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Ich mochte Elternsprechtage nicht besonders. Sie zogen sich oft bis in den Abend, und es gab kaum etwas Unangenehmeres, als mit Eltern über die Noten ihrer Kinder reden zu müssen. Es sei denn, man musste mit ihnen über den Sex ihrer Kinder reden.
Aus diesem Grund redete ich schon zwanzig Minuten auf Herrn Möller ein, der zugegebenermaßen zu der entspannten Sorte Eltern gehörte. Er hatte längst akzeptiert, dass sein Sohn niemals Klassenbester, nicht mal Durchschnitt sein würde.
»Und, muss er noch 'ne Runde drehen?«, hatte er nur gefragt, als er sich mir mit einem abgeklärten Lächeln gegenübersetzte, und ich versicherte ihm, dass Nicolas dieses Mal die mittlere Reife schaffen würde, wenn er sich für den Rest des Schuljahres zusammenriss. Herr Möller nickte und wollte eigentlich schon wieder aufstehen, aber ich hielt ihn mit meinen Ausführungen über Nicolas Noten, seine guten Leistungen in Englisch und Französisch, die die schlechte in Mathe einigermaßen ausglichen, im Stuhl fest, bis er leicht ungeduldig auf die Uhr schaute.
»Nichts für ungut, Frau äh .«
»Winter. Meike Winter.« Immerhin war ich seit vier Monaten die Klassenlehrerin seines Sohnes, da hätte er sich meinen Namen ruhig merken können.
»Tut mir leid, Frau Winter, aber ich muss in einer halben Stunde bei der Arbeit sein. Gibt es noch dringende Sachen zu besprechen?«
Mein Blick fiel auf seinen tadellosen schwarzen Anzug, das frisch gebügelte weiße Hemd und die etwas altmodische rote Fliege, und ich fragte mich, welche Arbeit er zu dieser Uhrzeit und in diesem Aufzug wohl ausübte. Womöglich war er Kellner in einem teuren Restaurant. Oder Rausschmeißer in einem Edeletablissement? Er hatte auf jeden Fall etwas Verruchtes. Ich fand das nicht weiter schlimm, bis mir eine Kleinigkeit auffiel, die mir ganz und gar nicht behagte: »Sie arbeiten also nachts?«
»Nein, nur abends.«
»Heißt das, Sie sind gar nicht zu Hause, wenn .«
»Ihre Tochter meinem Sohn Nachhilfe gibt? Nein. Aber, was ich so gehört habe, ist mein Sohn ganz begeistert von seiner Nachhilfelehrerin! Sagten Sie nicht, dass seine Noten besser geworden sind?«
Er grinste vielsagend, und mir wurde klar, dass ich nicht länger um den heißen Brei herumreden konnte.
»Nein, ich meine, schon. Ohm, da fällt mir ein, dass ich noch etwas anderes mit Ihnen besprechen wollte.«
»So?« Er sah mich unschuldig an, aber ich konnte an der einseitigen Lachfalte neben seinem linken Mundwinkel erkennen, dass er genau wusste, worauf ich hinauswollte. Trotzdem machte er es mir kein bisschen leichter.
»Also, ich nehme an, Sie haben mitbekommen, dass die beiden, also meine Tochter und Ihr Sohn, seit einiger Zeit ähm . zusammen sind.« Ich versuchte mich in einem mütterlichen Lächeln, das der Angelegenheit nicht zu viel Ernsthaftigkeit beimessen sollte, mir aber komplett misslang. Herrn Möllers einseitige Lachfalte wurde tiefer. Er hatte ein asymmetrisches Gesicht.
»Ja, es scheint was richtig Ernstes zu sein«, erwiderte er.
»Ach, wirklich?«, fragte ich jetzt ganz ohne mütterliches Lächeln.
»So ernst es eben in dem Alter sein kann, oder?«
Ich erinnerte mich daran, dass ich meinen Exehemann, na ja, Noch-Ehemann, in Nicolas Alter kennengelernt hatte, und beeilte mich, das leidige Thema endlich anzusprechen.
»Na ja, manchmal ist es ernster als gewünscht, nicht wahr?« Er sah mich verständnislos an, und ich musste deutlicher werden. »Ich meine, meine Tochter ist gerade erst vierzehn geworden und Ihr Sohn ist siebzehn. Schon fast achtzehn . Also, ähm, was ich damit sagen will, er ist in einigen Dingen vermutlich erfahrener als Kim .«
In diesem Moment zappelte meine Handtasche, die ich an den Rand des Schreibtisches gestellt hatte, und ich konnte sie gerade noch schnappen, bevor der Vibrationsalarm meines Handys die Tasche in den Abgrund beförderte. Es dauerte eine Weile, bis ich das Handy gefunden hatte, und ich konnte förmlich spüren, wie Herrn Möllers Lachfalte eine canyonartige Tiefe annahm. Obwohl er es eilig hatte, legte er eine beeindruckende Geduld an den Tag. Ich schaute auf das Display. Meine Mutter. Auch das noch. Wenn ich sie jetzt wegdrückte, würde sie wieder elend lange beleidigt sein. Wenn ich abnahm, würde Herr Möller mich für unhöflich halten.
»Entschuldigen Sie«, sagte ich. »Ich muss leider ganz kurz .« Ich machte eine unbestimmte Geste und versuchte, es offiziell aussehen zu lassen.
»Natürlich, gehen Sie ruhig dran.«
Ich nickte dankbar und nahm ab. »Ja, bitte?«
»Hallo, Kindchen, wo steckst du denn schon wieder? Und warum sprichst du so leise? Störe ich dich etwa bei einem heißen Date?«
Ich hasste es, wenn meine Mutter so redete.
