Schweitzer Fachinformationen
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Fräulein Schosis Stimme dröhnte durch den Hausflur, als wäre sie eine Mischung aus Werwolf und Godzilla. Sie war in einen dunklen Umhang aus Fell und alten Jutesäcken gehüllt und hatte sich ihr Gesicht mit einem verkohlten Korken schwarz angestrichen. In ihren Händen hielt sie einen ebenfalls schwarzen Leinensack, der ein jämmerliches Schluchzen von sich gab, sobald sie ihn gegen eine Wand schleuderte. Fräulein Schosi hatte sich komplett verwandelt und jeglichen weiblichen Zug aus ihrem Auftreten gestrichen. Ihre Interpretation des Krampus', als Begleiter des heiligen Nikolauses, hinterließ bei ihrem Arbeitgeber, dem emeritierten Stadtpfarrer Monsignore Hirlinger, einen versteinerten Gesichtsausdruck. So kannte er seine Haushälterin gar nicht. Hirlinger schwankte deshalb zwischen Faszination und Unbehagen. »Was haben Sie eigentlich in dem Sack da drinnen?«
»Einen Stofftieraffen, der auf Erschütterung reagiert und dann anfängt, solche quietschenden Laute von sich zu geben.«
»Wo hab'n S' denn den her?«
»Vom Spielzeug Röber.«
»Aha.« Die Augen des Monsignore hafteten an dem wimmernden Sack. »Warum ham S' denn des Stofftier um Gottes willen da drinnen?«
»Dass die Kinder auch glauben, dass ich sie sicher da reinstecke, wenn sie ned artig sind. Ganz einfach.«
Hirlinger konnte sich ein abschätziges Schmunzeln nicht verkneifen. »Sie machen den Kindern damit wirklich Angst, das is Ihnen schon klar?«
»Ah geh, papperlapapp, die sind nix mehr gewohnt. Alle zu sehr verhätschelt. Einmal im Jahr darf es schon ein bissal rauer zur Sache gehen. Hab'n Sie zufällig meine Rute gesehen?«
»Die haben Sie vorher neben der Haustüre abgelegt.«
»Ach ja, stimmt.« Fräulein Schosi stampfte Richtung Ausgang, bückte sich unter einem Ächzen, griff nach einem länglichen Reisigbündel und rappelte sich wieder auf. »Die zieht ganz schön«, sagte sie und schwang sie durch die Luft, dass Hirlinger angst und bange wurde.
»Sie wollen die Kinder doch ned etwa damit schlagen?«
»Die braven sicher nicht!«
»Auch die anderen nicht«, rief Hirlinger entsetzt.
Fräulein Schosi rollte mit den Augen. »Natürlich ned! Was glauben Sie denn von mir? Kinder verdrischt man erst ab zwölf.«
»Bitte?«
»Das war ein Witz, Monsignore.«
Hirlinger betete inständig, dass seine Haushälterin auch meinte, was sie sagte. »Na dann woll' ma mal. Die Polizisten warten sicher schon auf uns.« Seine Hand wies zur Tür, und Fräulein Schosi trottete an ihm vorbei.
»Ham Sie scho' a Taxi b'stellt, Monsignore?«
»Wartet unten. Bitte halten Sie sich bei den Kindern nachher a bissal zurück. Ich möchte nicht, dass es Tränen gibt.«
»Auch wenn es für mich eine Premiere ist, ich weiß schon, was ich tue. Keine Sorge.«
*
Es war von Anfang an eine Scheißidee! Aber was tat man nicht alles, wenn das Helferbedürfnis ansprang. Oberkommissar Max Kramer steckte in einem Nikolauskostüm, und die Mitra auf seinem Kopf rutschte dank seiner weißen Perücke hin und her. Alle paar Minuten fiel sie auf den Boden, und Max konnte sein Fluchen darüber nur mit Mühe unterdrücken. Am liebsten hätte er hemmungslos drauflosgeschimpft, aber da jederzeit ein Kind um die Ecke biegen konnte, durfte er keine Sekunde aus der Rolle des heiligen Mannes fallen. An seiner Seite tobte Fräulein Schosi als Krampus, die anscheinend in dieser Teufelsfigur ihre wahre Bestimmung gefunden hatte. Wild fuchtelte sie mit einer Rute durch die Gegend und zog mit der anderen einen schwarzen Sack hinter sich her, der bei jeder heftigen Erschütterung jämmerlich zu wimmern begann. Max war heilfroh, dass er in ihr auf die Schnelle Ersatz gefunden hatte, denn eigentlich war sein Kollege Fritz Fäustl als Nikolaus-Assistent vorgesehen gewesen. Der hatte sich allerdings in der Vorbereitungsphase krankgemeldet.
In diesem Jahr fiel der sechste Dezember auf einen Samstag, und seine Kollegen hatten vorgeschlagen, die Weihnachtsfeier der Kriminalpolizeistation Mühldorf in eine vormittägliche Nikolausfeier umzuwandeln. Auf diese Weise könnten die Kollegen, die bereits Familie hatten, ihre Kinder mitbringen. Solange er mit der Organisation des Ganzen nicht behelligt worden war, hatte Max nichts dagegen gehabt. Er hatte die Idee anfangs sogar für gut befunden. Aber unerwartet hatte die Grippewelle bereits im November in der Kriminalpolizeistation um sich gegriffen, und auf einmal hatte sich Max an der Spitze des Orga-Teams wiedergefunden. Nicht freiwillig, sondern weil sein Chef Veit Kunfter ihn auf dem Gang um Hilfe gebeten hatte. Direkt angefleht hatte er ihn, um bei der Wahrheit zu bleiben. Nun steckte Max bis zum Kopf in diesem nach Mottenpapier müffelnden roten Bischofsgewand, das ihm Monsignore Hirlinger freundlicherweise von der Pfarrei besorgt hatte. Wütend trat er mit der Spitze seines Stiefels gegen die Bodenleiste und fluchte stumm vor sich hin. Es gab kein Zurück mehr. Max klemmte sich sein goldenes Buch unter die Achsel und umklammerte mit der anderen den goldenen Bischofsstab. Mehrere DIN-A4-Seiten mit guten und schlechten Taten befanden sich in der glänzenden Mappe. Alle Eltern hatten Max das Sündenregister ihrer Kinder zugesteckt, und nun würde er jedem einzelnen Polizeisprössling die Leviten lesen. Showtime! Er zwang sich zu einem Lächeln, welches man unter dem Rauschebart sicher eh nicht wahrnahm.
