Schweitzer Fachinformationen
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Nadja grübelte. Was konnte Wolf von ihr wollen? Irgendwie war ihr die Sache unheimlich. Es gab keinen aktuellen Fall. Vielleicht wusste Peter etwas. Leise schlich sie ins Schlafzimmer zurück, aber er hätte sie ohnehin nicht gehört, denn er schnarchte wie ein Bär. Dabei lag er eingerollt auf der Seite wie ein Baby im Mutterleib. Vorsichtig hob sie die Decke an und kitzelte ihn an seiner Fußsohle, aber er schmatzte nur und drehte sich auf den Rücken.
"Peter", sagte sie sanft, und er musste sie wohl gehört haben, denn er murmelte etwas Unverständliches, aber sie hatte nicht ewig Zeit. Daher entschloss sie sich zu einer Radikalmethode und zwickte ihn in die Wade.
Mit einem wütenden Aufschrei fuhr Peter hoch und stieß sich den Kopf an der Dachschräge. "Verdammt!", fluchte er. Dann fixierte er sein Gegenüber mit einem bösen Blick. "Kannst du mir mal sagen, was das soll?"
"Ich will dich was fragen", sagte Nadja und lächelte ihn mit einer Unschuldsmiene an.
"Hätte das nicht Zeit gehabt, du Folterknecht?"
"Nein!", erwiderte Nadja mit Nachdruck. "Mit Wolf stimmt irgendetwas nicht."
"Mit dem stimmt schon lange nix mehr", sagte Peter und rieb sich seine Stirn. "Deswegen brauchtest du mich aber jetzt nicht so unsanft aufzuwecken."
"Er will zu mir nach Stadthagen kommen", erklärte Nadja.
"Und wozu soll das gut sein? Er hätte doch auf dem Weg nach Bückeburg hier vorbeikommen können", wandte Peter ein.
"Eben", stimmte Nadja zu.
"Geht er mir aus dem Weg?", überlegte Peter.
"Das glaube ich nicht. Du hast wie alle anderen Rücksicht auf ihn genommen", sagte Nadja.
"Vielleicht war das ein Fehler, und ich hätte ihm mal richtig die Meinung geigen sollen, damit er aus dieser Heulsusennummer wieder rauskommt", grübelte Peter.
"Na ja, so ganz einfach ist das auch nicht, wenn du dich mit dem Gedanken abfinden musst, dass ein Arm nicht mehr wirklich funktioniert", gab Nadja zu bedenken.
"Schon, aber er hätte auch tot sein können. Oder stell dir vor, er säße im Rollstuhl. Aber es ist nur der linke Arm, nicht mal der rechte. Er sollte anfangen, sich daran zu gewöhnen", sagte Peter, "anstatt uns alle dafür zu strafen, dass wir sein Schicksal nicht teilen müssen."
"Ich weiß, was du meinst, aber ich denke, du urteilst ein bisschen zu hart. Niemand, der nicht in der Situation ist, weiß, was es mit einem macht. Die Demut, für etwas dankbar zu sein, was einen nicht getroffen hat, bringt noch lange keine Dankbarkeit oder Akzeptanz für das kleinere Übel", antwortete Nadja. "Na, wie dem auch sei. Ich werde jetzt nach Stadthagen fahren und sehen, was mich erwartet."
"Soll ich mitkommen?", fragte Peter und versuchte ein Gähnen zu unterdrücken.
"Nee, lass mal. Wer weiß, was es ist. Ich rufe dich dann später an. Und vielleicht hast du recht. Wir müssen aufhören, ihn mit Samthandschuhen anzufassen. Das lässt ihn nur tiefer in seiner Opferrolle versinken. Nimm ihn doch mal bei einem Bier ins Gebet", schlug sie vor.
