Schweitzer Fachinformationen
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Endlich war ich da, wo ich seit gestern Abend hin wollte. In der Badewanne. Genauer gesagt, in der Badewanne meiner neuen Wohnung. Meiner eigenen neuen Wohnung!
Der Umzug hatte länger gedauert als erwartet. Was in erster Linie daran lag, dass Tina plötzlich nur noch Augen für den Hintern meines neuen Nachbarn anstatt für meine Möbel hatte. »O mein Gott, habt ihr den gesehen? Der ist bestimmt Sportler oder Fitness-Trainer oder so.« Und Özlem die meiste Zeit in meinem neuen Badezimmer verbrachte, um ihren Körper zu entgiften. Ich wiederum brauchte eine Weile, bis ich meinem ganzen Ärger über das unverantwortliche Verhalten meines neuen Nachbarn Luft gemacht hatte. Schließlich hatte er, ohne zu zögern, drei Frauen in ihrem besten Alter der eisigen Kälte überlassen, nur weil er sich lieber auf einer Silvesterfeier amüsieren wollte. Und dann hielt er es noch nicht einmal für nötig, sich zu entschuldigen, als er mich heute Morgen mit einem unverschämt breiten Grinsen weckte, während sich mein Kopf doppelt so dick wie üblich anfühlte, meine Haare wie Eiszapfen an mir herunterhingen und ich schon den Anflug einer heftigen Grippe zu spüren glaubte. Keine Frage, mein neuer Nachbar hatte sich bereits disqualifiziert, bevor ich überhaupt seinen Namen kannte. Und ich hatte ihn gerade so weit, dass er bereit war, eine Teilschuld einzugestehen, als Özlem aus dem Bad auf mich zustolperte und mir leise zuflüsterte, dass ich soeben »den« Tim Norlinger zur Schnecke gemacht hatte. Das war wieder einmal so ein typischer Özlemismus, für sie war damit alles gesagt. Und es dauerte eine ganze Weile, in der ich mir den Kopf darüber zerbrach, woher ich »den« Tim Norlinger unbedingt kennen musste, bis Özlem mich erlöste.
»Na, der Fußballspieler, Tim Norlinger ist doch Stürmer beim FC, er sitzt aber leider nur auf der Reservebank.«
Na gut, ein Fußballspieler also. Und warum durfte ich ihn dann nicht zur Schnecke machen?
»Der ist früher mal als großes Talent gehandelt worden, war sogar kurz Nationalspieler«, erklärte Özlem in der Manier eines Fußballkommentators, »Aber nach einer Reihe von Knieverletzungen hat er leider nie wieder zu seiner alten Form zurückgefunden.«
Özlem wusste alles über den 1, FC Köln, Sie war geradezu verrückt nach dem Verein, dessen Höhen und Tiefen ihr regelmäßig zu schaffen machten. Und ich konnte sie nur mit Mühe davon abhalten, sich ein Autogramm von »dem« Tim Norlinger geben zu lassen.
Meiner Meinung nach zeigten Tina und Özlem viel zu viel Interesse an meinem neuen Nachbarn, dafür, dass wir gestern Abend noch in den allgemeinen Abgesang auf alle Männer dieser Welt eingestimmt hatten. Aber ich hatte ohnehin befürchtet, dass unser Schwur nicht von langer Dauer sein würde. Sogar mich hatte »der« Tim Norlinger schließlich mit seinem umfangreichen Wissen über LKWs im Allgemeinen und Laderampen im Speziellen wieder milde gestimmt. Denn als ich nach dem Umzug plötzlich wieder vor meinem ursprünglichen Problem stand, hatte er mir erklärt, dass man Laderampen nur in Bewegung setzen kann, wenn man den dazugehörigen Sicherungsknopf neben dem Lenkrad betätigt. Und genau dieses Sesam-öffne-Dich hatte ich bei meiner Turnerei im Führerhäuschen offenbar getroffen, als sich gestern Nacht wie von Geisterhand die Hebel bewegt hatten. Mit Tims Hilfe konnte ich den LKW wenigstens im ursprünglichen Zustand wieder an die Autovermietung zurückgeben und musste nur für den einen Tag Verspätung einen gesalzenen Aufschlag zahlen.
Ich ließ noch mehr heißes Wasser in die Wanne laufen, bis die knallgelben Kacheln im Bad beschlagen waren. Chris hatte wirklich einen gewöhnungsbedürftigen Geschmack, aber damit musste ich wohl oder übel leben. Schließlich war er meine letzte Rettung und seine Wohnung nur eine längerfristige Übergangslösung. Nach meinem Rausschmiss bei Frank war ich zuerst notdürftig bei Tina untergekommen, bis mir eingefallen war, dass Chris, ein erfolgreicher Kölner Nachwuchssportler, der in Deutschland American Football spielte, sein Glück jetzt doch mal in den Staaten versuchen wollte und eine Nachmieterin suchte. Ich hatte ihn vor einiger Zeit interviewt, und er erinnerte sich noch an mich. Für ihn kam ich gerade recht, denn er wollte die Wohnung vorerst gerne behalten, falls es mit der Football-Karriere in Amerika dann doch nicht klappen würde.
