Schweitzer Fachinformationen
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Eiszeit
Was für ein frostiger zweiter Weihnachtsmorgen! Noch schien der Mond auf die eisige Fläche des Sees und ließ die Schneekristalle silbern funkeln. Steinhude und Mardorf lagen im Winterschlummer. Über Nacht hatte es geschneit. Nur äußerst zart deutete sich die Dämmerung im Osten an, aber niemand, der über die Feiertage frei hatte und ganz bei Trost war, verließ jetzt das warme Bett freiwillig. Es sei denn, er hatte was Heimliches vor.
Es war also wunderbar friedlich, als sich Justus und Jakob zum Eisangeln auf das Steinhuder Meer begaben. Es geschah nicht allzu oft, doch gelegentlich kam es vor, dass der große Binnensee komplett mit einer dicken Eisschicht überzogen war. Dann konnte man zu Fuß zur Insel Wilhelmstein gehen. Die beiden Brüder erinnerten sich daran, dass ihr Großvater damals sogar mit seinem Käfer über die gefrorene Fläche gefahren war. So etwas war heute wahrscheinlich nicht mehr erlaubt. Grund für die vergleichsweise schnelle Tragfähigkeit des Eises war die geringe Tiefe des Gewässers, die durchschnittlich weniger als anderthalb Meter betrug. Es gab nur wenige Stellen, die knapp drei Meter maßen.
Für nächtliche Fischräuber, die weder einen Angelschein noch Ahnung vom Metier hatten, war das eine beruhigende Sache. Immerhin konnte man stehen, falls man einbrechen sollte. Die jungen Männer waren auf fetten Aal aus, doch der schlief zu dieser Jahreszeit seelenruhig unter den moorigen Wiesen und aß rein gar nichts - auch keinen Köder. Er hielt bis zum Frühling Winterschlaf. Wer konnte das schon ahnen?
Im Grunde genommen ging es Justus und Jakob auch gar nicht darum, mit einer ordentlichen Beute nach Hause zu kommen. Die Sache an sich war spannend, egal was und wie viel man fing. Mit einer gehörigen Portion Nervenkitzel, Mehlwürmern, Nylonschnüren und Haken schlichen sie über das Eis von Mardorf aus. Damit sie nicht vom Ufer aus zu sehen waren, hatten sie sich mit ihrem Spaten und der Angelausrüstung bis fast zur Seemitte gewagt.
In der Nähe eines kleinen Reisighaufens, der aus dem Neuschnee ragte und - wie auch immer - dorthin geweht worden war, hielten sie an.
"Ich bin froh, dass du mir das mit Anna verziehen hast", sagte Jakob und knuffte seinen Bruder in die Seite.
"Hauptsache, ihr werdet glücklich", gab Justus mit einem Grinsen zurück. "Man kann eben nix erzwingen."
"Du wirst schon auch noch die Passende finden", sprach Jakob ihm Mut zu. "Die Sache mit dem Wintercamping am Steinhuder Meer war auf jeden Fall eine echt gute Idee. So eine kleine Männerauszeit ist schon was Feines, und in unserem Fall hat sie dazu geführt, dass wir uns ausgesprochen und wieder vertragen haben. Ich danke dir, dass du das vorgeschlagen hast."
"Obwohl Anna im ersten Moment sauer war, weil du sie an Weihnachten allein gelassen hast?", wollte Justus wissen.
"Ja. Es war mir wichtig, mit dir wieder ins Reine zu kommen", erklärte ihm der Bruder. "Schließlich will ich nicht mein Leben lang mit dir verkracht sein."
"Okay, na dann wollen wir mal ein Loch ins Eis hauen", schlug Jakob vor und holte mit dem Spaten aus.
Doch die starre Masse war widerspenstiger als gedacht. Mit ein paar Hieben sprengte er nur kleine Stücke aus der Oberfläche und kam kaum in die Tiefe, aber wenigstens wurde ihm wärmer.
Justus sah eine Weile zu und schmunzelte bereits innerlich. Sein älterer Bruder war immer der schmächtigere von ihnen beiden gewesen. Drahtig zwar, aber eher an schöngeistigen Dingen interessiert, während er selbst auch zusätzlich noch Sport trieb und manche Stunde im Fitnessstudio verbrachte.
"Gib mal her", sagte er, als er nicht mehr mit ansehen konnte, wie Jakob sich abmühte, ohne wirklich voranzukommen.
"Wie du meinst", erwiderte Jakob schnaufend. "Ist ganz schön anstrengend."
"Du musst auch mal was für deinen Körper tun und nicht nur für deine Birne", schoss es aus ihm heraus, aber Justus bereute es, noch während er den Satz aussprach, weil er an Anna denken musste.
Gerade hatte er sich wieder so gut mit Jakob vertragen, da war es nicht fair, dem Älteren seine Schwächen aufzuzeigen. Verlegen stach er auf die harte, frostige Masse ein. Zehn Zentimeter war er jetzt bestimmt schon tief. Wahnsinn, wie dick das Eis war! Und dabei hatte er in letzter Zeit wirklich viel trainiert, aber selbst er konnte nur stückweise vorankommen. Das wurmte ihn. Er stach noch fester zu. Im Kreis umrundete er nach und nach das zukünftige Angelloch, doch da knirschte es plötzlich verdächtig; und bevor er überhaupt begriff, was ihm das Geräusch sagen wollte, brach er unvermittelt ein. Ein Schock! Die Kälte des Wassers raubte ihm den Atem, noch während sich die Kleidung vollsog und ihn unter Wasser ziehen wollte. Justus zappelte wie ein Fisch auf dem Trockenen.
