Schweitzer Fachinformationen
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»Französisch, Italienisch oder Spanisch?«
»Entscheiden Sie.«
Ich kannte mich ziemlich gut. Gut genug, um zu wissen, dass ich in derartigen Situationen noch nie das getan hatte, was klug war. Für Tina war es jetzt zu spät und für Tim noch zu früh. Ich hatte ihn noch nicht einmal eine Stunde zappeln lassen, das war eindeutig zu wenig. Was also sprach gegen ein Gläschen Wein bei einem netten Gespräch mit meinem Chef?
Die Tatsache, dass es nicht bei einem Glas bleiben würde, vermutlich, und dass es dementsprechend vielleicht auch nicht bei dem Gespräch bleiben würde, und vor allem die Tatsache, dass er mein Chef war. Aber das alles verdrängte ich erst mal und ließ den Abend auf mich zukommen.
Herr Jost hatte nicht gelogen. Seine Wohnung war nicht mal fünf Minuten vom Kino entfernt. Soweit man von einer Wohnung sprechen konnte. Im Grunde bestand sie aus zwei großen Etagen einer ehemaligen Fabrik, die durch eine enge Wendeltreppe verbunden waren. Und genaugenommen wohnte er dort auch noch nicht richtig. Denn außer einem Stapel Umzugskartons, der uns am Eingang empfing, verloren sich in seinem »Wohnbereich« lediglich ein abgenutztes Ledersofa und ein überdimensionaler Flachbildschirm. Kein Regal, kein Tisch, keine Arbeitsecke. Dafür eine noble Edelstahleinbauküche in der anderen Ecke des Raumes, mitsamt Hightech-Kochinsel, hinter der mein Chef gerade auf Tauchstation gegangen war, auf der Suche nach dem versprochenen Wein.
Ich wusste nicht, ob ich meine Entscheidung schon bereute, oder einfach nur auf die nächste Überraschung gespannt war. Auf jeden Fall war ich nervös. In erster Linie wohl auch, weil es nichts gab, womit ich mich ablenken konnte. Keine Fotos oder Bilder an den Wänden, keine Bücher, CDs, Zeitschriften. Ein Mönch war besser eingerichtet. Jetzt verstand ich, warum er seine Abende lieber im Kino verbrachte.
»Setzen Sie sich doch«, kam es von der Küche herüber. »Viel Auswahl haben Sie ja nicht.«
Ich setzte mich aufs Sofa. Herr Jost kam mit zwei Gläsern Rotwein dazu, die er mangels Tisch auf einem Küchenhocker abstellte. Keine Entschuldigung oder Erklärung, die über den ersten abschreckenden Eindruck der Wohnung hinweghelfen sollte. Schließlich hatte er mir einen Rotwein vor dem Fernseher versprochen. Und dafür waren alle Utensilien vorhanden.
Wir stießen an, und mein Chef ließ es gar nicht erst zu dem peinlichen Moment kommen, der nach dem ersten Schluck in der Regel entstand. Er schaltete den Fernseher an. Dann reichte er mir die Fernbedienung. »Sie haben die Probleme. Sie entscheiden über das Programm.«
Lachend fing ich an, durch die Sender zu zappen.
Nachdem wir die ersten dreiunddreißig hinter uns hatten, hatten wir unsere Weingläser bereits geleert und noch immer nichts Geeignetes gefunden.
»Tut mir leid, ich würde Ihnen ja gerne einen Filmabend anbieten, aber meine DVDs sind irgendwo da drin. Zusammen mit dem DVD-Player.«
Er deutete entschuldigend auf die meterhohe Kartonwand im Eingangsbereich.
»Wie lange sind Sie jetzt eigentlich schon in Köln?«
Er winkte ab, während er uns nachschenkte.
