Schweitzer Fachinformationen
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Es war ein heißer Nachmittag im Spätsommer. Die Sonne brannte vom wolkenlosen Himmel, die Bottenwiek schlug träge Wellen. Dort, wo der Uferfels schroff wie eine senkrechte Wand zum grünlichen Meer abfiel, standen zwei kleine, braungebrannte Jungen in Badehosen. Ein Stück weiter weg, am nördlichen Ende der Meeresbucht, erhob sich in etwa zwei Kilometer Entfernung die Stadt: Die Fenster der Hochhäuser reflektierten die Sonnenstrahlen, und die Fabrikschornsteine pafften dunklen Rauch in den blauen Himmel. Riesige, uralte Föhren ragten hinter den Jungen auf. Ossi, der kleinere der beiden, war sechs Jahre alt; sein zwei Jahre älterer Bruder hieß Tommi.
Ossi hielt mit der rechten Hand ein kleines rotes Feuerwehrauto hoch über den Kopf und schaute seinen Bruder an. Tommi nickte, und Ossi schleuderte das Spielzeug ins Meer. Aufmerksam verfolgten die Brüder den Flug des verbeulten Autos, das schon vieles mitgemacht hatte. Als es im Wasser versank, stellten sie sich an die Felskante und machten sich zum Sprung bereit.
«Eins, zwei, drei . los!», rief Ossi.
Mit einem Kopfsprung hechteten die Jungen ins Meer.
Das Wasser war so klar, dass Tommi den von träge wogendem Seetang bedeckten Boden deutlich erkennen konnte, obwohl das Meer an dieser Stelle gut vier Meter tief war. Er schaute zu Ossi hinüber. Der Kleine tauchte zielstrebig nach unten, doch wie immer hatte er die Augen dabei fest zugekniffen. Damit hatte er keine Chance zu gewinnen!
Tommi erreichte den Grund als Erster und sah sich rasch um. Das Feuerwehrauto lag nur ein paar Meter entfernt, es war nicht einmal bis auf den Grund gesunken, sondern ruhte auf der dichten Tangdecke wie auf einem Präsentierteller. Schnell schnappte sich Tommi das Auto und stieß sich mit den Füßen von dem weichen Tangteppich ab. Er grinste, als er sah, wie Ossi mit geschlossenen Augen und aufgeblasenen Backen auf dem Grund herumschwamm und den Tang mit den Händen abtastete.
Tommi kletterte bereits den Uferfelsen hinauf, als Ossi auftauchte und mit einem triumphierenden Jauchzer die Hand aus dem Wasser streckte.
«Ich hab's gefunden! Zum ersten Mal hab ich gewonnen!»
Tommi drehte sich um, beschirmte die Augen mit der Hand und sah, wie sein kleiner Bruder eilig ans Ufer kraulte. Er schien tatsächlich etwas in der Hand zu halten.
«Von wegen gewonnen! Ich hab das Auto!», rief Tommi und zeigte Ossi, der Salzwasser spuckte und versuchte, sich aus dem Wasser zu hieven, seine Trophäe.
«Und was ist das?», fragte Ossi trotzig und hielt einen vollständig von Tang bedeckten eckigen Gegenstand hoch.
«Ein Stein?», meinte Tommi und kletterte weiter.
«Nee!», rief Ossi. «Für einen Stein ist es viel zu leicht.»
«Wenn wir oben sind, gucken wir es uns an», erwiderte Tommi.
Bald darauf saßen die Brüder tropfnass auf den Handtüchern, die sie auf dem Felsen ausgebreitet hatten. Ossi riss den Tang ab, der sich fest um sein Fundstück gewickelt hatte. Seinem Bruder fiel es schwer, untätig zuzuschauen, doch Ossi wollte sich nicht helfen lassen. Inzwischen ahnte auch Tommi, dass es sich wohl nicht um einen Stein handelte. Dass er den Tauchwettkampf gewonnen hatte, war auf einmal ganz unwichtig.
Er versuchte auszumachen, was sich in Ossis Schoß verbarg, doch der hielt stur eine Hand über den geheimnisvollen Gegenstand, sodass Tommi nichts weiter erkennen konnte als die fliegenden Tangbüschel.
«Oho!», rief Ossi, als die letzten Tangstreifen sich plötzlich wie von selbst lösten.
«Zeig schon her!»
«Warte mal!» Ossi nahm sein Hemd und wischte den grünen Schleim ab, der den Fund bedeckte.
Endlich warf er das Hemd beiseite und streckte die Hand aus. Die beiden Brüder starrten den Gegenstand verwundert an.
Es war ein winziges altes Holzkästchen, über und über mit feinem Schnitzwerk verziert. An den Seiten waren mit winzig kleinen Nägeln Metallbeschläge befestigt. Obwohl das Kästchen im Lauf der Zeit unter Wasser gelitten hatte, sah man immer noch deutlich, dass es eine exakte und kunstvolle Tischlerarbeit war.
«Mach auf!», drängte Tommi.
«Da ist ein Schloss dran», sagte Ossi und drehte das Kästchen um, sodass auch sein Bruder das winzige Vorhängeschloss sehen konnte.
Die Jungen schauten sich an.
«Eine Schatztruhe!», jubelten sie wie aus einem Mund.
«Versuchen wir, das Schloss aufzubrechen?», schlug Tommi vor.
«Nein! Dann geht es doch kaputt. Wir laufen nach Hause und zeigen es Opa», sagte Ossi.
In der nächsten Sekunde rannten die beiden Jungen schon den Waldpfad entlang. Das Blockhaus ihres Großvaters lag nicht weit entfernt. Zwischen den Bäumen schimmerte schon das Blechdach hindurch.