Peter nickte, obwohl er dazu im Moment so gar keine Lust hatte. Er musste Wolf schon auf der Dienststelle ertragen. Aber das war natürlich auch kein Zustand. Er war sein Freund. So konnte es auf Dauer nicht weitergehen. Für Wolf gab es momentan nur ihn selbst. Höchste Zeit, dass er sich daran erinnerte, dass um ihn herum auch Menschen waren. Er kuschelte sich wieder in die Kissen.
Nadja lachte, gab ihm einen Kuss auf seine Beule an der Stirn und zwickte ihn zum Abschied leicht in seinen großen Onkel, der unter der Bettdecke herausragte. "Schlaf nicht wieder ein. Du musst auch gleich raus!"
"Ja, ja", brummte Peter und streckte sich.
Als Nadja in Stadthagen eintraf, schloss sie die Tür zur Rechtsmedizin auf. Sie war morgens gerne einen Moment allein. Diese Ruhe war herrlich. Auf dem Weg zu ihrem Büro warf sie einen Blick in den Spiegel im Sektionssaal. Das Kämmen hatte wie immer nichts genutzt. Die Natur hatte ihr Haare in die Wiege gelegt, über die jede andere Frau geweint hätte. In alle Richtungen standen sie vom Kopf ab, ohne jemals eine Frisur abzugeben. Aber Nadja grinste nur. Das hatte doch was, das konnte nicht jeder vorweisen. Als Jugendliche war sie dazu übergegangen, den Schnitt so kurz zu halten, dass die Pracht nirgendwo hinwachsen und man das Muster ihrer vielen Wirbel sehen konnte. Später hatte sie sich einfach damit abgefunden, dass sie war, wie sie war, und Peter liebte es ohnehin. Im Büro setzte sie einen Kaffee auf und sah in ihren Terminplan. Ziemlich tote Hose im Moment. Nur ein paar alte Fälle, die mit neuen Spuren abgeglichen werden sollten. Man starb lieber auf natürliche Weise im Schaumburger Land und Umgebung. Das sollte nicht heißen, dass sie den Menschen etwas anderes wünschte.
Es klingelte an der Tür. Durch die Glastür sah sie schon von Weitem, dass es nur Wolf sein konnte. Sie war gespannt, was er von ihr wollte.
"Hallo Wolf, komm rein!", begrüßte sie ihn.
Er nickte nur.
"Was kann ich für dich tun?", fragte sie und ging voran.
"Mal sehen", sagte er. "Können wir in dein Büro gehen? Ich möchte mit dir allein sprechen."
"Es ist zwar noch niemand außer mir hier, aber klar, setzen wir uns und schließen die Tür. Du machst es aber spannend."
Wolf nahm ihr gegenüber am Schreibtisch Platz. "Danke."
"Möchtest du einen Kaffee?", fragte Nadja. "Frisch gebrüht."
"Nein danke", erwiderte Wolf wortkarg.
"Was führt dich denn nun her? Ich bin wirklich neugierig. Du hättest doch auch zu uns nach Hause kommen können", sagte Nadja.
Wolf schüttelte den Kopf. "Ich möchte, dass das Gespräch hier unter uns bleibt. Kannst du mir das versprechen?"
"Kommt ganz drauf an", gab Nadja ehrlicherweise zu.
"Ach, ist im Grunde auch egal", erwiderte Wolf und zuckte mit den Schultern. Der linke Arm hing wie eine reife Frucht am Baum.
"Kommst du denn mit deinem neuen Wagen gut klar?", fragte Nadja einige Zeit später, weil Wolf stumm blieb.
"Ist ein Krüppelmobil." Er lachte bitter. "Ein Wort, das sich eigentlich selbst ad absurdum führt. Aber ja, es hat Automatik und am Lenkrad ist ein Knauf, damit ich einhändig kurbeln kann. Ich brauche den linken Arm also gar nicht mehr. Und darum bin ich auch hier. Ich wollte dich bitten, dass du ihn mir abnimmst. Als totes Gewebe stört er mich nur. Baumelt überall rum. Besser, wenn er ganz weg wäre."