»Ja, ja, ich weiß. Aber ich habe längst aufgehört, Zeit in den herkömmlichen Kategorien zu messen. Wochen, Monate, was bedeutet das schon in unserem Job. Ich rechne nur noch in Sommer- und Winterpausen der Bundesliga. Vorausgesetzt es steht keine WM, EM oder Olympiade an.«
»Okay, dann hatten Sie aber trotzdem eine ganze Winterpause lang Zeit, um sich einzurichten.«
Er war letztes Jahr im Herbst gekommen, als Udo ganz überraschend seinen Abschied genommen hatte. Aus familiären Gründen, was jeder von uns nachvollziehen konnte. Udo hatte drei Kinder, zwei Hunde, eine Ex- und eine schwangere Frau. Hannes Jost war der Wunschkandidat unseres Chefredakteurs gewesen. Aber keiner hatte damit gerechnet, dass er den Job tatsächlich annehmen würde. Im Gegenteil, viele meiner Kollegen hatten sich selbst Hoffnungen auf den Posten gemacht. Ich dagegen war realistisch genug gewesen, um mir als einzige Frau in der Sportredaktion keine Chancen darauf auszurechnen. Deswegen konnte ich Herrn Jost auch relativ unvoreingenommen begegnen, während meine Kollegen an ihrem Neid noch immer zu knabbern hatten.
»Sie sind kurz vor der Winterpause gekommen«, wiederholte ich noch mal »Also hatten Sie einen ganzen Monat, um die Kartons auszupacken.«
»Glauben Sie mir, ohne Winterpause säßen wir jetzt auf dem Boden und würden die weiße Wand anstarren.«
»Wie bitte, Sie haben ein Sofa und einen popeligen Fernseher aufgebaut? Das ist alles?«
»Nicht ganz. Ich habe mein komplettes Schlafzimmer eingerichtet, aber ich würde vermutlich wieder die falschen Signale aussenden, wenn ich Ihnen das jetzt zeige.«
»Ja, allerdings.«
Ich schüttelte lachend den Kopf und nahm einen Schluck aus dem Weinglas.
»Und seit wie vielen Winterpausen sind Sie inzwischen beim Tagesblatt?«
»Vier. Nein, Moment .« Ich rechnete nach und erschrak. Waren es jetzt sogar schon . »Fünf, glaube ich, ja, letzten Winter waren es fünf. O Gott, ich mache diesen Job schon fast fünfeinhalb Jahre.«
»Nicht schlecht für eine, die nie Sportjournalistin werden wollte.«
»Allerdings. Es sollte eigentlich nur eine Zwischenstation sein. Unglaublich. Kai ist schon drei geworden, dabei weiß ich noch, wie ich mich hochschwanger auf die Tribüne quetschen musste. Auf schwangere Sportjournalistinnen ist dieser Arbeitsplatz eindeutig nicht ausgerichtet.«
»Kai ist also Ihr Sohn?«, fragte Hannes interessiert. Ich nickte und wünschte mir, ich hätte das Thema nicht angeschnitten. Bei dem Gedanken an Kai lag mir Tims Geständnis von vorhin noch einmal doppelt so schwer auf der Seele. Kai verließ sich auf uns. Darauf dass wir zusammenblieben, für ihn da waren. Wir hatten eine Verantwortung ihm gegenüber. Warum setzte Tim das alles so leichtfertig aufs Spiel?
»Ich habe Angst, dass ich ihm nicht verzeihen kann«, rutschte es mir ohne Vorankündigung heraus. Tränen stiegen mir in die Augen. Natürlich wusste ich, dass so etwas mal passieren konnte. Dass kein Mensch sein Leben lang treu sein kann. Trotzdem bekam ich diesen Gedanken einfach nicht aus dem Kopf.
»Was ist, wenn ich ihm nicht verzeihen kann?«, fragte ich meinen Chef jetzt direkt, dabei war mir selbst klar, dass es Blödsinn war, ausgerechnet ihn um Rat zu fragen. Von seinem fehlenden Taktgefühl mal abgesehen, wusste er schließlich noch nicht mal, von wem ich sprach und was passiert war. Aber die Sorge um Kai und die möglichen Konsequenzen von Tims Fehltritt hauten mich plötzlich um, zusammen mit dem zweiten Glas Wein, das ich inzwischen getrunken hatte.
