Schweitzer Fachinformationen
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Oberkommissar Niklas Müller, langjähriger Freund und Kollege von Eike, war direkt von zu Hause zum Hafen gefahren. Mit tiefem Stirnrunzeln stand er neben dem Rechtsmediziner, der gerade seine erste Expertise abgeben wollte, als sein Kumpel von Oma Puschs Kiosk zurückkehrte.
"Moin! Hab ich was verpasst?", fragte er mit Blick auf den frisch Geborgenen.
"Hier gibt's nichts zu verpassen", sagte Doktor Enno Esen. "Der kleine Sprung ins Wasser hat nichts mehr anrichten können. Es war höchstens eine unfreiwillige Totenwäsche, wenn ihr mir diese kleine Pietätlosigkeit erlauben wollt."
"Ziemlich krass der Anblick", stellte Niklas fest.
Eike kam näher und sah genauer hin. Enno bog den Kopf des Opfers etwas nach hinten. Potz Blitz! Da zeigte sich das ganze Ausmaß der Verletzung.
"Das Handwerk eines Profis", sagte er und nickte wie zur Bestätigung.
"Vorher hat der dann aber noch ein bisschen Fingerroulette mit dem armen Kerl gespielt", berichtete Enno und hielt eine der beiden Hände hoch, die er wieder aus der Tüte herauszog. Zwecks Spurensicherung hatte man sie bereits geschützt.
"Oha!" und "Ui!" riefen die beiden Oberkommissare gleichzeitig.
Niemand mochte sich vorstellen, wie das war, wenn Fingernägel gequetscht oder ohne Betäubung gezogen wurden, vom Abtrennen einzelner Gliedmaßen ganz zu schweigen.
"Na, ist euch der Appetit vergangen?", fragte Bodo Siebenstein von der SpuSi, der soeben dazukam. Der Tod muss nicht unbedingt das Schlimmste sein, vom Schmerz aus gesehen. In diesem Fall war wohl eher alles davor eine Tortur. Doch wo das alles stattgefunden hat, müsst ihr noch herausfinden. Hier am Hafen war kein Blut - und es wird heftig geblutet haben."
Jetzt war Enno in seinem Metier. "Ihr macht euch keine Vorstellung, wie das spritzt. Ich habe mal, als ich noch als Allgemeinmediziner tätig war, bei einer kleinen OP eine winzige Arterie verletzt. Nix Schlimmes! Ruckzuck war sie mit dem Elektrokauter wieder verschweißt, aber ich sage euch, das hat bis zur Decke und an die Wand gespritzt. Der Raum musste gestrichen werden. Die Halsschlagadern haben da wesentlich mehr Wumms."
"Halt die Klappe", stöhnte Eike, dem die Fingerkuppen wehtaten, allein von der Vorstellung nach Ennos Ausführungen. Aber der musste natürlich noch einen draufsetzen mit seiner Fontäne. Jetzt konnte er kaum schlucken. Die Psyche machte schon was mit einem, dachte er. Erzählst du wem was von Kopfläusen, juckte es den anderen sofort an der Birne.
"Wie lange ist der Mann denn schon tot?", versuchte Niklas die Umstehenden auf die sachliche Ebene zu bringen.
"Lange genug", erwiderte Enno, hob den Arm des Mannes und ließ ihn zurückplumpsen. "Merkt ihr was? Keine Leichenstarre mehr. Da kann ich mir das Messen der Körpertemperatur sparen. Aber inwieweit man den Todeszeitpunkt eingrenzen kann, vermag ich noch nicht zu sagen."
"Papiere?", erkundigte sich Niklas. "Habt ihr irgendetwas gefunden, das auf seine Identität schließen lässt?"
Bodo Siebenstein schüttelte den Kopf. "Ich finde, er sieht Eike ein bisschen ähnlich."
"Bist du bekloppt?", fauchte der. "Ich habe hier oben keine Verwandten, bis auf Tante Lotti."
"Und Cousins und Cousinen, mindestens fünf, wenn ich mich recht erinnere, sowie deren Kinder", fügte Enno an.
"Die leben hoffentlich alle noch", zischte Eike, sah aber noch mal genauer ins Gesicht des Ermordeten, "sonst wäre längst einer vermisst worden."
Doch er musste zugeben, dass Bodos Einschätzung nicht ganz falsch war. Es gab tatsächlich eine frappierende Ähnlichkeit, wohl eine zufällige Laune der Natur.
"Na ja, sei es, wie es sei", sinnierte Enno, "ich will den Herrn nun einmal genauer unter die Lupe nehmen."
Er winkte den Bestattern, die würdevoll am Rande des Geschehens standen. "Sein" Lottchen war nicht untätig gewesen. Sie musste ihren Sohn Nils Esen und dessen Kompagnon Rico Fritsche informiert haben. Auf diese Weise schusterte sie den beiden Aufträge zu, aber das war auch praktisch für ihn. Im Keller des Instituts Fritsche & Esen in Esens lag nämlich sein rechtsmedizinisches Institut. Es war quasi eine Dependance der Abteilung in Norden.
"Gut, dann werden wir uns hier am Hafen umhören, ob es jemanden gibt, der Beobachtungen gemacht hat", beschloss Eike. "So ganz einfach ist das ja nicht, eine Leiche mitten auf dem Präsentierteller direkt bei den bekannten Bronzestatuen zu platzieren."
Nach und nach verlief sich die Ansammlung von Menschen, die immer noch von Weitem gegafft hatte. Nein, sie waren nicht von selbst auf die Idee gekommen, dass ihr Geglotze pietätlos sein könnte. Es gab einfach nichts mehr zu sehen. Die Leiche war abtransportiert worden.