Großvater saß, in ein Buch vertieft, auf der Veranda, als die Jungen hereinstürmten.
«Opa! Opa! Wir haben einen Schatz gefunden!», rief Tommi.
«Ich hab ihn gefunden!», stellte Ossi richtig und überholte seinen großen Bruder auf den letzten Metern.
Atemlos standen die Jungen auf der Veranda und erzählten beide gleichzeitig von ihrem Fund. Großvater verstand kein Wort.
«Ihr blubbert ja wie Bohnensuppe», lachte er, klappte das Buch zu und legte es auf den Tisch. «Zeig mir mal euren Schatz, Ossi.»
Ossi reichte ihm das Kästchen. Großvater hielt es sich dicht vor die Augen und betrachtete es eingehend.
«Alt ist es jedenfalls. Sehr alt», sagte er.
«Aber doch nicht so alt wie du?», fragte Tommi.
«Noch älter. Ich bin schließlich noch kein Tattergreis.» Großvater kicherte.
Er wog das Kästchen prüfend in der Hand. «Es ist schwerer, als es sein sollte», sagte er. «Irgendetwas muss darin sein.»
«Ein Schatz!», jauchzten die Jungen im Chor.
«Bestimmt ist es deshalb abgeschlossen», setzte Ossi hinzu.
«Vielleicht sind Diamanten drin», meinte Tommi.
«Immer mit der Ruhe. Besonders viele Diamanten passen da gar nicht hinein», sagte Großvater und besah sich das winzige Schloss. «Tommi, hol mir mal die Drahtrolle aus dem Schuppen. Sie liegt ganz unten im Regal, neben den Ködern.»
Das musste er nicht zweimal sagen: Tommi flitzte bereits los.
«Oho! Das war ja ein Blitzstart. Wenn ihr doch beim Geschirrspülen auch so eifrig wärt.» Großvater zwinkerte Ossi zu.
Die Jungen warteten ungeduldig, während Großvater sich mit dem Schloss abmühte.
Er hatte das Ende des Drahts im rechten Winkel abgebogen und vorsichtig in das winzige Schlüsselloch gebohrt. Behutsam drehte und wendete er den Draht.
«Ich glaube, es geht doch nicht», sagte er und wischte sich mit dem Handrücken einen Schweißtropfen von den Brauen.
«Probier's nochmal!», drängten die Jungen.
«Ich versuche es ja die ganze Zeit, aber Wunder kann ich .»
Er brach mitten im Satz ab, denn plötzlich schnappte der Riegel des Schlosses zurück und gab den Bügel frei. Der Deckel sprang auf, als wäre er mit einer Feder versehen, und gleichzeitig erklang ein leises Klingeln.
«Habt ihr das gehört?», staunte Ossi.
«Ist es eine Spieldose?», fragte Tommi. Großvater war nicht weniger verwundert als die beiden Jungen.
«Das kam bestimmt von da drüben», sagte er schließlich und nickte zu der Windharfe hinüber, die auf der Veranda hing.
Die Brüder beugten sich gleichzeitig über das Kästchen. Dabei stießen sie mit den Köpfen aneinander und schrien vor Schmerz auf.
«Ist Gold drin?»
«Oder Diamanten?»
«Nein», brummte Großvater. «Nur eine alte, verbeulte Taschenzwiebel.»
«Eine Taschenzwiebel? Was ist das denn?», wunderte sich Tommi.
«Ist sie aus Gold?», fragte Ossi erwartungsvoll.
«Es ist eine silberne Taschenuhr», erwiderte Großvater. «Und bevor ihr weiterfragt - ich kann euch gleich sagen, dass sie nicht besonders wertvoll ist.» Er legte die Uhr auf den Tisch. Der Kronenaufzug fehlte. «Aber seht euch mal das Kästchen an. Das ist ein echtes Meisterwerk. Es ist sogar mit gefärbtem Robbenfell gefüttert.»
Die Jungen warfen nur einen flüchtigen Blick darauf. Sie konnten ihre Enttäuschung nicht verbergen, dass das Kästchen keinen wertvollen Goldschatz in sich barg. Ossi griff flink nach der Uhr und versuchte, den verzogenen Deckel mit dem Fingernagel zu öffnen.
«Ob die noch geht?», überlegte er halblaut.
«Bestimmt braucht sie eine neue Batterie», meinte Tommi.
Großvater musste schmunzeln. Die Brüder hatten jedes Interesse an dem Kästchen verloren.
«Ich hab sie aufgekriegt», sagte Ossi. «Guckt mal! Da liegt ja ein Stück Papier drin.»
«Eine Schatzkarte!», jubelte Tommi.
Auch Großvater beugte sich neugierig vor. Tatsächlich: Ossi hielt ein gefaltetes, vergilbtes Stück Papier in der Hand. Behutsam begann er es auseinanderzufalten.
«Vorsichtig, Ossi, es ist bestimmt ganz brüchig», riet der Großvater.
Ossi glättete das Papier und starrte darauf. «Hier steht irgendwas geschrieben», sagte er.
«Lies mal vor!», rief Tommi. «Bestimmt ist das eine Anleitung, wie man den Schatz findet.»
«Die Schrift ist ganz klein und blass», sagte Ossi, dann räusperte er sich und las den in verschnörkelten Buchstaben geschriebenen Text langsam vor:
«Frohe Weihnachten, liebe kleine Ada. Dein Bruder Nikolas.»
«Mehr steht da nicht?», fragte Tommi enttäuscht.
Ossi schüttelte den Kopf.
«Ada und Nikolas», murmelte Großvater mit ungläubiger Miene. «Seltsam. Ich dachte immer, das sei nur ein Märchen.»
Die Jungen sahen ihn verwundert an.
«Was ist nur ein Märchen?», wollte Ossi...
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