"Ja, stell dich doch einfach hin!", schrie Jakob ihm zu. "Du kannst hier stehen. Das Wasser ist nicht tief."
Aber der Versuch schlug fehl. Fast wäre Justus dabei unter das Eis geraten. Panik ergriff ihn.
Scheiße, dachte Jakob, wenn sie wenigstens eine Angelrute dabeigehabt hätten. Nun musste er versuchen, seinen Bruder so herauszuziehen. Vorsichtig legte er sich auf die frostige Oberfläche, die nun durch das spritzende und sofort gefrierende Wasser ganz glatt geworden war, und robbte näher. Der Jüngere versuchte krampfhaft, sich festzuhalten, doch jedes Mal rutschte er ab.
"Nimm meine Hand", rief Jakob verzweifelt. Zu nah wollte er nicht an die Stelle heran, um nicht auch noch einzubrechen. "Um Himmels willen, versuch doch auf dem Boden Fuß zu fassen!", flehte er den Bruder an. Er sah, wie dessen Kräfte langsam schwanden. Selbst die trainierten Muskeln versagten nun ihren Dienst. Er konnte Justus' Hand nur einmal kurz erwischen, doch kaum dass er danach griff, glitschte sie ihm wieder aus den Fingern. Verzweifelt und ohnmächtig musste er mit ansehen, wie sein Bruder unter das Eis trieb. Seine Haut schimmerte noch einen winzigen Moment am Rand des Lochs hervor, dann war darin alles schwarz. Ein Schandfleck im grenzenlosen Weiß des Sees.
Jakob schrie, aber er war zu weit weg von allem und musste zum Ufer laufen. Seine Beine wollten ihn auch nicht richtig tragen. Er stolperte mehr oder weniger voran und erreichte erst nach einer gefühlten Ewigkeit wieder festen Boden unter den Füßen.
Auf dem Campingplatz brüllte er um Hilfe, doch es dauerte, bis sich einer der wenigen Reisenden aus dem Bett quälte und seine Tür einen Spalt weit öffnete. Danach konnte sich Jakob an nichts mehr erinnern.
Peter Kruse hatte dem wirren Gefasel zumindest entnehmen können, dass es einen Unfall auf dem See gegeben hatte, bei dem jemand unter Wasser geraten war. Also tat er in seiner Freizeit das, was er sonst auch im Dienst getan hätte. Er rief die 112 an. Den halbnassen Kerl hatte er mit einer Decke umschlungen und auf die Bank seiner Halbdinette gesetzt. Dort war er in sich zusammengesackt. Kruses Frau Nadja Serafin verfolgte den Anruf zunächst im Halbschlaf, war dann aber sofort hellwach und sprang aus dem Bett. Es hatte sich auch heute wieder bewährt, dass sie im Jogginganzug schliefen.
Als sie den durchgefrorenen Mann sah, holte sie die Wärmefolie aus dem Verbandskasten des Kastenwagens und wickelte sie noch um die Decke herum. Dann stellte sie die Heizung im Fahrzeug etwas stärker ein. Sobald sich die Temperatur erhöht hatte, wollte sie ihn bitten, die Jacke auszuziehen. Er schien total verstört zu sein. Momentan machte es keinen Sinn, mit irgendwelchen Fragen in ihn zu dringen.
"Die Enten werden gleich hier sein", flüsterte Oberkommissar Peter Kruse seiner Frau zu und meinte damit insgeheim die Wasserschutzpolizei. "Allerdings können sie auf diesem Tümpel wenig ausrichten, solange der im Frost erstarrt ist. Einer von denen ist Eissegler. Das THW will auch kommen. Mal sehen, ob sie den Eingebrochenen finden."
"Ah", seufzte die Rechtsmedizinerin leise, "sie sind zu mehreren gewesen. Das ist ja schrecklich. Er steht ganz neben sich."
"Wohl zu zweit", wusste Peter noch. "Es nützt aber nichts. Ich würde den Mann auch gerne schonen, aber wir brauchen dringend mehr Informationen, bis die anderen hier sind."
Nadja nickte.
Während Peter am Kühlschrank vorbeiging und sich eine Bulette in den Mund steckte, war sie schon nach vorne gegangen und hatte auf dem Fahrersitz Platz genommen, der wie der des Beifahrers zum Innenraum gedreht war.
"Möchten Sie einen heißen Tee oder Kaffee, Herr .?", erkundigte sich Nadja.
"Körber, Jakob Körber", kam es teilnahmslos aus dessen Mund. Dann schüttelte er den Kopf.
Peter hatte aufgekaut und setzte sich dazu.
"Habe ich das richtig verstanden, dass Sie nicht allein dort auf dem See waren?"
"Mit meinem . Bruder", erklärte Körber stockend. "Er ist weg." Tränen liefen über sein Gesicht.
"Ich nehme mal an, er ist nicht weggelaufen, zu einer anderen Uferseite, oder?", fragte Nadja sanft.
"Nein, das Eis . es ist . wir wollten angeln, da ist er .", stammelte Körber.
"Eingebrochen?", hakte Peter nach.
Jakob Körber nickte. Er war ein Bild des Jammers.
"Ich konnte ihn nicht .", kam es gepresst aus seinem Mund.
"Ist er unter das Eis geraten?", erkundigte sich Nadja vorsichtig.
"Ja", schluchzte Körber und hielt sich die Hände vors Gesicht.
Von ferne hörten sie Blaulicht und Martinshorn.
"Wir werden Sie brauchen, um die Stelle zu finden", sagte Peter entschlossen. "Leider kann ich es...
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