Ich bin sehr glücklich darüber, dass ich diesen Abend mit Ihnen verbringen darf! Wir sehen uns ja viel zu selten. Unsere Treffen sind für mich immer eine Quelle der inneren Bereicherung. Man genießt bei Ihnen solche Ruhe, die für den Glückseligkeit suchenden Geist geradezu erfrischend ist!"
Nach dem Austausch der üblichen Höflichkeitsfloskeln begleitete ihn Di ins Innere des Yamens,[1] wo die Hausdiener damit beschäftigt waren, die Fackeln anzuzünden. "Ach", rief der Reisende, "dies ist ein Haus, das Wohlbefinden und Frieden ausstrahlt! Bei mir zu Hause ist es mir nicht vergönnt, eine solche Harmonie zu genießen. Sie wissen gar nicht, was Sie für ein Glück haben, Di, denn Sie führen ein ruhiges Leben, das frei von sentimentalen Überraschungen ist, mit einem Wort - ein völlig gleichmäßiges Leben!"
Di dankte ihm für diese innigen Worte. Lo schien ihm heute außergewöhnlich überschwänglich, damit überspielte er wohl etwas. Der Richter verließ sich auf seinen Instinkt als Ermittler, angeregt durch das auffällige Verhalten seines Freundes, das gewisse Erinnerungen hervorrief. "Eine ungeschickte Person hat Ihrem zerbrechlichen Herzen Schmerz bereitet, nicht wahr?", fragte er.
Los Gesichtszüge verzerrten sich auf einmal, und er lehnte sich an besagte freundschaftliche Schulter: "Frauen sind grausam", stöhnte der beleibte Mann, während seine feuchten Augen drohten, dicke Tränen direkt auf das schöne seidene Gewand Dis zu vergießen.
Letzterer vernahm ein Kichern hinter einem Vorhang. Er überließ den Besucher seinem Selbstmitleid und entdeckte, dass seine drei Gemahlinnen den Neuankömmling durch einen Schlitz im Türvorhang beobachteten. Er wusste nicht, ob es ihn mehr irritierte, dass man hinter ihm her spionierte oder festzustellen, dass sie sich erlaubten, über das Leid ihres Gastes zu spotten. Di trat in den Alkoven und runzelte die Stirn.
"Der edle Richter Lo ist ein Gelehrter von großer Welterfahrung, ein zartbesaiteter Mensch, den nichts und niemand kränken darf", raunte er.
Dis Dritte Dame reichte ihm ein Tablett, auf dem einige Fläschchen mit Spirituosen und kleine Trinkschalen aus feinem Porzellan standen.
"Hier ist etwas, was ihn wieder aufmuntern wird, denke ich", sagte sie. "Versuchen Sie, ihm klarzumachen, dass nicht alle Frauen grausame Hexen sind. Anständige Damen geben sich dieser Art von Zeitvertreib nicht hin, und ihr exklusiver Umgang ermöglicht es ihnen, Fehltritte zu vermeiden. Der Kummer der Männer wird in erster Linie durch ihre eigenen Schwächen hervorgerufen."
Ihr Gatte nahm das Tablett und kehrte zu seinem Besucher zurück, der sich mit der Rückseite seiner langen, bestickten Ärmel die Augen rieb. Bestrebt, das Gespräch auf weniger schmerzhafte Themen zu lenken, fragte ihn Di nach seiner Reise zur Präfektur. Lo ließ wieder von der Handvoll salziger Mandeln ab, die er eben ergriffen hatte, und machte die Geste des Politikers, der überwältigt war von Aufgaben, die man aufgrund ihrer Bedeutung nicht einfach an weniger erfahrene Untergebene delegieren konnte.
"Oh, es handelt sich um eine recht langwierige Konferenz, die dennoch von großem strategischem Interesse für unsere Gegend ist. Der Präfekt hat mich aufgefordert, mit meinem Wissen die Emissäre der Regierung über die politische Situation unserer Region aufzuklären. Was soll man machen! Man muss seinen Pflichten nachkommen, nicht wahr? Ich bin mir sicher, dass auch Sie eines Tages gebeten werden, Vorschläge zur Art und Weise kriminologischer Ermittlungen zu machen. Wie es aussieht, haben Sie sich auf diesem Gebiet einen Namen gemacht."
Di nickte vage. Er hatte zum Glück seinerseits bereits Auskünfte eingeholt. Einer seiner Angestellten hatte ihm verraten, dass der Präfekt einige Beamte auf der Durchreise aus der Großstadt empfangen hatte - alte Freunde - und Lo war eingeladen worden, diese dank seiner dichterischen Begabung, seines großen Humors und in seiner Eigenschaft als unersättlicher Gast, zu unterhalten. Di warf einen kritischen Blick auf den dicken, schlaffen Lebemann vor sich, der den strategischen Experten für Lokalpolitik spielte. In welchem Zustand würde er selbst diese Arbeitssitzungen wohl verlassen, bei denen mit Sicherheit mehr Wein floss als ernsthafte Vorschläge gemacht wurden? Zweifellos weniger erschöpft von geistiger Anstrengung als von der Maßlosigkeit.
Während Di es unterlassen hatte, seine Schale ein zweites Mal zu füllen, bediente sich Lo ausgiebig. Er schüttete das alkoholische Getränk in sich hinein wie reines Wasser.
"Sie haben also", erwiderte der Herr des Hauses, dem es immer noch lieber war, die verletzten Gefühlen seines Gastes zur Sprache zu bringen als zuzuhören, wie dieser sich weiter über seine eingebildete Wichtigkeit ausließ, "erst vor Kurzem die Unbeständigkeit des schönen Geschlechts beklagen müssen?"
Lo hielt ihm einen kleinen Vortrag über die Feinfühligkeit der Damen und die gefährlichen Klippen, die ein Mann von Geschmack umschiffen müsse, um ihre Reize genießen zu können. Di horchte auf: Die Damen, von denen Lo sprach, gehörten - wie er vermutete - nicht der besseren Gesellschaft an. Dann trat eine belastende Stille ein.
"Gehen wir ins Bordell!", rief plötzlich der hervorragende Gelehrte und Liebhaber der schönen Dinge.
Di schrak zusammen.
"Ich hatte es vergessen", sagte er seufzend. "Ich hatte vergessen, dass man immer auf Sie zählen kann, um unsere Sorgen auf ein Niveau großer literarischer Reinheit zu heben."
Die Erinnerung an ihr früheres Leben als junge Assessoren am Gerichtshof der Metropole stand plötzlich überdeutlich vor seinen Augen: Es waren kurioserweise vor allem die Nächte mit Trinkgelagen, gefolgt von migränegeplagten Morgenstunden, die ihm dabei einfielen - statt der Sitzungen voller anspruchsvoller poetischer Wortgefechte, mit denen er gern die Erinnerung an seine Lehrjahre ausschmückte....
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