»Nein. Ich bin noch in einem Gespräch, ich rufe gleich zurück, ja?«
»Sicher, ich wollte dir auch nur schnell sagen, dass ich ein Haus in Köln gekauft habe. Morgen können wir es uns anschauen. Bis später, mein Kind.«
»Du hast was?«, fragte ich perplex.
»Ein Haus gekauft«, wiederholte sie übertrieben laut und deutlich. »In Köln. Kindchen, ich sag doch immer, diese Handys funktionieren einfach nicht ordentlich.«
»Nein, nein, das Handy ist völlig in Ordnung.« Was man von meiner Mutter gerade nicht unbedingt behaupten konnte. »Mama, bist du verrückt?«, platzte ich entsetzt heraus und bemerkte zu spät, dass das nicht sonderlich offiziell klang. Ich warf Herrn Möller einen kurzen Blick zu und sah, dass er sich ein Grinsen verkniff. Trotzdem musste meine Mutter jetzt augenblicklich zur Vernunft gebracht werden. »Entschuldigen Sie mich kurz«, sagte ich in seine Richtung und versuchte dann, während ich zur Tür eilte, wesentlich leiser und gefasster ins Handy zu flüstern: »Du kannst doch nicht einfach so ein Haus kaufen, Mutter!«
»Natürlich nicht, Kindchen.« Ich schloss erleichtert die Klassentür hinter mir. »Das hat alles mein, wie nennt man das noch . ach ja, Finanzberater erledigt. Guter Junge, und unverheiratet, übrigens, habe ich dir das schon gesagt?«
»Lenk nicht ab, Mutter, was willst du denn mit einem Haus hier in Köln?«
»Darin wohnen, mein Kind. Und zwar mit euch. Ihr wollt doch nicht ewig in dieser winzigen Dachgeschosswohnung hausen, oder? Außerdem muss sich doch jemand um euch kümmern, bei all dem, was ihr durchmacht.«
»Scheidungen sind heutzutage kein tragisches Unglück mehr, Mama, wir kommen zurecht.«
Und schon fühlte ich mich schlecht. Denn natürlich ging es nicht darum, dass wir jemanden brauchten, der sich um uns kümmerte, sondern darum, dass sie jemanden brauchte, um den sie sich nach Vaters Tod kümmern konnte. Deswegen versuchte ich es mit logischeren Argumenten. »Ich meine, unsere Wohnung ist vollkommen ausreichend, wir haben eine Dachterrasse, und sie liegt nur zehn Minuten von Kims Schule entfernt. Ich brauche mit dem Fahrrad auch nur eine Viertelstunde zur Arbeit. Wenn wir aus der Stadt rausziehen, müssten wir jeden Tag mit dem Auto reinfahren, und der Verkehr in Köln ist die Hölle!«
»Papperlapapp, wer redet denn hier von rausziehen, Kindchen. Das Haus liegt mitten in Sülz.«
»Sülz! Bist du dir sicher? Die Preise da sind unbezahlbar.«
»O ja, das kannst du wohl sagen!«
»Aber du solltest dich wirklich nicht so hoch verschulden«, appellierte ich an ihre ostwestfälische Sparsamkeit und verkniff mir gerade noch ein »in deinem Alter«.
»I wo, wer redet denn hier von verschulden. Wusstest du, dass unser Haus in Jöllenbeck ein kleines Vermögen wert war?«
»Du hast es verkauft?«
»Natürlich, das brauche ich jetzt doch nicht mehr. Und wovon hätte ich sonst das Haus in Sülz bezahlen sollen?«
»Mutter«, stöhnte ich, als mir klarwurde, dass sie schon alles geregelt hatte und ich mich wohl oder übel damit abfinden musste, nach zwanzig Jahren selbständigen Erwachsenendaseins wieder mit ihr zusammenzuziehen.
»Also, vergiss nicht, morgen früh, Punkt neun, Kim hat die Adresse .«
»Was denn, sie weiß auch schon Bescheid?«, krächzte ich, aber da hatte meine Mutter bereits aufgelegt.
Minutenlang starrte ich fassungslos auf mein Handy. Dann erinnerte ich mich daran, dass mich im Klassenraum noch Herr Möller und ein nicht weniger unangenehmes Gespräch erwarteten. Ich atmete tief durch, öffnete die Tür und setzte ein künstliches Lächeln auf.
»Tut mir leid, Herr Möller, ich wollte Sie nicht so lange warten lassen.«
Aber er schaute mich immer noch freundlich an, die Lachfalte in seinem Gesicht hatte sich wieder geglättet.
»Gut, also, wo war ich stehengeblieben?«, fragte ich leicht verwirrt.
»Beim Sex«, antwortete er, und das falsche Lächeln auf meinen Lippen erstarb. »Zwischen unseren Kindern, oder war es nicht das, worauf Sie hinauswollten?«
Er sah mich offen an. Ich wurde rot und senkte meinen Blick. »Ja, schon, im Grunde, wobei ich natürlich hoffe, dass ich mir unnötig Sorgen mache . obwohl es vermutlich früher oder später sicherlich dazu . also eher später, hoffe ich natürlich .« Ich sah auf und schaute in ein verständnisloses Gesicht. Offensichtlich hielt er mich jetzt auch noch für eine verklemmte Glucke. Wahrscheinlich war ich das sogar, aber bei meiner Tochter hörte der Spaß nun mal auf. Deshalb riss ich mich endlich zusammen und rückte mit der Sprache raus.
»Also, was ich eigentlich sagen will, Sie haben Ihren Sohn doch aufgeklärt? . Über die möglichen Folgen von . Sex?«
Während ich übersprunghaft die Akte seines Sohnes zu- und dann wieder aufklappte, schien er mehr und mehr Gefallen an unserem Gespräch zu finden und grinste mich breit an. Und als er...
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