Eike und Kollegen hatten sich aufgemacht, in den Cafés, Hotels und Geschäften nachzuhorchen. Auch die Fischer wollte man sukzessive befragen. Nur die Spurensicherung war noch tätig, aber das war für Sensationstouristen wenig spannend, weiß vermummten Leuten beim Pinseln oder Abkleben zuzusehen. Also trollten sich auch die letzten von ihnen.
Rechtsmediziner Enno schloss seine Arzttasche und sah sich um. Zwei Seelen wohnten in seiner Brust. Auf der einen Seite wollte er dringend diese Fischerhose samt Gummistiefeln loswerden, auf der anderen Seite lockte ein Kaffee am Kiosk "seiner" Lotti, und vielleicht konnte er dort auch die Buxe wechseln. Sie waren ja schließlich alle erwachsen. Normalerweise wäre das also kein Problem gewesen, nur sein kleines, neckisches Spielchen von vorhin erschwerte die Sache. Es würde auf jeden Fall zu einer Missstimmung kommen, egal wie er sich jetzt verhielt. Gab er die Veräppelung seiner Angebeteten zu, war sie mit Sicherheit sauer, ihm auf den Leim gegangen zu sein. Tat er weiterhin so, als ob er demnächst mit einer Fremden ein Stelldichein haben würde, wäre sie ebenfalls eingeschnappt - und das womöglich für länger.
Er wog seine Möglichkeiten ab. Reinen Tisch zu machen, schien ihm die beste Alternative zu sein, damit sich das zwischen ihnen schnellstens wieder einrenkte. Und wenn er es schlau anstellte, kam er eventuell mit einem blauen Auge davon.
Gemächlich schlenderte er also auf den Kiosk zu und wurde von Oma Pusch vollkommen ignoriert. Schlimmer noch, sie schickte Rita vor.
"Rita, bist du gerade mal so lieb, ich kann nicht", rief sie ihrer Freundin vom Kühlschrank aus zu.
Die drehte sich um und erblickte den Hallodri. Natürlich hatte ihr Oma Pusch die Geschichte vom Hafen brühwarm erzählt. Was bildete der sich eigentlich ein? So schön war er nun wirklich nicht mehr, dass sich die Damenwelt alle fünf Finger nach ihm abschleckte. Höchste Zeit, ihm das auch deutlich zu zeigen. Frauensolidarität war hier eine Selbstverständlichkeit!
"Na, überhaupt nicht schwer beschäftigt?", informierte sich Rita mit süffisantem Unterton, "mit irgendwelchen Körpern?"
"Momentan nicht", erwiderte er und wusste genau, woher der Wind wehte. Lotti hatte ihrer Freundin das Herz ausgeschüttet. Jetzt hieß es: Vorsicht walten lassen. Ja kein falsches Wort, sonst war das Verhältnis für Wochen getrübt. Er musste sie beide bei der Neugier packen. Wenn die Weiber was von ihm wollten, würden sie nachsichtiger sein. Daher war es die listigste Idee, sie anzufüttern. Kleine Häppchen tatrelevanter Erkenntnisse, hintergründige Vermutungen, spektakuläre Andeutungen. All das eben, worauf die heimlichen Ermittlerinnen abfuhren wie der Teufel auf die Seele. Doch wo konnte er ansetzen? Am ehesten nutzte er die Information, die er von Eike erhalten hatte: Keine Geringere als Oma Pusch hatte die Leiche ins Hafenbecken befördert.
"Mensch, Rita, das war ja ein aufregender Morgen", begann er.
"Da erzählst du uns nichts Neues", sagte Rita schnippisch. "Lotti war von Anfang an nah dran am Geschehen."
"Ja, ich habe schon gehört, dass es ihr zu verdanken war, dass ich .", er bremste sich, "äh, ich meine, dass es ihr zu verdanken war, dass der Tote so schnell entdeckt wurde." Es war nicht zweckdienlich, sich über den nassen Zustand des Verblichenen zu beschweren. Auch nicht darüber, dass er diese schweißtreibende Wathose trug, weil er ja nicht wissen konnte, ob er sie nicht doch gebraucht hätte.
"Lotti hatte ihn schon aus dem Fenster gesehen", antwortete Rita. "Da war es ja wohl nur zu logisch, dass sie ihn angesprochen und berührt hat, wo der Mann sich doch die ganze Zeit über überhaupt nicht bewegt hatte."
"Unbenommen", stimmte Enno zu. "Gibst du mir bitte ein Mettbrötchen und einen Kaffee?"
"Die sind reserviert", zischte Oma Pusch von hinten.
"Gut, dann nehme ich ein Croissant", konterte er und schnappte sich eins aus dem Korb auf dem Tresen. "Kaffee nur mit Milch bitte."
"Kaffee ist aus!", grummelte Oma Pusch, obwohl es erkennbar nach dem köstlichen Gebräu duftete. "Gibt nur Kamillentee."
Enno hasste den. Das wusste sie.
"Lecker", rief er, "den aber dann bitte mit Zucker." So leicht ließ er sich nicht abwimmeln.
Zähneknirschend stellte Oma Pusch den Wasserkocher an und brühte ihm einen Tee auf. Schon der Geruch sorgte dafür, dass sich bei ihm der Magen zusammenzog, aber was tat man nicht alles für die Liebe?
"Stand dir übrigens gut, das Outfit mit Sommerhut und Sonnenbrille", wagte er einen Vorstoß.
Oma Pusch zuckte zusammen.
"Sah richtig schick aus", fuhr er fort. "Solltest du ruhig mal öfter...
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