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75 Jahre Europarat - und Christoph Leitl: Ein leidenschaftlicher Europäer erinnert sich und blickt in die Zukunft der EU Der Politiker und Unternehmer zählt zu den prägenden Persönlichkeiten der Zeitgeschichte: Christoph Leitl wirft in seinen Erinnerungen einen Blick auf die Geschichte und Bedeutung der Europäischen Union. Vor 75 Jahren im Mai 1949 schlossen sich zehn Staaten in London zum Europarat zusammen - ein historisches Ereignis. Im selben Jahr wurde Leitl im Österreich der Nachkriegszeit geboren. Das gemeinsame Jubiläum ist für ihn Anlass, auf sein Leben und die Europäische Union zurückzublicken. Dabei treibt ihn eine Frage um: Wie kann die Zukunft Europas aussehen?
- Die Biographie eines Politikers, der die Zeitgeschichte Österreichs und Europas prägte - Ein Rückblick auf 75 Jahre Geschichte der EU - Ein Plädoyer für europäische Werte und politisches Engagement - Eine Vision der Zukunft Europas in einer globalisierten Welt - Das ideale Geschenk für Politikinteressierte
Eine Chance für den Frieden: Erwartungen an ein Europa der Zukunft Nostalgie findet sich in der Lebensgeschichte von Christoph Leitl nicht: In seiner Autobiografie schildert der außergewöhnliche Politiker seine Erfahrungen in der Europapolitik und verbindet sie stets mit europäischen Werten wie der Förderung des Friedens, der Schutz der Menschenrechte oder die Wahrung von Rechtsstaatlichkeit.
Folgen Sie in einer Zeit des Zweifels einem überzeugten Europäer in die Zeitgeschichte, um Zuversicht und Mut für die Zukunft zu schöpfen.
Christoph Leitl, geboren 1949 in Linz, ist Unternehmer und leidenschaftlicher Europäer. Er war langjähriger Präsident der Österreichischen Wirtschaftskammer, von 2018 bis 2021 Präsident der Europäischen Wirtschaftskammer und war Mitglied der oberösterreichischen Landesregierung.
Was sind schon vier Jahre vor dem Hintergrund der Geschichte des Kontinents? Nur vier Jahre nach dem fürchterlichsten Krieg, den die Welt und auch meine Eltern- und Großelterngeneration je erleiden mussten, bin ich in Linz zur Welt gekommen. Ich habe kein Kriegsgeschehen selbst erlebt, konnte aber noch sehen und spüren, was dieser Krieg angerichtet hat: Bombenkrater so groß wie Baugruben, kaputte Häuser, Menschen, die mit Leiterwagen ihre Habseligkeiten transportierten, und vor allem Kriegsversehrte, die mit schwersten körperlichen und seelischen Verletzungen zurande kommen mussten.
Als Kind war das für mich alles natürlich. So war halt die Welt, in die ich und mein Jahrgang damals hineingeboren wurden. Eine Begebenheit hat sich mir allerdings ins Gedächtnis geprägt. In meinem Geburtsjahr 1949 hatte Österreich noch nicht einmal die Hälfte seiner Besatzungszeit durch die vier Siegerstaaten des Zweiten Weltkriegs hinter sich gebracht. Alle hegten große Hoffnung und Zuversicht, dass diese ein baldiges Ende finden würde. Ich bin also gerade noch rechtzeitig geboren, um mit eigenen Augen zu sehen, wie man in einem besetzten Land lebt, um zu spüren, was das bedeutet und welchen Druck Fremdbestimmtheit erzeugt.
Es muss an einem Samstag oder Sonntag vor dem Abzug der Besatzungsmächte gewesen sein. Ich saß am Rücksitz unseres Autos. Meine Eltern saßen vorne, und wir fuhren von den Großeltern am Linzer Pöstlingberg nach Eferding, wo der Stammsitz unseres Unternehmens ist und wir damals auch wohnten.
