Schweitzer Fachinformationen
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Drei Viertel der Weltbevölkerung leben in Städten, jeder Achte wohnt in einem Großballungsraum. Millionenstädte und Megacitys verschlingen Land, Energie und Ressourcen - und sind zugleich von der Klimakrise, die sie anheizen, schon jetzt besonders betroffen. Doch in den Metropolen der übervollen Welt haben viele engagierte Menschen die Warnsignale vernommen und vernetzen sich, um das Potenzial der Städte für den dringend erforderlichen partizipativen und sozial-ökologischen Umbau zu nutzen. Die Beiträge dieses Jahrbuchs Ökologie beschäftigen sich aus den unterschiedlichsten Perspektiven mit Gegenwart und Zukunft der Städte und zeigen Perspektiven für ihre kreative Transformation in Richtung lebenswerter Nachhaltigkeit auf.
EINLEITUNG
DIE STADT IM ANTHROPOZÄN
»Willst Du die Zukunft sehen, gehe in die Hauptstadt«
Christoph Mauny
Die Große Transformation und die Rolle der Städte
Seit mehr als 25 Jahren setzt das Jahrbuch Ökologie auf die Kraft von Aufklärung, Vernunft und Verantwortung. Viele Beiträge schildern Ursachen und Zusammenhänge der ökologischen Krise, andere plädieren mit Engagement, Kompetenz und Kreativität für einen neuen Fortschritt. Die Beiträge beschreiben den kritischen Zustand unseres Planeten und werben für die Alternative: eine sozial-ökologische Gestaltung der Transformation in Wirtschaft und Gesellschaft. Das Jahrbuch zeigt Ideen, Projekte und konkrete Utopien auf, wie die Entwicklung in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft auf neue Gleise gelenkt werden kann.
In diesem Jahrbuch heißt der Schwerpunkt »Zeitalter der Städte«. Eine wichtige Frage von strategischer Bedeutung ist die Rolle der Städte in der Transformationsfrage, die eine sozial-ökologischen Gestaltung erfordert, aber bisher weder eindeutig noch allgemeingültig genug definiert ist. Wir sind davon überzeugt, dass die Stadt ein entscheidender Motor für einen sowohl klima- und umweltgerechten als auch sozial verträglichen Umbau der Gesellschaft stehen kann. Dazu wollen wir einen Beitrag leisten.
Der Begriff der Transformation wird allerdings für unterschiedliche Sachverhalte gebraucht. Wir verstehen Transformation nicht als einen modischen, oft sogar beliebigen Begriff für Veränderungen, sondern knüpfen an die analytische und strategische Spur an, die der Wirtschaftshistoriker Karl Polanyi (1886-1964) in seiner wegweisenden Arbeit »The Great Transformation« gelegt hat.
Bei allen Leerstellen und Schwächen hat seine Großgeschichte von der Entwicklung der Gesellschaft den Tiefgang, der auch heute zur Bewertung der Ursachen und Herausforderungen der globalen Epoche notwendig ist. Polanyis grundlegende Erkenntnis hieß: »Die unregulierten Marktkräfte erniedrigen die menschlichen Tätigkeiten, erschöpfen die Natur und machen die Währungen krisenanfällig«.
Demnach ist die entscheidende Triebkraft der Transformation das Marktsystem genauer die Verselbständigung der »Entbettung« der Märkte aus gesellschaftlichen Bindungen. Polanyi beschreibt die ökonomischen Ursachen der Umbrüche und Krisen, die er in politische und gesellschaftliche Zusammenhänge einordnet. Entbettete Märkte können destruktive Umwälzungen auslösen, denn die »Idee eines selbstregulierenden Marktes bedeutet eine krasse Utopie. . Eine solche Institution könnte über längere Zeiträume nicht bestehen, ohne die menschliche und natürliche Substanz der Gesellschaft zu vernichten.«
Als Reaktion auf die Weltwirtschaftskrise von 1929 wollte Franklin D. Roosevelt (1882-1945), der 32. Präsident der USA, 1933 einen New Deal einleiten. Der Begriff stammt aus der Pokersprache und bedeutet, dass in einer verfahrenen Situation die Karten neu ausgeteilt werden sollen. Roosevelt sah in der »sozialen Disziplinierung wirtschaftlicher Freiheiten« den Weg aus der Krise. Er stellte die Weichen für den amerikanischen Wohlfahrtsstaat, der in den Nachkriegsjahrzehnten zur Leitidee in den westlichen Gesellschaften wurde, bis es in den 1980er Jahren zum Aufstieg des Neoliberalismus kam.