Nadja atmete tief durch. Mit so etwas hatte sie nicht im Entferntesten gerechnet. "Wie stellst du dir das denn vor?", fragte sie völlig perplex.
"Na, du wirst es doch wohl können", sagte Wolf, "gib mir eine Narkose und such dir aus, wie du ihn abtrennen wirst. Das ist deine Sache. Ich will es auch gar nicht so genau wissen. Sauber und ordentlich. Zweckmäßig. Vielleicht lässt du ein kleines Stück Oberarm dran wegen der Optik."
Mechanisch wie ein Roboter beugte sich Nadja vor. Bei ihrer Größe von einem Meter fünfundachtzig hatte sie ebenfalls lange Arme. Sie holte aus und verpasste Wolf eine Ohrfeige, die sich gewaschen hatte.
Für einen Moment hörte er gar nichts mehr, dann klingelten ihm die Ohren. Verdattert und völlig geschockt wollte er aufstehen.
"Nichts da!", donnerte Nadja und drückte ihn in den Stuhl zurück. "Wir reden jetzt Tacheles! Ich hab schon lange die Schnauze voll, aber das hier ist der Gipfel. So eine Unverfrorenheit und Rücksichtslosigkeit, die aus grenzenlosem Egoismus resultiert. Ich habe selten so einen Egozentriker wie dich erlebt. Was ist nur aus dir geworden? Schau dich an: Ein Jammerlappen, der nur an sich selbst denkt. Glaubst du, die Menschen um dich herum haben überhaupt keine Gefühle? Seit Monaten benimmst du dich wie die letzte Sau. Lässt deine Unzufriedenheit an uns allen aus. Was denkst du denn, wer du bist? Nur weil einer deiner Arme versehrt ist, tickst du vollkommen aus? Willst ihn sogar abnehmen lassen? Du weißt doch noch gar nicht, ob sich deine Lage nicht noch bessert. Warte doch einfach noch mal ab. Die meisten Kriegsopfer lassen sich Prothesen machen, damit sie nicht einarmig rumlaufen müssen. Aber der Herr Hetzer will sein Anhängsel loswerden. Ich fasse es nicht. Ist dir eigentlich klar, wie viel Glück du gehabt hast? Du lebst, du kannst laufen, du hast Freunde, die dir helfen, wenn du sie lässt. Du kannst sogar trotzdem weiter arbeiten. Anstatt im Selbstmitleid zu versinken, könntest du zur Abwechslung auch mal dankbar sein."
"Bist du fertig?", fragte Wolf und wollte wieder hoch.
"Nein", wetterte sie, "noch lange nicht. Mein Opa hat seinen Arm im Zweiten Weltkrieg verloren. Mit sechzehn. Und wenn du jetzt denkst, das sei lange her, dann sieh dich um, oder schalte den Fernseher ein. Werde demütig und füge dich in dein Schicksal. Nimm es endlich an. Mach das Beste daraus. Erst dann wird es wieder bergauf gehen. Und vielleicht entwickelt sich alles besser, als du denkst. Aber hör verdammt noch mal auf, dich selbst zu bemitleiden. Wo ist Wolf, der Kämpfer? Unser Freund, der sagt: Jetzt erst recht! Stell dir vor, Peter wäre in deiner Situation. Was würdest du ihm sagen?"
Zu einer Antwort kam Wolf nicht, denn Nadjas Telefon klingelte. Einen Moment zögerte sie, dann entschuldigte sie sich und nahm ab.
"Serafin . ja, ist gut, ich komme raus. Windmühle Rodenberg. Welche Straße? . Okay, das müsste mein Navi finden. Ich bin in ungefähr zwanzig Minuten da." Dann legte sie auf und seufzte.
Wolf sah sie fragend an.
"Ein Toter in Rodenberg. ...
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