Linz war damals eine geteilte Stadt. Die Donau bildete die Zonengrenze zwischen dem amerikanischen Sektor am Südufer und dem sowjetischen Sektor im Norden. »In Linz herüben der Ami, in Urfahr drüben der Ruß - der Ritt über die Bruckn wird a harte Nuss!« Dieser Spruch war in der damaligen Zeit gang und gäbe und beweist, wie gut es den Linzern, den Oberösterreicher gelungen ist, eine unleidliche Zeit mit einer Prise Humor erträglich zu machen.
Wir fuhren also auf die Nibelungenbrücke zu. Je näher wir der russischen Zonengrenze kamen, umso stiller wurde es im Auto. Meine Eltern verstummten, ungute Stille und eine bedrückende, gespannte Atmosphäre machten sich breit. Gerade Kinder kriegen in der Luft liegende Spannungen bei Erwachsenen sehr schnell mit. Ein Sowjetstern, den ich damals mit Weihnachten und Christbaum verband, hing am gezimmerten Kontrollposten.
Die Soldaten schauten streng, die Gewehrläufe, die über ihre Schultern schauten, machten sie noch furchteinflößender. Meine Eltern wussten sehr genau, dass der Urfahraner Brückenkopf mit dem Kontrollposten zur damaligen Zeit kein Ort für Späße war. Schikanöse Ausweiskontrollen waren an der Tagesordnung, und es konnte unter Umständen lange dauern, bis die eigentlich kurze Strecke bewältigt war.
Nicht umsonst nannte der damalige oberösterreichische Landeshauptmann Heinrich Gleißner die Nibelungenbrücke zwischen Linz und Urfahr »die längste Brücke der Welt, sie verbindet Washington mit Moskau«. Dass Gleißner auf dieser längsten Brücke der Welt später einmal tanzen würde, konnte niemand ahnen. Als am Linzer Brückenkopf die ständigen Kontrollen des Personen- und Lastenverkehrs aufgehoben wurden, kam es zu einer spontanen Feier, in deren Verlauf der Landeshauptmann mit Elmire Koref, der Gattin des Linzer Bürgermeisters Ernst Koref, unter viel Beifall einen »Brücken«-Walzer tanzte.
Aber zunächst saßen wir, die Leitls im Familienauto auf dem Weg über die Nibelungenbrücke, nach wie vor in gedrückter Stimmung. Auf der anderen Donauseite begrüßte uns eine Holzwand, die zweidimensional ein Lebkuchenhaus darstellte. »Welcome to U.S. Zone Austria« war darauf zu lesen. Die Anspannung im Auto löste sich von einem Moment auf den anderen. Da traute auch ich mich wieder, den Mund aufzumachen und meinen Vater zu fragen, warum wir gerade alle leise sein mussten und was es mit diesen Kontrollen auf sich habe. Er erklärte mir: »Christoph, es war Krieg. Linz und Österreich sind geteilt und besetzt. Damit wir wieder ein freies Land werden und damit es wieder bergauf geht und kein Krieg mehr kommt, dürfen wir in Zukunft nie mehr gegeneinander kämpfen, sondern wir müssen zusammenhelfen und zusammenhalten. In Österreich und in Europa.«
Damals, nach unserem »Ritt über die Bruckn«, habe ich zum ersten Mal von der europäischen Idee des Miteinanders, der Idee des Friedens, der Idee der Versöhnung, der Idee, aus einer bitteren Geschichte gelernt zu haben, gehört. Mein Vater hat mir diese Idee an einem emotional sehr aufgeladenen Ort, nach einem sehr emotionalen Erlebnis auf eine sehr emotionale und kindgerechte Weise mitgegeben. Ich hatte begriffen, dass nach so viel Streit, Kampf und Zerstörung Versöhnung und Frieden entstehen muss. Das habe ich schon als kleiner Bub mitgekriegt und nie vergessen.
Europa, der Gedanke von Frieden und Zusammenarbeit, wurde mir damit in die Wiege gelegt.