»'tschuldigung.« Ich schüttelte den Kopf, aber ich konnte meine Tränen nicht mehr zurückhalten. Herr Jost reichte mir stumm ein Taschentuch. Als ich mich wieder ein bisschen beruhigt hatte, räusperte er sich leise. Er zögerte.
»Ich wünschte, ich könnte Ihnen jetzt irgendeinen wertvollen Rat geben, aber glauben Sie mir, es gibt einen Grund, warum ich mit fast vierzig noch Junggeselle bin.«
Er sagte tatsächlich Junggeselle, nicht Single, und komischerweise konnte ich in diesem Moment nur daran denken, dass er sich selbst bei einem gemütlichen Gespräch auf dem Sofa und nach zwei Gläsern Wein immer noch unheimlich gewählt Ja fast altmodisch ausdrückte» In den Redaktionssitzungen, die er regelmäßig mit druckreifen Sätzen führte, hatte ich mich manchmal gefragt, ob er immer so gestochen sprach. Jetzt wusste ich es.
Offenbar hatte ich ihn ziemlich erstaunt angestarrt, denn er fühlte sich genötigt, eine Sache klarzustellen: »Nein, ich bin nicht homosexuell, falls Sie das gerade überlegt haben. Ich werde von meinen Freundinnen einfach nur schneller rausgeworfen als die Trainer beim FC.«
Jetzt musste ich doch lachen. »Danke, es ist immer tröstlich zu hören, dass andere noch schlechter dran sind als man selbst.«
Er schenkte mir noch einmal nach, und ich nutzte die Gelegenheit, ihn näher zu betrachten. Bis jetzt hatte ich ihn immer nur als Chef, nie als Mann mit Freundinnen, Beziehungsstress und dem ganzen Drumherum gesehen, weil er immer wie eine Maschine wirkte. Immer gut gelaunt, immer hochmotiviert, immer am Arbeiten.
Dabei war er durchaus attraktiv. Schlank, nicht sportlich wie Tim, das hatte er eben schließlich selbst zugegeben, aber trotzdem schlank. Vermutlich eher von zu viel Stress und zu unregelmäßigen Mahlzeiten. Er hatte kurze, lockige schwarze Haare, durch die nicht nur die ersten, sondern auch schon die zweiten Grauen durchschimmerten. Und er hatte überraschend sanfte Gesichtszüge, dafür, dass er einen so wichtigen Posten innehatte. Für seinen Stress und sein Arbeitspensum wirkte er sowieso überraschend jugendlich. Leicht gebräunt, trotz Bürojob, gut rasiert, trotz langem Arbeitstag. Die Krawatte hatte er abgelegt und die Ärmel von seinem Hemd hochgekrempelt, aber sonst hätte er jederzeit so ins Büro gehen können.
»Sie machen das doch ganz gut«, sagte ich, um meinen kurzen melodramatischen Ausrutscher zu überspielen.
»Was?«
»Das Trösten, trotz Berufskrankheit.«
»Ja? Ich gebe mir auch wirklich Mühe, nicht zu taktlos zu sein.«
»Danke.«
»Es ist ja nicht gerade so, als wäre mir Ihre Gesellschaft um angenehm.«
Er lächelte mir zu. Ich lächelte zurück. Und dann wurde ich taktlos. Als er mir mein volles Weinglas reichte, beugte ich mich mit eindeutigen Absichten zu ihm herüber, obwohl ich es besser wusste. Aber mit einem Viertelliter Wein und einer gefährlichen Mischung aus Trauer und Wut intus war meine Hemmschwelle inzwischen gen Null gesunken. Ich küsste ihn. Es störte ihn...
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