Sein Kollege Fritz Fäustl grinste ihm schadenfroh entgegen, als er den Saal des Gasthofs betrat, den sie für die Feier im nahen Pleiskirchen extra angemietet hatten. Dieser Nikolausaufzug war ihm so peinlich, dass er unter allen Umständen verhindern wollte, jemandem zufällig aus Altötting oder Mühldorf zu begegnen. Außerdem hatte er der gesamten anwesenden Kriminalpolizeistation das Filmen und Fotografieren untersagt.
Die Tische waren in einer Hufeisenform aufgereiht. Fäustl hatte mit seiner Freundin Evi, einer fränkischen vollbusigen Blondine, im hinteren Eck Platz genommen. Von dort konnte er die gesamte Szenerie genau im Blick behalten. Max schenkte ihm einen finsteren Blick. Die Nummer mit der Grippe nahm er ihm nicht ab. Fäustl wollte sich sicher nur vor der Aufgabe drücken. Sein dämliches Grinsen konnte sich Fäustl sonst wohin stecken. Manchmal war sein Kollege ein richtiger Arsch. Seine Genesung war verdächtig schnell gegangen. In diesem Moment wünschte er ihm einen Rückfall mit einundvierzig Grad Fieber.
Fräulein Schosi grunzte und stöhnte beim Eintreten, dass sich die ersten Kinder verschüchtert an ihre Eltern drückten.
»Nicht ganz so dick auftragen«, flüsterte Max ihr zu, da bereits nach den ersten Sekunden ihrer Anwesenheit manchem Kind das blanke Entsetzen im Gesicht stand.
Zwischen den Tischen hatten sich vier Mädchen und zwei Jungen postiert, die, so wusste Max, eine Kleinigkeit zur Begrüßung des Nikolauses vorbereitet hatten. Begleitet wurden die sechs von zwei weiteren Kindern mit Kurzhaarschnitt, die auf ihren Blockflöten bliesen und die dazugehörigen Noten am Ende der Tafel ausgebreitet hatten. »Heiliger Nikolaus, du braver Mo, i sing dir a Liadl so gut wia i ko.« Der Engelschor wies eindeutige Intonationsschwächen auf. »Sag zu deim Krampal glei, i bin no so kloa, er derf mi fei ja net in Sack eine doa.«
Ein Urschrei überkam Fräulein Schosi, und sie schleuderte den mitgebrachten Sack gegen den Stuhl, der eigentlich für den heiligen Nikolaus bereitgestellt worden war. Das Quietschen im Sack wurde von der Kakofonie der zweiten Strophe übertönt. Irgendwo begann ein Kind zu schluchzen, und Max vernahm eine mütterliche Stimme. »Der tut dir schon nix.« Hoffentlich fand Fräulein Schosi nicht noch mehr Gefallen an ihrer Rolle des finsteren Gesellen, sonst würde das hier in einer Heulorgie der Zwerge enden.
Der Chor war zuerst fertig, während die Flötenbläser noch um zwei Takte hinterherhinkten.
»Das habt ihr sehr schön gemacht«, sagte Max mit tiefer Stimme. Fäustl lachte laut auf. Der Blick, den Max ihm dafür zuwarf, war voller Verachtung. Aber da seine Perücke bis tief in die Stirn gerutscht war und der Rauschebart bis knapp unter die Nase ging, bekamen die Zuschauer davon nichts mit.
Nur Fäustl ahnte, dass sein Lacher beim heiligen Nikolaus keinen Begeisterungssturm hervorrief. Seine Freundin Evi hatte ihn in die Rippen gestoßen, und auch ihr Gesichtsausdruck sprach Bände. Entschuldigend hob er seine Kaffeetasse und prostete Max zu.
Es wurde Zeit, mit dem Programm zu beginnen. »Du da, wie heißt du?« Max deutete auf einen Jungen aus dem Chor.
»Lenz«, kam aus dem Angesprochenen eingeschüchtert hervor.
»Komm her, du darfst meinen Stab halten.«
Vorsichtig näherte sich Lenz und ergriff den Bischofsstab. Nach den ersten Sekunden, in denen es nicht so aussah, als ob Lenz die Situation genießen würde, bekamen seine Augen ein stolzes Glänzen. Max nickte ihm anerkennend zu, schlug das goldene Buch auf und erhob seine tiefe Stimme.
»Wo ist denn die kleine Hauser Leoni?«
Nichts rührte sich, also wiederholte Max seine Frage, und Fräulein Schosi schlug mit ihrer Gerte auf den Boden. Auf der rechten Seite erhob sich eine Mutter, die Max als Frau seines Kollegen Henri Hauser identifizierte. Sie bückte sich und steckte ihren Kopf unter das Tischtuch, das weit über die Kante nach unten hing und keinen Blick auf das Geschehen darunter zuließ. »Leoni, komm.«
»Nein«, brüllte eine Kinderstimme.
»Der Nikolaus ist ein ganz ein Lieber.«
»Nein!«
»Jetz' komm halt,...
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