Schweitzer Fachinformationen
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Über den Kirchendächern flackerte die Hitze. Die Frühjahrssonne war an jenem Tag so stark, dass Kaplan Seidlinger fürchtete, einen Sonnenbrand zu riskieren, wenn er sich nicht ordentlich einschmierte, sobald er seine Dienstwohnung verließ. Das Wetter tat an diesem Karfreitag nichts, um die von seinem Arbeitgeber verordnete trübe Stimmung zu unterstreichen. Nun saß er auf der Terrasse des Eiscafés Cortello am Altöttinger Kapellplatz, hatte heimlich einen Spritz vor sich und schob alle unbequemen Gedanken an die drohende Hölle beiseite, weil er sich einen Drink an diesem strengen katholischen Fastentag gönnte. Bis er seine Ministranten wieder vor der Stiftskirche in Empfang nehmen musste, hatte Seidlinger noch zehn Minuten. Das reichte, um auszutrinken und vielleicht noch einen zweiten hinterherzukippen. Die freundliche Kellnerin würde ihn bei seinem Arbeitgeber nicht verpetzen. Da war er sich sicher.
Zeitgleich hatte sich der Altöttinger Frauenbund unter Führung seiner Vorsitzenden Baronin Novotny auf der anderen Seite des großen Platzes niedergelassen. Die Damen waren direkt nach ihrer Chorprobe für Ostersonntag in der Stiftskirche zum Kramer'schen Hotel zur Post hinübergeschlendert. Dort hatten sie an der Ecke beim Devotionalienhandel Unterprammer unter den aufgespannten Sonnenschirmen geräuschvoll Platz genommen.
Petronilla Schosi, die Haushälterin des emeritierten Stadtpfarrers Monsignore Hirlinger, trommelte ungeduldig mit ihren Fingern auf der Tischplatte. Ihre Augen wanderten zwischen der Stiftskirchturmuhr, die über dem Dach der Gnadenkapelle hervorschielte, und dem freien Platz vor dem Altöttinger Rathaus hin und her, als würde sie ein Tennismatch verfolgen. Langhaarige Menschen veranstalteten auf der Grünfläche davor ein lautstarkes Get-together. Genervt hob Fräulein Schosi ihren Kopf und blickte zur Turmuhr. Wann würden die Zeiger endlich zwölf anzeigen? Seit einer gefühlten Ewigkeit weigerten sich der Minuten- wie auch der Stundenzeiger, ihre Plätze zu verlassen. So blieb es fünf vor zwölf. Auch das befreiende, hölzerne Mittagsklappern von der Kirchturmspitze her blieb aus, denn die Glocken schwiegen ja nach altem Brauch. Statt des Geläuts kamen heute in allen katholischen Gebieten diese hölzernen Instrumente mit ihrem charakteristischen Knarren zum Einsatz. Charakteristisch knurrte auch ihr Magen. Seit gestern Abend hatte sie Hunger, und ihre Laune verhielt sich wie ihr Insulinspiegel, beides war im Keller. Diesem gemeinsamen 16:8-Fasten, das irgendeine ihrer Frauenbundkolleginnen in der Mitte der Fastenzeit unüberlegt begonnen hatte, waren nach kurzer Zeit alle gefolgt. Eine Scheiß-Idee. Aber gegen diesen Zwang konnte sie sich nicht wehren. Und nachdem sie damit angefangen hatte, würde sie es unter allen Umständen auch bis Ostersonntag durchziehen, koste es, was es wolle. Aus, Äpfel, Amen!
Eine mittelalte Frau im hellblauen Loden-Catsuit, die sich neben Fräulein Schosi gesetzt hatte, hob unerwartet ihr Handgelenk. Eine silberne Armbanduhr und ein Bettelarmband klimperten daran. »Auf meiner Uhr isses aber scho fünf nach zwölf«, sagte sie.