Schon 1946 hatte Winston Churchill mit seiner »Let Europe arise«-Rede an der Universität Zürich die Idee für »eine Art Vereinigte Staaten von Europa« in die Köpfe gelegt: »Wir alle müssen dem Schrecken der Vergangenheit den Rücken kehren und uns der Zukunft zuwenden.« Laut Churchill war die wichtigste Maßnahme, um den in Trümmern liegenden Kontinent mit seinen zerstörten Landstrichen und den physisch wie psychisch versehrten Menschen in eine bessere Zukunft zu führen, die »Wiedererschaffung der europäischen Familie - und indem wir ihr eine Struktur geben, in der sie in Frieden, Sicherheit und Freiheit leben kann«.
Der britische Staatsmann griff damit auf eine Vision zurück, die zuvor die paneuropäische Bewegung nach dem Ersten Weltkrieg vertreten hatte. Auch während des Zweiten Weltkriegs zirkulierten in Widerstandskreisen im Exil und unter den Vertretern der Résistance in Frankreich, Belgien, Holland oder Italien Pläne für eine europäische Einigung nach dem Krieg.
Am 5. Mai 1949 war es so weit. Da unterschrieben die Außenminister von Großbritannien, Frankreich, den Benelux-Staaten, Norwegen, Schweden, Dänemark, Irland und Italien im Londoner St. James Palace das »Statut des Europarates«. Drei Monate später eröffnete Édouard Herriot, ehemaliger französischer Regierungschef und überzeugter Europäer, in der Aula der Straßburger Universität die erste Sitzung der »Beratenden Versammlung des Europarates«. Österreich trat 1956, ein Jahr nach dem Staatsvertrag, dem Europarat bei. Neben der Aufnahme in die Vereinten Nationen war dieser Beitritt ein entscheidender Meilenstein am Weg zur Integration Österreichs in die europäische Staatengemeinschaft.
Auch wenn der Europarat als Institution nicht mit der Europäischen Union verbunden ist, hat er eine immense symbolische Bedeutung als Keimzelle der späteren EU, die unter derselben Flagge fährt und zur selben Hymne singt. Für mich ist der Europarat zudem quasi die institutionelle Umsetzung von dem, was ich mit dem beschriebenen Nibelungenbrücke-Moment familiär, biografisch, emotional erfahren habe. Das Miteinander und Zusammenhalten, von dem mein Vater in einer mir verständlichen Weise gesprochen hat, findet mit dem Europarat auf politischer Ebene erstmals eine konkrete Form. Man hat sich zusammengeschlossen für Menschenrechte, das heißt Respekt voreinander, für Rechtsstaatlichkeit, das heißt gleiche Behandlung aller Menschen auf Basis entsprechender Normen, für Demokratie, das heißt gleiche Mitbestimmungsrechte an der politischen Gestaltung, und für Frieden, das heißt Miteinander statt Gegeneinander.
Wann immer ich in den vergangenen Jahrzehnten bei diversen Veranstaltungen vor jungen Leuten vom Friedensprojekt Europa gesprochen habe, haben sie mich mit großen Augen angeschaut. Die meisten haben sich wohl gedacht: Wovon redet der?
Umso wichtiger sind Dokumentationen wie die filmischen Geschichtsaufarbeitungen des legendären und unvergesslichen Welterklärers Hugo Portisch. Aber so akribisch auch recherchiert wurde, so eindrücklich die Bilder auch sind, sie können niemals den unmittelbaren Bericht eines Menschen ersetzen, der dies selbst erlebt hat. Am intensivsten sind sicherlich jene Momente, die man als Kind erlebt hat, und die Lebensgeschichten der Eltern und Großeltern, die man im familiären Rahmen erzählt bekommt.
Nun ist der Krieg wieder näher gerückt. Er tobt vor unserer Haustüre im Nahen Osten und im Osten Europas. Ukrainische Kriegsflüchtlinge in großer Zahl leben unter uns. Viele Erwachsene arbeiten hier, die Kinder gehen hier zur Schule. Ob und wie sich daraus auch wieder ein neuer...
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