Das heiße Wasser taute meine gefrorenen Glieder langsam wieder auf, und ich begann mich zu entspannen. Nach einer Weile waren die Strapazen des Umzugs vergessen. Was machte schon eine Nacht draußen auf einer Laderampe im tiefsten Winter, wenn ich jederzeit ein heißes Bad nehmen konnte? Das konnte ich jetzt jeden Tag tun. Genau genommen konnte ich sogar mehrmals am Tag baden, ja ganze Tage in der Badewanne verbringen, denn diese Wohnung gehörte mir, mir, mir. Wenigstens solange Chris in den Staaten Karriere machte. Keiner konnte mich daran hindern, mein Leben ab jetzt im Badezimmer zu verbringen. Ich durfte hier tun und lassen, was ich wollte. Kein nerviger WG-Mitbewohner würde mich mehr darauf aufmerksam machen, dass ich schon drei Monate lang kein Klopapier mehr gekauft hatte. Ich konnte das benutzte Geschirr so lange sich selbst überlassen, bis es organisch war und mich morgens mit Namen begrüßte. Und ich brauchte beim Sex keine Angst mehr davor zu haben, dass meine Mutter, meine Mitbewohnerin oder Frank plötzlich in der Tür stehen könnten.
Über der Vorstellung, die Badewanne zu meinem Lebensmittelpunkt zu machen, musste ich dann wohl eingeschlafen sein, denn als ich wieder aufwachte, war das Wasser kalt und meine Haut schrumpelig. Das genügte, um mich von diesem Plan abzubringen und widerwillig aus der Wanne zu steigen. Nachdem ich wieder trocken und meine Haut zu ihrer ursprünglichen Form zurückgekehrt war, fing mein Magen an zu knurren. War dieser Körper eigentlich nie mit mir zufrieden? Ich machte einen Rundgang durch meine neue Wohnung, aber mir war klar, dass ich in meiner Küche jetzt nicht mehr Essbares finden würde als heute Morgen, die Küche, oder besser der Raum, der dafür vorgesehen war, war eindeutig der Haken an dieser Wohnung, was vor allem daran lag, dass sie nicht vorhanden war. Chris hatte vor seiner Abreise netterweise alle Küchengeräte entsorgt, weil sie ohnehin kaum noch funktionstüchtig waren. Obwohl die Küche statistisch gesehen der Raum war, den ich am wenigsten benutzte, war die komplette Abwesenheit einer Küche auch für einen Fastfood-Junkie wie mich mit einigen Schwierigkeiten verbunden. Wie sollte ich so meine Tiefkühlpizzen aufbacken, wenn das einzige Küchengerät, das noch vorhanden war, eine verrostete alte Spüle war?
Auf der vergeblichen Suche nach einer geheimen Notration Chips wühlte ich in meinen Umzugskartons. Wenigstens kam unter dem Geschirr noch eine Flasche Bordeaux zum Vorschein, die ich mir als Wegzehrung eingesteckt hatte. Und da ich mich wohl oder übel bei meinem neuen Nachbarn für seine Hilfsbereitschaft bedanken musste, war es vielleicht jetzt ein günstiger Moment dafür. Wenn ich mir Mühe gäbe, könnte dabei sogar ein Abendessen rausspringen, er hatte ja gesehen, wie spärlich meine Küche eingerichtet war. Ich versuchte, die Weinflasche ein wenig feierlich herzurichten, indem ich eine Schleife aus einem Streifen Zeitungspapier um den Flaschenhals band.
Aber als ich die Wohnungstür öffnete, war ich von der Genialität meines Plans nicht mehr so überzeugt. Aus der gegenüberliegenden Wohnung schallte mir lautes Geschrei entgegen. Gerade als ich mich dazu entschlossen hatte, das gemeinsame Abendessen auf einen anderen Tag zu verschieben, wurde die Tür aufgerissen, und eine wütende Blondine stürmte auf mich zu. Sie sah so aufgebracht aus, dass ich nicht wagte, mich zu bewegen.
»Training, immer nur Training«, fauchte sie. »Ich habe langsam echt die Nase voll kannst du dir nicht vorstellen, dass ich auch mal Zeit mit dir verbringen will, und zwar nicht nur auf dem Scheiß-Fußballplatz? Ich hasse Fußball!«
Jetzt hatte sie mich bemerkt und starrte mich ärgerlich an. Ich hatte dieser Feststellung eigentlich nichts mehr hinzuzufügen. Deswegen nickte ich nur vorsichtig und versuchte, die Weinflasche unauffällig hinter meinem Rücken verschwinden zu lassen. Ich wollte ihr nicht noch mehr Gründe geben, wütend auf ihren Freund zu sein. Die Blondine schnappte sich eine große Reisetasche und ging die Treppe hinunter. Meiner Ansicht nach war ihr Abgang einen Tick zu theatralisch, um überzeugend zu sein, aber auf meinen Nachbarn zeigte er Wirkung. Er lief ihr ein paar Stufen hinterher.
»Sabrina, jetzt bleib doch hier. Verdammt, Fußball ist halt mein Job.«
Ich war zwar auch nicht gerade die Einfühlsamste, wenn es ums Zwischenmenschliche ging, aber dass das nicht die Antwort war, die sie zurückbringen würde, war selbst mir klar. Mein Nachbar hielt das jedoch für ein überzeugendes Argument und wurde noch deutlicher: »Das ist eben nicht so wie bei dir, wo man nach sieben Stunden nach Hause geht und sagt, so das war es für heute, jetzt kann ich mich amüsieren. Das ist echt ein knallharter Job.«
Dafür werdet ihr Blödmänner ja auch viel zu gut bezahlt, dachte ich mir meinen Teil, aber ich versuchte, mich aus der Diskussion herauszuhalten. Schließlich gab Tim es auf und kam die Treppe wieder hoch. Erst jetzt bemerkte er mich und zuckte mit den Schultern. Ich wusste auch nicht recht, was ich zu diesem Thema beisteuern konnte, und überlegte stattdessen, wie ich unauffällig zurück in die Wohnung gelangen könnte. Unten fiel die Haustür mit lautem Krachen ins Schloss, und ich war noch keinen Schritt weiter. Es herrschte eine peinliche Stille, und jedem von uns beiden war klar, dass wir nicht wieder in unsere Wohnungen zurückkehren konnten,...
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