»Annamirl, wir ham g'sagt, dass wir warten, bis die Zeiger an der Stiftskirch auf genau Zwölfe stehen und die Ministranten mit den Karfreitagsratschen klappern,« entrüstete sich Fräulein Schosi. »Herrschaftszeiten, is a bissal Geduld denn zu viel verlangt?«
»Du hast mir doch vorhin erzählt, dass d' bereits Bauchweh vor Hunger hast. Also i b'stell mir jetzt ein Sellerieschnitzel.«
Das nervöse Trommeln von Fräulein Schosis Fingerkuppen stoppte abrupt und sie schloss ihre Hand zur Faust. »Nix gibt's! Wir warten gemeinsam.«
Kopfschüttelnd sah Annamirl Leidl-Berggump zu ihr herüber. »Das ist kein Grund, die Contenance zu verlieren. Wir könnten wirklich mal bestellen, oder? Sechzehn Stunden sind bestimmt schon verstrichen. So schnell ist die Küche hier im Hotel dann auch wieder ned, dass das Essen in zehn Sekunden serviert wird.«
»Lass es gut sein, Annamirlchen«, schaltete sich die Vorsitzende Baronin Novotny mit ihrer krächzenden Raucherstimme dazwischen.
Annamirl Leidl-Berggump schüttelte den Kopf. »Vermutlich ist des krass ungesund, wenn man so sehr in den Unterzucker rutscht.«
Fräulein Schosis Geduldsfaden war kurz davor zu reißen. »Schmarrn! Des is doch der Sinn der Sache, hat mei Arzt g'sagt. Entweder ganz oder gar ned.«
Annamirl seufzte. »Ich bin froh, wenn das Fasten am Sonntag endlich ein Ende hat. Immer dieser Hunger am Vormittag. Abends ist es mir ja wurscht, dass ich nach acht nix mehr essen darf, aber das Frühstück auslassen, an des werd ich mich nie gewöhnen.«
Baronin Novotny sah sich nach einem Aschenbecher um, denn auf den Tischen war außer einer weißen Decke nichts zu finden. »Also Mädels, mir hat das Intervallfasten von Anfang an echt Spaß gemacht.«
»Als Spaß würde ich das nicht bezeichnen. Direkt Magenkrämpfe hab ich in der Früh. Da möchte ich dann am liebsten in meinen Küchentisch reinbeißen.« Die Anwesenden konnten in Annamirls Gesicht lesen, dass in dem von ihr gebrauchten Vergleich ein Körnchen Wahrheit steckte.
»Mit oder ohne Tischtuch?«, fragte Baronin Novotny trocken.
»Bitte?«
»Das war ein Witz, Annamirlchen.«
»Ach so. Haha.« Annamirl Leidl-Berggump lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. »Vielleicht sollten wir im Pfarrbüro anrufen.«
»Um telefonisch eine Fastensuppe zu bestellen? Oder warum?«
Ein paar ältere Damen kicherten über Baronin Novotnys ironische Bemerkung, nur Fräulein Schosi war kein freundlicher Laut zu entlocken. Mit gekräuselten Lippen blickte sie erneut nach oben. »Die Kirchturmuhr is doch stehen geblieben. Die sollen des schleunigst reparieren. So ein Anruf ist gar keine schlechte Idee, Annamirl. Da muss ich dir jetzt ausnahmsweise recht geben.«
»Bis dahin bin ich verhungert. Also ich bestelle mir jetzt dieses Sellerieschnitzel von der Karfreitagskarte, und dann melden wir unsere Entdeckung im Pfarrbüro. Punktum!« Annamirl Leidl-Berggump schnippte in die Luft, um mit dieser Geste den Kellner zu rufen. Ein junger Mann tänzelte im nächsten Augenblick um die Frauengruppe herum und verteilte Speisekarten.
»Buona giornata mie belle signore! Was darf ich Ihnen servieren? Vielleicht schon ein kaltes Glas Weißwein?«, begann Fabio, der Kellner des Hotels zur Post.