Mit der Globalisierung der Märkte und der Digitalisierung der Welt erleben wir heute erneut eine Große Transformation. Diesmal stellt uns die Verselbstständigung des Marktsystems vor noch größere Herausforderungen. Nicht nur, weil der Nationalstaat, der den Rahmen für den Wohlfahrtsstaat setzte, unter dem Druck globaler Märkte an Handlungsfähigkeit verliert, sondern weil die bisherigen Antworten aus zwei zentralen Gründen nicht mehr ausreichen:
Von daher geht es bei der Gestaltung der Transformation nicht nur um mehr Demokratie, soziale Reformen und wirtschaftliche Stabilität, sondern auch um einen neuen Gesellschaftsvertrag, der die Tragfähigkeit unseres Planeten und damit die Endlichkeit des Erdsystems für menschliches Leben beachtet. Einige Hinweise belegen, wie sehr sich die Belastungen der natürlichen Lebensgrundlagen seit der Industriellen Revolution verstärkt haben:
Kurz: Dasselbe Wirtschaftswachstum, das im letzten Jahrhundert unser Leben in vielem angenehmer gemacht hat, droht nun unerträglich zu werden. Mit der Globalisierung der Schädigungen an den natürlichen Lebensgrundlagen tut sich die Ausweglosigkeit der Steigerungsprogrammatik auf. Die politische Rahmensetzung muss künftig auf Vermeidung, Mäßigung und Naturverträglichkeit abzielen, ökologisch konsistent und ökoeffizient sein. Notwendig ist auch Suffizienz, um die Chancen der Menschen gerecht zu verteilen. Das ist nur mit mehr Demokratie und Partizipation zu verwirklichen. Andernfalls wird ökonomische Wertvermehrung immer stärker zur ökologischen Wertvernichtung.
Bei dieser Konfliktlage entscheidet sich, ob das 21. Jahrhundert ein Jahrhundert der Gewalt und erbitterter Verteilungskämpfe wird oder ein Jahrhundert der Nachhaltigkeit. Dafür werden heute die Weichen gestellt. Die Endlichkeit des Erdsystems für menschliches Leben macht es notwendig, dass das Ziel der sozialen und ökologischen Gestaltung der Transformation zu einer neuen Qualität in der Entwicklung von Wirtschaft und Technik führt. Nur eine wahrhaftig nachhaltige Entwicklung kann die natürlichen Lebensgrundlagen schützen, mehr soziale Gerechtigkeit verwirklichen und das Überleben der Menschheit sichern.
Das Zeitalter des Anthropozän und die Krise der Moderne
Eine neue geologische Erdepoche hat begonnen: das Anthropozän (oder Menschenzeit). Mit der Globalisierung der Umwelteingriffe wird die Evolution in neue Bahnen gelenkt. Die ökologischen Grenzen des Wachstums werden deutlich und damit die Endlichkeit unseres Planeten für menschliches Leben. Die »alte Erde«, so wie wir sie kennengelernt haben, existiert immer weniger. Die 5,4 Milliarden Jahre alte Erdgeschichte wird in eine Abfolge von Äonen, Ären, Perioden und Epochen eingeteilt. Zuständig für diese Periodisierung ist die International Commission on Stratigraphy (ICS) in der International Union of Geological Sciences (IUGS). Die ICS hat die Hinweise und geologischen Belege bewertet und ist nach intensiven Untersuchungen der Emissionen, Ablagerungen und Eingriffe im Sediment zu dem Ergebnis gekommen, dass die Menschheit tatsächlich in der neuen Epoche des Anthropozän angekommen ist.
Das Holozän, die Epoche der letzten 12 000 Jahre, hatte mit einem gemäßigten und relativ stabilen Klima günstige Voraussetzungen für die Entwicklung der menschlichen Zivilisation geboten. Doch in den letzten 250 Jahren, seit der Industriellen Revolution, deren Beginn mit der Entwicklung der Dampfmaschine auf das Jahr 1786 festgesetzt wurde, kam es zu einem tief greifenden Einschnitt. Es kam zur systematischen Nutzung der technisch-ökonomischen Produktivkräfte, die in der Ideengeschichte der europäischen Moderne als Voraussetzung für gesellschaftlichen Fortschritt gesehen wurde, zumal vor 200 und mehr Jahren die heutigen ökologischen Probleme nicht vorstellbar waren. Doch mit den neuen Möglichkeiten ist der Mensch zu einer der stärksten Naturgewalten aufgestiegen. Gleichzeitig hat die menschliche Naturvergessenheit das Erdsystem so sehr geschädigt, dass die Eingriffe eine globale Dimension angenommen haben. Die schlägt nun auf die Menschen zurück und macht sogar eine Selbstvernichtung vorstellbar.
Das Anthropozän-Konzept nimmt eine geologische Einordnung unseres Wirkens auf diesem Planeten vor. Nicht mehr und nicht weniger. Es hebt keinesfalls die traditionelle Gesellschaftskritik auf, aber erweitert sie und gibt ihr einen neuen Rahmen. Das Anthropozän steht nicht nur für den geschundenen Planeten, sondern rückt auch die Rolle des Menschen ins Zentrum. Ist er weiter Zerstörer, oder wird er zu einem Gestalter von Nachhaltigkeit. Dann aber muss die Idee der...
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