»Wir warten noch. Aber für die Asche könnten Sie was bringen.« Baronin Novotny hob demonstrativ ihre Packung Zigaretten und schüttelte diese vor Fabios Augen.
Der Kellner zog aus dem Nichts einen Aschenbecher hinter seinem Rücken hervor. »Signora, für Sie habe ich selbstverständlich imme' alles dabei. Ich kenne doch Ihre geheimsten Wünsche.«
»Sie sind mir so einer, Fabio.« Baronin Novotny hob mahnend ihren Zeigefinger. »Meine geheimsten Wünsche, soso .« Dann lachte sie tief und dreckig, bis ihr charakteristisches Husten sie überkam und sie nach einem Stofftaschentuch in ihrer Manteltasche kramte.
»Ich möchte jetzt ein Sellerieschnitzel«, wandte sich Annamirl Leidl-Berggump an Fabio, der seinen Block zückte und die Bestellung murmelnd wiederholte.
»Und die anderen Damen?« Er blickte in die Runde.
»Wie gesagt, wir warten noch«, hüstelte Baronin Novotny in ihr Taschentuch. Fabio zuckte mit den Schultern und verschwand.
Auf der kleinen Grünfläche vor dem Rathaus lachten die langhaarigen Menschen. Dies zog wieder Fräulein Schosis Aufmerksamkeit auf sich, die für einen kurzen Moment ihre Hungerschmerzen zu vergessen schien. Sie kniff ein Auge zu und musterte den für ihren Geschmack zu ausgelassenen Haufen. Zwei große »A« standen auf deren T-Shirts. »Wer sind eigentlich diese ungepflegten, lauten Zotteln da?«
Annamirl Leidl-Berggump fühlte sich angesprochen. »Die sind von der Alternativen Auswahl. Sieht man doch.«
»Ach des sind die! Und so was will in den Gemeinderat?« Fräulein Schosi schnalzte mit der Zunge. »Wie hast'n das so schnell erkannt, Annamirl?«
»Die Söhne vom Dr. Dube sind dabei und die Paukenschlager Ronja. Das ist die im roten Kleid.« Sie deutete auf eine junge Frau mit langen dunklen Haaren. »Die engagieren sich alle in der Alternativen Auswahl. Diese T-Shirts tragen sie immer bei irgendwelchen Wahlkampfveranstaltungen.«
»Machen die etwa Parteiwerbung da drüben?«
»Naaaa .« Beschwichtigend hob Annamirl Leidl-Berggump ihre Hand. »Schaut so aus, als täten sie bloß Ostereier suchen.«
»Am Karfreitag? Ja haben diese Zotteln den Verstand verloren? Eier gibt's erst am Ostersonntag. Man veranstaltet ja auch keinen Christkindlmarkt an Pfingsten. Warum schert sich eigentlich keiner mehr um die alten Regeln und Gebote? Diese Stadt degeneriert immer mehr!«
Baronin Novotny rollte mit den Augen und zog an ihrer Zigarette. »Wenn du es sagst.«
»Oder sehe ich das falsch?«
»Nein, nein, Petronillchen, ganz und gar nicht.« Energisch drückte die Baronin ihre Kippe im Aschenbecher aus, um sofort zur nächsten zu greifen.
Die Frau im roten Kleid, die Annamirl Leidl-Berggump vorher als Paukenschlager Ronja identifiziert hatte, löste sich von ihren Mitstreitern und machte sich auf den Weg in Richtung Frauenbund. An ihrem linken Arm baumelte ein Korb und in ihrer rechten befanden sich zwei gefärbte, hart gekochte Eier.
»Darf ich Ihnen ein kleines Osterpräsent überreichen?« Ronja lächelte jeder einzelnen Dame freundlich zu. Manche drehten sich weg oder taten so, als ob sie Ronja nicht gehört hätten. Ohne...
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